Für das Selbstverständnis der offenen Kinder- und Jugendarbeit (OKJA) ist Distanz zum schulischen Bildungsauftrag von zentraler Bedeutung. Das Mandat der OKJA besteht gerade nicht darin, schulische Karrieren von Kinder und Jugendlichen zu ermöglichen, sondern Kindern und Jugendlichen einen Freiraum der Vergemeinschaftung sowie der eigensinnigen Selbstbetätigung, Selbstbildung und Persönlichkeitsentfaltung jenseits der Leistungs‑, Konkurrenz‑, Selektions- und Qualifizierungslogik des schulischen Bildungssystem zu ermöglichen.

Gleichwohl aber wird die OKJA von einem Teil ihrer Nutzer_innen durchaus als ein zu ihren schulischen Bildungsanstrengungen komplementärer Teilbereich ihrer alltäglichen Lebensführung in Anspruch genommen, der für ihre schulischen Bildungsziele direkt oder indirekt bedeutsam ist. Dadurch erbringt die OKJA einen Beitrag zu schulischen Bildungserfolgen von Kindern und Jugendlichen aus sozial benachteiligten Milieus, die höhere schulische Bildungsabschlüsse anstreben – und dies gerade auch deshalb, weil dies nicht ihre zentrale Zielsetzung ist.

Kinder- und Jugendliche, nicht Schüler_innen als Adressatengruppe

In ihrem Überblick zur Bildungsdiskussion in der OKJA akzentuieren Stephan Sting und Benedikt Sturzenhecker (2021, S. 678), dass die Entstehung der Jugendarbeit sich auf „subversiven, schuloppositionellen Gründungsimpuls zurückführen lässt“, der „den Autonomieansprüchen Jugendlicher Geltung verschaffen will“. Deshalb sei das „‚Nicht-Schulische‘“ ein unverzichtbares „Wesensmerkmal“ (ebd.). Für die offene Jugendarbeit ist deshalb ein Bildungsverständnis essentiell, das Bildung als einen Prozess der Selbstbildung fasst, der sich an den Bedürfnissen, Erfahrungen und Interessen Jugendlicher orientiert, also nicht an gesellschaftlich vorgegebenen Qualifikationszielen ausgerichtet und nicht als leistungsorientiertes Erreichen vorgegebener Lernziele verfasst ist. Als Leitbegriffe einer bildungsorientierten Jugendarbeit werden von Sting und Sturzenhecker sowie in weiteren Beiträgen zur Fachdiskussion (vgl. Scherr 1997 und 2020) entsprechend u. a. Autonomie, dialogische Verständigung, Eröffnung neuer Erfahrungshorizonte, Entwicklung persönlicher Individualität, Reflexivität, Selbstbestimmung und Subjektorientierung genannt. Das Mandat der Professionellen wird als Anregung, Ermöglichung und Unterstützung von Selbstbildungsprozessen gefasst.

Für ein Verständnis der OKJA als sozialpädagogisches Projekt ist zudem entscheidend, dass die Hierarchien der sozialen Positionierung und der daran gebundenen Wertschätzung, die durch die Einteilung von Schüler_innen in Angehörige unterschiedlicher Schulformen und die schulinterne Unterscheidung besserer und schlechterer Schüler_innen erzeugt werden, in der OKJA nicht reproduziert werden. Denn in der OKJA sollen Kinder und Jugendliche sich wechselseitig in der Gemeinschaft der Gleichaltrigen als Gleichberechtigte erleben können und einen gleichen Anspruch auf Anerkennung durch die Fachkräfte haben.

