1 Einleitung

Die Digitalisierung verändert zunehmend die industrielle Produktion auch im Mittelstand. Insbesondere den Trends zu auf Kundenwunsch individualisierten Produkten bis hin zur Losgröße Eins und zunehmend kürzeren Produktlebenszyklen kann sich der Mittelstand nicht verschließen, wenn er im globalen Wettbewerb bestehen möchte (Zink und Bosse 2019). Die dadurch induzierten regelmäßigen Anpassungen der Produktionsprozesse können aufgrund der dafür notwendigen regelmäßigen Anlernprozesse zu Effizienznachteilen und einer erhöhten kognitiven Beanspruchung der Ausführenden führen (Bornewasser et al. 2018). Dieser Beitrag betrachtet die Frage, ob Augmented-Reality-(AR-)basierte Montageanleitungen geeignet sind, diesen Effekten entgegenzuwirken. Da einfache Montagetätigkeiten in der Produktion oft monoton und repetitiv sowie mit einer geringen Entlohnung verbunden sind, ergibt sich eine erhöhte Fluktuation an entsprechenden Arbeitsplätzen. Das Anlernen neuen Personals bzw. vorhandenen Personals bei regelmäßig geänderten Produktionsprozessen wird daher für den Unternehmenserfolg immer relevanter (Bosse et al. 2019). Gleichzeitig ist insbesondere im Mittelstand, der mehrheitlich inhabergeführte Familienunternehmen umfasst, die soziale Verantwortung gegenüber den eigenen Angestellten oft stark ausgeprägt (Gonschorek 2016). Die Unternehmensführung ist in der Regel bemüht, die im Zuge des demographischen Wandels zunehmend alternde Belegschaft sowie leistungsgewandelte Mitarbeitende im Unternehmen zu halten. Hierzu können auch unter Humanisierungsaspekten individualisierbare Assistenzsysteme mit AR und weiteren innovativen Technologien bspw. in Form kollaborierender Roboter zum Einsatz kommen. Der Mensch-Roboter-Kollaborations-(MRK-)Aspekt wird in diesem Beitrag ebenfalls berücksichtigt, allerdings nur nachrangig betrachtet.

Das Anlernen ist bislang ein zumeist analoger Vorgang, der von Arbeitsplänen auf Papier und von der Wissensweitergabe durch erfahrene Mitarbeitende geprägt ist (Jeske et al. 2011). Nachteile dieser Ansätze sind, dass die Interpretation von Papierplänen eine relativ hohe kognitive Hürde darstellt und dass das Anlernen durch erfahrene Mitarbeitende Personalkapazitäten bindet. Eine aussichtsreiche Alternative ist der Einsatz eines AR-basierten Assistenzsystems. Mittels AR können die Arbeitsschritte direkt am Arbeitsplatz visualisiert werden, wodurch sich die kognitive Beanspruchung durch Interpretation von Plänen, den mentalen Transfer auf die tatsächlichen Werkstücke oder die Erinnerung an Demonstrationen und Erläuterungen der Anlernenden mindern ließe (Wiedenmaier et al. 2003). Die Realisierung eines AR-Systems profitiert zudem von der weit fortgeschrittenen Digitalisierung im Produktentstehungsprozess. Bspw. sind CAD-Modelle der Arbeitsmittel und Werkstücke in aller Regel bereits vorhanden und Algorithmen zur automatischen Generierung entsprechender Virtual-Reality-(VR-) bzw. AR-Montagesequenzen werden erforscht (Makris et al. 2013; Rentzos et al. 2013).

Neben der kognitiven Entlastung durch AR bietet die Digitalisierung auch Potenziale zur physischen Entlastung der Mitarbeitenden. U. a. aufgrund der Individualisierung von Produkten auf Kundenwunsch werden feste Automatisierungslösungen, also produktspezifische Sondermaschinen für die Serienfertigung großer Stückzahlen, zunehmend durch flexible und modularisierte Automatisierungslösungen verdrängt. Diese Lösungen setzen zumeist auf Roboter, deren Programmierbarkeit und variable Einsetzbarkeit eine kurzfristige Umrüstung der Produktionsanlagen und somit die Reaktion auf geänderte Rahmenbedingungen erlaubt (Haag 2015). In einer flexibilisierten Produktion gewinnt der Mensch mit seinen Fähigkeiten wieder an Bedeutung. Zwischen der manuellen Produktion in sehr geringer Stückzahl und mit hohem Personalaufwand sowie einer roboterbasierten Vollautomatisierung ist deshalb ein neues Produktionsparadigma, die Mensch-Roboter-Kollaboration (MRK), entstanden (Matthias und Ding 2013). MRK kombiniert bei der Produktion mittlerer Losgrößen möglichst synergetisch die menschlichen Fähigkeiten, bspw. die überlegene Wahrnehmung und kreative Lösungsfindung, mit robotischen Fähigkeiten, bspw. hohen Dauerkräften und hoher Wiederholgenauigkeit. Diese Entwicklung profitiert zusätzlich von technologischen Fortschritten, insbesondere der Verfügbarkeit kostengünstiger und für den Betrieb ohne Schutzzäune vorgesehener Leichtbauroboter. Für den Menschen bietet die Zusammenarbeit mit dem Roboter ergonomische Vorteile, da körperlich anstrengende Arbeitsschritte durch den Roboter unterstützt werden können. Dies ist angesichts des demographischen Wandels insbesondere für den Erhalt der Leistungsfähigkeit relevant (Schmidt und Luczak 2017). Es ergeben sich aber auch wirtschaftliche Potenziale bspw. durch die Reduktion der Montagezeiten bei vergleichsweise geringen Investitionskosten (Görke et al. 2017).

Durch das Einbringen des technischen Systems Roboter in einen zuvor manuellen Arbeitsprozess wird zwar die physische Beanspruchung des Mitarbeitenden gesenkt, die dadurch erhöhte Komplexität der Arbeitstätigkeit kann allerdings die kognitive Beanspruchung des Mitarbeitenden erhöhen (Bläsing 2020). Einfache manuelle Montagetätigkeiten in der industriellen Produktion werden in der Regel von ungelernten oder niedrig qualifizierten Mitarbeitenden ausgeführt, so dass keine vertieften technischen Kenntnisse und Fertigkeiten vorausgesetzt werden können. Außerdem ist die Zusammenarbeit mit einem Roboter bspw. aufgrund des fehlenden anthropomorphen Referenzsystems weniger intuitiv als die Zusammenarbeit mit anderen Menschen. Unterstützende AR-Visualisierungen des Roboterzustandes und des Roboterverhaltens können den Mitarbeitenden dieses begreifbar und nachvollziehbar machen und damit Nutzungshemmnisse abbauen helfen. Beim Einsatz kollaborierender Roboter kann das AR-basierte Anlernen weitere Vorteile bieten, da sich kollaborierende Roboter sensorgestützt adaptiv und in Echtzeit in den Arbeitsprozess integrieren, ihr Verhalten somit nicht zwangsläufig im Voraus determiniert ist und sich deshalb bspw. in gedruckten Arbeitsplänen oder vorproduzierten Videos kaum darstellen und nachvollziehen lässt. Ein AR-System kann hingegen interaktiv auf die Sensordaten und das Roboterverhalten reagieren und die Visualisierungen und Arbeitsanweisungen entsprechend anpassen.

2 Stand der Forschung

Anlernen in der Montage wird allgemein charakterisiert als die „regelmäßige, praktische und theoretische Anlernung, die begrenzte und genau umrissene Kenntnisse bez. Werkstoff und Betriebsmittel vermittelt“ (Bartscher und Nissen 2018). Es handelt sich somit um eine Zweckausbildung, die vor allem in Unternehmen mit Serienmontage genutzt wird, da die benötigten einfachen Arbeitsaufgaben am besten durch Üben angelernt werden (Buck und Witzgall 2012).

Die häufigste Form des Anlernens basiert auf mündlichen Arbeitsanweisungen, wobei die Arbeitsschritte demonstriert und vom Anzulernenden imitiert werden müssen (Jeske et al. 2011). Dabei kommt es häufig vor, dass der erfahrene, jemanden anlernende Mitarbeitende überfordert ist, da ihm die zur Ausbildung nötige Qualifikation fehlt und er zusätzlich oft unter Produktionsdruck steht (Buck und Witzgall 2012). Alternativ können notwendige Arbeitsanweisungen bspw. schriftlich dokumentiert und dem Anzulernenden ausgehändigt werden. Die am weitesten verbreiteten Unterlagen zum Anlernen sind Arbeitspläne (Jeske et al. 2011). Bei dieser Form des Anlernens führt sowohl die Interpretation der Pläne als auch der Transfer der Anweisungen auf den tatsächlichen Arbeitsprozess zu einer erhöhten kognitiven Beanspruchung. Um diese Probleme aufzugreifen, werden technische Assistenzsysteme erprobt, die das Anlernen unterstützen. Zu verschiedenen Aspekten der Gestaltungsvarianten, bspw. zur Gebrauchstauglichkeit und kognitiven Beanspruchung solcher Systeme, auch für niedrigqualifizierte oder wenig technikaffine Menschen, gibt es noch größeren Forschungsbedarf. Zur Erhebung des Stands der Forschung wurden nutzerbasierte Evaluationen von Assistenzsystemen für das Anlernen einfacher Montagetätigkeiten aus den vergangenen 10 Jahren analysiert.

Zu Arbeitsplänen wurden verschiedene Formen der Aufbereitung erprobt. Jeske et al. (2013) untersuchten bspw. in einer vergleichenden Between-Subject-Nutzerstudie mit 60 Versuchspersonen, wie sich drei Aufbereitungsformen auf die Beanspruchung (NASA-TLX) und den Anlernerfolg (Ausführungszeit und Fehlerhäufigkeit) auswirken. Evaluiert wurde ein textueller Arbeitsplan, ein textueller Arbeitsplan mit unterstützender Explosionszeichnung sowie eine animierte Explosionszeichnung, wobei in der Animation beliebig vor- und zurückgesprungen werden konnte. Die Text-Variante führte anfänglich zu den längsten Ausführungszeiten, die aber schnell abfielen, wohingegen die Animation anfänglich zu schnellen Erfolgen führte, die Ausführungszeiten sanken dann aber nur langsam, um abschließend in allen drei Varianten ein ähnliches Niveau zu erreichen. Die durchschnittliche Fehleranzahl war bei der Text-Variante am niedrigsten, die kognitive Beanspruchung allerdings am höchsten.

