1 Einleitung

Aktuell gibt es viele Arbeiten, die sich mit dem Wandel der Arbeit befassen und daraus die Notwendigkeit einer Veränderung der Kompetenzen der Arbeitnehmenden ableiten. Begründet wird dies nicht nur mit der Diagnose einer zunehmenden Digitalisierung, sondern auch im Verweis auf Konzepte sog. New Work (Hackl et al. 2017; Schermuly 2021) und damit verbundene Formen der Arbeitsorganisation. Die damit einhergehenden Forderungen an das Lernen der Mitarbeitenden beziehen sich nicht (mehr) in erster Linie auf die Teilnahme an expliziten Weiterbildungsmaßnahmen, sondern zunehmend auf Formen arbeitsintegrierter Kompetenzentwicklung. Entsprechend verändern sich auch die Aufgaben von Pädagoginnen und Pädagogen. Ihnen kommt neben der Erhebung der Bedarfe für formale Weiterbildungsangebote und der Konzeption und Umsetzung entsprechender Veranstaltungen auch die Aufgabe zu, Möglichkeitsräume für Lernen im Kontext von Arbeit zu schaffen.

Der vorliegende Beitrag nimmt diese Situationsdiagnose zum Anlass, sich detaillierter mit den Formen des Lernens im Kontext von Arbeit zu befassen. Als Grundlage dient eine empirische Studie, in der 49 Personen explorativ nach Lernherausforderungen und deren Bewältigung gefragt wurden. Die Systematisierung der dort gewonnenen Einsichten zu Formen des Lernens bildet die Grundlage, um Perspektiven für die Unterstützung arbeitsbasierter Lernprozesse zu entwickeln.

2 Stand der Forschung

Das Lernen im Kontext von Arbeit ist kein neues und insbesondere mit Blick auf den internationalen Diskurs ein vielfältiges Forschungsthema (z. B. Harteis et al. 2022; Malloch et al. 2022). Diskutiert werden neben individuellen, arbeitsplatzbezogenen und organisationalen Bedingungen insbesondere die Besonderheiten des Workplace Learning (Tynjäla 2013; Billett 2022; Brandi und Iannone 2020). Dabei wird immer wieder herausgestellt, dass sich das arbeitsbezogene Lernen gerade dadurch auszeichnet, dass hier das individuelle Engagement und die arbeitsbezogenen Partizipationsmöglichkeiten untrennbar verbunden sind und daher notwendigerweise relationiert werden müssen. In Abgrenzung zum schulischen Lernen zeichnet sich Tynjälä (2008) zufolge arbeitsbezogenes Lernen dadurch aus, dass neues Wissen und neue Fertigkeiten in der direkten Interaktion mit der arbeitsbezogenen Umwelt angeeignet werden. Entsprechend kommt den Vorerfahrungen und Intentionen der Lernenden ebenso wie der Ausgestaltung des Arbeitsplatzes – als sozial und organisational gerahmter Ort der Herstellung von Arbeitstätigkeiten und -ergebnissen – eine zentrale Rolle für den Lernprozess zu (Illeris 2011).

Während handlungstheoretisch fundierte Konzepte Lernen als Prozess der (zumeist) kognitiven Auseinandersetzung mit der Umwelt begreifen und das Lernergebnis in der Entwicklung von Wissen und Kompetenzen sehen, fokussieren sozio-kulturelle Ansätze die Teilnahme der Subjekte an sozialen Praktiken. Grundlegend waren hierbei die Arbeiten von Lave und Wenger (2003 [1991]), die in ethnographischen Studien herausgearbeitet hatten, dass Lernen in Communities of Practice bzw. im Rahmen von Apprenticeship eingebettet ist in Praktiken der gemeinsamen Herstellung von Arbeitsprodukten. Durch die Partizipation an verschiedenen Arbeitstätigkeiten und Aufgaben erwerben die Akteure Kenntnisse, Haltungen und Fertigkeiten ebenso wie Maßstäbe zur Bewertung der Arbeitsergebnisse. Diese Studien beschreiben eine Form des Lernens, die sich an der praxis- und situationsbezogenen Übernahme von Handlungskompetenzen orientiert. Es geht um Lernen im Rahmen einer Novizen-Experten- bzw. Lehrlings-Meister-Interaktion, um Lernen durch Apprenticeship (Billett 2016) im Rahmen von spezifischen Handlungskontexten. Diese zeichnen sich dadurch aus, dass die Anforderungen meist klar strukturiert sind. Zugleich wird unterstellt, dass das zur Bewältigung der Arbeitsaufgaben erforderliche Wissen bei den erfahrenen Mitarbeitenden vorhanden ist und durch Zeigen oder Erläuterungen weitergegeben werden kann.

Im Gegensatz zu solchen Lernarrangements, in denen es um den Erwerb von Mitspielfähigkeit (Alkemeyer und Buschmann 2017) geht, betont der neuere Diskurs zu den Formen und Bedingungen von Arbeit eine zunehmende Komplexität von Arbeitsaufgaben (Eurofound 2017; Marsick et al. 2022) und damit die Notwendigkeit selbstbestimmten Problemlösens und den Umgang mit neuen Herausforderungen. Aus dieser Perspektive kann es beim arbeitsbezogenen Lernen nicht (mehr) nur darum gehen, sich Wissen durch die Vermittlung anderer oder durch die Beobachtung konkreter Arbeitsprozesse anzueignen.Footnote 1 Stattdessen erscheint ein Verständnis von Lernen sinnvoll, das über den Prozess der Aneignung von Wissen hinaus auch das konstruktive Generieren von neuem Wissen einschließt – wie dies etwa Tynjälä (2008) vorschlägt:

„In this view, learning is seen as the creation of new knowledge. Learning is considered a social process, as in the participation views, but the aim of participation is not to socialise people into existing practices, but to develop new practices. In this way the knowledge creation metaphor integrates the cognitive and social aspect of learning.“ (Tynjälä 2008, S. 131)

Bezogen auf die aktuelle Situation des Lernens (nicht nur) im Kontext von Arbeit scheint es daher wichtig, Konzepte zu entwickeln, die Menschen dazu befähigen, neben der Anwendung vorhandenen Wissens auch neues Wissen zu generieren.

Hinsichtlich der pädagogischen Unterstützung von Lernprozessen stand lange Zeit die Gestaltung formaler Trainings im Zentrum der Aufmerksamkeit. Unterdessen werden zunehmend auch nonformale und informelle Modi des Lernens am Arbeitsplatz in den Blick genommen. Entsprechend gilt neben der Entwicklung individueller Kompetenzen etwa zu selbstorganisiertem Lernen (Schaper 2021) oder zur Förderung der Problemlösefähigkeit in expliziten Trainings und Weiterbildungen auch die pädagogische Gestaltung des Arbeitsplatzes als geeignete Möglichkeit zur Unterstützung von Lernprozessen (Billett et al. 2016). In diesem Zusammenhang unterscheidet etwa Dehnbostel (2015) arbeitsgebundenes Lernen (z. B. Instruktion im realen Arbeitsprozess), arbeitsverbundenes Lernen (z. B. betriebliche Erkundungen) und arbeitsorientiertes Lernen (z. B. durch Simulation von Arbeitsprozessen) als Formen betrieblichen Lernens. Darüber hinaus erscheint auch die Differenzierung von lernförderlichen Arbeitsformen und arbeitsgebundenen Lernformen instruktiv (vgl. Schröder 2009; Brüggemann et al. 2010).