Dies ist nicht nur eine übereinstimmende Annahme ihrer unterschiedlichen theoretischen Konzeptualisierungen, sondern wird auch in ihrer rechtlichen Verankerung als Angebot für alle jungen Menschen im Kinder- und Jugendhilfegesetz (§ 11 SGB VIII) sowie in ihrer sozialräumlichen Ansiedlung außerhalb von Schulen deutlich: Im Unterschied zu (freizeit‑)pädagogischen Angeboten der Schulsozialarbeit an Ganztagstagschulen, die lediglich die eigene Schülerschaft adressieren, sollen Kinder- und Jugendzentren Einrichtungen sein, die Allen offenstehen und die ihre Angebote zwar nach Unterschieden des Lebensalters und des Geschlechts differenzieren, nicht aber in Abhängigkeit vom sozialen Status und dem besuchten Schultypus. Die OKJA basiert so betrachtet auf einer zweifellos prekären, aber für sie als eigenständiges Feld sozialpädagogischer Praxis konstitutiven Gleichheitsannahme: der Annahme, dass es sich bei ihren Adressat_innen um Kinder und Jugendliche als prinzipiell gleiche und gleichberechtige Individuen handelt, also gerade nicht um Schüler_innen als Angehörige eines hierarchisierten schulischen Bildungssystems. Insofern ist es konsequent, dass die Frage, welche Schulen von den Adressat_innen der OKJA besucht werden, welche Schulabschlüsse sie anstreben und wie erfolgreich dies geschieht, für die Fachkräfte der OKJA bedeutungslos oder zumindest nachrangig ist: Für die OKJA handelt es sich bei ihren Adressat_innen um Kinder und Jugendliche, die auch, aber im Kontext der OKJA nicht primär, Schüler_innen sind, die sich im Hinblick auf Schultypen, angestrebte Abschlüsse und schulisches Leistungsvermögen unterscheiden.

Schulbezogene Beratung und Unterstützung in der OKJA

Vorliegende Befunde weisen jedoch darauf hin, dass, und dies insbesondere im Fall intensiver und kontinuierlicher Arbeitsbeziehungen (Cloos et al. 2007), die individuelle Beratung bei Alltagsproblemen, und das heißt ggf. auch bei schulischen Problemen, durchaus ein Bestandteil des Angebotsspektrums der OKJA ist (Schmidt 2021, S. 302). Zudem erfolgt in einem erheblichen Teil der Einrichtungen auch Unterstützung bei der Erledigung schulischer Hausaufgaben (Kirsch 2021, S. 9; Pothmann und Schmidt 2013, S. 540ff.).Footnote 1 Dies ist eine Folge davon, dass es im Rahmen eines sozialpädagogischen Selbstverständnisses der Fachkräfte angemessen ist, sich als Bezugsperson anzubieten, die für problembezogene Beratung ansprechbar ist und es in den Einrichtungen der OKJA pragmatisch sinnvoll sein kann, Hausaufgabenhilfen bereitzustellen, insbesondere dann, wenn Besucher_innen aus sozial benachteiligten Familien stammen. Die programmatische Distanzierung der OKJA von schulischer Bildung ist deshalb de facto durchaus brüchiger, als in solchen Konzeptualisierungen angenommen wird, die darauf zielen, die Bedeutung der OKJA als eigenständiger Institution und den pädagogischen Eigensinn der Jugendarbeit zu betonen. Daraus folgt aber nicht, dass die gezielte Verbesserung der schulischen Leistungen der Besucher_innen oder ein eigenständiger Beitrag zur Überwindung von Bildungsungleichheiten, etwa die Unterstützung von Bildungsaufstiegen von Kindern und Jugendlichen aus sozial benachteiligten Milieus, in den einschlägigen Theorien und von den Fachkräften als Bestandteil des Mandats der OKJA verstanden wird. Dies ist faktisch nicht der Fall, wie ein Blick in die einschlägigen Theorien ebenso zeigt wie die Befunde unserer empirischen Forschung (s. unten). Und mit guten Gründen kann gegenüber einer solchen Perspektive auch argumentiert werden, dass die Eigenständigkeit der OKJA gefährdet würde, wenn Kinder und Jugendliche dort von den Fachkräften auf ihre Leistungsfähigkeit und ihre schulischen Bildungsziele hin beobachtet, Diagnosen erstellt und Anstrengungen zur Verbesserung ihrer schulischen Leistungen nahegelegt würden. Denn für die OKJA als eigenständiger Erfahrungszusammenhang und auch als eigenständiger Ort subjektorientierter Bildung ist es konstitutiv, dass Kinder und Jugendliche dort als Personen relevant sind, die mehr und anderes sind als gute oder schlechte Schüler_innen, dass ihre Wertschätzung dort nicht von schulischen Leistungen abhängig ist und sie in der OKJA einen sozialen Ort für solche Bedürfnisse und Interessen finden, die in Schulen nicht realisiert werden können. OKJA kann, wie auch in unserer eigenen Forschung deutlich wurde, zudem gerade dadurch für die Bewältigung schulischer Anforderungen relevant sein, dass sie zeitweilige Distanzierung von schulischem und beruflichen Leistungsdruck ermöglicht, also ein Ort der Entspannung und Erholung ist, der es ermöglicht, die eigene schulische Leistungsfähigkeit zu regenerieren.

