Zusammenfassung
Internationalisierung ist ein Politikum in der deutschen Hochschulpolitik. Auch in der Lehre, Forschung und Praxis Sozialer Arbeit wird eine größere Orientierung an internationalen Diskursen gefordert. Aufgrund rasant anwachsender Forschungsergebnisse wird es zunehmend schwerer, sich einen systematischen Überblick über disziplinäre Wissensbestände zu verschaffen. In diesem Beitrag wird die Entwicklung der interaktiven Webseite SWORM („Social Work Research Map“, www.sworm.org) beschrieben, die den Zugang zu wissenschaftlichen Publikationen der Sozialen Arbeit erleichtern soll. Hierfür wurde eine Datenbank von knapp 25.000 Zeitschriftenbeiträgen aus 23 einschlägigen Fachzeitschriften erstellt. Mithilfe automatisierter Analysemethoden (quantitative Textanalyse/Topic-Modeling), wurden die Abstracts untersucht und in 40 thematische Cluster strukturiert. Unterschiedliche Visualisierungstechniken und Filterfunktionen ermöglichen den Nutzer*innen ein eigenständiges Durchsuchen der Datenbank anhand des individuellen Erkenntnisinteresses. Einzelne Suchergebnisse können dabei gesichert werden, wobei ein auf künstlicher Intelligenz basierendes Empfehlungssystem ähnliche Publikationen vorschlägt. Die Entwicklung von SWORM ist ein Beispiel für den Einsatz computerwissenschaftlicher Methoden in der Sozialen Arbeit und verdeutlicht das Potenzial, große Textmengen zu strukturieren und für den Menschen zugänglich zu machen. Gleichzeitig wird deutlich, dass die Anwendung entsprechender Methoden für Sozialwissenschaftler*innen sehr hochschwellig ist und mit dem Einsatz von künstlicher Intelligenz ethische Probleme aufgeworfen werden.
Abstract
Internationalisation is a central topic in higher education policy in Germany. An orientation towards international discourses is also required in the teaching, research and practice of social work. Due to rapidly growing research results, obtaining a systematic overview of disciplinary knowledge is becoming increasingly difficult. This paper describes the development of an interactive website called Social Work Research Map (SWORM, www.sworm.org), which should facilitate access to scientific publications in social work. For this purpose, a database with almost 25,000 journal articles from 23 social work journals was created. With the help of automated text analysis (topic modeling), the abstracts were examined and structured into 40 thematic clusters. Different visualisation techniques and filter functions enable users to search the database independently according to their corresponding interests. Individual search results can be saved, and an artificial-intelligence-based recommendation system suggests similar publications. The development of SWORM is an example of the use of computer science methods in social work and illustrates the potential of structuring large amounts of text and making it accessible to people. At the same time, it becomes clear that the application of such methods is challenging for social scientists and that the use of AI raises ethical problems.
Avoid common mistakes on your manuscript.
1 Ausgangslage
In den letzten Jahren hat die Internationalisierung der Sozialen Arbeit an Bedeutung gewonnen und ist aus der Hochschulpolitik nicht mehr wegzudenken (u. a. Laging et al. 2017; Nagy et al. 2019; Straub 2012). Auch wenn internationale Kooperationen in Lehre und Forschung gängige Praxis sind, zeichnet sich die deutschsprachige Soziale Arbeit in vielerlei Hinsicht durch eine relative Unverbundenheit zu internationalen Diskussionen aus (Ghanem et al. 2017; Lorenz 2012). Zwar lässt sich die Diagnose eines „methodologischen Nationalismus“ (Köngeter 2009) auf die heutige Soziale Arbeit nicht ohne Weiteres übertragen, da Themen wie Transnationalität, Postkolonialismus oder Überlegungen zu einer Europäischen Sozialen Arbeit zunehmend diskutiert werden (z.B. Schröer und Schweppe 2020). Dennoch erscheinen diese Perspektiven unverändert als Sonderfall im Rahmen disziplinärer Diskurse. Auch wenn die Soziale Arbeit eine hohe nationalstaatliche Strukturiertheit aufweist, hat die Kenntnisnahme und Adaption internationaler Erkenntnisse das Potenzial, wertvolle Impulse für die deutschsprachige Soziale Arbeit zu geben, zumal zu vielen wissenschaftlichen Fragestellungen auch in anderen Ländern Forschung betrieben wird, und auch, weil internationale und vergleichende Perspektiven es erlauben, die spezifischen Potenziale und Grenzen der eigenen Forschung zu identifizieren (Lorenz 2012) sowie spezifische transnationale Übersetzungsprozesse wissenschaftlichen Wissens besser verstehen zu können (für die Übersetzung der deutschsprachigen Sozialpädagogik in unterschiedlichen europäischen Ländern vgl. z. B. Eßer 2020).
