FormalPara Originalpublikation

Blümel JE, Carrillo-Larco RM, Vallejo MS, Chedraui P (2020) Multimorbidity in a cohort of middle-aged women: Risk factors and disease clustering. Maturitas 137:45–49. https://doi.org/10.1016/j.maturitas.2020.04.016

Hintergrund

Wenn bei einer Person mindestens zwei chronische Erkrankungen vorhanden sind, spricht man von Multimorbidität [1]. Schon in der Gesundheitsberichterstattung des Robert Koch-Instituts 2015 ist zu lesen, dass Frauen ab 50 Komorbiditäten „sammeln“. Es stellt sich die Frage, welche Erkrankungen hierbei am häufigsten (in Kombination) auftreten und welcher Risikofaktor am stärksten mit einer späteren Multimorbidität assoziiert ist.

Zusammenfassung

In einer chilenischen prospektiven Kohortenstudie wurden im Zeitraum 1990–1993 alle weiblichen Angestellten im öffentlichen Dienst, die sich zu ihrem obligatorischen präventiven Check-up vorstellten und mit der Studienteilnahme einverstanden waren (97,4 %), eingeschlossen (n = 1066; Baseline) und über 27,8 Jahre nachbeobachtet (Follow-up). Folgende chronischen nichtübertragbaren Erkrankungen (NCD) wurden erfasst: arterielle Hypertonie, Hüft‑/Kniearthrose, Diabetes mellitus Typ 2 (T2DM), Depression, Malignome (Mamma, Ovar, Zervix uteri, Kolon/Rektum), Myokardinfarkt, Apoplex, chronisch-obstruktive Lungenerkrankung (COPD), chronische Nierenerkrankung und M. Parkinson. Das mittlere Alter bei Baseline betrug 48 Jahre. 4,6 % der Frauen erfüllten bei Baseline die Kriterien der Multimorbidität, wobei die zwei häufigsten Erkrankungen arterielle Hypertonie (17,1 %) und Depression (5,8 %) waren. Nach knapp 28 Jahren Follow-up erfüllten 49,7 % der Frauen die Kriterien der Multimorbidität. Die häufigsten Erkrankungen und ihre Prävalenzen waren arterielle Hypertonie (61,6 %), Arthrose (26,1 %), T2DM (25,8 %) und Depression (17,9 %). Zu den häufigsten „Erkrankungsduos“ zählten T2DM und arterielle Hypertonie sowie Arthrose und Depression. Die Prävalenz von Malignomen war im Beobachtungszeitraum deutlich geringer angestiegen (3,2 % > 8,0 %). Vergleicht man nun die Frauen, die nach knapp 28-jährigem Follow-up multimorbid waren, mit denen, die in diesem Zeitraum nicht multimorbid wurden, dann zählten gemäss logistischer Regressionsanalyse folgende Risikofaktoren zu den stärksten Prädiktoren der Multimorbidität im Alter: Adipositas in der Lebensmitte (Odds Ratio [OR] 2,48; 95 %-Konfidenzintervall [KI] 1,71–3,61), Job ohne spezielle Qualifikation (OR 2,18; 95 %-KI 1,67–2,83) und niedriges HDL-Cholesterin im Serum (OR 1,31; 95 %-KI 1,02–1,68).

Kommentar

Auf den ersten Blick bestätigt diese Studie mit all ihren Vor- und Nachteilen (z. B. keine Angaben zur medikamentösen Therapie inkl. HRT), was wir täglich in diversen Medien präsentiert bekommen und in der Praxis beobachten können. Es gibt aber doch einige interessante Aspekte: 1) Die Studienteilnehmerinnen sind wie unsere Patientinnen jährlich zum Check-up vorstellig geworden. Es wurde fleissig dokumentiert (verwaltet) und alle Beteiligten sind sozusagen mit offenen Augen „ins Verderben“ gelaufen. 2) Die tatsächliche Prävalenz von Malignomen steht im starken Kontrast zur gefühlten bzw. befürchteten Prävalenz; Herz-Kreislauf‑, Stoffwechsel-, muskuloskelettale und psychische Erkrankungen sind die eigentlichen „Hauptkiller“ der Lebensqualität.

Als Gynäkologen sind wir in der optimalen Position, diese vermeintlich unausweichliche Entwicklung der Frau 40+ positiv beeinflussen zu können, indem wir die „awareness“ für NCD schärfen und nicht müde werden, die Bedeutung der Lebensstilintervention und der (menopausen-)altersgerechten HRT hervorzuheben [2, 3].