Al-Ahmari et al. (2018) untersuchten in einer vergleichenden Between-Subject-Nutzerstudie mit 25 Versuchspersonen neben einer Zeichnung auf Papier und einem interaktiven VR-Training auch den Einsatz von 3‑D-gedruckten Modellen für das Training. Durch das Studium der Zeichnung bzw. das Ausprobieren in VR oder am Modell bereiteten sich die Versuchspersonen auf eine tatsächliche Montageaufgabe vor. Bei der Montage ergaben sich für diejenigen, die mit dem Modell angelernt wurden, die geringsten Ausführungszeiten, gefolgt von VR und danach den Zeichnungen auf Papier. Dieses Ergebnis war statistisch signifikant und deutet darauf hin, dass der größere Realitätsbezug einen Vorteil bietet. Da der Realitätsbezug einer AR- gegenüber einer VR-Lösung größer ist, könnte dies für den AR-Einsatz sprechen.

Funk et al. (2016) vergleichen in einer Within-Subject-Nutzerstudie mit 16 Versuchspersonen einen Spatial-AR-Ansatz mit Zeichnungen, die auf Papier, auf einem Tablet oder in einer Durchsicht-Datenbrille präsentiert werden. Spatial AR bezeichnet dabei die Projektion von Informationen in den Raum, hier konkret auf den Arbeitsplatz. Die Montage konnte mit dem Spatial-AR-Ansatz schneller durchgeführt werden und die Fehleranzahl sowie die kognitive Beanspruchung waren geringer. Diese Effekte waren gegenüber der Durchsicht-Datenbrille alle statistisch signifikant. Obwohl der Spatial-AR-Ansatz ausschließlich zweidimensionale Projektionen ermöglicht, deuten diese Ergebnisse auf das Potenzial von räumlich registrierten AR-Visualisierungen hin. Der hier gewählte Einsatz der Durchsicht-Datenbrille nutzt bereits wesentliche Vorteile der Technologie. Die Informationen sind ohne Blickabwendung am Arbeitsplatz verfügbar und die Hände sind frei. Gegenüber der Spatial-AR-Variante war die fehlende räumliche Registrierung der Visualisierungen der wesentliche Unterschied. Es handelte sich also nicht um eine AR-Anwendung im engeren Sinne (Azuma 1997). Dies ist ein Hinweis darauf, dass die orts- und lagerichtige Visualisierung am Arbeitsplatz ein wichtiges Gestaltungsmerkmal ist. Eingeschränkt werden muss allerdings, dass die Implementierung in der Datenbrille Schwächen hatte, bspw. wurde das zentrale Sichtfeld bei der Teilesuche durch die Einblendung verdeckt. Funk et al. (2015) haben ihren Versuchsaufbau als Benchmark für AR-Montageunterstützung publiziert.

Blattgerste et al. (2017) orientierten sich an diesem Versuchsaufbau, konkret dem Teil der mit Klemmbausteinen realisiert wird, und erprobten in einer vergleichenden Within-Subject-Nutzerstudie mit 24 Versuchspersonen ein AR-Assistenzsystem mit räumlich registrierten 3‑D-Visualisierungen in einer Durchsicht-Datenbrille und auf einem Smartphone gegenüber Zeichnungen auf Papier und in einer Durchsicht-Datenbrille. Entgegen der Erwartung konnte die Montageaufgabe mit der Papieranleitung am schnellsten bearbeitet werden. Zwar war dieser Effekt gegenüber der AR-Lösung in der Datenbrille nicht statistisch signifikant, dennoch steht dies tendenziell im Widerspruch zur Annahme, dass der räumliche Bezug der Visualisierungen Vorteile bietet. Die Papieranleitung führte außerdem zu einer statistisch signifikant geringeren Beanspruchung als alle anderen Ansätze. Dies steht im Widerspruch zur Annahme, dass der Transfer vom Papier auf den Arbeitsplatz kognitiv beanspruchend sei. Bezüglich der Fehleranzahl wurden zwei Arbeitsschritte betrachtet: Das Finden der Box mit den passenden Bausteinen und die Montage des Bausteins. Beim Auffinden der Box wurden mit dem AR-Ansatz in der Datenbrille statistisch signifikant weniger Fehler gemacht als mit allen anderen Lösungen. Bei der Montage führten die beiden auf Zeichnungen-basierenden Ansätze hingegen zu einer statisch signifikant geringeren Fehleranzahl gegenüber beiden AR-Ansätzen. Dies ist ein Hinweis darauf, dass die Gestaltung einer geeigneten Unterstützung stark von der auszuführenden Aufgabe abhängt, weshalb den Studien besser tatsächliche oder zumindest realistische Arbeitsprozesse zugrunde gelegt werden sollten.

Auch Rodriguez et al. (2021) betrachten eine Klemmbaustein-basierte Montageaufgabe und stellen eine Papieranleitung einer textbasierten Schritt-für-Schritt-Anleitung in einer Datenbrille gegenüber, einmal mit und einmal ohne unterstützende Sprachausgabe. In einer Nutzerstudie mit 63 Versuchspersonen führte auch hier die Papieranleitung zu einer signifikant schnelleren Montage gegenüber beiden Datenbrillen-Varianten.

Eine tatsächliche Montageaufgabe, die Montage eines Notgriffs zum Öffnen von Bahntüren, betrachten Funk und Schmidt (2021) in einer Nutzerstudie mit 16 Versuchspersonen. Die Versuchspersonen sind Auszubildende beim Hersteller des Notgriffs und daher gut mit der manuellen Montage vertraut. Verglichen wird eine Smartphone-basierte AR-Anleitung mit einer Papieranleitung. Über fünf Montagedurchgänge zeigt sich ein differenziertes Bild der Montagegeschwindigkeit. In den ersten beiden Durchgängen sind auch hier die Nutzenden der Papieranleitung statistisch signifikant schneller, beim fünften Durchgang ist hingegen die Gruppe mit der AR-Anleitung statistisch signifikant schneller. Eventuell konnten die Nutzenden der Papieranleitung von ihrer Erfahrung mit solchen Anleitungen profitieren, während sich die AR-Nutzenden noch eingewöhnen mussten. Bezüglich Fehleranzahl, Gebrauchstauglichkeit und Beanspruchung zeigten sich keine statistisch signifikanten Effekte.

Ebenfalls anhand einer realistischen Montageaufgabe, der Montage eines Mock-ups eines Flugzeugflügels, vergleichen Hoover et al. (2020) eine AR-basierte Schritt-für-Schritt-Anleitung in einer Datenbrille und auf einem Tablet, mit einer Anleitung basierend auf Zeichnungen, die auf einem Desktop-Computer und einem Tablet angezeigt wurden. Es ergab sich für die Datenbrillen-basierte AR-Anleitung ein statistisch signifikanter Geschwindigkeitsvorteil gegenüber der Desktop-Variante. Vermutlich trugen zu diesem Ergebnis die bei AR-Nutzung vermeidbaren Laufwege in dem 3,5 m × 3,5 m großen Arbeitsbereich bei. Die Datenbrillen-basierte AR-Lösung erzielte eine statistisch signifikant geringere Fehleranzahl als beide Zeichnungs-basierten Anleitungen. Die Tablet-basierte AR-Lösung erzielte gegenüber der Desktop-Lösung eine statistisch signifikant geringere Fehleranzahl.

Pathomaree und Charoenseang (2005) betrachten eine Video-basierte Anleitung im Vergleich mit einem AR-Assistenzsystem anhand einer künstlicher Montageaufgabe mit kleinen 2‑D- und 3‑D-Puzzles. Per Video wurde der Aufbau einmal vorgeführt und musste ohne weitere Hilfestellung nachgebaut werden. Das AR-Assistenzsystem unterstützt während des Aufbaus. Video und AR wurden auf einem Monitor oberhalb der Arbeitsfläche dargestellt, AR auch in einer Datenbrille. Eine Within-Subject-Nutzerstudie mit 20 Versuchspersonen ergab bzgl. Aufbauzeit und -Schrittanzahl eine positive Tendenz zugunsten von AR. Analytische Statistik wurde nicht angewandt. Loch et al. (2016) vergleichen ebenfalls Video und AR, ebenfalls anhand einer künstlichen Montageaufgabe mit zwei kleinen Klemmbaustein-Modellen und ebenfalls auf einem Monitor oberhalb der Arbeitsfläche. Bezüglich Montagezeit, Fehleranzahl und mentaler Beanspruchung konnten in einer Within-Subject-Nutzerstudie mit 17 Versuchspersonen keine signifikanten Unterschiede erzielt werden. Loch et al. (2016) betrachten zusätzlich die Akzeptanz anhand der „Perceived ease of use“ des Technologieakzeptanzmodells, allerdings ohne signifikante Effekte.

Spatial AR ist ebenfalls ein gängiger Ansatz zur Visualisierung des Roboterverhaltens an einem MRK-Arbeitsplatz. Liu et al. (2016) projizieren bspw. den geplanten Pfad des Roboters auf die Montagefläche und markieren erkannte Hindernisse, bspw. die Hände des Menschen. Eine Befragung im Rahmen einer Within-Subject-Nutzerstudie mit 5 Versuchspersonen ergab, dass die Versuchspersonen sich am MRK-Arbeitsplatz unsicher fühlten und die Spatial-AR-Visualisierung das subjektive Empfinden verbessern konnte. Eine AR-Variante mit einer Durchsicht-Datenbrille wurde zur Beurteilung, ob der Roboter kollidiert, in einer Within-Subject-Nutzerstudie mit 32 Versuchspersonen evaluiert (Rosen et al. 2020). Die Genauigkeit und Geschwindigkeit der Kollisionsvorhersage waren mit dem AR-Ansatz gegenüber einer VR-Darstellung auf einem Bildschirm signifikant besser. Die Beanspruchung der AR-Variante war geringer, allerdings nicht signifikant.

Diese exemplarische Auswahl wissenschaftlicher Forschungsarbeiten zeigt, dass neben widersprüchlichen Studienergebnissen auch die häufig geringe Übertragbarkeit der Laborstudien auf praktische Anwendungen problematisch ist. Ergebnisse wie die konträren Effekte bzgl. der Fehleranzahlen in der Studie von Blattgerste et al. (2017) zeigen, dass die Abhängigkeit der Effekte von der Aufgabe groß ist. Insbesondere die menschzentrierte Gestaltung der AR-Visualisierungen sowie Art und Umfang der dargestellten Informationen werden oft vernachlässigt (Bornewasser et al. 2018). Neben der Betrachtung eines tatsächlichen Arbeitsprozesses, der sich ähnlich in vielen Unternehmen der Automobil- oder Zulieferindustrie findet, können die Ergebnisse der hier durchgeführten Befragung zur weiteren Verbesserung der Gestaltungslösungen beitragen.