Der Einbezug internationaler Wissensressourcen in der Sozialen Arbeit wird nicht nur durch die überwiegend deutschsprachige Publikationskultur erschwert. Zudem wird es immer schwieriger, einen Überblick über die englischsprachigen Diskurse zu erhalten, da sich diese inhaltlich ausdifferenzieren und die Anzahl an Publikationen und Zeitschriften in den letzten 30 Jahren einen starken Zuwachs verzeichnen (Eckl et al. 2019; Perron et al. 2017). Gerade für Studierende ist die Identifikation von Literatur erschwert, da diese in unterschiedlichen Datenbanken indexiert ist, eine präzise Suche über die Bibliothekssysteme gewisse Kompetenzen voraussetzt (Brophy und Bawden 2005) und die Datenbanken unterschiedliche Anforderungen an den Suchprozess stellen (z. B. unterschiedliche Operatorensysteme). Vor diesem Hintergrund beabsichtigt das Projekt SWORM (Social Work Research Map – www.sworm.org) einen niederschwelligen Zugang zu internationaler Literatur zu schaffen, indem Zeitschriftenabstracts thematisch vorstrukturiert und so in Lehre, Forschung und Praxis genutzt werden können.
2 Social Work Research Map
SWORM repräsentiert die Ergebnisse einer quantitativen Textanalyse basierend auf der Latent Dirichlet Allocation (LDA) von Blei et al. (2003). Diese bekannteste Methode im Bereich des sogenannten Topic-Modelings erlaubt es große Textkorpora automatisiert zu analysieren und Themen zu identifizieren, die in den zu untersuchenden Dokumenten vorkommen. Für eine Einführung in die methodischen Grundlagen und Anwendung im Kontext der Sozialen Arbeit verweisen wir auf Eckl und Ghanem (2020). Die Analyse von semantischen Strukturen in großen Textkorpora mittels Topic-Modeling wurde in der Sozialen Arbeit bereits für szientometrische Forschungen (Eckl et al. 2020) sowie für Analysen von Social-Media-Daten (Rodriguez und Storer 2020) und Onlineforen (Ghanem et al. 2021) genutzt. Diese Forschungsprojekte haben gemeinsam, dass die Analysen computerwissenschaftliches Expert*innenwissen voraussetzen und es sich somit um einen relativ hochschwelligen Forschungsansatz handelt. Die Idee hinter SWORM liegt in der Verbindung von Topic-Modeling mit einem Webinterface, das Nutzer*innen erlaubt, den Datensatz interessenspezifisch zu analysieren und Publikationen je nach individuellem Interesse zu identifizieren.
