Zahnmedizin up2date 2016; 10(06): 539-558
DOI: 10.1055/s-0042-111951
Zahnerhaltung, Prävention und Restauration
Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Mechanische Interdentalraumhygiene bei Implantatträgern

Hans Jörg Staehle
,
Nihad El Sayed
,
Amelie Bäumer
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Publication History

Publication Date:
01 December 2016 (online)

Einleitung

Der aktuelle Kenntnisstand zur Prävention periimplantärer Erkrankungen wurde im Rahmen des XI. European Workshop on Periodontology (2014) in einem aktuellen Review zusammengefasst [1]. Eine periimplantäre Entzündung – diagnostiziert als Blutung bei Sondierung mit einem Druck von bis zu < 0,25 N – ohne Knochenbeteiligung wird als Perimukositis bezeichnet. Ist es zusätzlich zu einem fortschreitenden, entzündlich bedingten Knochenabbau gekommen, spricht man von Periimplantitis [1].

Der Verlauf der Periimplantitis ist nicht linear [2] und es finden sich in der Literatur große Streubreiten an Prävalenzraten. Eine aktuelle Studie von Derks et al. gibt eine Prävalenz für die periimplantäre Mukositis auf Patientenebene von 19–65 % und für die Periimplantitis von 1–47 % an [3]–[5]. Bezogen auf Schweden fanden Derks et al. bei 45 % aller Patienten eine Periimplantitis, davon bei 14,5 % in einer moderaten bzw. schweren Form (> 2 mm Knochenabbau) [4], [6]. Mombelli et al. zeigten in einem Review von 2012 ähnliche Inzidenzen der Periimplantitis von 20 % auf Patientenebene und 10 % auf Implantatebene [7].

Nach einer Einschätzung von Schlee et al. sind diese Zahlen allerdings übertrieben. Die Autoren rechnen in der Implantologie mit langfristigen Misserfolgsraten von lediglich ca. 5 % auf Patientenebene (allerdings ist nicht ganz klar, ob sich dies auf Implantatmisserfolge generell oder nur auf Periimplantitisraten bezieht). Die hohe Streuung in der Literatur liege unter anderem an unklaren und uneinheitlichen diagnostischen Kriterien. So sei der isoliert betrachtete Aussagewert von Parametern wie Sondierungstiefe oder Bluten nach Sondieren bei der Diagnostik periimplantärer Erkrankungen unsicher. Auch die Einschätzung eines klinisch relevanten, progredienten Knochenverlusts um Implantate sei nicht exakt definiert. Ein wesentliches diagnostisches Merkmal sehen Schlee et al. im Pusaustritt aus der Tasche nach Ausstrich mit einem Schaumstoffpellet als Zeichen einer Infektion [5]. Eine einheitliche Definition zur Periimplantitis fehlt wie beschrieben jedoch noch immer und ein Vergleich der vorliegenden Daten zur Inzidenz von Mukositis und Periimplantitis ist daher nur schwer möglich.

Merke: Ein wesentliches diagnostisches Merkmal ist Pusaustritt aus der Tasche als Zeichen einer Infektion.

Durchforstet man die Literatur zu dieser Thematik, so heißt es in aller Regel, eine gute Mundhygiene sei im Rahmen der Prävention und Therapie periimplantärer Entzündungen von Bedeutung [1], [4], [5], [8]–[10]. Dadurch soll eine hinreichende Plaquekontrolle realisiert werden, besonders in schwer zugänglichen Bereichen wie z. B. den Interdentalräumen. – Aber was versteht man eigentlich unter guter Mundhygiene bei Implantatträgern?

Im zuvor genannten Review von Jepsen et al. 2015 [1] wird – wie bei bezahnten Patienten ohne Implantate – auf eine mechanische Plaquekontrolle mit handelsüblichen Zahnbürsten (manuell oder elektrisch) hingewiesen. Spezialzahnbürsten mit modifizierter Bürstenkopfangulation und besonderer Bürstenkopfform (z. B. kleiner Kopf- oder Einbüschelbürste) runden das Angebot ab. Zuweilen werden zur Ergänzung der Mundhygiene (Spezial-)Zahnseiden, die zum Teil zirkulär um die Implantate geschlungen werden sollen, vorgestellt. Diverse elektrisch betriebene Systeme (z. B. Air Floss Ultra) werden als Alternative zur Zahnseide angepriesen. Schließlich kommen immer mehr „Kunststoff-Picks“ und Ähnliches als Alternative von Zahnhölzern auf den Markt. Diese zahlreichen Hilfsmittel haben allerdings aufgrund ihrer geringen Reichweite Limitationen, wenn es um das Ziel geht, auch tiefer gelegene Abschnitte im Taschenfundus zu reinigen. Für diesen Zweck bieten sich bis heute vor allem Interdentalraumbürsten an.