3 Montageaufgabe

Im Gegensatz zu den künstlichen Klemmbaustein-basierten Montageaufgaben, die im Benchmark von Funk et al. (2015) vorgeschlagen werden, wird in diesem Beitrag ein tatsächlicher Arbeitsprozess betrachtet, wie er sich in der Wellenvormontage der Getriebefertigung eines Automobilherstellers findet. Konkret werden jeweils drei Wellen, die zusammen ein Wellenpaket bilden, mit verschiedenen Anbauteilen gefügt. Die montierten Wellen werden in Werkstückaufnahmen eines Werkstückträgers (WT) aufgelegt, der mittels einer elektrisch angetriebenen Rollenbahn gefördert wird. Am Montagearbeitsplatz werden die WT gestoppt und erst nach Betätigung eines Tasters weitergefördert. Die Wellen und die zu fügenden Teile werden am Arbeitsplatz oder in seiner näheren Umgebung in Blistern, Kleinladungsträgern, Gitterkörben oder Schwerkraftrutschen bereitgestellt. Teilweise wird die Bereitstellung durch den Arbeiter selbst vorgenommen.

Abb. 1 zeigt die zu fügenden Komponenten eines Wellenpakets im Detail. Der leer am Arbeitsplatz eintreffende WT verfügt über drei Werkstückaufnahmen, die fest den drei Wellentypen zugeordnet sind. Bei Welle 1 und 2 müssen zuerst Kegelrollenlager in die Werkstückaufnahme eingelegt werden. Auf diese bzw. bei Welle 3 direkt auf die Werkstückaufnahme werden die Wellen aufgelegt. Die Montage von Welle 3 ist somit direkt und diejenige von Welle 2 nach dem Fügen des Synchronkörpers 2 abgeschlossen. Welle 1 wird im nächsten Schritt mit einem Nadellager versehen, auf das dann ein Gangrad geschoben wird. Eine weitere Baugruppe bestehend aus Synchronkörper 1, in den von jeder Seite ein Synchronring eingelegt wird, wird abschließend auf Welle 1 gefügt. Der nun fertig bestückte WT wird durch Tastendruck freigegeben und zur nächsten Station gefördert.

Abb. 1 Fig. 1
figure 1

Die drei Wellen eines Wellenpakets und die jeweils zu montierenden Komponenten (Pfeile stellen jeweils einen Montageschritt dar)

The three shafts of a shaft package and the components to be assembled in each case (arrows represent one assembly step each)

Für die geplante Evaluation wurde ein Mock-up des Arbeitsplatzes im Labor aufgebaut (siehe Abb. 2). Die Fördertechnik ist im Mock-up mittels eines Schwerkraftförderers realisiert. Links neben dem Arbeitsplatz befindet sich ein Magazin, das fünf WT aufnehmen kann. Auf Schienen rollen die WT an den Arbeitsplatz, werden dort von einem mechanischen Stopper aufgehalten und rollen nach mechanischer Freigabe mittels eines Hebels in einen Auslaufbereich. Um einen kontinuierlichen WT-Fluss zu gewährleisten, werden die WT aus dem Auslaufbereich entnommen, entladen und wieder in das Magazin eingelegt. Links und rechts vom Arbeitsplatz werden in Kleinladungsträgern die Anbauteile bereitgestellt.

Abb. 2 Fig. 2
figure 2

Mock-up des MRK-Arbeitsplatzes aus der Sicht des Menschen, der im mittleren abgesenkten Bereich die Montageaufgaben ausführt (links und rechts vom Montagearbeitsplatz findet sich die Materialbereitstellung, dahinter der Roboter; die Werkstückträger mit den je drei weißen Werkstückaufnahmen werden von links nach rechts gefördert)

Mock-up of the HRC workstation from the viewpoint of the human, who performs the assembly tasks in the central lowered area (to the left and right of the assembly workstation is the material supply, behind it the robot; the workpiece carriers, each with three white workpiece fixtures, are conveyed from left to right)

Zur Absicherung der Vergleichbarkeit der realen und der simulierten Aufgabenausführung wurde für beide Fälle eine MTM-UAS-Analyse durchgeführt. Diese ergab für den vorgestellten manuellen Arbeitsprozess einen Unterschied der Ausführungszeiten von lediglich knapp 1 % bzw. 0,4 s.

Der tatsächliche Arbeitsprozess verfügt über keine Roboterunterstützung. Im Labor wurde eine Roboterunterstützung in den Arbeitsprozess integriert und hinsichtlich ihrer Effekte auf Ergonomie und Effizienz evaluiert (Hegenberg et al. 2018). Der Roboter übernimmt dabei das Auflegen der drei Wellen des Wellenpakets. Abb. 2 zeigt den Roboter (Universal Robots UR‑5 mit Robotiq Adaptive Gripper) hinter dem Montagearbeitsplatz. Die Wellen werden hinter dem Roboter bereitgestellt.

Der Roboter adaptiert sich an den Montagefortschritt des menschlichen Kollaborationspartners. Hierzu wird ein RGB-D-Sensor (Microsoft Kinect One) zur Erfassung des Zustandes von WT und Werkstücken eingesetzt. Sobald der Mensch die Kegelrollenlager in die Werkstückaufnahmen eingelegt hat, beginnt der Roboter mit dem Auflegen der Wellen. Der in Abb. 2 erkennbare zweite RGB-D-Sensor dient der Erfassung der menschlichen Körperhaltung, wird in den hier beschriebenen Arbeiten allerdings nicht genutzt.

4 Montageanleitung

Analog zu den Nutzerstudien aus der Literatur soll das AR-Assistenzsystem einer vergleichenden Nutzerstudie unterzogen werden. Da Papier-basierte Arbeitspläne und Zeichnungen in den meisten Studien herangezogen wurden und diese in der Industrie die größte Verbreitung haben, soll hier ebenfalls ein solcher Arbeitsplan zum Vergleich betrachtet werden.

4.1 Papieranleitung

Die Papieranleitung besteht aus einem Arbeitsplan, einer 2‑D-Skizze der fertigmontierten Wellen und einer Explosionszeichnung.

Der Arbeitsplan ist eine Liste der Arbeitsschritte, wobei jeder Arbeitsschritt zusammengehörige Teilaufgaben umfasst, die in einem Zug vom Mitarbeitenden erledigt werden können. Eine Ausnahme ist Schritt 2, der ausschließlich auf die Aktivität des Roboters hinweist. Die vollständige Liste aller Arbeitsschritte lautet:

  1. 1.

    Einlegen der Kegelrollenlager

  2. 2.

    Wellen auflegen durch Roboter

  3. 3.

    Fügen des Nadellagers

  4. 4.

    Fügen des Gangrads

  5. 5.

    Fügen des Synchronkörpers 1

  6. 6.

    Fügen des Synchronkörpers 2

  7. 7.

    Freigeben des Werkstückträgers

Neben einer Beschreibung der auszuführenden Tätigkeiten werden Hinweise zur Montage gegeben. Diese Hinweise können sich bspw. darauf beziehen, wo die benötigten Bauteile zu finden sind oder ob bei der Montage etwas zu beachten ist. Die Bauteile werden über Nummern identifiziert, die sich in den zugehörigen Zeichnungen wiederfinden. Die Beschreibung des ersten Arbeitsschrittes lautet bspw.:

  1. 1.

    Einlegen der Kegelrollenlager

    Kegelrollenlager Pos. 2 in linke Werkstückaufnahme des Werkstückträgers einlegen. Kegelrollenlager Pos. 3 in rechte Werkstückaufnahme einlegen.

    Hinweis: Pos. 2 und Pos. 3 liegen im linken Kleinladungsträger.

Abb. 3 zeigt die 2‑D-Skizze der fertigmontierten Wellen und Abb. 4 die verwendete Explosionszeichnung. Alle Bauteile sind in den Kreisen mit den Nummern markiert, die im Arbeitsplan referenziert werden. Der Schnitt durch den Synchronkörper 2 in der 2‑D-Skizze dient der Verdeutlichung von Ober- und Unterseite. Der innere Steg ist unterschiedlich hoch. Die Bemaßung, 5 mm bzw. 7 mm, ist in der Skizze eingetragen. In beiden Zeichnungen fehlt Welle 3, da der Mitarbeitende keine Bauteile daran fügen muss.

Abb. 3 Fig. 3
figure 3

2‑D-Skizze der fertigmontierten Wellen 1 und 2 inklusive Schnitt durch Synchronkörper 1

2D sketch of the fully assembled shafts 1 and 2 including section through synchronizer body 1

Abb. 4 Fig. 4
figure 4

Explosionszeichnung der Wellen 1 und 2

Exploded-view drawing of shafts 1 and 2

Da die Kenntnisse und Fähigkeiten zum Lesen und Interpretieren von Arbeitsplänen und technischen Zeichnungen bei den Versuchspersonen mangels Montageerfahrung nicht vorausgesetzt werden konnten, wurde deren Nutzung zunächst erklärt. Darüber hinaus wurde zu Trainingszwecken eine Übungsaufgabe gestellt, die die wesentlichen Elemente dieser Anlernmethode umfasste. Beim Training konnten ggf. verbliebende Verständnisprobleme bei der Anwendung von Arbeitsplänen und technischen Zeichnungen mit der Versuchsleitung geklärt werden. Es wurde eine inhaltlich abweichende Übungsaufgabe gewählt, die den Aufbau eines Turms aus fünf Klemmbausteinen vorsah, um keine Vorerfahrungen mit der späteren Versuchsaufgabe aufzubauen. Abb. 5 zeigt die zugehörige Explosionszeichnung. Alle für die Versuchsaufgabe relevanten Elemente wurden integriert, so ist unter A eine Ausschnittsvergrößerung und unter B eine Schnittzeichnung enthalten. Der Arbeitsplan umfasste ebenfalls alle relevanten Elemente. Der Hinweis auf den Roboter diente hier lediglich als Beispiel. Der Arbeitsplan lautete:

  1. 1.