Die Datengrundlage von SWORM umfasst 24.472 Zeitschriftenabstracts inklusive der jeweiligen Metadaten (z. B. Autor*innen, Publikationsjahr, Zitationen) aus 23 einschlägigen Fachzeitschriften der Sozialen Arbeit. Zunächst wurden die Abstracts aus den Zeitschriften herangezogen, deren Prestige von Sozialarbeitswissenschaftler*innen am höchsten bewertet wurden (Hodge et al. 2020).Footnote 1 Da in dieser Studie ausschließlich US-amerikanische Wissenschaftler*innen befragt wurden und die Ergebnisse nur eingeschränkt mit zitationsbasierten Qualitätsindikatoren für Zeitschriften korrelieren (Hodge et al. 2021), haben wir diese Liste mit den Journal-Impact-Faktoren aus 2019 verglichen (Clarivate Analytics 2019). Diese Citations Reports weisen jedoch Zeitschriften der Sozialen Arbeit nicht gesondert aus. Um dennoch die meist zitierten Zeitschriften identifizieren zu können, haben wir uns an den in der Social Work Research Database (Perron et al. 2017) gelisteten Zeitschriften orientiert. Dadurch konnten wir 3 ZeitschriftenFootnote 2 hinzufügen, die in der Studie von Hodge et al. (2020) nicht beinhaltet waren. Die Abstracts und Metadaten dieser 23 Zeitschriften wurden automatisiert über die Datenbank ScopusFootnote 3 heruntergeladen und reichen von 1959 bis 2021. Der Zugriff auf die Datenbank erfolgte über ein durch Scopus zur Verfügung gestelltes Application Programming Interface (API) – eine Schnittstelle für Entwickler*innen, welche es ihnen erlaubt, mit geringem Aufwand Datenbankabfragen zu schicken. Die heruntergeladenen Daten wurden mithilfe der LDA analysiert (Blei et al. 2003). Damit kann ein großer Textkorpus untersucht werden, woraus automatisiert Wortlisten generiert werden können, die jeweils ein spezifisches Thema repräsentieren (vgl. Eckl und Ghanem 2020). Ein wichtiger Parameter ist dabei die Anzahl an zu ermittelnden Themen. Für den zugrundeliegenden Korpus wurde ein Modell mit 40 Topics herangezogen.Footnote 4 Um die Ergebnisse des Topic-Modelings in eine zweidimensionale Karte zu überführen wurde „T-distributed stochastic neighbor embedding“ (t-SNE; Maaten und Hinton 2008) verwendet, welches sich besonders für diese Art der Datenvisualisierung eignet. Das Verfahren zielt darauf ab, Datenpunkte so abzubilden, dass dabei die Ähnlichkeitsbeziehungen zwischen den Punkten so gut wie möglich erhalten bleiben. Das Ergebnis dieser Analysen ist auf www.sworm.org einzusehen (Abb. 1). Diese interaktive Webseite besteht aus 4 Tabs (Abb. 1 Nr. 1). Auf der Landingpage „Home“ wird der Hintergrund des Projekts erläutert. Dort ist auch ein ca. 4‑minütiges Videotutorial eingebunden, in dem die zentralen Funktionen und Handhabung erläutert werden. Das Herzstück stellt die Seite „Map“ dar, auf der die Ergebnisse des Topic-Modelings visualisiert werden (Abb. 1 Nr. 2). Jeder Punkt in dieser Karte stellt eine Publikation dar, wobei die Punkte farblich voneinander abgegrenzt und geclustert sind. Jedes Cluster repräsentiert eines der 40 Themen, die in der Legende rechts neben der Karte gelistet sind (Abb. 1 Nr. 3). Die wenigsten Publikationen lassen sich ausschließlich nur einem Thema zuordnen. Beispielsweise weisen Publikationen im Cluster „Qualitative Research & Identity“ durch ihr methodologisches Vorgehen eine thematische Nähe auf, wobei sich die Studien meist mit unterschiedlichen Gegenständen beschäftigen und somit auch mit anderen Topics in Verbindung stehen (z. B. „Child Poverty“ oder „Working Conditions“). Daher stellen die Cluster lediglich eine erste und grobe Einteilung dar. Eine gezieltere Literatursuche ermöglicht die Filterfunktion auf der linken Seite (Abb. 1 Nr. 4). In der Suchleiste können Suchbegriffe eingegeben werden, wobei dadurch nur noch die Punkte in der Karte angezeigt werden, die mit diesem Begriff assoziiert sind. Zudem kann die Suche eingeschränkt werden durch die Eingrenzung des Publikationszeitraums („Publication Date“) oder durch die Bestimmung einer minimalen oder maximalen Anzahl an Zitationen. Nutzer*innen können die Suche außerdem auf bestimmte Zeitschriften, Themen („Topics“) oder auf Länder beschränken, aus denen die Erstautor*innen stammen. Die Karte mit den eingegrenzten Publikationen kann anschließend mit dem Cursor genauer untersucht werden. Hierfür können unterschiedliche Zoomfunktionen rechts über der Karte ausgewählt werden. Ist das rechte Symbol „Hover“ aktiviert, öffnet sich bei Berührung des Cursors mit einem Punkt ein Fenster mit den zentralen Informationen zu dieser Publikation inklusive des Abstracts. Durch Klicken auf die Publikation werden diese Informationen dauerhaft in der rechten Spalte gelistet (Abb. 1 Nr. 5). Das Beispiel in Abb. 1 zeigt, dass nicht nur Publikationsdaten erscheinen, sondern auch die Ergebnisse des Topic-Modelings („LDA Topic[s]“). Die in der Abbildung exemplarisch ausgewählte Veröffentlichung wurde zum Cluster „Systematic Review“ hinzugefügt, da es sich mit einer Wahrscheinlichkeit von 44,1 % um eine systematische Literaturanalyse handelt. Gleichzeitig wird die Information gegeben, dass die Publikation auch mit dem Thema „Evidence-Based Social Work“ in Verbindung steht.