Während die genannten Lernformen allerdings noch recht stark pädagogisch gestaltet sind, wird seit einigen Jahren dem informellen Lernen eine zunehmende Aufmerksamkeit geschenkt (hierzu schon Marsick 2015 [1987]; Marsick und Watkins 1990; Marsick und Neaman 2018; für den frühen deutschsprachigen Diskurs vgl. Molzberger und Overwien 2004; Molzberger 2007).Footnote 2 Damit eröffnete sich eine Perspektive, die den Arbeitsplatz als Lernort in den Blick nimmt – als Ort der Entwicklung „of individuals through contributing to knowledge, skills and the capacity to further their own learning both as employees and citizens in the wider society“ (Boud und Garrick 1999, zit. nach Manuti et al. 2015, S. 3).

Anknüpfend an diesen Diskurs – ebenso wie an eigene theoretische und empirische Arbeiten zur Analyse von Lernprozessen Erwachsener (Hof 2022; Hof und Bernhard 2022; Hof und Rosenberg 2018) – haben wir uns auf die Suche nach dem Lernen am Arbeitsplatz begeben. Dabei gehen wir davon aus, dass detaillierte Einblicke in die Lernaktivitäten einen interessanten empirischen Beitrag zu den Formen arbeitsbezogenen Lernens liefern und zugleich Anknüpfungspunkte für die Unterstützung des Lernens im Kontext von Arbeit bieten können.

3 Konzeption der Untersuchung und methodisches Vorgehen

Angesichts der Tatsache, dass es zwar einen breiten Forschungsstand zum Lernen im Kontext von Arbeit gibt, aber nur wenige Studien Lernpraktiken aus der Perspektive der Lernenden in den Blick nehmen, entschieden wir uns für ein exploratives Forschungsdesign. Im Rahmen offener, leitfadengestützter Interviews fragten wir erwerbstätige Personen aus unterschiedlichen beruflichen Kontexten nach den Formen und Bedingungen des Lernens im Kontext von Arbeit. Es ging uns darum, Situationen und Strukturen zu rekonstruieren, die für die einzelnen Akteure lernrelevant sind. Basierend auf der pragmatistischen Lerntheorie Deweys (1986 [1933], 1993 [1915], 1988 [1938]) gehen wir davon aus, dass Menschen neues Wissen generieren, wenn in herausfordernden Situationen ihr vorhandenes Wissen irritiert wird und sie sich in die Lage versetzt sehen, neue Sichtweisen und/oder neue Handlungsweisen einsetzen zu müssen, um die irritierende Situation zu bewältigen.

Der Bezug auf Dewey ermöglicht nicht nur einen Anschluss an den erziehungswissenschaftlichen Lerndiskurs (vgl. hierzu etwa Göhlich et al. 2014), sondern er verweist vor allem auch auf die Situativität bzw. Kontextualität von Lernen, wie es in der Diskussion um das Workplace Learning herausgestellt wurde. Lernen wird hier als individueller Reflexions- und Problemlösungsprozess begriffen, der in konkrete Handlungskontexte eingebettet ist. Im Kontext von Arbeitsprozessen bedeutet dies, dass Lernen grundlegend als relationiert zu den je spezifischen Handlungsproblemen und Handlungsbedingungen verstanden wird. Lernen ist demzufolge zu begreifen als sozial eingelagerte Praktik.

Die empirisch fundierte Untersuchung der Praktiken des Lernens im Kontext von Arbeit kann damit Studien ergänzen, die ihren Fokus auf die äußeren Rahmenbedingungen, etwa die Lernförderlichkeit des Arbeitsplatzes (Dehnbostel 2007, 2010; Frieling und Schäfer 2016), die organisationale Lernkultur (Richter et al. 2020) oder die individuellen Voraussetzungen der Akteure (Kädtler und Richter 2018; Richter 2020) richten. Denn die Untersuchung von Praktiken des Lernens interessiert sich für die Aktivitäten der Personen. Diese werden im Anschluss an praxistheoretische Grundannahmen (Reckwitz 2003) weniger als Ausdruck individueller Intentionen und Handlungspläne angesehen, sondern als Ergebnis sozial-situativ eingebetteter Handlungsroutinen und Möglichkeitsräume. Kemmis et al. (2014) sprechen in diesem Zusammenhang von Praxisarchitekturen: „The practice architectures that enable and constrain practices exist in three dimensions parallel to the activities of saying, doing and relating. They constitute enabling and constraining preconditions for the conduct of practices“ (S. 31).

Um Einblick in möglichst vielfältige Lernaktivitäten zu bekommen, wurden im Frühjahr 2020 leitfadengestützte Interviews mit Mitarbeitenden in unterschiedlichen Arbeitskontexten geführt. Die Teilnehmenden wurden nach ihren arbeitsbezogenen Herausforderungen, die Formen der Bewältigung durch Lernen sowie die vorhandenen und gewünschten Unterstützungsstrukturen gefragt. Entsprechend dem explorativen Charakter der Studie erschien eine offene Samplingstrategie angemessen, verbunden mit dem Ziel, einen möglichst heterogenen Personenkreis zu interviewen. Die Interviewenden nutzten alle denselben Leitfaden, um eine Vergleichbarkeit sicherzustellen. Der Leitfaden basiert auf den lerntheoretischen Prämissen und enthält Fragen zur Person, zur beruflichen Tätigkeit, zu Herausforderungen im Arbeitszusammenhang einschließlich den Formen und Unterstützungsangeboten zu ihrer Bewältigung. Um das Lernen im Kontext von Arbeit detaillierter zu erfassen, wurden die Interviewten explizit aufgefordert, Lernmomente fernab formaler Weiterbildungskontexte zu schildern.

Die Auswertung der transkribierten und anonymisierten Interviews erfolgte anhand der inhaltlich strukturierenden Inhaltsanalyse nach Kuckartz. Diese zielt darauf ab, inhaltliche Aspekte zu identifizieren, zu konzeptualisieren und dadurch systematisch zu beschreiben (vgl. Kuckartz 2018, S. 48). Der Prozess wurde durch Einsatz der QDA-Software MaxQDA Analytics Pro 2020 unterstützt – wobei dieses Programm vor allem für die offene thematische Kodierung der Interviews und die daran anschließende Kategorienbildung eingesetzt wurde. Die Verdichtung und Systematisierung der gefundenen Kodes erfolgte gleichermaßen als induktiver und deduktiver, also an den Daten und der Forschungsfrage orientierter Prozess. Auch die Entwicklung der unterschiedlichen Ausprägungen (Kategorien) ist Ergebnis eines interativen Analyseprozesses.