Bildungsaufsteiger_innen als Nutzer_innen der OKJA

Vorliegende Studien zu den Nutzer_innen der OKJA beschreiben diese mit gängigen Kategorien der sozialen Ungleichheitsforschung und kommen zu dem Ergebnis, dass diese „überproportional aus nicht-privilegierten, formal niedriggebildeten und belasteten Milieus stammen“ (Schmidt 2021, S. 300). Auf der Grundlage von Schätzungen der Mitarbeiter_innen wird angenommen, dass „durchschnittlich 14 % der Stammbesucherinnen und -besucher ein Gymnasium“ besuchen oder abgeschlossen haben (Mairhofer et al. 2022, S. 58). Differenzierte Analysen, die eine genauere Auskunft dazu geben, um welche spezifischen Milieus es sich handelt und welche Vorstellungen die Besucher_innen (und ihre Familien) über anstrebenswerte sowie erreichbare schulische und berufliche Bildungsziele haben, sind bislang nicht verfügbar.

Eine oberflächliche – und zu oberflächliche – Folgerung aus den einschlägigen Untersuchungen der Bildungsforschung würde es deshalb nahelegen davon auszugehen, dass die Adressat_innen der OKJA überwiegend Haupt- und Realschulen besuchen bzw. besuchten und sich mit dieser Situation auch abgefunden haben. Zu oberflächlich wäre eine solche Folgerung aber schon deshalb, weil der Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Bildung nicht völlig geschlossen ist. Dies zeigt sich empirisch darin, dass ein relevanter Anteil der Schüler_innen aus Familien mit einem niedrigen sozialen Status und formalen Bildungsniveau höhere Bildungsabschlüsse als ihre Eltern anstrebt und auch erreicht, es ihnen also gelingt, aus dem Reproduktionskreislauf von sozialer Herkunft und Bildungsbenachteiligung auszubrechen. Einschlägige Studien weisen nach, dass z. B. immerhin ca. zehn Prozent aller Kinder aus bildungsfernen Arbeiterfamilien ein Studium beginnen (Lörz und Schindler 2011, S. 24; vgl. BMBF 2017, S. 24ff.).

Für die außerschulische Pädagogik und die Soziale Arbeit ist die Frage, was solche Bildungsaufstiege ermöglicht, erschwert bzw. verhindert, aus zwei Gründen relevant: Erstens haben nicht nur innerschulische Strukturen und Prozesse, sondern auch außerschulische Gegebenheiten Auswirkungen auf die Motivation und Befähigung zu schulischen Bildungsaufstiegen. Zweitens haben formale Bildungsabschlüsse ersichtlich weitreichende Auswirkungen auf künftige Berufs- und Lebensperspektiven, können also von keiner Institution als belanglos betrachtet werden, die ein anwaltschaftliches Mandat für das Wohlergehen und die Lebenschancen ihrer Adressat_innen für sich beansprucht. Es kann also auch der OKJA nicht gleichgültig sein, was sie zur Ermöglichung oder Verhinderung schulischer Bildungsmöglichkeiten beiträgt, auch wenn sie, wie gezeigt, aus guten Gründen ihren Fokus nicht darauf legen kann, auf schulische Bildungsziele und Bildungserfolge einzuwirken.

Die Frage, was die OKJA zur Ermöglichung oder zur Behinderung von Bildungsaufstiegen beiträgt, ist bislang jedoch nicht erforscht. Wie wir im Folgenden zeigen werden, trägt die OKJA deshalb für eine Teilgruppe ihrer Besucher_innen zur Ermöglichung von Bildungsaufstiegen bei, weil sie von diesen als eine Institution genutzt wird, die direkt und indirekt zu ihrem schulischen Bildungserfolg beiträgt. Es sind, wie unsere bisherigen Ergebnisse zeigen, jedoch nicht die pädagogischen Absichten und Einwirkungen der Fachkräfte, die dafür relevant sind, sondern die Nutzungspraktiken der Jugendlichen selbst.Footnote 2