Am Ende dieser Auswahlspalte („Selection“) befindet sich ein Button, der es erlaubt, die ausgewählte Publikation in einer individuellen Merkliste zu speichern („Add to Library“). Um diese Funktion nutzen zu können, ist ein Login erforderlich. Hierfür sind lediglich ein Pseudonym und ein Passwort nötig. Mit dieser Funktion verbunden ist ein auf maschinellem Lernen basierendes Recommender-System, das Nutzer*innen anhand ihrer Merkliste weitere Artikel vorschlägt, um sie so zusätzlich bei der Suche nach Artikeln aus dem jeweiligen Interessengebiet zu unterstützen. Das diesem System zugrundeliegende Modell ist eine Support-Vector-Machine (SVM; Cortes und Vapnik 1995), welche allgemein genutzt werden kann, um ein Zwei-Klassen-Klassifikationsproblem zu lösen, bei welchem zwischen zwei verschiedenen Gruppen unterschieden werden sollen. In unserem Fall bestehen diese Gruppen aus (A) den Artikeln welche auf der Merkliste stehen, und (B) solchen, die es nicht tun. Dazu wird anhand eines mathematischen Verfahrens eine Entscheidungsgrenze bestimmt, so dass Artikel aus Gruppe A (möglichst) auf der einen Seite der Grenze liegen, und die aus Gruppe B auf der anderen. Artikel aus Gruppe B, die (also nicht auf der Merkliste stehen und) den geringsten Abstand zu dieser Entscheidungsgrenze haben werden den Nutzer*innen empfohlen, da sie den Artikeln aus Gruppe A tendenziell ähnlich sind.
Die Webseite wird durch einen renommierten deutschen Cloud-Anbieter gehostet, entspricht den Vorgaben der Datenschutzgrundverordnung, und alle Daten werden in Deutschland gespeichert. Das Angebot verzichtet bewusst auf Tracking-Technologien oder Cookies, welche nicht unbedingt für den Betrieb oder die Sicherheit des Dienstes erforderlich sind. Den zum Abrufen, Verarbeiten und Bereitstellen des Dienstes verwendeten Quellcode stellen wir offen zur Verfügung.Footnote 5
3 Abschließende Reflexionen und Perspektiven
Auch wenn gerade in der Sozialen Arbeit berücksichtigt werden muss, dass wissenschaftliche Erkenntnisse in hohem Maße kontextspezifisch sind und die Soziale Arbeit nationalstaatlich gerahmt ist, wird immer wieder auf den Bedarf verwiesen, die deutschsprachige Soziale Arbeit für internationale Fachdiskurse zu öffnen und diese Wissensbestände bereits in der Ausbildung von Sozialarbeiter*innen einzubeziehen (u. a. Laging et al. 2017; Spitzer 2019). Hier setzt das Projekt SWORM an und beabsichtigt, einen niederschwelligen Zugang zu internationaler Literatur nicht nur für Studierende sondern auch für Forschende und Praktiker*innen zu schaffen. Welche Effekte die Nutzung von SWORM für bestimmte Zielgruppen (Studierende, Praktiker*innen, Lehrende, Forschende) hinsichtlich unterschiedlicher Wirkungen (Literaturüberblick, Motivation, Adaption in Forschung und Lehr‑/Praxis etc.) tatsächlich entfaltet, kann ohne empirischer Forschung (noch) nicht beurteilt werden.