Dieses Vorgehen sollte gewährleisten, dass die Auswertung offen bleibt für die Erfassung unterschiedlicher Lernherausforderungen und ihrer Bewältigung, anstatt dass sie bereits durch vorgegebene Auswertungskodes eingeschränkt wird. Gleichwohl zeigt sich im Ergebnis, dass nicht im erhofften Maße neue Herausforderungen oder Lernpraktiken genannt wurden.

Beschreibung der Stichprobe

Insgesamt wurden im Rahmen des Forschungsprojekts 49 erwerbstätige Personen interviewt. Es gab keine Einschränkungen bezüglich der Berufsgruppen oder des Alters. 29 Personen geben an, sich dem weiblichen Geschlecht zugehörig zu fühlen, 19 Personen ordnen sich dem männlichen Geschlecht zu und eine Person weder dem weiblichen noch dem männlichen Geschlecht (non-binär). Die Interviewten sind zwischen 21 und 63 Jahre alt, wobei die meisten Personen zwischen 21 und 29 Lebensjahre zählen und sich ein Altersdurchschnitt von 35 Jahren ergibt. Im Mittel arbeiten die Personen seit sieben Jahren für die jeweiligen Arbeitgeber, wobei die längste Spanne der Arbeitsjahre 49 Jahre und die kürzeste etwa sechs Monate beträgt.Footnote 3 Hinsichtlich der wöchentlichen Arbeitszeit geben etwas mehr als die Hälfte (55 %) an, Vollzeit tätig zu sein. Die übrigen Personen arbeiten in Teilzeit. Vier Personen sehen in ihrer Tätigkeit eine Führungsverantwortung, wobei keine Person angibt, selbstständig zu sein. Der größte Teil der Befragten (41 %) arbeitet bei einem Arbeitgeber, welcher weniger als 50 Mitarbeitende anstellt.

Orientiert an der Berufskategorisierung der Bundesanstalt für ArbeitFootnote 4 lässt sich festhalten, dass zum Zeitpunkt des Interviews fünf Personen in IT- und naturwissenschaftlichen Dienstleistungsberufen arbeiteten. 17 Teilnehmende waren in kaufmännischen und unternehmensbezogenen Dienstleistungsberufen tätig. Mit 20 Personen ist die Gruppe, welche im Feld der personenbezogenen Dienstleistung arbeitete, am größten. Fünf Personen sind Produktionsberufen zuzuordnen und zwei den sonstigen Dienstleistungsberufen.

Die Arbeitsweise der Teilnehmenden kann bei 20 Personen als größtenteils alleine und bei 11 Personen als vermehrt im Team arbeitend beschrieben werden. Besonders zu beachten ist hier allerdings eine hohe Zahl an Personen, welche nicht eindeutig zugeordnet werden konnten.

Das soziodemografische Merkmal Bildung beziehungsweise Bildungshintergrund wird durch eine offene Frage zum höchsten Bildungsabschluss erfasst und daraufhin in vier Kategorien unterteilt. Über die Hälfte der Beteiligten (58 %) hat ein Studium abgeschlossen. Mit etwa 37 % der Teilnehmenden ist die Gruppe der Personen mit abgeschlossener Ausbildung am zweitstärksten vertreten. Zwei Teilnehmende befinden sich zum Befragungszeitpunkt noch in Ausbildung oder Studium und eine Person kann einen ausländischen Abschluss vorweisen, welcher allerdings nicht in Deutschland anerkannt ist.

Insgesamt lässt sich damit festhalten, dass die Befragten recht unterschiedliche Arbeitssituationen repräsentieren.

4 Ergebnisse

4.1 Herausforderungen und ihre Bearbeitungsformen

Wie schon erläutert, wurden die Interviewpartnerinnen und -partner nach den arbeitsbezogenen Herausforderungen und ihrer Bewältigung gefragt. Aus den Antworten ließen sich vier unterschiedliche Arten von Herausforderungen bzw. Lernanlässen differenzieren:

  1. 1.

    Aufgabenbezogene Herausforderungen

  2. 2.

    Soziale Herausforderungen

  3. 3.

    Personenbezogene Herausforderungen

  4. 4.

    Organisationale Herausforderungen

4.1.1 Aufgabenbezogene Herausforderungen

Aufgabenbezogene Herausforderungen beziehen sich vor allem auf technische Probleme, die Übernahme von Führungsaufgaben sowie neue und komplexe Aufgaben, weil „man dann die neue Technik einbauen muss, umbauen muss und sich da dann immer wieder mit den neuen Sachen auskennen muss“ (13, Pos. 37). Außerdem „gibt [es] immer wieder Herausforderungen im Sinne, dass man fachliche Herausforderungen hat. Also fachliche Dinge verstehen muss“ (30, Pos. 46). „[D]ie Schwierigkeit besteht denke ich darin, das Wissen sich immer wieder neu anzueignen oder am Ball zu bleiben halt, weil es doch immer viel an Neuerungen gibt“ (11, Pos. 42).

Fachliche Herausforderungen werden hier von den Befragten primär als Problem des fehlenden Wissens gedeutet, dem durch verschiedene Formen der Informationsbeschaffung, etwa im Internet, in der Fachliteratur oder in internen Datenbanken, zu entgegnen ist.

„In der Regel, indem ich im Internet darüber nachlese oder mir die bereits vorhandenen Unterlagen aus älteren Zeiten genau durchgelesen habe.“ (4, Pos. 56)

Erst wenn das individuelle Nachdenken und die individuelle Recherche keinen Erfolg verspricht, werden Kollegen, Kolleginnen oder Vorgesetzte angefragt: „Wenn man da nicht weiterkommt oder einfach einen Knoten hat, dann tauscht man sich aus. Das klappt sehr gut“ (30, Pos. 31).

„Vorgehen in verschiedenen Schritten: zuerst Austausch mit der Kollegin direkt im Büro, falls die nicht behilflich sein kann, wird das weitere Team hinzugezogen. Bei hochspeziellen Fragen [gibt es] die Möglichkeit, sich Informationen über das System bei einem externen Spezialisten einzuholen.“ (7, Pos. 14)

„Wenn es in der Arbeit keinen gibt, dann stelle ich die Fragen meinen Mitbewohnern, sind ja auch Ingenieure, und ansonsten muss man halt dann gucken. Ich bin schon eher der Typ der dann erstmal Fragen stellt.“ (13, Pos. 53)

Eine etwas indirektere Form der sozial eingebetteten Aneignung von Wissen ergibt sich aus der Teilnahme an Teamsitzungen und dem aufmerksamen Zuhören:

„Ich bin ja die jüngste im Team und ganz oft, wenn man sich mit den älteren im Team unterhält, dann hat man manchmal so einen AHA-Effekt. Wo du dir so denkst: Ahja! Ach so deshalb! OK! Ich habe da richtig oft so ne kleine Erleuchtung und lerne da auch immer so richtig dazu. Und merke, man kann sich auch aufgrund von dem, was andere erzählen, viel abgucken. Und lernt dann sich erwachsener und strukturierter zu verhalten.“ (2, Pos. 38)