    Stein 1 und 2 platzieren

    Stein 2 × 3 Pos. 2 beliebig auf grüner Platte (nicht in Zeichnung dargestellt) platzieren. Stein 2 × 2 Pos. 1 auf Stein Pos. 2 platzieren.

    Hinweis: Orientierung siehe Schnitt B‑B.

  2. 2.

    Stein 3 und 4 platzieren

    Stein 2 × 3 Pos. 2 auf vorhandenem Stein 2 × 2 Pos. 1 platzieren. Stein 2 × 2 Pos. 1 auf Stein Pos. 2 platzieren.

    Hinweis: Orientierung siehe Schnitt B‑B.

    Hinweis: Montage kann fortgesetzt werden, während der Roboter arbeitet.

Abb. 5 Fig. 5
figure 5

Explosionszeichnung des Klemmbaustein-Turms

Exploded-view drawing of the building block tower

  1. 3.

    Stein 5 platzieren

    Stein 2 × 3 Pos. 2 auf vorhandenem Stein 2 × 2 Pos. 1 platzieren. Stein Pos. 2 muss auf Pos. 1 versetzt sein, siehe dazu Ansicht A.

4.2 AR-Assistenzsystem

Das AR-Assistenzsystem basiert technisch auf der Durchsicht-Datenbrille Microsoft HoloLens. Diese zeigt die 3‑D-Modelle stereoskopisch, also mit dem Eindruck räumlicher Tiefe, an und ist dank der verbauten Sensorik zur Erfassung der Umgebung in der Lage, die 3‑D-Modelle räumlich korrekt positioniert und orientiert darzustellen.

Das Assistenzsystem zum Anlernen des Montageprozesses visualisiert analog zur sequentiellen Darstellung des Arbeitsplans nacheinander die Arbeitsschritte. Diese Arbeitsschritte sind weitgehend identisch mit denen des Arbeitsplans. Lediglich Schritt 2 entfällt, da der Roboter selbstständig aktiv wird und seine Aktivitäten begleitend zu den nächsten Arbeitsschritten des Menschen visualisiert werden.

Abb. 6 zeigt exemplarisch die AR-Visualisierung zum Anlernen des ersten Arbeitsschrittes „Einlegen der Kegelrollenlager“. Grüne Kugeln werden in den Kleinladungsträgern dort dargestellt, wo die Bauteile für den aktuellen Arbeitsschritt zu entnehmen sind. Neben den Zielpositionen am WT werden die Bauteile selbst visualisiert, um die Verwechslungsgefahr zu minimieren. Orangefarbene Positionsmarker visualisieren die jeweiligen Zielposition.

Abb. 6 Fig. 6
figure 6

AR-Visualisierungen zum Anlernen des Arbeitsschrittes „Einlegen der Kegelrollenlager“. a Grüne Kugeln markieren die korrekte Entnahmeposition in den Kleinladungsträgern. b Die Bauteile werden visualisiert und ihre Montageposition am WT mittels orangefarbener Positionsmarkern gekennzeichnet

AR visualizations for teaching the “insertion of tapered roller bearings” step. a Green balls mark the correct removal position in the small load carriers. b The components are visualized and their assembly position on the WT is marked by orange position markers

Sofern Baugruppen vormontiert werden müssen, hier bspw. das Fügen der Synchronringe an den Synchronkörper 1, oder bei der Handhabung Besonderheiten zu beachten sind, hier bspw. ein mögliches Auseinanderfallen des Synchronkörpers 2, werden zusätzliche Montageanleitungen/-hinweise oberhalb der Materialbereitstellung angezeigt (siehe Abb. 7). Diese werden außerdem durch kurze Sprachausgaben unterstützt.

Abb. 7 Fig. 7
figure 7

AR-Visualisierungen zum Anlernen des Arbeitsschrittes „Fügen des Synchronkörpers 1“. Bei vorzumontierenden Baugruppen werden zusätzliche Montageanleitungen oberhalb der Kleinladungsträger angezeigt

AR visualizations for teaching the work step “Joining the synchronizer body 1”. For assemblies to be pre-assembled, additional assembly instructions are displayed above the small load carriers

Insbesondere die Visualisierungen in den Kleinladungsträgern sind bei normaler Ausrichtung des Nutzenden frontal zum Arbeitsplatz nicht sichtbar. Die Datenbrille kann lediglich in einem engen Sichtfeld virtuelle Objekte einblenden. Die periphere Wahrnehmung bzw. Darstellung von Objekten ist somit nicht möglich. Als Lösungsansatz werden sogenannte Offscreen-Hinweise ins Sichtfeld eingeblendet, die auf Objekte außerhalb des Sichtfeldes hinweisen. Verschiedene Gestaltungsvarianten wurden dazu bereits betrachtet. Hier wurde der in Abb. 8 skizzierte Off-Screen-Hinweis, ein sogenannter Wedge, umgesetzt, bei dem eine Pfeilspitze auf das virtuelle Objekt außerhalb des Sichtfelds zeigt. Am Rand des Sichtfelds ist ein Teil der Pfeilspitze sichtbar. Eine ähnliche Darstellung wurde bereits von Henderson und Feiner (2011) genutzt und stellte sich in der Studie von Gruenefeld et al. (2017) als eine subjektiv und objektiv gute Lösung heraus.

Abb. 8 Fig. 8
figure 8

Der schwarze Rahmen stellt das Sichtfeld der Datenbrille dar. Die grüne Kugel liegt außerhalb des Sichtfelds. Der Wedge als Offscreen-Hinweis deutet auf dieses Objekt und ist im Sichtfeld am Rand wahrnehmbar

The black frame represents the field of view of the data glasses. The green sphere is outside the field of view. The wedge as an offscreen hint points to this object and is perceptible at the edge of the field of view

Im hinteren Bereich des Montagearbeitsplatzes werden zwei ergänzende Texttafeln dargestellt (siehe Abb. 9). Eine Tafel zeigt den aktuellen Fortschritt des Montageprozesses für das aktuelle Wellenpaket. Die zweite Tafel zeigt redundante und ergänzende Informationen zum aktuellen Arbeitsschritt.

Abb. 9 Fig. 9
figure 9

Ergänzende Hinweistafeln. a Anzeige des Montagefortschritts des Wellenpakets. b Ergänzende Hinweise zur Montage

Supplementary information boards. a Display of the assembly progress of the shaft package. b Supplementary notes on assembly

Sollte der Mitarbeitende einen Montagefehler machen, wird neben dem betroffenen Bauteil je nach Art des Fehlers eine der drei in Abb. 10 dargestellten Fehlermeldungen angezeigt. Diese nutzen die sogenannte Tag-Along-Positionierung der HoloLens, die dafür sorgt, dass die Fehlermeldungen immer im Sichtfeld gehalten und somit nicht übersehen werden. Dreht der Nutzende den Kopf, folgt die Fehlermeldung dieser Bewegung, sobald sie andernfalls aus dem Sichtfeld verschwinden würde. Die Erkennung von Montagefehlern und die Einblendung von Fehlermeldungen erfolgt in einem Wizard-of-Oz-Ansatz durch die Versuchsleitung. Ein häufig aufgetretener Fehler war das Auflegen des Gangrades oder der Synchronkörper in falscher Ausrichtung, also mit vertauschter Ober- und Unterseite.

Abb. 10 Fig. 10
figure 10

Drei Meldungen, die bei Montagefehlern visualisiert werden

Three messages visualized in case of assembly errors

Nachdem der Nutzende den ersten Arbeitsschritt ausgeführt hat, die Kegelrollenlager also in die Werkstückaufnahmen eingelegt wurden, beginnt der Roboter mit dem Auflegen der Wellen. Die Arbeitsschritte des Roboters werden von einer Sprachausgabe begleitet, die jeweils das Holen bzw. Bringen der drei Wellen ankündigt bspw. „Hole Welle 2“. Diese Sprachausgabe nutzt eine andere Stimme als die Sprachausgabe zur Erläuterung des Montageprozesses. Sollten beide Sprachausgaben gleichzeitig wiedergegeben werden, wird die Sprachausgabe der Erläuterungen ausgesetzt, um die akustische Verständlichkeit sicherzustellen. Die geplante Robotertrajektorie wird außerdem mittels einer räumlich positionierten blauen Perlenkette visualisiert (siehe Abb. 11). Der Greifer folgt exakt dieser Perlenkette. Der bereits abgefahrene Teil der Trajektorie wird ausgeblendet.

Abb. 11 Fig. 11
figure 11

AR-Visualisierung der geplanten Robotertrajektorie durch eine blaue Perlenkette

AR visualization of the planned robot trajectory through a blue string of beads

5 Methodik

Die Studie folgt einem Between-Subject-Design, da die Montageaufgabe einmalig und ein wiederholtes Anlernen somit nicht möglich ist. Die unabhängige Variable ist die Auswahl einer der beiden Anleitungen. Als abhängige Variablen werden der System-Usability-Scale für die Gebrauchstauglichkeit (Brooke 1996) und der NASA Task-Load-Index für die Beanspruchung (Hart 1986) erfasst. Weiterhin wurden zur Beurteilung des Anlernerfolgs die Fehleranzahl und die Montagezeit pro Wellenpaket erhoben. Neben demographischen Daten wurde außerdem die Vorerfahrung der Versuchspersonen mit Montagetätigkeiten erfragt.

Es wurden folgende Hypothesen aufgestellt:

Hypothese 1

Die Nutzung der AR-Anleitung erzielt signifikant bessere Bewertungen der Gebrauchstauglichkeit, gemessen anhand des SUS-Wertes, als die Nutzung der Papieranleitung.

Hypothese 2

Die Nutzung der AR-Anleitung führt zu einer signifikant geringeren Beanspruchung, gemessen anhand des NASA-TLX-Wertes, als die Nutzung der Papieranleitung.

Hypothese 3

Die Nutzung der AR-Anleitung führt zu einer signifikanten Verringerung der Fehleranzahl gegenüber der Nutzung der Papieranleitung.

Hypothese 4

Die Nutzung der AR-Anleitung ermöglicht ein schnelleres Anlernen, führt also zu einer signifikanten Verringerung der Montagezeiten gegenüber der Nutzung der Papieranleitung.

Das Signifikanzniveau wurde auf α = 5 % festgelegt.

Der Versuchsaufbau bestand im Wesentlichen aus dem Mock-up des Montagearbeitsplatzes. Um den Mock-up herum wurden zwei Kameras platziert, die der Dokumentation des Versuchsablaufs dienten. Die Zeichnungen der Papieranleitung wurden auf DIN-A3-Papier ausgedruckt und an Stellwänden neben den Versuchspersonen aufgehängt.