Aus einer forschenden Perspektive konnte in dem Projekt aufzeigt werden, dass Topic-Modeling genutzt werden kann, um semantische Strukturen offenzulegen und Texte im Kontext der Sozialen Arbeit vorzustrukturieren. Der potenzielle Mehrwert für die forschende und sozialarbeiterische Praxis könnte vor dem Hintergrund bereits bestehender Literaturdatenbanken kritisch hinterfragt werden. Denn neben den eher sperrigen wissenschaftlichen Datenbanken gibt es mittlerweile auch die relativ einfache Möglichkeit der Literatursuche über Suchmaschinen wie Google Scholar. Jedoch weisen diese Ergebnisse eine sehr geringe Präzision in ihren Suchergebnissen auf (Gusenbauer und Haddaway 2020), was eine erfolgreiche Literatursuche erschwert. Sind Nutzer*innen an einschlägigen Veröffentlichungen aus der Sozialen Arbeit interessiert, ergibt eine Suche über SWORM alleine dadurch präzise Ergebnisse, dass die Datenbank ausschließlich auf Artikeln aus Zeitschriften der Sozialen Arbeit basiert. Der zentrale Mehrwert des Projekts liegt jedoch in der innovativen Verschränkung des Topic-Modelings mit Visualisierungstechniken. Während eine Topic-Modeling-Analyse das Beherrschen einer Programmiersprache erfordert, erlaubt die Verknüpfung mit einem intuitiven Webinterface in Verbindung mit einer Visualisierungstechnik auch Laien die zugrundeliegenden Daten zu analysieren und einen Überblick über große Datenmengen zu erhalten. Nutzer*innen können dadurch mit nur einem Befehl die Publikationen sichtbar machen, die mit ihrem eigenen Interessensgebiet in Verbindung stehen und diese Publikationen mit ausgewählten Parametern eingrenzen (z. B. Zitationshäufigkeit).
Die Entwicklung von SWORM ist ein Beispiel für den zunehmenden Einzug künstlicher Intelligenz (KI) in die Soziale Arbeit. Entsprechende Technologien werden nicht nur in der Forschung (Ghanem et al. 2021), sondern auch in der Praxis (Plafky et al. 2022) diskutiert und teilweise umgesetzt. Die damit in Verbindung stehenden Möglichkeiten bestimmte menschliche Prozesse (z. B. Gefährdungsbeurteilung im Kinderschutz) effektiver und effizienter (Kissos et al. 2020) zu gestalten, werden vor dem Hintergrund bestehender Probleme mit diesen Technologien notwendigerweise kritisch reflektiert. Görder (2021) fasst die hinlänglich bekannten Probleme aus einer ethischen Perspektive zusammen. Die Reproduktion von Diskriminierung, der Eingriff in die Selbstbestimmung von Subjekten und eine hohe Intransparenz der Entscheidungsfindung haben das Potenzial, ganz wesentlich in professionelle Handlungsvollzüge einzugreifen. Auch wenn der Einsatzbereich von SWORM auf den ersten Blick nicht besonders problematisch erscheinen mag, beinhaltet es ein Recommender-Systems, das durchaus auch ethische Fragen aufwirft. Beispielsweise limitiert es die Optionen, mit bestimmtem Wissen konfrontiert zu werden, und kann als aktiver Akteur bei der Entwicklung individueller Präferenzen und der Identitätsformung verstanden werden (Milano et al. 2020).Footnote 6 Den Nutzer*innen von SWORM bleibt jedoch die Möglichkeit, sich nicht für die persönliche Merkliste anzumelden und die Plattform ohne Recommender-System zu nutzen.
Auch wenn wir ein großes Potenzial hinsichtlich des methodischen Vorgehens als auch im Endprodukt für die Ausbildung und Praxis sehen, bleiben einige Fragen und Kritikpunkte bestehen. So haben wir im Text immer wieder über die Förderung des Zugangs zu internationaler Literatur gesprochen. Genauer betrachtet, erleichtert es den Zugang zur Primärliteratur wenn, dann nur mittelbar, da Volltexte nicht integriert sind und Paywalls nicht umgangen werden. Jedoch sind die doi-Links bei jeder Veröffentlichung angegeben, sodass Nutzer*innen zumindest direkt zum Fundort weitergeleitet werden und im Ideal- aber Ausnahmefall die Open-Access-Publikation öffnen können.
Darüber hinaus muss kritisch angemerkt werden, dass in diesem Projekt zwar die Förderung internationaler Wissensbestände propagiert wird, die Daten jedoch de facto Wissensbestände aus sehr vielen Ländern nicht oder kaum beinhaltet. Die Reduktion auf Publikationen auf Englisch, der Fokus auf sogenannte High-Impact-Zeitschriften und eine entsprechende Publikationskultur verbunden mit den nötigen Ressourcen führen dazu, dass 15.038 Veröffentlichung und somit 61 % aller Publikationen von Erstautor*innen aus den Vereinigten Staaten verfasst sind.
