Fortschr Neurol Psychiatr 2005; 73 - A60
DOI: 10.1055/s-2005-918146

Geschlechtsunterschiede in Pharmakokinetik und Pharmakodynamik von Psychopharmaka

J Kirchheiner 1
  • 1Institut für Pharmakologie, Universität zu Köln

Für eine individuellere, maßgeschneiderte Arzneimitteltherapie ist die Beachtung geschlechtsspezifischer Unterschiede von großer Bedeutung. Die Pharmakokinetik der meisten Medikamente unterscheidet sich in Abhängigkeit vom Geschlecht, wobei Frauen in der Regel eine höhere Bioverfügbarkeit und niedrigere Clearance besitzen als Männer. Insbesondere haben aber die höheren Östrogen- und Gestagenspiegel bei Frauen während der fruchtbaren Jahre Auswirkungen auf Arzneistoffmetabolismus und Elimination während postmenopausal diese Unterschiede geringer werden. Dennoch bestehen weiterhin natürlich staturbedingte Unterschiede im Körperwasser-/Körperfettgehalt. Schwangerschaft und Stillzeit stellen eine ganz besondere Situation dar, in der insbesondere die Effekte auf das ungeborene Kind beachtet werden müssen, aber auch Unterschiede des mütterlichen Organismus in der Pharmakokinetik.

Während des Menstruationszyklus treten Schwankungen in pharmakokinetischen Parametern wie beispielsweise erniedrigte Arzneimittelclearance in der gestagenen Phase vor der Menstruation auf. Auch beobachtet man gerade bei psychiatrischen Erkrankungen Schwankungen in der Symptomatik. Variable Dosierungen konnten in einigen Studien gute Ergebnisse erzielen.

Zu beachten sind aber auch die Effekte zahlreicher Psychopharmaka auf den Hormonzyklus von Frauen, sowie auf die Sexualfunktion, Libido und Fruchtbarkeit. Dabei spielen insbesondere die Effekte dieser Medikamente auf Neurotransmitter wie Prolactin, Dopamin und Acetylcholin eine Rolle, was sexuelle Funktionsstörungen, anovulatorische Zyklen und negative Begleitsymptome wie Brustspannung, Galactorrhö und Amenorrhö angeht.

Es gibt krankheitsspezifische Unterschiede in der Wirksamkeit von Medikamenten sowie in der Häufigkeit und Schwere des Auftretens von Nebenwirkungen. So berichten einige Studien eine schlechtere Response und Verträglichkeit von trizyklischen Antidepressiva und auch häufiger Nebenwirkungen auf SSRIs und MAO-Hemmstoffen.

In der Behandlung der Schizophrenie wurden geschlechtsspezifische Unterschiede in der Höhe der Plasmakonzentrationen von Neuroleptika berichtet, Frauen haben eher höhere Konzentrationen und eine Tendenz zu besseren Wirksamkeit einiger Neuroleptika, jedoch gleichzeitig häufiger spezifische Nebenwirkungen wie tardive Dyskinesie und Akathisie, letztere tritt etwa doppelt so häufig bei Frauen wie bei Männern auf.

Zusammenfassend fällt auf, dass geschlechtsspezifische Unterschiede in der Psychopharmakotherapie wenig systematisch und prospektiv untersucht wurden. Geschlechtsspezifische Psychopharmakologie kann jedoch einen wichtigen Beitrag zur individuellen Arzneimiteltherapie liefern und sollte deshalb systematisch untersucht werden.