Laryngorhinootologie 2000; 79(4): 249-250
DOI: 10.1055/s-2000-8801
AKTUELLE HABILITATION
Georg Thieme Verlag Stuttgart ·New York

Molekularzytogenetische Charakterisierung von Plattenepithelkarzinomen des Kopf-Hals-Bereiches

 Ulrike Bockmühl
  • Dr. med. Ulrike Bockmühl, Jahrgang 1963
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Publication Date:
31 December 2000 (online)

Seit 1995 untersuche ich (Abb. [1]) im Rahmen eines von der DFG geförderten Forschungsprojektes genetische Veränderungen in Plattenepithelkarzinomen des Kopf-Hals-Bereiches. Ziel dieser prospektiven molekulargenetischen und -zytogenetischen Analysen ist die Charakterisierung genetischer Parameter, durch die das biologische Verhalten von Kopf-Hals-Karzinomen besser eingeschätzt werden kann als durch die bekannte klinisch-pathologische Tumorklassifikation. Dazu wird das Tumorgewebe auf DNA- und RNA-Ebene analysiert. Grundlage ist die Erfassung chromosomaler und subchromosomaler Alterationen. Charakteristische Veränderungen innerhalb bestimmter Tumorsubgruppen werden dann im Hinblick auf ein mögliches genetisches Tumorgrading untersucht und molekulargenetisch enger eingegrenzt, um potenzielle Tumorsuppressorgene bzw. Onkogene zu lokalisieren.

In der Habilitationsschrift sind erste Ergebnisse dieser Forschungsarbeit an 100 primären Plattenepithelkarzinomen des Kopf-Hals-Bereiches, 27 Fällen syn- oder metachroner Metastasen und 10 Fällen von Zweitkarzinomen zusammengefasst. Alle untersuchten Tumoren stammten von Patienten, die primär im Zeitraum zwischen 1994 und 1998 in der HNO-Klinik der Charité operiert wurden. Für Überlebensanalysen lag ein postoperativer Beobachtungszeitraum von längstens 4, aber mindestens 2 Jahren zugrunde. Die Karzinome wurden alle mit Hilfe der Comparativen Genomischen Hybridisierung (CGH) analysiert. Darüber hinaus wurden mehrere Tumorgruppen auf Heterozygotieverluste (LOH) im Bereich der Chromosomenarme 8p, 10q, 13q und 21q untersucht, immunhistochemisch die Proteinexpression der Tumorsuppressorgene p16 und Rb sowie des Proto-Onkogens Cyclin D1 dargestellt, und es wurden von den Primärtumoren Zellkulturen angelegt, woraus in 4 Fällen Zellinien etabliert werden konnten.

Die Auswertung der analysierten Tumoren brachte die nachfolgenden wesentlichen Ergebnisse:

Plattenepithelkarzinome des Kopf-Hals-Bereiches sind durch ein typisches genetisches Muster charakterisiert. Dazu gehören Deletionen der Chromosomen 3p, 4p/q, 5q, 6q, 8p, 9p, 11p/q, 13q, 18q und 21q sowie DNA-Überrepräsentierungen im Bereich von 1p, 3q, 5p, 8q, 9q, 11q13, 16p, 17q, 19, 20q und 22q. Die Deletionen des Chromosomarmes 9p und der in 87 % der Fälle immunhistochemisch fehlende Nachweis der Proteinexpression des Tumorsuppressorgens p16 deutet darauf hin, dass es bei Kopf-Hals-Karzinomen inaktiviert ist. Gut (G1) und schlecht (G3) differenzierte Plattenepithelkarzinome unterscheiden sich durch ihr genetisches Muster. Während die G1-Tumoren durch die Deletionen auf 3p und 9p kombiniert mit der Überrepräsentierung auf 3q gekennzeichnet sind, weisen die schlecht differenzierten Malignome zusätzlich die Deletionen von Chromosom 4, 5q, 8p, 11, 13q, 18q sowie 21q und die Überrepräsentierungen von 8q, 11q13 sowie 20q auf.

Metastasierende (pN+) und nicht metastasierende (pN0) Kopf-Hals-Karzinome lassen sich ebenfalls durch bestimmte genetische Muster unterscheiden. Die pN0 Tumoren zeigen mehr Überrepräsentierungen der Chromosomenarme 5p, 6p und 7p. Demgegenüber sind die pN+ Karzinome durch Deletionen im Bereich der Chromosomen 7q, 10q, 11p, 11q, 15q sowie 20p und Überrepräsentierungen bei 2p sowie 11q13 charakterisiert. Von diesen Veränderungen sind die Deletionen der chromosomalen Banden 10q25-q26 und 11p13-14 statistisch hoch signifikant mit dem metastatischen Phänotyp assoziiert. Der genetische Vergleich von Primärtumoren mit ihren korrespondierenden Lymphknotenmetastasen zeigt, dass der metastatische Klon durch 10q-Deletionen charakterisiert ist. Damit könnten 10q-Deletionen als Marker für die Einschätzung der Metastasierungspotenz eines Tumors herangezogen werden. Als wichtigstes Ergebnis konnten zwei unabhängige genetische Prognosemarker für Kopf-Hals-Karzinome charakterisiert werden - die 11q13- und 3q-Amplifikation. In der multivariaten Cox-Regression zeigte sich, dass der Einfluss beider Parameter, besonders aber der 11q13-Amplifikation für die Einschätzung des rezidiv- und metastasenfreien sowie des Gesamtüberlebens der Patienten größer ist als der aller klinisch-pathologischen Parameter, insbesondere der TNM-Klassifikation.

Zusammenfassend eröffnen die Ergebnisse der molekulargenetischen und -zytogenetischen Analysen die Möglichkeit eines „genetischen Tumorgradings”, das als Zusatzinformation einer verbesserten Prognoseeinschätzung bei Kopf-Hals-Karzinomen dienen kann.

Dr. med. Ulrike Bockmühl, Jahrgang 1963.

Curriculum vitae

1989 Approbation

1989 bis 1991 Assistenzärztin am Institut für Pathologie des Universitätsklinikums „Carl Gustav Carus” Dresden

1991 bis 1997 HNO-Facharztausbildung in Bonn und Berlin

1996 bis 1997 Stipendium für molekulargenetische Forschung am „Pittsburgh Cancer Institute” sowie zur Arbeit bei Prof. Dr. E. Myers am „Eye and Ear Institute” der Universität Pittsburgh

1999 Habilitation, Thema: „Molekularzytogenetische Charakterisierung von Plattenepithelkarzinomen des Kopf-Hals-Bereiches”

Dr. med. Priv.-Doz. Ulrike Bockmühl

HNO-Klinik und Poliklinik der Charité Humboldt-Universität

Augustenburger Platz 1

13353 Berlin

Email: ulrike.bockmuehl@charite.de

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