Zuletzt muss kritisch erwähnt werden, dass die Webseite nicht den Standards der Barrierefreiheit von Webseiten entspricht und dadurch Menschen von der Nutzung exkludiert werden. Diese Situation ergibt sich daraus, dass für die Erstellung der Webseite bereits programmierte Elemente (Python und JavaScript Packages) genutzt wurden. Für die Erstellung einer barrierefreien Seite hätten diese Bestandteile selbst programmiert werden müssen. Die hierfür notwendigen Mittel standen dem Projekt nicht zur Verfügung. Längerfristig wäre darüber nachzudenken, inwieweit SWORM auch als zumindest teilweise barrierefreie Webseite veröffentlicht werden könnte. Aktuell setzen wir uns auch mit der Nachhaltigkeit des Projekts auseinander. Da in den betrachteten Zeitschriften beständig neue Artikel veröffentlicht werden und sich die Relevanz von Zeitschriften mit der Zeit verändert, muss langfristig damit gerechnet werden, dass SWORM den Stand des wissenschaftlichen Diskurses nicht mehr abbildet. Während eine Aktualisierung der Daten sowohl automatisch als auch semiautomatisch möglich wäre, ergibt sich dabei das Problem, dass die verwendeten Verfahren (insbesondere t‑SNE) teilweise nicht hinreichend stabil sind und sich so die Karte unter Umständen stark verändern könnte. Über die Umsetzung dieser Optionen wurde noch nicht abschließend entschieden, da hierfür zunächst praktische Erfahrungen des Einsatzes von SWORM gesammelt werden sollen.
Notes
Social Service Review, Journal of the Society for Social Work and Research, Social Work, British Journal of Social Work, Social Work Research, Journal of Social Work Education, Families in Society, Journal of Social Service Research, Qualitative Social Work, Health and Social Work, Social Work in Health Care, Journal of Sociology and Social Welfare, Affilia: Journal of Women and Social Work, Journal of Gerontological Social Work, Child and Adolescent Social Work Journal, International Social Work, Journal of Community Practice, Journal of Social Work Practice, Journal of Teaching in Social Work.
Australian Social Work, European Journal of Social Work, Child & Family Social Work.
Mit freundlicher Genehmigung von Scopus dürfen die dadurch gewonnenen Daten auf unserer Webseite integriert werden.
Für die Entscheidung der Topicanzahl gibt es unterschiedliche Evaluationsmethoden (vgl. Eckl und Ghanem 2020). In diesem Überblickstext wird bewusst auf die Erörterung derartiger technischer und mathematischer Hintergründe verzichtet. Wer sich intensiver mit der Methode auseinandersetzten möchte, sei auf die Publikation von Blei et al. (2003) verwiesen.
Die Autor*innen haben auf Basis einer systematischen Literaturanalyse 6 Belastungen und Risiken von Recommender-Systemen identifiziert: (a) Intransparenz, (b) unfaire Empfehlungen, (c) negative soziale Effekte, (d) unangemessener Inhalt, (e) Eingriff in die Autonomie, Identität und (f) Privatheit. Auch wenn nicht alle Aspekte auf SWORM zutreffen (z. B. unangemessener Inhalt), können diese Kategorien als Reflexionsdimensionen beim Einsatz dieser Systeme herangezogen werden. An anderer Stelle haben wir bereits auf forschungsethische Probleme beim Einsatz von Topic-Modeling insbesondere auf Basis personenbezogener Daten verwiesen (Ghanem et al. 2022).
Literatur
Blei, D. M., Ng, A. Y., & Jordan, M. I. (2003). Latent Dirichlet allocation. The Journal of Machine Learning Research, 3, 993–1022.
Brophy, J., & Bawden, D. (2005). Is Google enough? Comparison of an internet search engine with academic library resources. Aslib Proceedings, 57(6), 498–512. https://doi.org/10.1108/00012530510634235.
Clarivate Analytics (2019). Journal citations reports. https://impactfactorforjournal.com/journal-impact-factor-list-2019/. Zugegriffen: 30. Dez. 2021.
Cortes, C., & Vapnik, V. (1995). Support-vector networks. Machine Learning, 20, 273–297.