Bildungsziele und ihre Realisierung

Im Fokus der Studie, die Grundlage der weiteren Ausführungen ist,Footnote 3 stehen eine besondere Teilgruppe der Besucher_innen von Einrichtungen der OKJA: Jugendliche aus sozial benachteiligten Familien, die als Bildungsaufsteiger_innen den Kreislauf der Reproduktion von Bildungsungleichheiten durchbrechen, denen es also gelingt, trotz ungünstiger familialer Ausgangsbedingungen erfolgreich einen Schul- oder Berufsabschluss anstreben, der zu einem Studium berechtigt. In den überwiegenden Fällen ist dies mit einem Besuch eines Gymnasiums, mit dem Ziel des Abiturs, verbunden. Es handelt sich zum einen um Jugendliche, die deshalb als sozial benachteiligt gelten können, weil ihre Eltern über keine oder niedrige schulische Bildungsabschlüsse verfügen; zum anderen um solche, deren Eltern zwar höhere Schulabschlüsse im Ausland erworben haben, die in Deutschland jedoch nicht anerkannt werden und die deshalb Berufstätigkeiten ausüben, die keine formale Qualifikation erfordern.

Im Verlauf unserer Erhebung hat sich gezeigt: Das Interesse der von uns befragten Jugendlichen, einen höheren Bildungsabschluss zu erwerben, wird von ihren Eltern und ggf. auch den Geschwistern unterstützt. Bei der Suche nach Fällen, die für unsere Studie relevant sind, also nach Besucher_innen der OKJA, die aus einer sozial benachteiligten Familie stammen und die Oberstufe eines Gymnasiums besuchen, sind wir auf keinen Fall gestoßen, für den gilt, dass die schulische Bildung seitens der Familie als gleichgültig betrachtet oder gar negativ bewertet wird. Eine erste und zentrale außerschulische Ermöglichungsbedingung des Bildungsaufstiegs besteht in den von uns beforschten Fällen also darin, dass dieser seitens der Familie als anstrebenswert betrachtet wird. Zugleich lässt sich feststellen, dass das Interesse, einen höheren Bildungsabschluss zu erlangen, in keinem dieser Fälle zentral durch den Besuch einer Einrichtung der OKJA entstanden ist. Worin also besteht der Beitrag zur OKJA zur Ermöglichung von Bildungsausstiegen?

Datengrundlage und methodische Verortung

Empirische Grundlage unserer Studie sind problemzentrierte Interviews (Witzel 2000) mit bis 22 jugendlichen Besucher_innen von Einrichtungen der OKJA aus den Städten Chemnitz, Freiburg, Köln und Siegen und ihrem Umfeld. Insgesamt konnten bislang 14 Mädchen und acht Jungen erreicht werden. Die Jugendlichen waren zum Interviewzeitpunkt zwischen 15 und 21 Jahre alt (M = 17,65). Der Schwerpunkt der Interpretation liegt dabei auf bildungsbiografischen Fallrekonstruktionen (vgl. Rosenthal 2016). Das Sample setzt sich aus Jugendlichen zusammen, welche die OKJA seit mehreren Jahren besuchen und die zum Interviewzeitpunkt wahlweise einen Schulabschluss oder eine Berufsausbildung absolvieren oder absolviert haben, die zu einem (fachgebundenem) Studium berechtigen. Für den vorliegenden Artikel wurden lediglich Fälle berücksichtigt, die nach dem zuvor genannten Verständnis als sozial benachteiligt gelten können. Im Mittelpunkt der folgenden Darstellungen steht die Frage, welche Bedeutung die Interviewten der OKJA für den eigenen Schulerfolg zusprechen.