Kolleginnen und Kollegen dienen dabei nicht nur zur Vermittlung von Wissen, sondern auch zum gemeinsamen Problemlösen:

„Ich hatte auch heute genau so einen Fall. Wir haben getroubleshootet, da waren zwei Kollegen dabei aus unterschiedlichen Bereichen, die unterschiedliche Produkte machen. Der eine hat ein sehr breit gestreutes Wissen und der war dabei, um nochmal Gedankenstützen zu geben und zu sagen: ‚Ah, habt ihr da mal nachgeschaut? Ist euch das noch eingefallen?‘. Genau, eine gemeinsame Herangehensweise. … Und man hofft halt, dass man zusammen ne Lösung findet. Und heute hat es geklappt, aber keiner weiß warum. Aber wir wären nicht Techniker, wenn wir uns nicht fragen würden, warum geht es jetzt auf einmal und warum ging es davor nicht?“ (3, Pos. 36)

Neben dem individuellen Recherchieren und dem Einholen von Rat bei Kolleginnen und Kollegen sowie bei Expertinnen und Experten wird auch das ‚learning by doing‘ angesprochen.

„Da gibt mir keiner vor und sagt, so sieht der Fahrplan aus, sondern da muss ich mir selber einen Plan zusammenlegen und gucken, welche Leute ich ansprechen muss, gucken, wer sind die Ansprechpartner, welche Leute können mir das beibringen.“ (30, Pos. 59)

Wenn etwa eine neue Aufgabe ansteht und keine Kolleginnen oder Kollegen da sind, die einen unterstützen können, befinden sich Befragte in einer Situation, in der sie improvisieren müssen. Dies kann so vollzogen werden, dass die Personen Problemlösungen einfach ausprobieren und testen, ob das gewünschte Ergebnis eintritt (Versuch und Irrtum), oder indem sie sich einen mehr oder weniger detailliert durchdachten Plan zurechtlegen und diesen umsetzen.

„So verlief der Erfahrungsprozess ‚meistens schmerzhaft. Z. B. du hast einen Auftrag mit einem Hersteller Produkt, mit dem du noch nie gearbeitet hast. Dann brauchst du z. B. Unterstützung und guckst in die Liste und es ist keiner da, der dir helfen kann. (…) Dann muss man abwägen. (…) dir ne Priorität dafür bauen‘“. (3, Pos. 34)

Der Handlungsplan („abwägen“) kann so aussehen, dass die Aufgabe liegen bleibt, bis am nächsten Tag die kompetenten Kolleginnen und Kollegen wieder da sind und sich der Aufgabe annehmen. Er kann aber auch in der Entwicklung eines Konzepts zur Problemlösung bestehen, das dann umgesetzt und in seinem Ergebnis evaluiert wird. Auf diese Weise kann der oder die Einzelne „ein Gefühl für Fehler und Verbesserung“ entwickeln (43, Pos. 93).

Learning by doing – als Form der Bearbeitung von aufgabenbezogenen Herausforderungen – wird demzufolge mehr oder weniger stark planend und reflexiv gestaltet.

„Im Prinzip ist es immer so wenn ich reflektiere, also wenn ich teste, wie gut die Suppe ist, dann reflektiere ich im Endeffekt ja das Ergebnis meines Kochens, also immer, wenn ich mir anschaue, mir sozusagen das Ergebnis noch einmal genauer anschaue und dann eben feststelle, wie es dazu geführt hat und ob es dann gut war oder nicht gut war. Dadurch habe ich dann gelernt.“ (14, Pos. 60)

Neben Defiziten im deklarativen Wissen und dadurch initiierte Lernprozesse wird auch das Fehlen von Wissen um Verhaltensweisen (prozedurales Wissen) als Lernanlass interpretiert. Als wichtige Lernform erweist sich hier das ‚Beobachtungslernen‘. Durch die Zusammenarbeit und das Zusammensein mit Kolleginnen oder Kollegen ist es möglich, Vorgehensweisen von anderen kennenzulernen, sich ihre Arbeits- und Vorgehensweisen ‚abzuschauen‘.

„Das heißt, es findet ja eigentlich diese Wissensaneignung … durch Beobachtungen (statt). Wie andere mit gewissen Sachen umgehen. Also es ist ja viel auch was unterschwellig läuft, was ich jetzt gar nicht so genau benennen kann, wo ich einfach lerne, dadurch dass ich einen Kollegen oder eine Kollegin sehe oder eine Publikation von einem Kollegen sehe und ich sehe, wie andere Arbeitsbereiche Projekte behandeln und unterschwellig fließen da Sachen ein, wie ich mit meinem Projekt weiter umgehe.“ (32, Pos. 51)

Insgesamt lässt sich an dieser Stelle festhalten, dass die Herausforderung fehlenden Wissens dadurch bewältigt wird, dass individuelle Recherche durchgeführt wird, Kommunikation mit Kolleginnen und Kollegen oder externen Expertinnen und Experten anberaumt sowie Handlungsstrategien beobachtet und übernommen werden. Hilfreiche Unterstützungsstrukturen sind Datenbanken, direkte Ansprechpartner und Netzwerke ebenso wie kooperative Arbeitsstrukturen.

4.1.2 Soziale Herausforderungen

Neben aufgabenbezogenen Lernanlässen werden auch verschiedene soziale Herausforderungen thematisiert. Dabei nehmen neben der pandemiebedingten Situation des Home Office die Interaktionen mit Kolleginnen und Kollegen in den Interviewerzählungen einen großen Raum ein – so werden etwa Rassismus am Arbeitsplatz oder die Charaktervielfalt als Ursachen für Konflikte und eine schlechte Arbeitsatmosphäre benannt (34, Pos 33, 31, Pos 30). „Ja, also die größte Herausforderung, glaube ich, ist das ganze Zwischenmenschliche (I: Ok), das auszubalancieren“ (6, Pos. 4).

Auch die Kommunikation mit Vorgesetzten kann zu Unmut und Frustration führen – etwa wenn diese das Team und seine Kompetenzen und Vorschläge nicht ernst nehmen

„und dann kommt der Chef und weiß es besser und trifft Entscheidungen, obwohl ein Team da ist, das es besser weiß und sagt, nein die Entscheidung macht so keinen Sinn. Und das ist schon eine große Herausforderung, da manchmal nicht durchzudrehen.“ (13, Pos. 47)

Darüber hinaus ergeben sich auch aus dem Umgang mit Kundinnen und Kunden nicht immer einfache Situationen: „also die Kunden zu beruhigen. Es kommen doch immer wieder ganz verzweifelte Leute zu uns“ (11, Pos. 46).

Im Hinblick auf die Frage, wie die Menschen mit solchen Herausforderungen umgehen, zeigt sich eine deutliche Individualisierung von Problemlagen. So verweisen die Befragten auf die Notwendigkeit einer Arbeit an sich selbst. Es geht darum, ‚Grenzen zu setzen‘ (34, Pos. 33) oder die erforderliche Gelassenheit zu entwickeln.