Eckl, M., & Ghanem, C. (2020). Big Data, Textanalyse und Forschung in der Sozialen Arbeit. In N. Kutscher, T. Ley, U. Seelmeyer, F. Siller, A. Tillmann & I. Zorn (Hrsg.), Handbuch Soziale Arbeit und Digitalisierung (S. 625–638). Weinheim: Beltz Juventa.
Eckl, M., Ghanem, C., & Löwenstein, H. (2019). The evolution of social work from disconnected groups to a scientific community: a social network analysis. The British Journal of Social Work, 49, 428–447. https://doi.org/10.1093/bjsw/bcy050.
Eckl, M., Prigge, J., Schildknecht, L., & Ghanem, C. (2020). Zehn Jahre Soziale Passagen: Eine empirische Analyse ihrer Themen. Soziale Passagen, 12(1), 57–80. https://doi.org/10.1007/s12592-020-00346-1.
Eßer, F. (2020). Sozialpädagogik in transnationaler Übersetzung: Paul Natorp in his original German is the prize. In N. Engel (Hrsg.), Übersetzung: Über die Möglichkeit, Pädagogik anders zu denken (S. 139–152). Wiesbaden: Springer.
Ghanem, C., Lawson, T. R., Pankofer, S., Maragkos, M., & Kollar, I. (2017). The diffusion of evidence-based practice: Reviewing the evidence-based practice networks in the United States and German-speaking countries. Journal of Evidence-Informed Social Work, 14(2), 86–118. https://doi.org/10.1080/23761407.2017.1298074.
Ghanem, C., Eckl, M., Lehmann, R., & Widerhold, J.-P. (2021). „Irgendwie fühle ich mich als Angehörige alleine gelassen“. Eine automatisierte Analyse eines Onlineforums für Angehörige von Inhaftierten. In M. Wunder (Hrsg.), Digitalisierung und Soziale Arbeit: Transformationen und Herausforderungen (S. 240–254). Bad Heilbrunn: Klinkhardt.
Ghanem, C., Eckl, M., & Lehmann, R. (2022). Big Data und Forschungsethik. EthikJournal, 8(1), https://www.ethikjournal.de/ausgabe-12022/. Zugegriffen: 12. Okt. 2022.
Görder, B. (2021). Die Macht der Muster. Die Ethik der Sozialen Arbeit vor professionsbezogenen und gesellschaftlichen Herausforderungen durch ‚künstliche Intelligenz‘. Ethik Journal, 7(2), www.ethikjournal.de/ausgabe-22021/. Zugegriffen: 12. Okt. 2022.
Gusenbauer, M., & Haddaway, N. R. (2020). Which academic search systems are suitable for systematic reviews or meta-analyses? Evaluating retrieval qualities of Google Scholar, PubMed, and 26 other resources. Research Synthesis Methods, 11(2), 181–217. https://doi.org/10.1002/jrsm.1378.
Hodge, D. R., Yu, M., & Kim, A. (2020). Assessing the quality and prestige of disciplinary social work journals: a national study of faculty perceptions. Research on Social Work Practice, 30(4), 451–459. https://doi.org/10.1177/1049731519890402.
Hodge, D. R., Yu, M., & Kim, A. (2021). Ranking disciplinary social work journals: comparing faculty perceptions with two citation-based approaches. Journal of the Society for Social Work and Research, 12(1), 109–129. https://doi.org/10.1086/713306.
Kissos, L., Goldner, L., Butman, M., Eliyahu, N., & Lev-Wiesel, R. (2020). Can artificial intelligence achieve human-level performance? A pilot study of childhood sexual abuse detection in self-figure drawings. Child Abuse & Neglect, 109, 104755. https://doi.org/10.1016/j.chiabu.2020.104755.
Köngeter, S. (2009). Der methodologische Nationalismus in der Sozialen Arbeit in Deutschland. Zeitschrift für Sozialpädagogik, 7(4), 340–359.
Laging, M., Spilgies, J., & Waldenhof, B. (2017). Promoting international issues in social work education: a German case analyzed. European Journal of Social Work, 20(3), 337–348. https://doi.org/10.1080/13691457.2017.1283585.
Lorenz, W. (2012). Der deutschsprachige Diskurs der Sozialen Arbeit aus internationaler Perspektive. In W. Thole (Hrsg.), Grundriss Soziale Arbeit: Ein einführendes Handbuch (4. Aufl. S. 379–386). Wiesbaden: VS.