Zu Beginn der Evaluation wurden die Versuchspersonen schriftlich in die Hintergründe, das Ziel und die Aufgabe des Versuchs eingewiesen. Neben einer Einverständniserklärung wurde ein demographischer Fragenbogen ausgefüllt.

Um für alle Versuchspersonen, die die Papieranleitung nutzen sollten, ähnliche Ausgangsbedingungen bezüglich des Lesens von technischen Zeichnungen zu schaffen, wurden anschließend alle wesentlichen Elemente der Papieranleitung anhand der in Abschnitt 4.1 beschriebenen Übungsaufgabe eingeführt. Von der Versuchsleitung wurden dazu die Explosionsdarstellung, die Schnittdarstellung, der Zusammenhang zwischen Positionsnummer, Benennung und Arbeitsplan sowie die Bemaßung erläutert. Nach den Erläuterungen und anhand der Papieranleitung wurde der Klemmbaustein-Turm einmal aufgebaut.

Die Versuchspersonen, die die AR-Anleitung nutzen sollten, bekamen direkt die Datenbrille ausgehändigt und führten selbstständig die Kalibrierungsanwendung des Herstellers aus.

Danach bekamen alle Versuchspersonen eine kurze Einführung zum Aufbau des Mock-ups inklusive Materialbereitstellung, WT-Fördersystem und Roboter. Anschließend wurde die Papieranleitung ausgehändigt bzw. die AR-Anwendung gestartet, und der Versuch begann.

Für die Erkennung von Montagefehlern war bei beiden Versuchsbedingungen in einem Wizard-of-Oz-Ansatz die Versuchsleitung zuständig. Beim AR-Assistenzsystem konnte sie Fehlermeldungen einblenden, bei der Papieranleitung hielt sie Schilder mit der passenden Fehlermeldung hoch. Neben der Rückmeldung an die Versuchsperson dokumentierte die Versuchsleitung die Art des Fehlers und die Fehleranzahl.

Nach der erfolgreichen Montage von 18 Wellenpaketen endete der Versuch, und die Versuchspersonen füllten die SUS- und NASA-TLX-Fragebögen aus. Abschließend wurde eine mündliche Befragung durchgeführt. Um explorativ Verbesserungsmöglichkeiten aufzudecken, wurde den Versuchspersonen zuerst die Möglichkeit gegeben, völlig frei Kommentare, Beobachtungen und Verbesserungsvorschläge zum Anlernen mit Papier- bzw. AR-Anleitung zu geben. Mit den Versuchspersonen, die die AR-Anleitung genutzt hatten, wurde dann ein Leitfrageninterview mit 11 Leitfragen geführt. Diese zielten darauf ab, Feedback zu einzelnen Gestaltungsentscheidungen und graphischen Elementen zu erhalten. Die Leitfragen lauteten:

  1. 1.

    Waren die Fehlermeldungen aussagekräftig?

  2. 2.

    War der Wedge hilfreich?

  3. 3.

    Werden mehr Hinweise zur Durchführung der Aufgabe benötigt?

  4. 4.

    Waren die grafischen Einblendungen verständlich?

  5. 5.

    Waren die Trajektorien zur Einschätzung des Roboters nützlich?

  6. 6.

    War die Hinweistafel nützlich, sodass man etwas nachlesen konnte?

  7. 7.

    War die Fortschrittsanzeige hilfreich?

  8. 8.

    Hat die Einführung alle Aspekte der Anleitung vorgestellt?

  9. 9.

    Wurde die Orientierung des Synchronkörpers 1 erkannt?

  10. 10.

    War die Wahl von Schriftgröße und Farbe gut leserlich?

  11. 11.

    Waren die Möglichkeiten zur Steuerbarkeit ausreichend?

Die mündliche Befragung wurde mittels Kamera aufgezeichnet, die Bemerkungen der Versuchspersonen im Nachgang verschriftlicht und als negativ, neutral oder positiv bewertet. Eine quantitative Analyse erfolgte nicht.

Die Stichprobe umfasste 16 Versuchspersonen im Alter von 21 Jahren bis 59 Jahren (M = 34,6 Jahre, SD = 15,0 Jahre), davon fünf weiblich und elf männlich. In der Gruppe mit der Papieranleitung gab es vier Frauen und vier Männer im Alter von 21 Jahren bis 59 Jahren (M = 32,5 Jahre, SD = 14,8 Jahre). Die Gruppe mit der AR-Anleitung umfasste eine Frau und sieben Männer im Alter von 23 Jahren bis 57 Jahren (M = 36,8 Jahre, SD = 16,0 Jahre). Fünf Versuchspersonen gaben an, bereits Erfahrungen mit Montagetätigkeiten zu haben. Drei dieser Versuchspersonen nutzten die Papieranleitung.

6 Ergebnisse

Die Daten wurden mit der Standarddistribution der freien Statistiksoftware R in der Version 3.6.2 ausgewertet. Für die Prüfung der Voraussetzungen der Mixed ANOVA und den Friedman-Test wurde SPSS 28 genutzt.

6.1 Gebrauchstauglichkeit

Die Beurteilung der Gebrauchstauglichkeit anhand des SUS-Fragebogens ergab für die Papieranleitung einen mittleren SUS-Wert von 63,4 (SD = 23,8) und für die AR-Anleitung einen mittleren SUS-Wert von 72,2 (SD = 18,8). Boxplots der SUS-Werte finden sich in Abb. 12. Im Bewertungsschema von Bangor et al. (2009), das den SUS-Wert mit verschiedenen Adjektiven und Schulnoten interpretiert, lässt sich somit die Papieranleitung als „okay“ und die AR-Anleitung als „gut“ bewerten. Der Unterschied in den ordinalskalierten Daten ist einem U‑Test nach statistisch nicht signifikant (W = 38,5, p = 0,12). Die Nullhypothese zu Hypothese 1 wird daher beibehalten.

Abb. 12 Fig. 12
figure 12

Gebrauchstauglichkeit der Papieranleitung und des AR-Assistenzsystems

Usability of the paper instruction and the AR assistance system

6.2 Beanspruchung

Die Beurteilung der Beanspruchung mittels des NASA-TLX-Fragebogens ergab für die Papieranleitung einen mittleren Wert von 50,8 (SD = 21,1) und für die AR-Anleitung einen mittleren Wert von 38,1 (SD = 11,0). Boxplots der NASA-TLX-Werte finden sich in Abb. 13. Deskriptiv lässt sich beobachten, dass die Beanspruchung für die AR-Anleitung geringer ausfällt. Einem U‑Test nach ist dieser Zusammenhang in den ordinalskalierten Daten statistisch nicht signifikant (W = 39,5, p = 0,101). Die Nullhypothese zu Hypothese 2 wird daher beibehalten.

Abb. 13 Fig. 13
figure 13

Beanspruchung der Papieranleitung und des AR-Assistenzsystems

Workload on the paper instruction and the AR assistance system

Abb. 14 zeigt Boxplots der sechs NASA-TLX-Subskalen ohne Gewichtung (NASA-Raw-TLX-(RTLX-)Werte). Mittels U‑Test zeigt sich bei Nutzung des AR-Assistenzsystems in der Subskala Anstrengung (W = 53, p = 0,0019) und in der Subskala Frustration (W = 43, p = 0,046) eine statistisch signifikante Reduktion. Die Effektstärken sind groß (r = 0,723) bzw. mittel (r = 0,423).

Abb. 14 Fig. 14
figure 14

Beanspruchung der Papieranleitung und des AR-Assistenzsystems nach NASA-RTLX-Subskalen (*p ≤ 0,05, **p ≤ 0,01)

Workload on paper instruction and AR assistance system according to NASA RTLX subscales (*p ≤ 0,05, **p ≤ 0,01)

6.3 Fehlerhäufigkeit

Abb. 15 zeigt die mittlere Fehlerhäufigkeit pro montiertem Wellenpaket. Zu Beginn des Versuchs sind die Fehlerhäufigkeiten vergleichbar. Im späteren Verlauf sind die Fehlerhäufigkeiten bei Nutzung der Papieranleitung meistens kleiner. Insbesondere werden mit der Papieranleitung bei insgesamt vier Wellenpaketen keine Fehler gemacht. Mit der AR-Anleitung wird dieser Wert nie erreicht.

Abb. 15 Fig. 15
figure 15

Mittlere Fehlerhäufigkeit pro Wellenpaket

Mean error frequency per shaft package

Da die Daten weder normalverteilt noch varianzhomogen sind, kann die Mixed ANOVA nicht interpretiert werden. Ein Friedman-Test auf den nicht normalverteilten Daten ergibt, dass es bei der Papieranleitung signifikante Unterschiede (Chi-Quadrat(17) = 36,25, p = 0,004) zwischen den Wellenpaketen gibt, bei der AR-Anleitung sind die Unterschiede nicht signifikant (Chi-Quadrat(17) = 21,660, p = 0,198). Unter einer Bonferroni-Korrektur ergeben die paarweisen Vergleiche jedoch keine signifikanten Unterschiede.

Die mittlere Fehlerhäufigkeit über alle Wellenpakete liegt bei der Papieranleitung bei 4,9 (SD = 2,9) und bei der AR-Anleitung bei 9,4 (SD = 7,3). Deskriptiv lässt sich beobachten, dass die Fehlerhäufigkeit für die AR-Anleitung entgegen der Hypothese größer ausfällt. Die Daten sind nicht normalverteilt (Shapiro-Wilk p = 0,0402). Einem U‑Test nach ist der angenommene Zusammenhang statistisch nicht signifikant (W = 53, p = 0,999). Die Nullhypothese zu Hypothese 3 wird daher beibehalten. Der der Hypothese entgegengesetzte Effekt ist hingegen statistisch signifikant (W = 53, p = 0,0019). Die Effektstärke ist groß (r = 0,723).

6.4 Montagezeit

Abb. 16 zeigt die mittlere Montagezeit pro montiertem Wellenpaket. Zu Beginn des Versuchs sind die Versuchspersonen mit der AR-Anleitung deutlich schneller.