Als mögliche Unterstützung des Umgangs mit solchen Herausforderungen wird insbesondere aus dem Feld der sozialpädagogischen Arbeit der Hinweis auf die Unterstützung durch kollegiale Beratung oder Supervision gegeben:

„Ja wie gesagt es gibt dieses Entscheidungsgremium, in dem man sich auch ein Stück weit beraten lassen kann, also das ist eine Möglichkeit. Also es gibt natürlich die Möglichkeit der kollegialen Beratung ähm mit Kollegen. Es gibt ein Supervisionsangebot für Fälle, also um sich nochmal über Supervision einer Situation zu nähern oder das zu besprechen in dem Rahmen.“ (9, Pos. 4)

4.1.3 Personenbezogene Herausforderungen

Darüber hinaus werden personenbezogene Herausforderungen angesprochen. Diese reichen von der individuellen Arbeitsorganisation bis zum Selbstmanagement im Arbeitsalltag. Herausgestellt wird die Tatsache, dass die eigenen Kompetenzen nicht geeignet sind, um die Arbeit zufriedenstellend zu verrichten. Bedeutsam scheinen hier die Fähigkeit zu selbständigem Arbeiten, Selbstführung, Auseinandersetzung mit eigenen Ansprüchen und (fehlendem) Wissen.

Bei der Bewältigung solcher personenbezogener Herausforderungen spielt die Selbstfürsorge eine zentrale Rolle. Primär werden hier Strategien beschrieben, den Arbeitsinhalt und die damit einhergehenden Herausforderungen und eventuell konflikthafte Aspekte nicht zu sehr an sich persönlich ranzulassen und ein förderliches Nähe-Distanz Verhältnis zwischen Arbeit(-sinhalt) und Privatleben herzustellen. Diese Strategien werden beispielsweise in Form von achtsamkeitsbasierten Methoden vor dem Arbeitsbeginn oder auch währenddessen, also im direkten alltäglichen Arbeitsgeschehen eingesetzt.

Um eine Gelassenheit im Umgang mit Anforderungen von Klientel und Kundschaft oder Kolleginnen und Kollegen zu ermöglichen, wird das Motto herausgegeben: „Ruhig bleiben und versuchen, sich zusammen zu reißen“ (18, Pos. 47) bzw. das eigene Wohlempfinden zu reflektieren (19, Pos. 51). Darüber hinaus geht es um die Regulierung des Nähe-Distanz-Verhältnisses und das heißt eine Reduktion der Kommunikation mit Kolleginnen und Kollegen auf die arbeitsbezogene Sachebene. Die Ausblendung sozialer und emotionaler Themen wird dabei als Form der Selbstfürsorge interpretiert. Auch die mangelnde Selbstorganisationsfähigkeit stellt eine Hürde für viele Befragte dar. Nicht nur, weil sie sich zeitlich selbst strukturieren müssen, sondern auch weil sie ihre Aufgaben immer wieder neu zu priorisieren haben.

Die Wahrnehmung solch persönlicher Herausforderungen kann dazu führen, dass die Menschen kündigen, sich also nicht lernend mit der Situation auseinandersetzen. Andere verweisen darauf, dass sie mit der Zeit gelernt haben, damit umzugehen: „Man lernt zu sortieren und zu priorisieren; dass man die Arbeit von oben nach unten straight forward abarbeitet“ (3, Pos. 32).

4.1.4 Organisationale Herausforderungen

Nicht zuletzt „gibt (es) Situationen, da ist man einfach überfordert, weil man einfach zu viel Arbeit hat, so“ (3, Pos. 32). Derartige organisationale Herausforderungen im Arbeitskontext reichen von der Arbeitsbelastung über Personalmangel bis hin zu fehlender Infrastruktur. Damit erweist sich die Arbeitssituation als Herausforderung für die Person. Hier wird auf Zeitdruck und Über‑/Unterforderung verwiesen. Infolgedessen zeigen sich Frust und Überforderung am Arbeitsplatz.

Auch fehlende direkte Kontakte werden als Problem benannt:

„eine der großen Herausforderungen durch die Corona-Zeit und zum anderen natürlich, dass du deine Teammitglieder nicht wie sonst direkt am Arbeitsplatz antriffst und mal schnell irgendwelche Gespräche oder Themen mal so zwischen Tür und Angel so diese Flurgespräche führen kannst in der Cafeteria oder so, sondern du musst tatsächlich für irgendwelche Themen den Hörer in die Hand nehmen, zu einem Online-Meeting einladen oder E‑Mails schreiben und dadurch ist so dieses gesamte, der gesamte Wissenstransfer innerhalb des Unternehmens ein bisschen schwieriger und man kann dadurch, dass diese Zwischengespräche nicht da sind, bei denen man ja meisten, also das ist bei mir zumindest so, nicht nur ein Thema anspricht, das jetzt im Projektgeschäft jetzt irgendwie gerade relevant ist, sondern dann nochmal irgendwie ja, wie hast denn du das gemacht, was hast du denn damals irgendwie gelernt und da eben diesen Wissenstransfer, das gemeinsame Weiterentwickeln oder der Austausch der fehlt dann natürlich und das ist merkbar.“ (10, Pos. 40)

Organisationale bzw. strukturelle Herausforderungen können allerdings nicht durch Lernen bearbeitet werden, sondern erweisen sich eher als Bedingungen für fehlende Motivation und Frustration.

4.2 Formen des Lernens im Kontext von Arbeit

Mit Blick auf den Umgang mit den genannten Herausforderungen zeigen sich vielfältige und heterogene Bearbeitungsweisen. Diese reichen von Selbstmanagement und selbstständiger Informationsbeschaffung durch Recherche und Beobachtung über den Einbezug von Kolleginnen und Kollegen, Führungskräften oder anderen Expertinnen und Experten bis hin zu gemeinsamen Formen der Wissensgenerierung.

Dabei lassen sich individuelle und sozial eingelagerte Lernprozesse unterscheiden. Diese beziehen sich zum einen – und in den hier präsentierten Aussagen der Interviewpartnerinnen und -partner zu einem besonders großen Teil – auf die Aneignung von Wissen und Handlungsweisen.

Darüber hinaus zeigen die Interviews aber auch, dass die Lernenden individuell – etwa durch selbstständige Reflexion – und durch gemeinsames Nachdenken und Weiterdenken mit Anderen neues Wissen und alternative Problemlösungen generieren.

