Dtsch Med Wochenschr 2001; 126(9): 255-256
DOI: 10.1055/s-2001-11480
Pro & Contra
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Hormonersatztherapie - Therapie mit Risiken

E. Greiser
  • Bremer Institut für Präventionsforschung und Sozialmedizin, Zentrum für Public Health der Universität Bremen
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Publication Date:
31 December 2001 (online)

Sechs gynäkologische Fachgesellschaften und die Deutsche Krebsgesellschaft haben im September 2000 in einer Risiko-Nutzen-Bewertung der Hormonersatztherapie (HET) eindeutig konstatiert, dass einer minimalen Risikoerhöhung für Brustkrebs (relatives Risiko 1,035 entsprechend einr Risiko-Erhöhung von 3,5 % bei mehr als 4-jähriger Anwendung, »Vertrauensgrenzen 1,021-1,049«) ein erheblicher Nutzen durch die Prävention von Herzinfarkt und Apoplex, M. Alzheimer und Schenkelhalsfrakturen gegenüberstehen [1]. Allerdings findet sich in der von den Fachgesellschaften als Beleg herangezogenen Re-Analyse von 51 Studien zum Brustkrebs [17] eine zehnfach höhere Risikoerhöhung: relatives Risiko 1,35, 95%-Konfidenz-Intervall 1,21-1,49. von Die Autoren vermuten darüber hinaus, dass HET in Deutschland in der Regel nur kurzfristig (weniger als 5 Jahre) angewendet würde und schon deswegen ein Mamma-Ca-Risiko nicht entstehen könnte. Dass ein erhöhtes Risiko für Endometrium-Ca vorhanden sein könnte, wird verneint. Diese Feststellungen stehen im Gegensatz zur publizierten epidemiologischen Literatur und zur aktuellen Datenlage in Deutschland.

Prävention von Herzinfarkt und Apoplex: Eine Reihe von Beobachtungsstudien legen stark präventive Effekte nahe (u. a. 2: Risiko-Senkung für Myokardinfarkt um 50 % unter HET). Die Aussagefähigkeit von Beobachtungsstudien ist allerdings dadurch stark eingeschränkt, dass Frauen, die HET anwenden, im Durchschnitt ein günstigeres Risikofaktoren-Profil aufweisen als Frauen ohne HET 2, sich präventiver verhalten 3, über eine bessere Bildung verfügen und einer höheren Sozialschicht angehören 3 4 ; weitere Lit. s. 21. Bisher liegen die Ergebnisse von lediglich zwei kontrollierten klinischen Therapiestudien zur sekundären Prävention kardiovaskulärer Erkrankungen vor 5 6. In beiden Studien zeigte sich ein günstige Beeinflussung der Lipidparameter. Allerdings führte dieses weder zu einer niedrigeren Inzidenz von Mykardinfarkten, plötzlichem Herztod oder Apoplex 5 6, noch zeigte sich im Vergleich zur Plazebogruppe eine günstigere Entwicklung koronarangiografischer Parameter 6. Den fehlenden positiven Effekten stehen eine Verdreifachung thrombo-embolischer Ereignisse und eine 40 %ige Erhöhung von Gallenstein-Erkrankungen gegenüber 5. Prävention von Schenkelhalsfrakturen: Eine dauerhafte Verbesserung der Knochendichte erfordert offenkundig eine lebenslange HET 9. Die Verbesserung der Knochendichte konnte für den Bereich der Wirbelsäule und des Unterarmes (mit entsprechender Senkung der Frakturhäufigkeit) gezeigt werden 8, allerdings sind entsprechende Daten für den Bereich des Schenkelhalses nicht überzeugend. Alternativ ist die präventive Wirkung von Hüftprotektoren in einem Review der Cochrane Collaboration als gegeben konstatiert worden 10. Eine neuere kontrollierte klinische Studie zur Wirksamkeit von Hüftprotektoren 22 ergab eine Reduktion des Risikos für Schenkelhalsfrakturen um 60% in der Gruppe der Alten mit Hüftprotektoren, wenn die Protektion kontinuierlich getragen wurden, erhöhte sich die Schutzwirkung auf 80%. M. Alzheimer: Die bisher einzige kontrollierte klinische Studie 11 zeigte die Unwirksamkeit der Beeinflussung von leicht bis mittelschwer ausgeprägtem M. Alzheimer unter HET. Erhöhte Malignom-Risiken

Mamma-Ca: Seit 1995 muss davon ausgegangen werden, dass unter einer Östrogen-Gestagen-HET das Mamma-Ca-Risiko stärker erhöht ist als bei einer Östrogen-Monotherapie [13] . Die Risiko-Erhöhungen für Östrogen-HET (jemals vs. niemals) liegen zwischen 6 % [15] und 94 % [14], für die aktuelle Östrogen-HET bei 10 % [16]. Östrogen-Gestagen-HET erbrachte eine Risiko-Erhöhung zwischen 24 % [15] und 63 % [14] (akutelle HET: 40 % [16] ). Alle Studien zeigen eine Zunahme der Exzess-Risiken mit zunehmender Dauer der HET und ein Rückgang des Risikos nach Absetzen. Zwei neuere Studien geben pro ein Jahr HET Risiko-Erhöhungen an: Östrogen-HET 1 % [16] bzw. 3 % [14], für Östrogen-Gestagen-HET 8 % [16] bzw. 7 % [14] .

Endometrium-Ca: Seit 1978 ist ein stark erhöhtes Risiko (abhängig von Dosis und Dauer) nach Östrogen-Monotherapie unstrittig. Dieses Exzess-Risiko sinkt selbst 10 Jahre nach Absetzen nicht wesentlich ab. Seit 1997 haben drei umfangreiche Studien gezeigt, dass auch nach Östrogen-Gestagen-HET das Risiko erhöht ist, wenn das Gestagen diskontinuierlich gegeben wird [17-19]. Die jüngste Studie aus Schweden [19] zeigte pro Jahr der Östrogen-HET einen Risiko-Zuwachs von 17 %, für eine Kombinations-HET mit zyklischer Gestagen-Gabe eine Erhöhung von 10 % pro Jahr der Anwendung.

Literatur

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Korrespondenz

Prof. Dr. med. Eberhard Greiser

Bremer Institut für Präventionsforschung und Sozialmedizin Zentrum für Public Health der Universität Bremen





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