Die Bedeutung der OKJA für den eigenen Schulerfolg

In unserer Analyse nehmen wir Jugendliche als Subjekte in den Blick, die sich die Angebote der OKJA aktiv aneignen und dadurch einen Gebrauchswert der OKJA für ihre Lebenspraxis herstellen, der sich von den pädagogischen Zielsetzung der Fachkräfte unterscheiden kann (vgl. Oelerich/Schaarschuch 2013). D. h.: Auch dann, wenn es aus Sicht der Fachkräfte nicht Aufgabe der OKJA ist, den Schulerfolg der Besucher_innen zu unterstützen, kann die OKJA gleichwohl in einer Weise von ihren Besucher_innen genutzt werden, die für ihren Schulerfolg bedeutsam ist. Diesbezüglich ist zu berücksichtigen, dass die rechtlich und institutionell getrennten Bereiche Jugendarbeit und Schule aus der Perspektive Jugendlicher keine unabhängigen Sphären, sondern Bestandteile ihrer alltäglichen Lebenspraxis sind, die sie in den Zusammenhang ihre Lebensführung integrieren. Wie Jugendliche die OKJA besuchen (z. B. wie häufig, welche Angebote) und welche Bedeutung dies für sie hat, ist so betrachtet eine Folge davon, welchen Nutzen und welchen Gebrauchswert Jugendliche selbst der OKJA im Kontext ihre Lebensführung und in Relation zu anderen Bereichen ihrer Lebensführung (wie Familie, Schule, Vereine, Freundeskreise, Medienkonsum und kommerziellen Freizeitangeboten) zuschreiben.

Nutzer_innenperspektive 1: Offene Jugendarbeit als Gegenwelt zur Schule

Eine erste Perspektive der Nutzer_innen auf die Bedeutung der OKJA in Relation zur Schule zeigt sich in Äußerungen, die die OKJA als Gegenwelt zur Schule beschreiben. Jugendarbeit ist hier in paradoxer Weise gerade deshalb für die Bewältigung schulischer Anforderungen und Belastungen bedeutsam, weil sie Distanz zur Schule ermöglicht. Sie wird als ein Ort beschreiben, der eine Entlastung von schulischem oder anderem alltäglichen Druck ermöglicht:

„Weil man ist hauptsächlich, also klar man redet auch über Schule, aber man ist eigentlich hauptsächlich hier, um Abstand von Schule zu bekommen und von dem, was sonst so in deinem Leben gerade passiert“ (F4w, 1423)

In einem unseren Interviews wird ganz explizit darauf hingewiesen, dass nicht nur in der Schule selbst, sondern auch in der Familie ein starker Erwartungsdruck im Hinblick auf schulische Leistungen erlebt wird:

„Meine Mutter hat viel (.) Druck gemacht wenn es um schulische Sachen ging und wollte auch immer, dass ich sehr gut in der Schule bin und hat auch oft mit mir gelernt“ (F1m, 109)

Die Jugendarbeit sei deshalb hilfreich, um sich diesem Druck zeitweise entziehen und ihm dadurch auch wieder entsprechen zu können. Dies wird in einer Interviewpassage deutlich, in dem der Interviewpartner danach gefragt wird, ob die Sozialarbeiter_innen der OKJA etwas zu seinem Schulerfolg beigetragen hätten:

„B: Mh schon. Also vielleicht von deren Seite aus nicht aktiv, (.) aber schon passiv weil eben also für mich war halt schon immer wichtig dieser Ausgleich zwischen halt Schule und Sozialem oder halt Freundschaft und so und das war hier eigentlich immer gegeben, also es war wirklich ein Raum wo Schule nicht Hauptthema war.“ (F1m, 728).

Mittelpunkt der Nutzung der OKJA sind in dieser Perspektive Aktivitäten mit Gleichaltrigen und Gespräche, bei denen es gerade nicht darum geht, bestimmte Ziele zu erreichen und von anderen geforderte Leistungen zu erbringen. Folgendes Zitat steht stellvertretend für eine Reihe ähnlicher Erzählpassagen über die Zeitgestaltung innerhalb der Jugendhäuser:

„Billard spielen, Tischtennis, wir haben auch einen Discoraum, dort machen wir Musik und so ja sonst reden, was halt probieren, wenn es etwas gibt, so mit denen.“ (F5m, 1148)

Die Nutzung der OKJA als ein Kontext, in dem es keinen keine Zwänge und keinen Erwartungsdruck gibt, in dem man also ggf. einfach nur „abhängen“ kann, ist in dieser Perspektive als eine psychosoziale Entlastung bedeutsam. Diese kann im Fall schulisch erfolgreicher Bildungsaufsteiger_innen als eine Form der indirekten Unterstützung des Schulerfolgs durch die OKJA verstanden werden, die dadurch zur erfolgreichen Teilnahme an schulischen Bildungsprozessen beiträgt, dass hier Entlastung ermöglicht wird. Diese Funktion kommt der Jugendarbeit aber nur bei solchen Jugendlichen zu, bei denen die Fähigkeit und Motivation zu schulischem Bildungserfolg außerhalb der Jugendarbeit entstanden ist und aufrechterhalten wird.