Der oben eingeführte Vorschlag, Lernen nicht nur als Aneignung oder Partizipation, sondern auch als Form der Generierung von Wissen zu begreifen, scheint sich in der Empirie zu bestätigen und ermöglicht eine Dimensionierung verschiedener Formen und Modi des Lernens im Kontext von Arbeit (vgl. hierzu auch die graphische Darstellung in Abb. 1).Footnote 5

Abb. 1
figure 1

Formen des Lernens im Kontext von Arbeit

Die Abbildung differenziert individuelle und soziale Formen des Lernens und grenzt darüber hinaus Wissensaneignung und -generierung voneinander ab:

Individuelle Formen des Lernens können stärker auf die Aneignung und Übernahme von (vorhandenem) Wissen und Kompetenzen oder auf die Generierung von (neuem) Wissen ausgerichtet sein. Entsprechend unterscheiden sich auch die Lernpraktiken. Lesen, Recherchieren und Beobachten wurde in den Interviews als Möglichkeiten der Informationsaufnahme beschrieben, welche der Suche und Übernahme von Kenntnissen dienen. Demgegenüber wird das eigenständige Ausprobieren, Analysieren und Reflektieren von Fehlern, Situationen und Problemen als Grundlage für die Erarbeitung neuer Handlungskonzepte genannt.

Während bei individuellen Formen der Aneignung und Generierung von Wissen die eigenständigen Lernaktivitäten im Vordergrund stehen, zeichnen sich sozial unterstützte Formen des Lernens dadurch aus, dass sie in soziale Interaktionen eingebettet sind.

Als Praktiken der sozial unterstützten Aneignung lassen sich das Vermitteln, Zeigen und Vormachen nennen. Solche Praktiken finden sich im Rahmen formaler Weiterbildungsangebote und Trainings ebenso wie in der Partizipation an gemeinsamen Arbeits- und Besprechungssituationen. Darüber hinaus verweisen die Daten auf die Bedeutung von Gesprächen im privaten Umfeld, organisationsexternen Kontakten oder beruflichen Netzwerken. All diese Praktiken können die Aneignung neuen Wissens unterstützen.

Der Austausch und die Zusammenarbeit mit Kolleginnen und Kollegen dient aber nicht nur der Vermittlung und Aneignung vorhandenen Wissens, sondern ist auch bedeutsam für die Generierung neuen Wissens, neuer Sichtweisen und Problemlösungsstrategien:

„es macht auch Spaß mit den Kollegen an Problemen zu arbeiten und meistens lernt man dann untereinander sich nochmal besser kennen. Zum einen und zum anderen ist es auch ganz schön, die Sicht oder die Perspektive von Anderen zu sehen. Wie sie an das Problem rangehen. Das ist auf jeden Fall ein Lernaspekt, den man da mitnimmt.“ (3, Pos. 26)

Als bedeutsam für die gemeinsame Entwicklung von neuen Perspektiven und Handlungsstrategien sind Gespräche und gemeinsames Troubleshooting, aber auch strukturierte Formen der Problembearbeitung und/oder Konzeptentwicklung zu nennen (z. B. agiles Projektmanagement oder die Methode des Design Thinking).

Mit Blick auf die zeitliche Abfolge ist auffallend, dass individuelle Lösungsstrategien zuerst abgerufen und dann erst Kolleginnen und Kollegen, Vorgesetzte oder andere Expertinnen und Experten in die Lösungsfindung mit einbezogen werden: „Der Ansatz ist schon häufig so: ‚Guck’s dir erst mal an und schau mal, was du selber kannst‘“ (30, Pos. 55).

Eine Strategie zur Bewältigung von Herausforderungen bewegt sich demzufolge von individuell zu zunehmend kollektiv.Footnote 6 Zuerst wird eigenständig nach Lösungen gesucht, dann werden Kolleginnen und Kollegen mit einbezogen oder auch das größere Team und gegebenenfalls auch die Vorgesetztenebene und anschließend externe Stellen oder Expertinnen und Experten. Darüber hinaus kommt es auch vor, dass das Fragen von Kolleginnen oder Kollegen nicht nur eine Hilfe bei der Aneignung fehlenden Wissens darstellt, sondern auch in seiner Bedeutung für die Generierung neuen Wissens erkannt wird:

„Viel durch Kommunikation mit meinem engsten Kleinteam. Dass wir da gemeinsam das absprechen, immer die Information, also wenn wir merken, da gibt es jetzt ein Problem oder da passiert was, das auch abzusprechen, gemeinsam zu gucken, wie man da jetzt mit umgehen kann.“ (32, Pos 36)

4.3 Bedingungen für das Lernen im Kontext von Arbeit

Die herausgearbeiteten Lernformen verweisen auch auf Bedingungen für das Lernen im Kontext von Arbeit. Hier lassen sich individuelle, institutionelle und sozial-interaktive Faktoren unterscheiden.

Auf der individuellen Seite der Lernenden wird von den Interviewten Neugierde benannt und die Bereitschaft, sich neuen Situationen zu stellen, Fragen zu stellen, Eigeninitiative, Lernen aus Fehlern, Selbstorganisationsfähigkeit und Selbstfürsorge – aber auch bestimmte personale Voraussetzungen wie Stressresistenz oder Konfliktfähigkeit.

„Ich bin auch einfach ein sehr stressresistenter oder konfliktresistenter Mensch, glaube ich. Gerade was so den Arbeitsbereich zumindest angeht. Und kann da einfach sehr gelassen rangehen und sagen ‚Ok, gut ich kann dich jetzt hier schimpfen lassen und dann frage ich nochmal nach: was brauchst du denn gerade, welche Infos fehlen dir‘ und versuche es auf ne konstruktive Ebene zu holen. Und da hilft die Erfahrung tatsächlich sehr und aber auch die Erfahrungen aus meinem letzten Job.“ (31, Pos. 32)

„Die Lernmöglichkeit kriegst du natürlich am meisten, wenn du ins kalte Wasser springst und Aufgaben annimmst äh mutig bist und Aufgaben annimmst, die du eben noch nicht kannst.“ (5, Pos. 6)

Daneben werden institutionelle Aspekte angesprochen, insbesondere die Bedeutung einer abwechslungsreichen Tätigkeit, aber auch die Notwendigkeit einer Arbeitsatmosphäre, in der Fragen und Fehler erlaubt sind sowie Konzepte gemeinsam diskutiert und reflektiert werden können.

Auf der sozial-interaktiven Ebene wird die Möglichkeit zum Austausch im Kleinteam und ein offenes Ohr der Teamleitung bzw. Führungskraft angemahnt.

Insgesamt spiegeln sich hier die bereits in der Literatur angesprochenen Bedingungen des arbeitsbezogenen Lernens wider.

5 Diskussion und Ausblick

Die vorgelegte Studie intendiert, das Lernen im Kontext von Arbeit aus der Perspektive der erwerbstätigen Personen in den Blick zu nehmen und dabei die wahrgenommenen Herausforderungen und Lernaktivitäten zu beleuchten. Das an der pragmatistischen Lerntheorie orientierte Vorgehen fundierte einen Interviewleitfaden, in dem nach Irritationen und deren Bewältigung gefragt wurde. Dadurch wird Lernen nicht primär als individueller Informationsverarbeitungsprozess konzipiert, sondern es kann die situative Einbettung individueller Lernerfahrungen berücksichtigt werden – eine Perspektive, die sich auch in der aktuellen Diskussion um die Besonderheiten des workplace learning zeigt (vgl. Abschn. 2).

