Z Geburtshilfe Neonatol 2008; 212 - P101
DOI: 10.1055/s-2008-1079005

Contiguous Gene Syndrome aufgrund einer 3,4 Mb-Deletion in Xp21 mit synchroner Manifestation klinischer Symptome bei monozygoten Zwillingen

C Mühle 1, E Steichen-Gersdorf 2, T Strom 3, K Kapelari 4, H Schneider 1
  • 1Abteilung für Experimentelle Neonatologie, Medizinische Universität Innsbruck, Department für Kinder- und Jugendheilkunde, Innsbruck, Österreich
  • 2Pädiatrie IV, Medizinische Universität Innsbruck, Department für Kinder- und Jugendheilkunde, Innsbruck, Österreich
  • 3Institut für Humangenetik, Technische Universität München, Klinikum rechts der Isar, München
  • 4Pädiatrie I, Medizinische Universität Innsbruck, Department für Kinder- und Jugendheilkunde, Innsbruck, Österreich

Hintergrund: Monozygote männliche Zwillinge wurden kurz nach der Geburt gleichzeitig durch ein Atemnotsyndrom, Symptome einer Nebenniereninsuffizienz, Kryptorchismus und eine Leistenhernie auffällig. Biochemisch wurde bei beiden Kindern eine Glycerolkinasedefizienz sowie – aufgrund erhöhter Kreatinkinasewerte – eine Muskeldystrophie diagnostiziert. Fragestellung: Lässt sich durch Identifizierung der DNA-Bruchpunkte bei Verdacht auf eine große X-chromosomale Deletion ein klinisch noch unerkannter Verlust weiterer Gene feststellen und ein Beitrag zum Verständnis der Mutationsmechanismen leisten? Material und Methoden: Genomische DNA aus Blutzellen der Patienten und ihrer Verwandten diente als Untersuchungsmaterial. Mittels sukzessiver PCR-Amplifikationen wurden die Bruchpunktregionen im X-Chromosom zunächst eingegrenzt. Die Identifikation der Bruchpunkte erfolgte durch Schnittstellenanalyse und anschließende Sequenzierung der DNA. Anhand von Polymorphismen wurde die Herkunft des defekten X-Chromosoms bestimmt. Ergebnisse und Diskussion: Die Verwendung von PCR-Primern, die beidseits der deletierten Region binden, führte beim Zwillingspaar und seiner Mutter, jedoch bei keinem der Großeltern, zu einem hybriden PCR-Produkt. Durch Sequenzierung dieses Amplifikates konnten die Bruchpunkte mit einer Überlappung von 4 Basenpaaren, welche das verlorene 3,4 Mb große DNA-Fragment in der Xp21-Bande flankieren, identifiziert werden. Dieser Bereich enthält die Gene IL1RAPL1, MAGEB1–4, NR0B1/DAX1, CXorf21, MAP3K7IP3/TAB3, FTHL17, GK sowie die Exons 45–79 des DMD-Gens. Das Fehlen der zugehörigen Genprodukte erklärt vollständig die bei den Zwillingen beobachteten Symptome. Die Suche nach nahe gelegenen Polymorphismen ergab, dass das defekte X-Chromosom vom gesunden Großvater mütterlicherseits abstammt und in den Blutzellen der Mutter bevorzugt inaktiviert wird. Die Entstehung solch großer Deletionen wird durch die Flexibilität der telomernahen Enden des X-Chromosoms aufgrund des Abwesenheit eines zweiten paarenden X-Chromosoms während der Meiose in Spermatozyten erleichtert. Das hier betroffene Intron 44 des DMD-Gens ist als instabile DNA-Region bekannt und in 30% aller DMD-Deletionen involviert. Das Vorhandensein von 4 gleichen Basenpaaren beidseits der Deletion könnte durch Vorwärtsverschiebung eines Stranges während der DNA-Replikation zum Verlust des dazwischen liegenden Bereiches geführt haben.