Gesundheitswesen 2008; 70 - A191
DOI: 10.1055/s-0028-1086416

Impfquoten bei Kindern und Jugendlichen mit Migrationshintergrund in Deutschland – Determinanten und Handlungsbedarf – Ergebnisse aus dem Kinder- und Jugendgesundheitssurvey („KiGGS“)

C Poethko-Mueller 1, U Ellert 1, R Kuhnert 1, H Neuhauser 1, L Schenk 2, M Schlaud 1
  • 1Robert Koch-Institut, Berlin
  • 2Institut für Medizinische Soziologie, Zentrum für Human- und Gesundheitswissenschaften, Charité Universitätsmedizin Berlin

Im Kinder- und Jugendgesundheitssurvey („KiGGS“) wurden von 5/2003–5/2006 durch das Robert Koch-Institut erstmals umfassende und bundesweit repräsentative Daten zum Gesundheitszustand von Kindern und Jugendlichen im Alter von 0–17 Jahren erhoben. Daten zur Durchimpfung wurden der ärztlichen Dokumentation in den Impfausweisen entnommen. Am Beispiel der vollständigen Tetanusgrundimmunisierung als der am besten durchgeführten Impfung wurde bei 2- bis 17-Jährigen die Bedeutung des Migrationshintergrunds für die Durchimpfung analysiert. Deskriptive Auswertungen zeigen, dass 2- bis 17-Jährige aus der Türkei (91,0% (95%-Konfidenzintervall 88,8–92,9)), den Ländern der ehemaligen Sowjetunion (85,6% (95%-Konfidenzintervall 81,9–88,6)) und sonstigen Herkunftsländen (91,1% (95%-Konfidenzintervall 89,5–92,5)) signifikant schlechter gegen Tetanus grundimmunisiert sind als Kinder und Jugendliche ohne Migrationshintergrund (94,0% (95%-Konfidenzintervall 93,2–94,7)). Dabei stellt sich insbesondere die Gruppe aus den Ländern der ehemaligen Sowjetunion als schlechter durchimpft dar. Dieser Unterschied ist jedoch altersabhängig und besteht bei jüngeren Kindern (2- bis 10-Jährige) nicht. Allerdings ist auch bei Jüngeren die Durchimpfung von selbst Zugewanderten schlechter als bei nachfolgenden Einwandergenerationen bzw. Kindern ohne Migrationshintergrund. In einem logistischen Regressionsmodell wurde der Zusammenhang von vollständiger Tetanusgrundimmunisierung mit Alter, Geschlecht, Schichtzugehörigkeit, Leben in alten bzw. neuen Bundesländern, Geschwisteranzahl, ein- oder beidseitiger Migrationshintergrund, Herkunftsland und Einwanderergeneration untersucht: Am stärksten mit der Wahrscheinlichkeit einer unvollständigen Tetanusgrundimmunisierung assoziiert ist die erste Einwanderergeneration: Selbst zugewanderte Kinder haben eine 4,9-fach höhere Wahrscheinlichkeit, unzureichend grundimmunisiert zu sein, als Nichtmigranten (95%-Konfidenzintervall 3,4–6,9; p<0,0001), während in Deutschland geborene Migranten sich nicht von Nichtmigranten unterscheiden. Dieser Zusammenhang ist unabhängig von Herkunftsland, Aufenthaltsdauer und Integrationsgrad. Unsere Auswertungen zeigen als wichtigstes Differenzierungsmerkmal im Hinblick auf die Tetanusgrundimmunisierung die Geburt eines Kindes in Deutschland bzw. die Zuwanderung von Kindern nach der Geburt. Die Verbesserung von Information über Schutzimpfungen über sprachliche Barrieren hinweg sowie das aktive Angebot von Impfungen insbesondere für neu bzw. selbst zugewanderte Kinder und Jugendliche scheinen wichtig, um die Durchimpfung in den Migrantengruppen mit schlechten Impfquoten zu verbessern.