Abb. 16 Fig. 16
figure 16

Mittlere Montagezeit pro Wellenpaket in Sekunden

Average assembly time per shaft package in seconds

Die Mixed ANOVA ist nicht interpretierbar, da die Daten nicht normalverteilt und nicht varianzhomogen sind. Ein Friedman-Test ergibt, dass zwischen Papieranleitung (Chi-Quadrat(17) = 98,242, p < 0,001) und AR-Anleitung (Chi-Quadrat(17) = 67,017, p < 0,001) signifikante Unterschiede zwischen den Wellenpaketen bestehen. Unter einer Bonferroni-Korrektur ergeben die paarweisen Vergleiche die in Tab. 1 und 2 angegebenen signifikanten Effekte.

Tab. 1 Table 1 Signifikante Unterschiede bei den paarweisen Vergleichen der Montagezeiten zwischen den Wellenpaketen bei Nutzung der PapieranleitungSignificant differences in pairwise comparisons of assembly times between the shaft packages using the paper instruction
Tab. 2 Table 2 Signifikante Unterschiede bei den paarweisen Vergleichen der Montagezeiten zwischen den Wellenpaketen bei Nutzung des AR-AssistenzsystemsSignificant differences in pairwise comparisons of assembly times between the shaft packages using the AR assistance system

Für die ersten beiden Wellenpakete sind die Boxplots der Montagezeiten in Abb. 17 dargestellt. Die Zeiten für das Wellenpaket 1 sind normalverteilt (Shapiro-Wilk p = 0,235) und varianzhomogen (Levene F(1,13) = 1,6135, p = 0,226). Einem unabhängigen t‑Test nach ist der Unterschied statistisch signifikant (t(13) = 2,714, p = 0,0089). Die Effektstärke ist groß (d = 1,405). Für das Wellenpaket 2 sind die Zeiten nicht normalverteilt (Shapiro-Wilk p = 0,0031). Einem U‑Test nach ist auch der Unterschied statistisch signifikant (W = 46, p = 0,0214). Die Effektstärke ist groß (r = 0,506). Ab dem dritten Wellenpaket treten keine signifikanten Unterschiede mehr auf.

Abb. 17 Fig. 17
figure 17

Montagezeiten für die ersten beiden Wellenpakete in Sekunden (*p ≤ 0,05, **p ≤ 0,01)

Assembly times for the first two shaft packages in seconds (*p ≤ 0,05, **p ≤ 0,01)

In beiden Gruppen lässt sich ein deutlicher Lerneffekt erkennen. Im späteren Verlauf nähern sich beide Kurven derart an, dass sie nahezu identisch verlaufen. Nimmt man als minimale Montagezeiten diejenigen der jeweils letzten sechs Wellenpakete an (Wellenpakete 13 bis 18), so ergeben sich mit der Papieranleitung nach dem siebten und mit der AR-Anleitung nach dem fünften Wellenpaket keine statistisch signifikanten Unterschiede zu dieser minimalen Montagezeit mehr (Papieranleitung M = 41,7 s, SD = 6,3 s; AR-Anleitung M = 46,0 s, SD = 6,2 s).

Die mittlere Montagezeit über alle Wellenpakete liegt für die Papieranleitung bei 93,1 s (SD = 18,9 s) und für die AR-Anleitung bei 71,6 s (SD = 23,2 s). Die Zeiten sind normalverteilt (Shapiro-Wilk p = 0,983) und varianzhomogen (Levene F(1,13) = 2,0272, p = 0,178). Einem unabhängigen t‑Test nach ist dieser Unterschied statistisch nicht signifikant (t(13) = 0,991, p = 0,170). Die Nullhypothese zu Hypothese 4 wird daher beibehalten.

6.5 Befragungsergebnisse

Im Folgenden werden positive und negative Rückmeldungen sowie Verbesserungsvorschläge der beiden Versuchspersonengruppen zum AR-Assistenzsystem und zur Papieranleitung zusammengefasst. Anschließend werden die Ergebnisse des Leitfrageninterviews zusammengefasst.

Nutzende des AR-Assistenzsystems beurteilten die Qualität und Detailtreue der visualisierten Modelle positiv. Die Modelle erlaubten eine schnelle Wiedererkennung der Bauteile. Weiter wurde die Sprachausgabe, insbesondere die Nutzung zweier Stimmen als nützlich empfunden, um das eigene Timing mit dem Roboter abzustimmen. Bis auf zwei Versuchspersonen empfanden alle die Trajektorieneinblendung als wichtigen Sicherheitsgewinn, besonders zu Beginn des Versuchs. Als sehr nützlich und selbsterklärend wurden die Fehlermeldungen empfunden. Auf die Texttafel mit zusätzlichen Hinweisen wurde zu Beginn häufig zurückgegriffen, die Fortschrittsanzeige wurde kaum beachtet. Die Schriftgröße und Farbgestaltung aller Elemente wurden durchgehend als gut lesbar empfunden.

Negativ wurde das eingeschränkte Sichtfeld, in dem die Datenbrille virtuelle Elemente darstellen kann, und die leichte Tönung des Durchsicht-Visiers beurteilt. Einige Einblendungen wurden als zu groß und die Sicht versperrend empfunden, bspw. die Einblendung zur Vormontage des Synchronkörpers 1. Einige Versuchspersonen hatten bei dieser Einblendung außerdem Verständnisprobleme. Der Hebel zur Freigabe des WT ist relativ weit unten angebracht, weshalb er schlecht gefunden wurde. Der Wedge als Offscreen-Hinweis wurde tendenziell negativ aufgenommen. Einige Versuchspersonen mochten zwar die Unterstützung der Blickrichtung, empfanden ihn jedoch teilweise als störend. Eine Versuchsperson verstand die Funktion nicht, zwei weitere Versuchspersonen haben ihn nicht beachtet.

Gewünschte Verbesserungen des AR-Assistenzsystems betrafen mehr Individualisierungsmöglichkeiten, um bspw. Sprachausgabe oder Visualisierungen nach der Anlernphase abschalten zu können. Eine Versuchsperson fühlte sich etwas unsicher, da nicht mitgeteilt wurde, ob der Roboter eine drohende Kollision aktiv vermeidet.

Nutzende der Papieranleitung empfanden die Zeichnungen als sehr hilfreich. Insbesondere die Explosionszeichnung ermöglichte im späteren Verlauf des Versuchs eine schnelle Kontrolle der eigenen Arbeit durch einen kurzen Blick auf die übersichtliche Darstellung. Insgesamt wurden Qualität und Umfang der Unterlagen als gut und ausreichend bewertet. Die Versuchspersonen empfanden keine Angst vor dem Roboter, da dessen gleichbleibende Bewegungen schnell erkannt wurden.

Negativ wurde die Zuordnung der Bauteile anhand der Nummerierung beurteilt. Teilweise gab es Probleme, anhand der Zeichnungen das richtige Bauteil zu finden. Für mehrere Versuchspersonen wäre der Arbeitsplan alleine nicht ausreichend. Sie haben insbesondere am Anfang lediglich die Zeichnungen genutzt. Eine Versuchsperson gab an, sich mit der Aufgabe allein gelassen gefühlt zu haben, da sie alles selbst erarbeiten musste. Das Auffinden des Hebels wurde bemängelt, da dieser nicht bildlich dargestellt wurde, sondern nur seine Position textuell beschrieben wurde.

Vorgeschlagene Verbesserungen betrafen eine leichter einsehbare Platzierung der Zeichnungen, ohne sich umdrehen zu müssen. Ferner wurde ein textueller Hinweis auf die Relevanz der Schnittdarstellung des Synchronkörpers 1 gewünscht, da diese Darstellung besondere Aufmerksamkeit erfordert. Einige Versuchspersonen gaben an, die Schnittdarstellung und/oder den Arbeitsplan nicht bzw. nicht genau angesehen zu haben.

Das Leitfrageninterview zum AR-Assistenzsystem ergab folgende Ergebnisse:

  1. 1.

    Die Fehlermeldungen wurden von den meisten Versuchspersonen als nützlich und aussagekräftig empfunden, nur zwei Versuchspersonen hatten zu Beginn Verständnisprobleme mit der Fehlermeldung „Bauteil drehen“. Sie drehten es um die falsche Achse.

  2. 2.

    Der Wedge wurde sehr unterschiedlich aufgenommen: Einige Versuchspersonen waren mit seiner blicklenkenden Funktion zufrieden, jedoch empfanden sie ihn teilweise als störend. Eine Versuchsperson erkannte die Funktion nicht und hielt ihn für einen Darstellungsfehler. Zwei Versuchspersonen haben den Wedge gar nicht beachtet. Eine weitere Versuchsperson empfahl einen normalen, am besten blinkenden Pfeil.

  3. 3.

    Als gut empfunden wurden Umfang und Qualität der Hinweise zu den Arbeitsschritten. Lediglich die Darstellung der Synchronkörperorientierung sollte überarbeitet werden.

  4. 4.

    Die Verständlichkeit der Grafiken wurde zusammen mit dem Hinweistext von allen Versuchspersonen positiv bewertet. Eine Versuchsperson stellte vor allem den Versatz der Modelle als positiv heraus, da dadurch die realen Teile nicht verdeckt wurden.

  5. 5.

    Die Trajektorien-Darstellung wurde von zwei Versuchspersonen nicht beachtet. Alle anderen Versuchspersonen empfanden sie als Sicherheitsgewinn, gerade zu Beginn.

  6. 6.

    Die Hinweistafel als zusätzliches Element, auf das insbesondere am Anfang bei Bedarf zurückgegriffen werden konnte, wurde von vielen Versuchspersonen genutzt und nie als störend empfunden. Eine Versuchsperson wünschte sich eine stichpunktartigere Formulierung.

  7. 7.

    Der Fortschrittsanzeige wurde hingegen wenig Beachtung geschenkt. Sie wurde aber auch nie als störend empfunden.

  8. 8.

    Als allgemein hilfreich wurde die Einführung bewertet, da danach alle Funktionen bekannt waren. Vor allem die Suchaufgaben (der Nutzende sollte mit oder ohne Wedge virtuelle Objekte finden, die außerhalb seines Sichtfelds eingeblendet wurden) waren hilfreich, um sich an das eingeschränkte Sichtfeld zu gewöhnen.

  9. 9.

    Durchgängig schlecht wurden die Hinweise zur Synchronkörperorientierung empfunden, zumal einige Versuchspersonen nicht erkannt haben, dass der Synchronkörper 1 überhaupt verschiedene Seiten hat.

  10. 10.

    Die Schriftgröße und Farbgestaltung aller Elemente wurden durchgehend als gut lesbar und klar strukturiert empfunden. Auch die Bedeutung der Farben, beispielsweise Rot für Fehler, wurde als selbsterklärend und geläufig bewertet.