Auf dem XI. European Workshop on Periodontology stellte die Arbeitsgruppe um I. Chapple in diesem Zusammenhang fest, dass Zahnseide nur dort zum Einsatz kommen soll, wo Interdentalraumbürsten keinen Zugang haben [11]. Interdentalraumbürsten in angepassten Größen seien das effektivste Mittel für die interdentale mechanische Plaquekontrolle zur Behandlung der Gingivitis. Allerdings fehlen in der Literatur oftmals genauere Angaben zu deren adäquaten Auswahl und Handhabung. Außerdem können die Effekte zur Bekämpfung einer Gingivitis nicht ohne weiteres auf eine periimplantäre Entzündungsreaktion übertragen werden.

Merke: Interdentalraumbürsten in angepassten Größen sind das effektivste Mittel für die interdentale mechanische Plaquekontrolle zur Behandlung der Gingivitis.

Wenn ein Implantatträger zur Kontrolle erscheint, erfährt man bei der Anamnese gelegentlich, dass es bei der Zahnreinigung blute und/oder übelriechende, visköse Flüssigkeit aus den Taschen trete. Wenn man genauer nachfragt, wie die Mundhygiene betrieben wird, so ist man oftmals erstaunt, wie schlecht die Patienten hinsichtlich ihrer Interdentalraumkontrolle informiert und instruiert sind, selbst wenn sie regelmäßig zum Recall erscheinen. Ein aktives Mundhygienetraining mit individuell ausgewählten Interdentalraumbürsten scheint die Ausnahme zu sein. Hier ist eine Diskrepanz zwischen den Literaturhinweisen auf die große Bedeutung der Mundhygiene einerseits und deren Umsetzung anderseits zu konstatieren. Dies liegt nicht immer nur an der mangelnden Compliance der oftmals durchaus hoch motivierten Patienten, sondern auch an einer unzureichenden Schulung durch das zahnärztliche Team, verbunden mit einer unübersichtlichen Auswahl geeigneter Produkte durch die Hersteller.

Merke: Ein aktives Mundhygienetraining mit individuell ausgewählten Interdentalraumbürsten wird mit Implantatträgern noch zu selten durchgeführt.

Im Folgenden wird auf einige Aspekte, die bei der Auswahl und Handhabung von Interdentalraumbürsten von Bedeutung sind, näher eingegangen.

 
  • Literatur

  • 1 Jepsen S, Berglundh T, Genco R. et al. Primary prevention of peri-implantitis: Managing peri-implant mucositis. J Clin Periodontol 2015; 42 (Suppl. 16) 152-157
  • 2 Derks J, Schaller D, Häkansson J. et al. Peri-implantitis – onset an pattern of progression. J Clin Periodontol 2016; 43: 383-388
  • 3 Derks J, Tomasi C. Peri-implantitis health and disease. A systematic review of current epidemiology. J Clin Periodontol 2015; 42 (Suppl. 16) 158-171
  • 4 Hoffmann M, Engel S, Jepsen S. Prävention periimplantärer Erkrankungen. Zahnmedizin up2date 2016; 10: 123-138
  • 5 Schlee M, Rathe F, Tjaden A. Periimplantitis: Kritische Gedanken zur Diagnose und Therapie. Quintessenz 2016; 67: 527-532
  • 6 Derks J, Schaller D, Häkansson J. et al. Effectiveness of implant therapy analyzed in a Swedish population: Prevalence of peri-implantitis. J Dent Res 2016; 95: 43-49
  • 7 Mombelli A, Müller N, Cionca N. The epidemiology of peri-implantitis. Clin Oral Implants Res 2012; 23 (Suppl. 06) 67-76
  • 8 Clark D, Levin L. Dental implant management and maintenance: How to improve long-term implant success?. Quintessence International 2016; 47: 417-423
  • 9 Hierse L, Kebschull M. Prävention parodontaler und perimplantärer Erkrankungen – Stand 2016. Zahnarzt Wirtschaft Praxis 2016; 22: 56-61
  • 10 Renvert S, Polyzois I. Risk indicators for peri-implant mucositis: a systematic literature review. J Clin Periodontol 2015; 42 (Suppl. 16) 172-186
  • 11 Sälzer S, Slot DE, Van der Weijden FA, Dörfer CE. Efficacy of inter-dental mechanical plaque control in managing gingivitis – a meta-review. J Clin Periodontol 2015; 42 (Suppl. 16) 92-105
  • 12 International Organization for Standardization. International Standard ISO 16409. Dentistry – Oral hygiene products – Manual interdental brushes. International Organization for Standardization – ISO; 2006
  • 13 International Organization for Standardization. Update 2014: ISO/FDIS16409. 2014 (E)
  • 14 Wolff D, Joerss D, Rau P, Dörfer CE. In vitro cleaning efficacy and resistance to insertion test of interdental brushes. Clin Oral Invest 2006; 10: 297-394
  • 15 Salvi G, Ramseier CA. Efficacy of patient-administered mechanical and/or chemical plaque control protocols in the management of peri-implant mucositis. A systematic review. J Clin Periodontol 2015; 42 (Suppl. 16) 187-201