Maaten, L., & Hinton, J. (2008). Visualizing data using t‑SNE. http://jmlr.org/papers/v9/vandermaaten08a.html. Zugegriffen: 12. Okt. 2022.
Milano, S., Taddeo, M., & Floridi, L. (2020). Recommender systems and their ethical challenges. AI & Society, 35(4), 957–967. https://doi.org/10.1007/s00146-020-00950-y.
Nagy, A., Klein, A., & Schmid, C. (2019). International kooperative Studiengänge als Beitrag zur notwendigen Internationalisierung innerhalb der Sozialen Arbeit. www.soziales-kapital.at/index.php/sozialeskapital/article/viewFile/603/1087.pdf. Zugegriffen: 30. Dez. 2021.
Perron, B. E., Victor, B. G., Hodge, D. R., Salas-Wright, C. P., Vaughn, M. G., & Taylor, R. J. (2017). Laying the foundations for scientometric research: a data science approach. Research on Social Work Practice, 27(7), 802–812. https://doi.org/10.1177/1049731515624966.
Plafky, C. S., Kratz, N., Kuck, A., & Frischhut, H. (2022). KI-basierte Entscheidungsunterstützung in der Praxis Sozialer Arbeit. Unsere Jugend, 74(3), 115–121. https://doi.org/10.2378/uj2022.art16d
Rodriguez, M. Y., & Storer, H. (2020). A computational social science perspective on qualitative data exploration: Using topic models for the descriptive analysis of social media data. Journal of Technology in Human Services, 38(1), 54–86. https://doi.org/10.1080/15228835.2019.1616350.
Schröer, W., & Schweppe, C. (2020). Transnational social work. In F. Kessl, W. Lorenz, H.-U. Otto & S. White (Hrsg.), European social work—a compendium (S. 341–356). Opladen: Barbara Budrich.
Spitzer, H. (2019). Globale Herausforderungen und internationale Soziale Arbeit. www.soziales-kapital.at/index.php/sozialeskapital/article/viewFile/622/1091.pdf. Zugegriffen: 30. Dez. 2021.
Straub, U. (2012). Internationale Soziale Arbeit und Internationalisierung des Studiums. In W. Thole (Hrsg.), Grundriss Soziale Arbeit. Ein einführendes Handbuch (4. Aufl. S. 1101–1110). Wiesbaden: VS.
Funding
Open Access funding enabled and organized by Projekt DEAL.
Author information
Authors and Affiliations
Corresponding author
Additional information
Die Autoren haben die in diesem Beitrag präsentierte Webseite entwickelt, wobei keinerlei kommerzielle Interessen verfolgt werden. Der Quellcode der Seite ist in Fußnote 5 offengelegt. Das zentrale und ausschließliche Interesse ist, die Forschungslandschaft der Sozialen Arbeit leichter zugänglich und die Möglichkeiten computerunterstützter Analysemethoden für die Soziale Arbeit nutzbar zu machen.
Rights and permissions
Open Access Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz veröffentlicht, welche die Nutzung, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verbreitung und Wiedergabe in jeglichem Medium und Format erlaubt, sofern Sie den/die ursprünglichen Autor(en) und die Quelle ordnungsgemäß nennen, einen Link zur Creative Commons Lizenz beifügen und angeben, ob Änderungen vorgenommen wurden.
Die in diesem Artikel enthaltenen Bilder und sonstiges Drittmaterial unterliegen ebenfalls der genannten Creative Commons Lizenz, sofern sich aus der Abbildungslegende nichts anderes ergibt. Sofern das betreffende Material nicht unter der genannten Creative Commons Lizenz steht und die betreffende Handlung nicht nach gesetzlichen Vorschriften erlaubt ist, ist für die oben aufgeführten Weiterverwendungen des Materials die Einwilligung des jeweiligen Rechteinhabers einzuholen.
Weitere Details zur Lizenz entnehmen Sie bitte der Lizenzinformation auf http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/deed.de.
About this article
Cite this article
Ghanem, C., Kirchheim, K. & Eckl, M. Social Work Research Map – ein niederschwelliger Zugang zu internationalen Publikationen der Sozialen Arbeit. Soz Passagen 14, 475–484 (2022). https://doi.org/10.1007/s12592-022-00430-8
Received:
Accepted:
Published:
Issue Date:
DOI: https://doi.org/10.1007/s12592-022-00430-8