Zusammenfassung
Der Körper bzw. dessen gesellschaftliche und individuelle Bedeutung unterliegt in unseren (westlichen) Gesellschaften einem erheblichen Wandel. Dabei rücken aktuell die virulenten Forderungen nach Inklusion vermehrt vielfältige, teilweise neue Auffassungen von Körper in den gesellschaftlichen Fokus. Diese Veränderungen sind für die Schule als Sozialisationsinstanz von hoher Bedeutung; insbesondere im Schulsport werden sie am und mit dem Körper für alle Beteiligten sicht- und erfahrbar. Ausgehend von einer körpersoziologisch begründeten Differenzierung – in Auffassungen des Körpers als Objekt einerseits sowie subjektivierenden Perspektiven andererseits – verfolgt der Beitrag das Anliegen, die Körperbilder von Sportlehrkräften innerhalb dieses Spannungsfeldes zu verorten und vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklungen zu diskutieren. Datengrundlage ist eine Interviewstudie mit 49 nordrhein-westfälischen Lehrkräften. Eine typenbildende qualitative Inhaltsanalyse des erhobenen Materials macht insgesamt eine Neigung der Lehrkräfte zu objektivierenden Körperbildern sichtbar. Gleichwohl zeigen Differenzierungen anhand von Schulform, Berufserfahrung, Vorerfahrungen mit inklusivem Unterricht und Geschlecht äußerst unterschiedliche Tendenzen.
Abstract
The body as well as its social and individual meaning are undergoing considerable changes in western societies. Thereby, the current demands for inclusion are increasingly bringing a number of different and sometimes new views of the body into the focus of our society. These changes are of great importance for the socialization function of schools; especially in physical education classes, these are visible on and experienced with the body by all participants. Starting with a differentiation that is based on sociology of the body – in the concepts of the body as an object, on the one hand, and subjective perspectives, on the other – this article aims to identify body images of physical education teachers in this broad area and discusses these against the background of current developments. Interviews with 49 teachers in North Rhine-Westphalia form the basis for the data. A type-generating qualitative content analysis of the collected material makes it possible to identify a teacher’s inclination towards objectifying body images. At the same time, very different tendencies based on school form, work experience, and previous experience with inclusive teaching, and gender are found.
Notes
Auf die Differenzierung zwischen Körper und Leib kann im Rahmen des Beitrags nicht näher eingegangen werden (vgl. hierzu u. a. Gugutzer, 2015).
Nicht alle Befragten haben ein Sportstudium absolviert; deren exakter Anteil ließ sich jedoch nicht ermitteln: Zwei gaben an, fachfremd zu unterrichten, andere hielten sich diesbezüglich bedeckt.
Die Interviews entstanden im Zuge einer Studie zu Haltungen von Lehrkräften im Kontext (inklusiven) Sportunterrichts im Jahr 2014 (Ruin & Meier, 2015). Der Themenbereich Körper stellt einen von insgesamt drei zentralen Bereichen dar, denen sich die Interviews widmen; die vorliegenden Analysen fokussieren explizit auf den Bereich Körper, wenngleich die gesamten Interviews als Datengrundlage für die Analyse herangezogen werden.
In der Stichprobe sind alle relevanten Kriterien abgebildet, keinesfalls ist diese aber repräsentativ. So sind zwar die Schulformen anteilsmäßig grob repräsentiert (mit tendenziellem Übergewicht der Gymnasien und Untergewicht der Förderschulen), der reelle Frauenanteil in der gesamten Sportlehrerschaft NRWs liegt jedoch mit 67 % deutlich höher und die Verteilung der Regierungsbezirke ist in der Stichprobe ebenfalls verschoben zugunsten des Kölner Bezirks (Information und Technik Nordrhein-Westfalen, 2014).
Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass sich nicht alle Interviewten gleichermaßen im Zentrum des ihnen zugewiesenen Typs befinden; so müssen 22 der 49 Interviews als etwas vom jeweiligen Zentrum entfernt angesehen werden. Gewissermaßen verdeckt die Typisierung also diverse Feinheiten und Nuancen.
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Ruin, S. Vielfältige Körper?. Ger J Exerc Sport Res 47, 221–231 (2017). https://doi.org/10.1007/s12662-017-0452-5
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