  11. 11.

    Einige Versuchspersonen wünschten sich weitere Steuerungsmöglichkeiten, wie das Abschalten oder freie Platzieren einzelner grafischer Elemente. Die Roboter-Sprachausgabe sollte abschaltbar sein. Einige Versuchspersonen gaben jedoch auch an, die vorhandenen Steuerungsmöglichkeiten schnell vergessen zu haben, weswegen diese einmal vor Beginn der Montage zur Übung genutzt werden sollten.

7 Ergänzungsstudie

Neben Papieranleitungen stellt die Wissensweitergabe durch erfahrene Mitarbeitende die zweite sehr verbreitete Methode zum Anlernen dar. Ergänzend wurde im Nachgang eine analoge Studie durchgeführt, die diese Anlernmethode der AR-Methode gegenüberstellte. Um reproduzierbare Bedingungen sicherzustellen, wurde die Demonstration des Arbeitsprozesses in mehreren Videos, eines pro Arbeitsschritt, aufgezeichnet. Die Versuchsperson konnte auf einem Tablet am Arbeitsplatz die Videos beliebig häufig abspielen. In einer Standard-App zum Abspielen von Videos wurden die Videos zu den Arbeitsschritten in einer Übersicht in korrekter Reihenfolge dargestellt (siehe Abb. 18).

Abb. 18 Fig. 18
figure 18

Tablet mit Übersicht der einzelnen Videos zu den Arbeitsschritten

Tablet PC showing overview of the individual videos on the work steps

Die Stichprobe umfasste 8 Versuchspersonen im Alter von 20 Jahren bis 37 Jahren (M = 28,4 Jahre, SD = 6,2 Jahre), davon vier weiblich und vier männlich. Zwei Versuchspersonen gaben an, bereits Erfahrungen mit Montagetätigkeiten zu haben. Die Studie folgte demselben Between-Subject-Ansatz, wobei ebenfalls jede Versuchsperson 18 Werkstückträger mit der jeweils zugewiesenen Anlernmethode montierte. Es wurden dieselben Erhebungsinstrumente eingesetzt. Der wesentliche Unterschied bestand darin, dass der kollaborierende Roboter nicht genutzt wurde. Die Versuchsperson war zusätzlich für das Auflegen der Wellen zuständig, die neben dem Arbeitsplatz bereitgestellt wurden. Aufgrund der kleineren Stichprobe und der abweichenden Durchführung ohne Roboter wurde auf eine gemeinsame Auswertung mit der oben beschriebenen Studie verzichtet.

Insgesamt betrachtet zeigten sich dieselben Tendenzen: Die AR-Anleitung führte zu einer etwas besseren Gebrauchstauglichkeit, einer verringerten Beanspruchung und verringerten Montagezeiten. Auch hier zeigte sich, dass entgegen der Erwartung mit der Videoanleitung weniger Fehler als mit der AR-Anleitung gemacht wurden. Die Daten zu den Fehlerhäufigkeiten sind normalverteilt (Shapiro-Wilk p = 0,658) und varianzhomogen (Levene F(1,6) = 0,728, p = 0,151). Ein unabhängiger t‑Test zeigt, dass auch hier der entgegengesetzte Effekt statistisch signifikant ist (t(6) = −2,203, p = 0,0349). Die Effektstärke ist groß (d = 1,558). Mittelwerte und Standardabweichungen werden in Tab. 3 gegenübergestellt.

Tab. 3 Table 3 Mittelwerte und Standardabweichungen der erhobenen Werte aufgeschlüsselt nach der verwendeten AnlernmethodeMeans and standard deviations of the collected values broken down by the teaching method used

Abb. 19 zeigt Boxplots der sechs NASA-TLX-Subskalen ohne Gewichtung (NASA-RTLX-Werte). Die statistisch signifikante Reduktion in der Subskala Anstrengung zeigt sich hier bei Nutzung des AR-Assistenzsystems in den ordinalskalierten Daten mittels U‑Test nicht mehr (W = 13, p = 0,0956). Die Reduktion in der Subskala Frustration ist hier einem U‑Test nach ebenfalls statistisch signifikant (W = 15,5, p = 0,0210) vorhanden. Die Effektstärke ist groß (r = 0,719).

Abb. 19 Fig. 19
figure 19

Beanspruchung der Videoanleitung und des AR-Assistenzsystems nach NASA-RTLX-Subskalen (*p ≤ 0,05)

Workload on the video instruction and AR assistance system according to NASA RTLX subscales (*p ≤ 0,05)

Die Betrachtung der mittleren Fehlerhäufigkeit (siehe Abb. 20) und der mittleren Montagezeiten (siehe Abb. 21) nach montiertem Wellenpaket zeigt ähnliche Lernkurven.

Abb. 20 Fig. 20
figure 20

Mittlere Fehlerhäufigkeit pro Wellenpaket für die Videoanleitung und das AR-Assistenzsystem

Mean error frequency per shaft package for video instruction and AR assistance system

Abb. 21 Fig. 21
figure 21

Mittlere Montagezeit pro Wellenpaket in Sekunden für die Videoanleitung und das AR-Assistenzsystem

Average assembly time per shaft package in seconds for video instruction and AR assistance system

Bezüglich der Fehleranzahl ergibt sich die identische Beobachtung, dass bei Nutzung des AR-Assistenzsystems bis einschließlich dem letzten Wellenpaket Fehler auftreten, während beim Anlernen mit der Videoanleitung ab dem neunten Wellenpaket keinerlei Fehler mehr auftreten. Ebenfalls kann die Mixed ANOVA nicht eingesetzt werden, da die Daten weder normalverteilt noch varianzhomogen sind. Ein Friedman-Test ergibt, dass bei der Videoanleitung signifikante Unterschiede (Chi-Quadrat(17) = 41,85, p < 0,001) zwischen den Wellenpaketen bestehen, bei der AR-Anleitung sind die Unterschiede nicht signifikant (Chi-Quadrat(17) = 21,47, p = 0,206). Unter einer Bonferroni-Korrektur ergeben die paarweisen Vergleiche jedoch keine signifikanten Unterschiede.

Auch die Betrachtung der Montagezeiten liefert ähnliche Erkenntnisse. Ermöglicht das AR-System anfangs noch kürzere Montagezeiten, egalisiert sich dieser Vorteil nach einigen Montagevorgängen. Eine Mixed ANOVA ist nicht interpretierbar, da die Daten nicht normalverteilt und nicht varianzhomogen sind. Ein Friedman-Test ergibt, dass bei der Videoanleitung (Chi-Quadrat(17) = 64,59, p < 0,001) und der AR-Anleitung (Chi-Quadrat(17) = 51,61, p < 0,001) signifikante Unterschiede zwischen den Wellenpaketen bestehen. Unter einer Bonferroni-Korrektur ergeben die paarweisen Vergleiche für die Videoanleitung die in Tab. 4 angegebenen signifikanten Effekte. Bezüglich des AR-Assistenzsystems ist lediglich der Vergleich zwischen den Wellenpaketen 1 und 17 signifikant (p = 0,011). Die anfänglichen Between-Subject-Zeitvorteile für die beiden ersten Wellenpakete sind abweichend von der vorhergehenden Studie hier nicht statistisch signifikant.

Tab. 4 Table 4 Signifikante Unterschiede bei den paarweisen Vergleichen der Montagezeiten zwischen den Wellenpaketen bei Nutzung der VideoanleitungSignificant differences in pairwise comparisons of assembly times between the shaft packages using the video instruction

Im Interview wurde bzgl. der Videoanleitung angemerkt, dass eine komfortable Ablagemöglichkeit für das Tablet fehlte und dass die Benutzung des Videoplayers teils wenig intuitiv war. Es wurde bspw. kritisiert, dass Videos nicht pausiert werden konnten und dass der Sprung zum nächsten Video nur über den Rücksprung zur Videoübersicht funktionierte. Zur AR-Anleitung gab es keine wesentlichen neuen Punkte.

8 Diskussion

Das vorgestellte AR-Assistenzsystem ist zum Anlernen roboterunterstützter Montageaufgaben grundsätzlich geeignet. Bezüglich der Gebrauchstauglichkeit und der Senkung der Beanspruchung zeigt sich eine Tendenz zugunsten des AR-Assistenzsystems gegenüber der Papier- bzw. Videoanleitung. Da die Unterschiede allerdings insgesamt nicht signifikant sind, mussten die zugehörigen Nullhypothesen beibehalten werden.

Die Tatsache, dass der mittlere SUS-Wert des AR-Assistenzsystems nach Bangor et al. (2009) nur knapp eine „gute“ Bewertung erreicht (ab einem SUS-Wert von 71,4), verdeutlicht, dass das AR-Assistenzsystem noch einige Verbesserungsmöglichkeiten bietet. Insbesondere musste die Nullhypothese hierzu beibehalten werden, da keine signifikante Verbesserung der Gebrauchstauglichkeit erreicht werden konnte. Dies deckt sich mit den Ergebnissen aus der Literatur, in denen ebenfalls keine statistisch signifikant bessere Gebrauchstauglichkeit gegenüber einer Papieranleitung erreicht werden konnte (Funk und Schmidt 2021; Rodriguez et al. 2021). Offenbar gibt es bzgl. der gebrauchstauglichen Gestaltung eines AR-Assistenzsystems für die Montage noch deutlichen Forschungsbedarf.

Während der freien Diskussion nach dem Versuch deutete sich an, dass die beschränkte Gebrauchstauglichkeit zum großen Teil auf die Limitierungen der Hardware zurückzuführen war. Das begrenzte Sichtfeld war hierbei ein häufiger Kritikpunkt. Hierzu sollte untersucht werden, ob und wie die Gestaltung des Offscreen-Hinweises weiter verbessert werden kann, um die negativen Auswirkungen dieser auf absehbare Zeit bestehenden Limitierung abzuschwächen. Auch wenn zu beobachten ist, dass die Datenbrillen-Hersteller an vergrößerten Sichtfeldern arbeiten, bleibt für einen Montagearbeitsplatz aufgrund der Teilebereitstellung um den Mitarbeitenden herum wohl auch zukünftig der Bedarf für Offscreen-Hinweise erhalten.