Von dieser indirekten Unterstützung durch psychosoziale Entlastung kann eine zweite Perspektive unterschieden werden, für die kennzeichnend ist, dass Jugendarbeit als direkte psychosoziale Befähigung zur weiteren schulischen Bildungsteilnahme genutzt wird.

Nutzer_innenperspektive 2: Direkte psychosoziale Befähigung zur Bildungsteilnahme

Diese Perspektive lässt sich prägnant anhand des Falles eines 17 Jahre alten Jungen illustrieren, der zum Interviewzeitpunkt kurz vor dem Abitur steht. Er ist Sohn migrantischer Eltern, deren im Ausland erworbene Bildungsabschlüsse in Deutschland nicht anerkannt wurden und die zum Interviewzeitpunkt Berufstätigkeiten ausüben, die keine Berufsausbildung erfordern. Im Interview beschreibt er eine zunächst stabil und erfolgreich verlaufene Schulkarriere. So sei er in der Grundschule stets der Klassenbeste gewesen und erzielte auch in den ersten Jahrgangstufen des Gymnasiums sehr gute Noten. Dabei werden die Eltern als treibende Kräfte dargestellt, die den Interviewten stets zu Bestleistungen in der Schule aufforderten und ihn auch früh in verschiedenen Unterrichtsfächern gezielt förderten. In diesem Zusammenhang wird das Jugendzentrum schon in der Grundschulzeit im Sinne der ersten Perspektive als Gegenwelt zur Schule und als Ausgleich zu schulischem und familiärem Druck beschrieben. Für die Zeit in der Mittelstufe beschreibt der Interviewte dann jedoch eine erste gravierende subjektive Krise, in der sich der elterliche Druck in Verbindung mit Mobbingerfahrungen durch Gleichaltrige zu einer psychosozialen Belastung kumulierte, die Auswirkungen auf die schulische Leistung hatte:

„Ich glaube bis zur siebten Klasse (4) also in der Fünften und Sechsten lief alles also ganz gut, da hatte ich genau dieselben Noten wie in der Grundschule, in der siebten Klasse auch, in der achten Klasse hat es ein bisschen anfangen zu bröckeln. (.) Ich weiß nicht was, aber ich glaube es sind mehrere Faktoren, die zusammengekommen sind, ich glaube vor allem so das Mobbing und halt der immer größere Druck von meinen Eltern, das konnte ich halt irgendwie nicht ausgleichen und dann hatte ich in der Achten und am Anfang der Neunten so ein kurzes Tief von den Noten her“ (F1m, 370)

In dieser erzählten Zeit findet der Interviewte in den Sozialarbeiter_innen der OKJA wichtige Ansprechpartner_innen, die den Interviewten daraufhin gezielt unterstützen. Die Unterstützung geht dabei über die bloße Präsenz und Bereitstellung eines Ortes bzw. Raums, wie dies für die erste Perspektive zentral ist, hinaus. Die Mitarbeiter_innen der OKJA – und hierbei wird insbesondere eine Sozialarbeiterin hervorgehoben (F1m, 696) – waren für ihn als Bezugspersonen ansprechbar, die ihn dabei unterstützten, sich aus den Peer-Zusammenhängen zu lösen, in denen er gemobbt wurde. Ihre Unterstützung beschreibt er wie folgt: „Also einfach miteinander reden oder halt zuhören und zusammen nach Lösungen suchen und so“ (F1m, 724). Gleichzeitig überlassen es ihm die Eltern in dieser Zeit vermehrt, seinen Schulalltag selbst zu strukturieren, was ebenfalls für Entlastung sorgt. Im Ergebnis verbessern sich auch seine Schulleistungen und Noten wieder, womit das „kurze Tief“ überwunden werden kann: „So ab der zehnten Klasse habe ich mich mehr auf Schule konzentriert wieder“ (F1m, 678).

