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Zeitschrift für Ästhetik und allgemeine Kunstwissenschaft — 25.1931

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https://doi.org/10.11588/diglit.14174#0286
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Besprechungen.

Ernst Cassirer: Individuum und Kosmos in der Philosophie
der Renaissance. Studien der Bibliothek Warburg X. Leipzig und
Berlin 1927, B. Q. Teubner. V, 458 Seiten.

Aus dem Gedankenkreis einer philosophischen Problemgeschichte heraus nähert
Ernst Cassirer sich dem Rätsel der Renaissance, von dem noch heute umstritten
ist, ob es seinen vollen Sinn in einem Wort erschließt, oder ob mehrere Lösungen
auf seinen vielgestaltigen Inhalt passen. Cassirer glaubt daran, daß bei aller Man-
nigfaltigkeit der Ansätze, bei allem Auseinanderstreben der Ergebnisse und bei
allem Fehlen einer geradlinigen, stetig fortschreitenden Entwicklung die Gedanken-
bewegung des 15. und 16. Jahrhunderts doch eine Einheit bildet. Darüber
hinaus gilt ihm als sicher, daß die theoretische Gedankenarbeit nicht abgesondert
von den übrigen Lebensmächten dieser Epoche dasteht, vielmehr sich zu ihnen wie
das Ganze zu seinen Teilen verhält, als ihr begrifflich-symbolischer Ausdruck. „Wie
das neue universelle Leben, zu dem die Renaissance sich durchringt, zu der Forde-
rung eines neuen Universums des Gedankens führt, und wie in ihm dieses Leben
sich reflektiert und sich erst ganz findet, soll im folgenden dargelegt werden." (S. 6.)

Den notwendigen Ausgangspunkt für die Suche nach der systematischen Ein-
heit der Renaissancephilosophie sieht Cassirer in der Lehre des Nikolaus
C u s a n u s , deren methodischer Eigenart und inhaltlicher Besonderheit er im ersten
Kapitel seines Buches nachspürt. Dabei stellt er des Cusaners Verhältnis zur mittel-
alterlichen Mystik, besonders zum Areopagiten, zur scholastischen Theologie und
scholastischen Logik als Verbundenheit, doch als Weiterentwicklung dar; erweist
seine Einsicht in die Quellen des Piatonismus als Beginn einer Klärung zwischen
Plato und dem Neuplatonismus, und zwischen Plato und Aristoteles; zeigt seine
Verwurzelung in den scholastischen Systemen an seiner philosophischen Sprache;
gibt eine eindringende Schilderung seines konkreten Weltbildes, seiner Auffassung
des physischen Kosmos, die im Gegensatz zur mittelalterlichen Physik und als
Folge einer veränderten geistigen Gesamthaltung zur Aufhebung des geozentrischen
Weltbildes führt. Denn der Mittelpunkt der Welt ist kein örtlich bestimmter; Mit-
telpunkt des Alls ist Gott. Der geistige Kosmos ist ein Kosmos der Religionen.
Klar und überzeugend wird auseinandergesetzt, daß des Cusaners philosophische
Gedankenwelt von den drei geistigen Grundmächten seiner Zeit starke Antriebe
empfangen hat: von der deutschen Mystik — durch sein Eindringen in die devotio
moderna bei den „Brüdern vom gemeinsamen Leben" in Deventer, von der Scho-
lastik — als Student in Heidelberg, vom Humanismus —■ seit er italienischen
Boden betritt. Daß Nikolaus von Cues die Wendung zur Vertiefung des Problems
des Individuums (in der Cassirer mit Burckhardt das Kernproblem der Renaissance
sieht) und zur neuerwachten objektiven Betrachtung „nicht im Gegensatz zu den
religiösen Grundgedanken des Mittelalters, sondern aus dem Blickpunkt eben dieser
Grundgedanken selbst vollzieht" (S. 37), darin besteht nach Cassirer seine ge-
schichtliche Tat. Religiöser und weltlicher Individualismus begegnen sich hier. An-
 
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