Der empirisch-explorative Blick auf die Arbeits- und Lernerfahrungen der befragten Personen kann zeigen, mit welchen unterschiedlichen Problemen Menschen in ihrer Arbeit konfrontiert sind. Mit diesen wird in vielfältiger und kreativer Weise umgegangen. Wobei sich nicht alle Formen des Umgangs mit Herausforderungen als Lernen beschreiben lassen. Denn Lernen manifestiert sich in einer Veränderung des Selbst- und Weltbezugs (vgl. Göhlich et al. 2014) bzw. in einer Veränderung von Wissen, Fähigkeiten und/oder Fertigkeiten. Wenn Menschen sich aber mit den angesprochenen Herausforderungen nicht näher beschäftigen und damit keine Auseinandersetzung und keine Veränderung von Wissen oder Können stattfindet, dann lässt sich nicht von Lernen sprechen. Dies zeigt sich etwa, wenn Menschen Probleme in ihrem Arbeitsumfeld wahrnehmen und mit innerer oder äußerer Kündigung reagieren.

Die inhaltsanalytische Auswertung der Interviews ermöglichte eine Systematisierung in aufgabenbezogene, soziale, personenbezogene und organisationale Herausforderungen und darauf bezogene Lernaktivitäten.

Die vorgelegte empirische Analyse von Lernaktivitäten erwerbstätiger Personen sollte als Ausgangspunkt dienen, um pädagogische Konzepte zur Unterstützung des Lernens im Kontext von Arbeit weiterzuentwickeln. Diese Differenzierung kann als Bezugspunkt herangezogen werden, um Unterstützungsmaßnahmen auszuarbeiten.

Gerade arbeitsbezogene Herausforderungen wurden vielfach als Probleme des fehlenden Wissens interpretiert. Pädagogische Unterstützungsmaßnahmen hätten hier die Aufgabe, über geeignete Formate zur Bereitstellung von Informationen nachzudenken. Dies könnte neben fachlichen Schulungen (online oder in Präsenz) und der Bereitstellung von Daten oder Informationsportalen auch Möglichkeiten der Kommunikation mit erfahrenen Mitarbeitenden oder Vorgesetzten beinhalten.

Um neben deklarativem Sachverhaltswissen auch Einblick in konkrete Arbeitsprozesse zu gewinnen, erscheint die Möglichkeit zur Beobachtung bzw. zur Partizipation an Arbeitsprozessen – etwa in Form von Hospitationen, Shadowing, der Teilnahme an Projektsitzungen und dem Austausch mit Kolleginnen und Kollegen sinnvoll. Entsprechende Maßnahmen können der Einsicht Rechnung tragen, dass Lernen im Kontext von Arbeit in bedeutendem Maße im Rahmen der Partizipation an konkreten Arbeitsvollzügen stattfindet. Damit die Auseinandersetzung mit neuen Informationen oder Aktivitäten aber auch als Lernmoment wahrgenommen und zu einer Veränderung von Wissen und Verhalten führt, bedarf es einer reflexiven Vergegenwärtigung (vgl. hierzu etwa Dehnbostel 2004; Eraut 2004; auch Dinkelaker 2007; Hof 2016). Um dies zu unterstützen, könnten Mitarbeitende aufgefordert werden, sich über arbeitsbezogene (Lern‑)Erfahrungen auszutauschen und sowohl problematische als auch erfolgreiche Prozesse zu explizieren und miteinander zu teilen. Zu nennen wären hier beispielsweise selbstorganisierte Vorträge, Diskussionen, Blogbeiträge, Podcasts oder die Produktion von Lernvideos, Workshops, etc.

Der Umgang mit sozialen und personenbezogenen Herausforderungen könnte durch das Angebot von Trainings zur Konflikt- und Stressbewältigung oder zum Selbstmanagement ebenso wie durch die Etablierung eines sozialen Raums für informellen Austausch sowie persönliche Beratung, Coaching oder Mentoring unterstützt werden.

Bezüglich der genannten organisationalen Herausforderungen ist zu sagen, dass diese im Grunde genommen nicht mit individuellen Lernprozessen beantwortet werden können. Hier wären organisationale Veränderungen und damit organisationales Lernen erforderlich. Gleichwohl erscheint die beschriebene Individualisierung organisationaler Defizite als Anlass für die Reflexion der Möglichkeiten und Grenzen pädagogischer Interventionen und lernender Bearbeitung von strukturellen Problemen.

Neben einer Systematisierung der Herausforderungen konnte die Studie auch eine Dimensionierung der Formen des Lernens im Kontext von Arbeit entwickeln. Dabei ließen sich zum einen individuelles und sozial eingelagertes Lernen unterscheiden und zum anderen konnte gezeigt werden, dass Lernen auch von den Befragten nicht nur als Aneignung von Wissen, sondern auch als Generierung neuen Wissens konzipiert wurde.

Das empirisch fundierte Modell (vgl. Abb. 1) erweist sich damit als anschlussfähig an lerntheoretische Überlegungen, die zwar das Lernen als kognitiven Aneignungs- und Reflexionsprozess von einem Lernen durch Teilhabe an sozialen Praktiken unterscheiden, zugleich aber darauf hinweisen, dass beide Lernkonzepte nicht getrennt werden dürfen (z. B. Sfard 1998; auch Hof und Bernhard 2022).

Blickt man auf die vielfältigen Lernaktivitäten der Befragten dann ist zunächst zu beachten, dass explorative Studien keine Aussagen zur Quantität – und auch nicht zur Qualität – des Lernens erlauben. Dennoch lässt sich konstatieren, dass die Ergebnisse die Vielfalt und Unterschiedlichkeit der Lernaktivitäten, die die Befragten praktizieren, sehr deutlich zeigen. Sie lernen, indem sie sich individuell neues Wissen und/oder neue Handlungspraktiken aneignen oder indem sie gemeinsam mit Anderen neue Problemlösungen entwickeln, indem sie durch andere informiert werden oder sich selbsttätig reflexiv mit irritierenden Situationen auseinandersetzen. Diese Einsichten ermöglichten die Systematisierung unterschiedlicher Lernformen, die als Bezugspunkt für die Weiterentwicklung von Konzepten zur Unterstützung von Lernen im Kontext von Arbeit dienen können. Neben der Unterscheidung von individuellen und sozial unterstützen Lernformen wurde auch die Differenzierung von Lernen als Aneignung und Lernen als Generierung von Wissen betont.

Für die Weiterentwicklung pädagogischer Konzepte zur Unterstützung von Lernen im Kontext von Arbeit lässt sich daraus folgern, dass es nicht nur darum gehen kann, individuelle oder sozial unterstütze Lernprozesse zu fördern – wie dies oben schon dargelegt wurde. Vielmehr gilt es, auch über Wege der Generierung neuen Wissens nachzudenken. Angesichts der beschriebenen Erfahrungen der Befragten erscheint es diesbezüglich sinnvoll, die Reflexionskompetenzen der Mitarbeitenden zu stärken und Gelegenheiten zur gemeinsamen Entwicklung von Problemlösungsstrategien und Konzepten zu schaffen. Ein bekanntes und in unterschiedlichen Formen realisierbares Angebot stellt die Organisation von Arbeit in Form eines Projektes dar (klassisch, agil usw.). Da diese Form der Arbeitsorganisation nicht für jede Arbeitstätigkeit realisierbar ist, könnten Mitarbeitende die Möglichkeit erhalten, tätigkeitsübergreifende Projekte zu initiieren bzw. sich an diesen zu beteiligen (Innovationsprojekte, Ehrenämter usw.). Hackathons bzw. HackdaysFootnote 7 werden als ein alternatives Format zur Unterstützung der individuellen wie sozialen Wissensgenerierung diskutiert, da hier Probleme zumeist in Eigenregie gelöst werden sollen (Meyer und Taddicken 2019).

