Rofo 1976; 124(2): 166-171
DOI: 10.1055/s-0029-1230304
Originalarbeiten

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Die Gefährdung der menschlichen Erbanlagen im technischen Zeitalter*

Genetic hazards in a technological ageU. H. Ehling
  • Abteilung für Genetik (Leiter: Dr. U. H. Ehling) der Gesellschaft für Strahlen- und Umweltforschung, 8042 Neuherberg
* Nach einem Vortrag beim Deutschen Röntgenkongreß 1974 in Baden-Baden im Rahmen des Symposiums „Neue Forderungen an den Strahlenschutz in der Röntgendiagnostik. — Grundlagen und praktische Umsetzung“. Die chemogenetischen Versuche wurden im Rahmen des EWG-Forschungsvertrages Nr. 066-74-1 ENVD durchgeführt.
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Publication Date:
03 August 2009 (online)

Zusammenfassung

Als maximal tolerierbares Risiko für den Menschen wurde eine Zunahme der spontanen Mutationshäufigkeit durch strahlen- und chemoinduzierte Mutationen von 25% angenommen. Ausgehend von einer linearen Dosis-Effekt-Beziehung und den experimentell ermittelten Mutationsraten nach Bestrahlung der Spermatogonien von Mäusen, wurde aufgrund folgender Annahmen das strahlengenetische Risiko geschätzt:

  1. Die Verdoppelungsdosis für spezifische Lokusmutationen der Maus ist repräsentativ für rezessive Erbanlagen.

  2. Die Mutationshäufigkeit ist abhängig von der Dosisleistung und der Fraktionierung der Bestrahlung.

  3. Der Extrapolationsfaktor für die Übertragung der Säugetierergebnisse auf den Menschen beträgt etwa 1,2.

  4. Die Ergebnisse der spezifischen Lokusversuche sind repräsentativ für alle untersuchten Mutationstypen der Maus.

  5. Beide Geschlechter sind gleich empfindlich.

Bei einer zivilisatorischen Strahlenbelastung von etwa 75 mrem im Jahr würde sich in einer Generation nach den genannten Prämissen die spontane Mutationsrate des Menschen um < 9% erhöhen.

Die Gefährdung durch chemische Mutagene darf die Größenordnung der zivilisatorischen Strahlenbelastung nicht überschreiten. Mit den gleichen Methoden, die zur Erfassung des strahlengenetischen Risikos eingesetzt wurden, kann auch das chemogenetische Risiko für die Bevölkerung geschätzt werden. Obwohl die Größenordnung der Belastbarkeit der Bevölkerung mit chemischen Mutagenen durch das tolerierbare Risiko und die Strahlenbelastung determiniert wird, ist das Ausmaß der chemogenetischen Belastung unbekannt. Es kann nur ermittelt werden, wenn der Gesetzgeber für Arzneimittel, Nahrungsmittelzusätze, Biozide und technische Umweltchemikalien Mutagenitätsprüfungen vorschreibt. Für essentielle Chemomutagene muß eine Risikoanalyse durchgeführt werden. Die chemogenetische Belastung durch alle zugelassenen Mutagene darf die spontane Mutationsrate in einer Generation maximal um etwa 10% erhöhen. Nur wenn es gelingt, Normen für den kontrollierten Gebrauch von chemischen Mutagenen, entsprechend den Strahlenschutzvorschriften, zu entwickeln, können die menschlichen Erbanlagen vor irreparablen Schäden bewahrt werden.

Summary

The maximal tolerable risk for mankind due to radiation and chemically induced mutations has been accepted as an increased mutation rate of 25%. A linear dose-effect relationship has been assumed and from the experimentally obtained mutation rate due to irradiation of mouse spermatogonia, the following risk factors were obtained:

  1. The doubling dose for specific locus in the mouse is representative of recessive conditions.

  2. The mutation rate depends on dose rate and fractionation of the irradiation.

  3. The extrapolation factor for using these mammalial results in man is about 1.2.

  4. The results of specific locus investigations are representative of all the mutation-types in a mouse that have been investigated

  5. Both sexes are similarly affected.

On the above premises, a radiation dose of approximately 75 mrem per annum would increase the spontaneous mutation rate in man by about 9% per generation. The risk due to chemical mutagens should not exceed that due to radiation. Methods similar to those used for radiation risks are able to estimate the chemical risk to the population. The tolerable risk to the population from chemical mutagens depends partly on the radiation burden, but the extent of the chemical burden is unknown. This can only be estimated if the law provides for measurements of mutagenicity for drugs, food additives, biocydal agents and industrial chemicals. A risk analysis should be carried out for those chemo-mutagens which are essential. The chemical burden of all permitted mutagens should not exceed the spontaneous mutation rate by 10% per generation at the most. The human hereditory stock can be protected from irreparable damage only if one succeeds in establishing norms for the controlled use of chemical mutagens similar to the regulations which already exist for radiation protection.

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