In der Literatur konnten verringerte Werte für die Beanspruchung der Nutzenden erreicht werden, wobei die Verringerung sowohl im Vergleich mit einer Papieranleitung (Funk und Schmidt 2021) und einer Videoanleitung (Loch et al. 2016) nicht signifikant war. Dieses Ergebnis ergab sich auch hier, so dass die entsprechende Nullhypothese beibehalten werden musste. In den Subskalen Anstrengung und Frustration konnte die Beanspruchung allerdings statistisch signifikant reduziert werden. Die Reduktion der Frustration zeigte sich sowohl im Vergleich mit der Papier- als auch im Vergleich mit der Videoanleitung. In einer Arbeitssituation, die wegen der Fertigung individualisierter Produkte die kontinuierliche Information über angepasste Arbeitsschritte erfordert, könnte die AR-basierte Lösung durch Verringerung der Frustration somit zu einer längeren Aufrechterhaltung der Motivation führen. Die größere Anstrengung bei Nutzung der Papieranleitung könnte darauf zurückzuführen sein, dass die Interpretation mehrerer, aufeinander referenzierender Dokumente eine kognitiv beanspruchendere und aktivere Tätigkeit ist als der passive Konsum einer AR-Anleitung. Auch der mentale Transfer der Informationen auf die Werkstücke am Arbeitsplatz kann hier eine Rolle spielen. So zeigte sich bei Funk et al. (2016), dass eine zweidimensionale auf den Arbeitsplatz projizierte Anleitung zu einer statistisch signifikanten Beanspruchungsreduktion gegenüber derselben zweidimensionalen Information dargestellt in einer Datenbrille führte. Gegenüber einer Videoanleitung, die auch passiv konsumiert wird, reduziert AR die notwendige Transferleistung, das Gesehene auf den Arbeitsplatz zu übertragen, weiter. Dies könnte ursächlich dafür sein, dass sich in der Ergänzungsstudie bzgl. der Anstrengung kein statistisch signifikanter Effekt mehr zeigte. Diese gesamte Argumentation steht anscheinend im Widerspruch zu den Ergebnissen von Blattgerste et al. (2017), die eine statistisch signifikante Beanspruchungsreduktion für die Papieranleitung gegenüber einer identischen Anleitung in einer Datenbrille und zwei AR-Alternativen nachweisen konnten. Hier sind allerdings mehrere Aspekte bzgl. der Gestaltung der Studie und der AR-Anleitung zu berücksichtigen: Erstens wurde eine einfache Klemmbaustein-Aufgabe genutzt (Funk et al. 2015), deren Durchführung wenig Freiheitsgrade aufweist. Zweitens wird bei einer solchen Aufgabe der Informationstransfer auf die Werkstücke dadurch erleichtert, dass die Papieranleitung in unmittelbarer Nähe der Werkstücke platziert werden kann und dass die Werkstücke farbkodiert sehr einfach erkennbar sind. Drittens war der AR-Ansatz nicht zum passiven Konsum geeignet, sondern die Schritte mussten analog zum Umblättern einer Papieranleitung weitergeschaltet werden. Ob die Ergebnisse auf realistische industrielle Montageprozesse übertragbar sind, ist also zumindest kritisch zu hinterfragen.

Die Betrachtung des Anlernerfolgs anhand der Fehlerhäufigkeit bei der Montage zeigt einen der Erwartung entgegengesetzten Effekt. Sowohl die Papieranleitung als auch die Videoanleitung führen insgesamt zu weniger Fehlern. Hierzu muss angemerkt werden, dass die Versuchspersonen in allen Versuchsbedingungen über ihre Fehler informiert wurden. Sollte korrekt montiert worden sein, sprang das AR-Assistenzsystem allerdings automatisch zum nächsten Arbeitsschritt, während bei den beiden anderen Varianten die Verantwortung mehr bei der Versuchsperson lag. Dies könnte zu einer intensiveren Auseinandersetzung mit den Details des Arbeitsprozesses geführt haben, während die AR-Nutzenden die Teile fügen und die Beurteilung des Systems abwarten konnten, ohne sich vertiefte Gedanken um die korrekte Montage zu machen. Wahrscheinlich spielt hier der unter dem Stichwort „lazy user“ beschriebene Effekt eine Rolle, wonach der oder die Nutzende dazu neigt, die Lösung mit dem geringsten Aufwand zu wählen (Collan und Tétard 2011). Ein weiterer Aspekt, der die Nutzenden der Papier- bzw. Videoanleitung zu einer sorgfältigeren Arbeitsweise animiert haben könnte, ist die soziale Kontrolle durch die Versuchsleitung. Der Hinweis auf den Fehler wurde zwar durch das Hochhalten von Schildern möglichst sachlich ausgeführt, dennoch erfolgt diese konstruktive Kritik aus Versuchspersonensicht durch einen Menschen, nicht durch ein technisches System. Da die Fehler bei Nutzung der Papier- bzw. Videoanleitung im tatsächlichen Einsatz nicht bemerkt worden wären, sind sie trotz ihrer geringeren Anzahl als kritischer einzustufen. Das AR-Assistenzsystem könnte mit entsprechender Sensorik Montagefehler automatisch erkennen und abstellen lassen. Diese Aspekte müssen in folgenden Studien näher betrachtet werden, wobei bspw. auch bei der AR-Assistenz die positive Beurteilung des Arbeitsschritts zum Nutzenden hin verlagert werden könnte, indem er oder sie aktiv den nächsten Schritt anfordern muss.

Die Betrachtung des Anlernerfolgs anhand der Montagezeiten zeigte insgesamt keine statistisch signifikanten Unterschiede, allerdings spielte das AR-Assistenzsystem insbesondere am Anfang seine Vorteile aus. Die beiden ersten Wellenpakete ließen sich damit gegenüber der Papieranleitung statistisch signifikant schneller montieren. Außerdem erreichten die Nutzenden des AR-Assistenzsystems zwei Wellenpakete früher ihre Maximalgeschwindigkeit. Hier muss zukünftig untersucht werden, wie komplexere Montagetätigkeiten diesen positiven Effekt zugunsten des AR-Assistenzsystems beeinflussen. In der Studie von Funk und Schmidt (2021) wurde bspw. eine komplexere Montageaufgabe betrachtet. Dort mussten 16 Komponenten montiert werden, gegenüber 11 Komponenten in dieser Studie, und die Montage beschränkte sich nicht auf Fügen, sondern umfasste bspw. auch das Verschrauben von Komponenten. Es zeigten sich dort zu Beginn der Montage statistisch signifikante Zeitvorteile zugunsten der Papieranleitung. Eingeschränkt werden muss dabei allerdings, dass die Versuchspersonen Auszubildende des Unternehmens waren, die bereits mit dessen Papieranleitungen und ggf. auch mit ähnlichen Montageaufgaben vertraut waren. Hoover et al. (2020) betrachteten ebenfalls eine komplexere 46-schrittige Montageaufgabe und konnten zumindest teilweise statistisch signifikante Zeitvorteile der AR-Anleitung gegenüber einer Zeichnungs-basierten Anleitung auf einem Desktop-Computer nachweisen. Hier wird die Generalisierbarkeit durch die räumliche Entfernung zwischen Werkstücken und Desktop-Computer eingeschränkt. Es gilt eine Vielzahl von Faktoren zu berücksichtigen, um annähernd generalisierbare Aussagen zu erhalten.

Aus wirtschaftlicher Sicht gilt es, kritisch zu hinterfragen, ob eine lediglich zu Beginn des Anlernens erhöhte Montagegeschwindigkeit den AR-Einsatz rechtfertigen kann. Zusatzkosten dürften sich im Wesentlichen auf die Investitionskosten für Hardware und Software, bspw. geeignete Autorenwerkzeuge, beschränken. In einer digitalisierten Produktion ist es wahrscheinlich, dass Werkstücke und Arbeitsmittel bereits als CAD-Modelle vorliegen. Der Aufwand für die Erstellung von AR-Anleitungen mit vorhandenen Modellen könnte sich gegenüber Papier- oder Videoanleitungen in einem ähnlichen Rahmen bewegen oder sich bei automatischer Erzeugung von Schritt-für-Schritt-Anleitungen sogar reduzieren (Makris et al. 2013; Rentzos et al. 2013). In der Studie wurde zudem vorrangig der Fall des Anlernens des Gesamtprozesses betrachtet. Mit sinkenden Losgrößen müssen auch erfahrene Mitarbeitende regelmäßig mit Informationen zu geänderten Arbeitsschritten versorgt werden. Statt bspw. am Werkstück befestigter Laufzettel oder zu scannender Barcodes könnte auch dies mit AR unterstützt werden. Der Einsatz innovativer Technologien kann zudem durch die damit verbundene Attraktivitätssteigerung des Arbeitgebenden auch zur Gewinnung von Fachkräften am Arbeitsmarkt beitragen.

9 Ausblick

Die beiden dargestellten Studien untersuchten das Anlernen eines tatsächlichen industriellen Arbeitsprozesses, wobei zwei verbreitete konventionelle Anlernmethoden, konkret gedruckte Arbeitspläne und Videoanleitungen, mit dem Anlernen mit Hilfe eines AR-Assistenzsystems verglichen wurden. Es zeigte sich zu Beginn des Anlernens ein zeitlicher Vorteil der AR-Nutzung.

Da sich bzgl. Gebrauchstauglichkeit und Beanspruchung keine signifikanten Vorteile des AR-Assistenzsystems ergaben, aber in der Tendenz die Werte besser waren, ist es nicht unwahrscheinlich, mit einem verbesserten Assistenzsystem nachweisliche Vorteile zu erzielen. Wertvolle Hinweise zur Verbesserung des Systems liefern die Interviews. Die so identifizierten Schwachpunkte des vorliegenden Assistenzsystems sollten vor weiteren Studien behoben werden. Dies betrifft die Steuerbarkeit und Individualisierbarkeit der Anwendung und insbesondere auch die Verbesserung des Offscreen-Hinweises.

Die Komplexität der betrachteten Montageaufgabe sollte in Folgestudien möglichst gesteigert werden. Die begrenzte Anzahl von sechs Arbeitsschritten und die wenigen Synchronisationspunkte zwischen Mensch und Roboter erlauben es dem interaktiven AR-Assistenzsystem allem Anschein nach nicht, in ausreichendem Maße seine Vorteile gegenüber einer abstrakten statischen Papieranleitung oder einer ebenfalls statischen Videoanleitung auszuspielen. Sollten die Effizienzvorteile der AR-Lösung dann über eine größere Stückzahl hinweg bestehen bleiben, könnte sich der Einsatz eines AR-Assistenzsystems zum Anlernen manueller Montagetätigkeiten auch wirtschaftlich auszahlen.