Ungeachtet der beschriebenen Vielfalt unterschiedlicher Lernaktivitäten fällt auf, dass viele der Befragten arbeitsbezogene Herausforderungen zunächst individuell bearbeiten. Erst wenn die individuellen Bewältigungsformen nicht mehr funktionieren, wird eine Unterstützung durch andere gesucht. Dies kann verschiedene Formen annehmen – seien es Ratschläge von Kolleginnen und Kollegen oder Vorgesetzten, Austausch im Team oder systematische Unterstützung durch Mentoren und Mentorinnen, Coaches oder Supervision.Footnote 8 Diese Befunde könnten zum einen darauf hinweisen, dass in der Vorstellung der Menschen Lernen primär als individueller und weniger als sozio-kultureller Prozess verstanden wird. Die Verantwortung für Lernen wird entweder dem Lehrenden zugewiesen oder aber – wenn es um Lernen außerhalb formaler Lehr-Lern-Settings geht – dem Lernenden selber. Die Berücksichtigung aller in der Studie genannten Lernpraktiken zeigt aber, dass auch das Lernen durch Teilhabe an gemeinsamen Arbeitsprozessen relevant ist. Dies gilt es bei der pädagogischen Gestaltung von Lernmöglichkeiten im Kontext von Arbeit zu berücksichtigen und hierzu entsprechende Unterstützungsformate zu entwickeln.

Zum anderen lässt sich aus den Interviewdaten ableiten, dass Lernen in erster Linie als Aneignen von solchem deklarativen und prozeduralen Wissen verstanden wird, das im Arbeitszusammenhang schon bekannt ist. Entsprechende Lerngelegenheiten werden nicht nur im Rahmen formaler Bildungsangebote verortet. Auch dem sozialen Austausch bzw. der Unterstützung durch Kolleginnen und Kollegen bzw. Expertinnen und Experten, wie sie insbesondere in der pandemiebedingten Situation des Home Office nicht mehr zur alltäglichen Selbstverständlichkeit gehörte und daher explizit gestaltet werden musste, wird eine große Bedeutung für die Weitergabe entsprechenden Wissens beigemessen.

Sowohl aus den Interviews als auch aus den Studien zum Wandel der Arbeitsanforderungen (z. B. Eurofound 2017) wird deutlich, dass der Umgang mit offenen Fragen und damit das Generieren von Wissen zunehmend bedeutsamer wird.

Die empirische Exploration der Praktiken des Lernens im Kontext von Arbeit eröffnet damit nicht nur Einsichten in individuelle Lernaktivitäten, sondern verweist auch auf die Bedeutung der sozialen und auch institutionellen Rahmenbedingungen – und dabei auf das Wechselverhältnis bzw. die Relationierung von lernendem Subjekt und Lernumgebung. Das entwickelte Modell der Formen des Lernens im Kontext von Arbeit ist damit anschlussfähig an Arbeiten, die die grundlegende Verschränkung von individuellem Engagement und praktischen Partizipationsmöglichkeiten betonen (siehe oben Abschn. 2).

Als Implikation für die Entwicklung von Konzepten zur Förderung von Lernen im Kontext von Arbeit ergibt sich daraus die Notwendigkeit, neben der Unterstützung der einzelnen Lernenden auch die Gestaltung der betrieblichen oder organisationalen Lernumgebung in den Blick zu nehmen. Anknüpfen ließe sich beispielsweise an Fuller und Unwin (2004), die expansive und restriktive betriebliche Lernorte unterscheiden, oder an Arbeiten, die sich mit den Reflexionsmöglichkeiten im Arbeitskontext befassen (Bolte und Neumer 2021). Auch das Konzept der Praxisarchitekturen (Kemmis et al. 2014) könnte weiterführend sein, um die Möglichkeitsräume des Lernens im Kontext von Arbeit weiterzuentwickeln.

Nicht zuletzt zeigen die empirischen Ergebnisse, dass die Vielfalt der Lernformen groß ist: alle Befragten sprechen über Lernaktivitäten. Wenn alle lernen – und mit Poell (2014) lässt sich hinzufügen: unterschiedliche Perspektiven auf und Erwartungen an Lernen haben –, dann besteht die pädagogische Aufgabe nicht nur darin, arbeitsbezogenes Lernen durch die Bereitstellung von lernförderlichen Rahmenbedingungen zu unterstützen. Vielmehr müsste es auch darum gehen, das individuelle Lernen der Menschen zu begleiten. Anstatt beim Lernsupport an den spezifischen Arbeitserfordernissen anzusetzen, wären dann die individuellen Lernbedürfnisse und -wege der Menschen in den Blick zu nehmen. Es gelte also zu fragen: Mit welchen spezifischen Herausforderungen sind die Menschen konfrontiert? Welche Lernmöglichkeiten sind am Arbeitsplatz – oder durch die Organisation vermittelt – vorhanden? Welche Lernorientierungen und lernbezogenen Präferenzen haben sie? Wie sieht die konkrete Relationierung von Lernen und Leben, Lernen und Arbeiten aus? All diese Fragen könnten die Grundlage dafür darstellen, individuelle Kompetenzentwicklungsprozesse zu fördern. Marsick et al. (2022) sprechen in diesem Zusammenhang von einer Entwicklung vom arbeitsbasierten Lernen zum lernbasierten Arbeiten – verstanden als „work that privileges learning in order to build individual and organizational capacity to better address emergent challenges or opportunities“ (S. 177). Vor diesem Hintergrund zeigt sich auch die Bedeutung individualisierter Lernberatung und vielfältiger Lernunterstützung im Arbeits- und Organisationskontext, welche über formelle Anforderungen und somit eine Qualifizierungsberatung hinausgeht (Gehlen-Baum und Illi 2019; Höhne et al. 2017).

Es lässt sich somit festhalten, dass die vorgelegte empirisch fundierte Dimensionierung des Lernens im Kontext von Arbeit zwar keine grundlegenden neuen Einsichten in die Formen des Lernens ermöglicht, wohl aber eine systematisierende Dimensionierung. Durch diese kann die Unterstützung arbeitsbezogenen Lernens und lernbezogenen Arbeitens weiterentwickelt werden. Dabei richtet sie das Augenmerk nicht nur auf die Vermittlung und Aneignung vorhandenen Wissens, sondern auch auf Möglichkeiten der Generierung von neuem Wissen und neuen Problemlösungen.