Dtsch Med Wochenschr 2008; 133(20): 1059-1063
DOI: 10.1055/s-2008-1077217
Originalarbeit | Original article
Arztrecht, Medizinethik
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Passive Sterbehilfe in der Praxis - die ärztliche Entscheidung im Spiegel der Rechtslage

Passive euthanasia in clinical practice - doctors’ decision and the legal positionT. Möller1 , B. Grabensee2 , 4 , H. Frister3 , 4
  • 1Institut für Rechtsfragen der Medizin, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf
  • 2Klinik für Nephrologie, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf
  • 3Lehrstuhl für Strafrecht und Strafprozessrecht, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf
  • 4Klinischer Ethikrat, Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf
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Publication History

eingereicht: 27.8.2007

akzeptiert: 14.2.2008

Publication Date:
07 May 2008 (online)

Zusammenfassung

Hintergrund und Fragestellung: Im klinischen Alltag sind Entscheidungen über lebensverlängernde Maßnahmen häufig zu treffen. Dabei muss der Arzt die rechtlichen Vorgaben zur Zulässigkeit eines Behandlungsverzichts (so genannte passive Sterbehilfe) beachten, wenn er über die Durchführung oder Unterlassung entscheidet. In dieser Studie wurde untersucht, wie die Ärzte des Universitätsklinikums Düsseldorf die in der Rechtsprechung aufgestellten Voraussetzungen bei ihrer Entscheidung umsetzen.

Methode: Die Ärzte der Universitätsklinik Düsseldorf wurden von April bis August 2006 mittels eines standardisierten Fragebogens zu ihrer Entscheidung über die Durchführung lebensverlängernder Maßnahmen befragt.

Ergebnisse: 128 der 512 befragten Ärzte beantworteten den Fragebogen (25 %; davon 32,8 % weiblich und 67,1 % männlich). Eine der von der Rechtsprechung vorgegebenen Behandlungsbegrenzungen (die medizinische Indikation lebenserhaltender Maßnahmen) wird laut der Befragung unterschiedlich anhand nicht medizinischer Kriterien und damit je nach Einstellung des Arztes unterschiedlich beurteilt. Von der - aus rechtlicher Sicht zulässigen - Möglichkeit eines Behandlungsabbruchs im Falle fehlender Indikation lebenserhaltender Maßnahmen machten nur wenige Ärzte Gebrauch. Die überwiegende Anzahl der Mediziner verhält sich im Falle eines Konfliktes zwischen Indikation und mutmaßlichem Patientenwillen gegensätzlich zu den Vorgaben der Rechtsprechung.

Folgerungen: Es bedarf einer Diskussion darüber, ob bzw. welche nicht medizinischen Erwägungen für die Beurteilung der Indikation lebenserhaltender Maßnahmen herangezogen werden dürfen. Desweiteren lassen die Ergebnisse auf große Unsicherheiten der Ärzte bezüglich des Behandlungsverzichtes am Lebensende schließen. Neben einer gesetzlichen Klarstellung der Zulässigkeit eines Behandlungsverzichts scheint daher die Übertragung der Entscheidung auf ein fachkundiges Gremium sinnvoll.

Summary

Background: Doctors are often confronted with end-of-life decisions. When deciding on the withdrawal of medical treatment physicians have to consider the legal position. This study was done to evaluated how far doctors at the university medical center in Düsseldorf had acted in conformity with the established case law in Germany.

Methods: Between April and August 2006 doctors at the university medical center in Düsseldorf filled in a standardized questionnaire about the decisions they had taken to withdraw life-support treatment.

Results: 128 of a total of 512 doctors questioned replied (25 %; 32,8 % females and 67,2 % males) . The survey showed that the judicial decision (that it is not necessary to provide treatment if life-support measures are not indicated) is largely determined by non-medical criteria. The clinical decision by doctors depended mainly on his personal opinion. Furthermore the survey showed that only a few doctors made use of the - lawful - option to withdraw medical treatment when this was not indicated. Finally the survey revealed that, in case of conflict between indication and perceived patients’ wishes, the vast majority of doctors behaved in contravention of the decisions established by case law.

Conclusion: There is the need to discuss what non-medical issues should be taken into account when determining the indication of withdrawal of life-support measures. The results also highlighted the uncertainties that exist regarding a doctor’s decisions about it. Not only should legislation clarify whether „passive euthanasia” is allowed, but it would also be useful to delegate end-of-life decisions to a review board.

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Prof. em. Dr. B. Grabensee

Universitätsklinikum Düsseldorf, Klinik für Nephrologie

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