Die Bedeutung der OKJA als Ort der direkten psychosozialen Befähigung zur Bildungsteilnahme auf der Grundlage sozialpädagogischer Arbeitsbeziehungen mit Stammbesucher_innen (s. Cloos et al. 2007, S. 240f.) wird in diesem Fall auch durch die Auswirkungen des Wegfalls dieser Unterstützung in Folge der Coronapandemie deutlich: Sein psychischer Zustand verschlechterte sich im Lauf des ersten Pandemiejahrs sukzessive, insbesondere durch den Wegfall von schulischer Tagesstruktur und Sozialkontakten, was zu einer temporären Einweisung in eine psychiatrische Klinik und damit einhergehend für einen längeren Ausfall des Schulbesuchs und letztlich zu einem Abfall der Noten führte. Auch das Jugendzentrum war in dieser Zeit als Möglichkeit, psychosoziale Unterstützung zu erhalten, nicht im gewohnten Maße erreichbar, da das Angebot sich auf gelegentliche Hausbesuche und WhatsApp-Kontakte und somit entgegen den ursprünglichen Abläufen der Einrichtung, reduzierte. Durch den Interviewer auf diesen Zusammenhang angesprochen wird deutlich, dass die sozialpädagogische Arbeitsbeziehung unter diesen Bedingungen nicht in der bisherigen Form aufrechterhalten werden konnte. Im Nachgang zum Klinikaufenthalt suchten die Mitarbeiter_innen der Einrichtung dann wieder vermehrt Kontakt zum Interviewten und begleiten ihn auch auf seinem Weg zurück in die Schule. Es gelang ihm dann, seine schulischen Leistungen wieder zu verbessern, und er stand zum Interviewzeitpunkt kurz vor dem Abitur.

Der Fall verdeutlicht, dass sozialpädagogische Arbeitsbeziehungen in der OKJA, die eine niedrigschwellige und thematisch offene Beratung und Begleitung ermöglichen, aus der Sicht jugendlicher Nutzer_innen für die Bewältigung psychosozialer Krisen und dadurch auch für die Fähigkeit bedeutsam sein können, schulischen Leistungsanforderungen zu entsprechen. OKJA ist so betrachtet für einen Teil der Nutzer_innen auch eine Gelegenheitsstruktur, die einen niedrigschwelligen Zugang zur Unterstützung durch sozialpädagogische Fachkräfte jenseits institutionalisierter Beratungseinrichtungen ermöglicht, die gewöhnlich erst dann aufgesucht werden, wenn sich Krisen zugespitzt haben.

Nutzer_innenperspektive 3: OKJA als Ort spezifischer Angebote schulischer Unterstützung

Auch die dritte Perspektive von Nutzer_innen der OKJA kann hier anhand eines Falles aufgezeigt werden. Grundlage bildet ein Interview mit einem 17-jährigen Jungen, der zum Interviewzeitpunkt die 11. Klasse eines Gymnasiums besucht. Er gibt an, dass beide Elternteile nach Deutschland migriert sind und weder über einen Schulabschluss noch eine Berufsausbildung verfügen. Beide arbeiten als Aushilfskräfte (F2m_2, 110). Der Interviewte beschreibt einen stufenweisen Bildungsaufstieg. Demnach musste er wegen Schwierigkeiten mit der deutschen Sprache in der Grundschule eine Klasse wiederholen, wechselte aber entgegen der schulischen Übergangsempfehlung nach der Grundschule nicht auf eine Haupt-, sondern auf eine Realschule; er erreichte dort einen guten Abschluss, der ihm den Übergang auf ein Gymnasium ermöglichte, wo er aktuell das Abitur und im Anschluss ein Studium anstrebt. In seiner bildungsbiografischen Erzählung schreibt er verschiedenen Akteuren Bedeutung für seine schulische Laufbahn zu: Neben der Familie, insbesondere der Mutter und den Geschwistern, werden einer Lehrkraft und den Sozialarbeiter_innen des Jugendzentrums eine wichtige Rolle zugesprochen. Seine Familie beschreibt er durchgängig vor allem auf der emotional-psychischen Ebene als unterstützend für seine schulische Laufbahn; sie ermutigte ihn (369), interessiert sich für seinen Schulalltag (449) und unterstützt ihn bei Problemen (227). Bei inhaltlichen schulischen Problemen sind jedoch vor allem professionelle Akteure von Bedeutung, da seine Eltern ihm dabei nicht helfen können. So bekam er in der Grundschule neben dem regulären Unterricht auch Nachhilfeunterricht von einer Lehrerin. Durch diese Lehrerin wurde ihm geraten, nach dem Übergang auf die weiterführende Schule, in der keine Hausaufgabenbetreuung angeboten wird, ein Jugendhaus zu besuchen, dessen Angebot eine tägliche Hausaufgabenbetreuung umfasst. Diesen Vorschlag greift er auf, und thematisiert das Jugendhaus im Interview vor allem als Ort, an dem er während der Realschulzeit seine Hausaufgaben erledigen konnte, dabei unterstützt wurde sowie anschließend mit Gleichaltrigen spielen konnte. Dabei betont er die Ähnlichkeit der Hausaufgabenbetreuung in der Grundschule und im Jugendzentrum: „Also es war wie quasi in der Grundschule, nur halt im Jugendhaus, ja genau.“ (Fm2_2, 394). Die Sozialarbeiter_innen im Jugendhaus bezeichnet er auch als „Lehrer“: „So das Jugendhaus, wenn ich Fragen hatte, hatte ich ja immer die Lehrer hier, also die Sozialarbeiter, haben mich immer unterstützt, wenn ich Fragen hatte, ja.“ (Fm2_2, 465).

Der Interviewte hebt den direkten Beitrag der OKJA und hierbei auch der der Sozialarbeiter_innen des Jugendzentrums für seinen Schulerfolg hervor. So bot das Jugendhaus einerseits einen Ort, an dem er schulische Aufgaben bearbeiten konnte und bei Bedarf Unterstützung erfuhr. Hierbei waren ihm diese nicht nur bei Hausaufgaben stets verlässliche Ansprechpartner_innen und somit in Bezug auf schulischen Herausforderungen eine Absicherung, sondern auch in Fragen der Berufsorientierung. Hierbei wird wiederholt ein Sozialarbeiter hervorgehoben:

„A: Würdest du sagen, dass hier die Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter, also [Sozialarbeiter 1] und so, also was dazu beigetragen haben, dass du in der Schule erfolgreich warst?

B: Ja, auf jeden Fall. Also ich konnte ja hier lernen und so etwas, auf jeden Fall und auch bei den Bewerbungen, mit den Praktika, [Sozialarbeiter 1] hat mir immer geholfen, auf jeden Fall, sehr sogar.

A: Kannst du ein bisschen erzählen wie die Hilfe aussah?

B: Wenn man halt Hausaufgaben ein Problem hatte, hat man halt jemanden gerufen und ja der hat dann mit dir gelernt sozusagen, dir geholfen, ja, also es war halt immer so eine Absicherung, also ich wusste, wenn ich Hilfe brauche, bekomme ich Hilfe und das hat halt gutgetan. Genau und auch bei den Praktika und so etwas, mit dem Berufsleben am Ende, mit dem Bewerben und so etwas, da wusste ich halt: [Sozialarbeiter 1] kennt sich da voll gut aus, und deswegen wusste ich halt, ja, (.) ich weiß halt an wen ich mich wenden kann, wenn ich was brauche und das hat halt gutgetan.“ (Fm2, 724)

Kennzeichnend für diese Perspektive ist, dass die OKJA gerade nicht als Gegenwelt zur Schule wahrgenommen und genutzt wird, sondern als ein komplementärer Ort, der aus Sicht Jugendlicher Nutzer_innen einerseits eine gezielte Unterstützung in Bezug auf schulische Anforderungen ermöglicht, andererseits aber auch ein Ort der Freizeitgestaltung mit Gleichaltrigen ist.

Folgerungen

Die OKJA ist ein institutionelles Arrangement, das Jugendliche eigensinnig nutzen und ihm dadurch einen Gebrauchswert für ihre Lebensführung abgewinnen. Dies kann, wie gezeigt, auch eine Nutzung der Jugendarbeit für die Unterstützung schulischer Bildungskarrieren sein. Diese Beobachtung entspricht einerseits einer solchen pädagogischen Programmatik, welche die Bedürfnisse und Interessen Jugendlicher ins Zentrum stellt; sie steht andererseits aber in einem Spannungsverhältnis zu einem solchen Selbstverständnis, dass die Besonderheit der OKJA in ihrer Distanz zur Schule sieht. Insofern wirft unsere Forschung die Frage auf, ob, und wenn ja, für welche Teilgruppen der Nutzer_innen es angemessen ist, die Ermöglichung schulischer Bildungserfolge als Bestandteil des Auftrags der OKJSA zu betrachten, wenn dies ein Interesse ist, das Jugendliche selbst an die Einrichtungen und Mitarbeiter_innen herantragen.