figure d

>Waren zu Beginn der 2000er Jahre Reaktionen auf mögliche Zusammenhänge rechter Orientierungen und Sozialer Arbeit noch verhalten bis abwehrend, so hat die Auseinandersetzung mit entsprechenden Phänomenen in den letzten Jahren deutlich zugenommen. Die Einleitung in den Schwerpunkt diskutiert Konzepte, Programme und Entwürfe zur Sozialpolitik sowie zu Fragen von Erziehung und Bildung. Hingewiesen wird auf Versuche und Projekte aus dem rechts-autoritativen Spektrum, sich wissenschaftlich zu profilieren und diesbezügliche Vorhaben im Rahmen einer „Meta-Politik“ zu etablieren.

Wurde vor gut fünfzehn Jahren noch die Frage gestellt, ob die Thematisierung von rechtsextremen Studierenden und Jugendarbeiter_innen ein „Phantom oder Tabu“ (Scherr und Bitzan 2007) darstellt, ist das Thema mittlerweile in den fachwissenschaftlichen wie handlungsbezogenen Diskussionen der Sozialer Arbeit angekommen. Inzwischen liegen sowohl Handreichungen für die Praxis (vgl. Übersicht von. Besche & Wagner) als auch empirische Studien zu Orientierungen von Adressat_innen (z. B. Lehnert und Mayer 2019; Antonio Amadeu Stiftung 2018), Einflussnahmen und Einwirkungen rechts-nationaler Ideologien auf die Praxis Sozialer Arbeit (u. a. Andresen 2018; Gille und Jagusch 2019; Gille et al. 2021; Schäuble 2017), zu Studierenden der Sozialen Arbeit (u. a. Radvan und Schäuble 2019; Besche 2021), zu den Orientierungen von Sozialarbeitender (Scherr und Thole 2020; Thole 2020) und auch Analysen rechts-nationaler Ideen zu Fragen von Bildung, Erziehung und Sozialpolitik vor (u. a. Görtler 2022; Haase 2020; Simon und Thole 2021).

Die stärkere Auseinandersetzung findet vor dem Hintergrund eines gesellschaftspolitischen Wandels statt, in dem nicht nur die Wahlergebnisse in Bund und Ländern eine Veränderung anzeigen, sondern auch rechte Thematisierungen in der Zivilgesellschaft deutlich zugenommen haben respektive öffentlich lauter und „sagbarer“ geworden sind. Die praktische wie wissenschaftliche Soziale Arbeit scheinen deshalb zunehmend herausgefordert, sich mit rechten Orientierungen und Einflussnahmen zu beschäftigen. Die Auseinandersetzungen stellen sich bis heute als Suchbewegung dar. Zum einen wird nach den spezifischen Narrativen zu Erziehung, Bildung und Sozialpolitik im rechts-autoritativen Milieu, zum anderen aber auch nach adäquaten Umgangsweisen mit diesen gefragt.

Die Beiträge des Schwerpunkts „Neue Rechte, Rechtspopulismus und Soziale Arbeit“ betrachten den Umgang mit rechten Positionen in unterschiedlichen Feldern der Sozialen Arbeit. Fokussiert werden Auseinandersetzungen, Konzepte, Programme und Handlungsweisen im Umgang mit rechtspopulistischen, neurechten Orientierungen. Vorgestellt und diskutiert werden zum einen Ansätze in den Handlungsfeldern „Mobile Beratung“ (Christopher Vogel) und „Wohnungslosenhilfe“ (Nikolaus Meyer). Zum anderen werden empirische Ergebnisse zu Wahrnehmungen von Lehrenden in der Sozialen Arbeit in Bezug auf rechtsaffine und autoritäre Äußerungen Studierender (Julia Besche), zu Einflussnahme(versuche)n rechts positionierter Akteur_innen auf die Soziale Arbeit (Christoph Gille et al.) sowie die Programmevaluation „Demokratie leben“ (Katrin Haase und Frank König) vorgestellt.

Die nachfolgenden Überlegungen versuchen, diese Beiträge einerseits zu rahmen und andererseits auf Formen hinzuweisen, wie das neue rechts-autoritative, nationalistische Milieu, das sich selbst als rechts-konservativ präsentiert, sich gegenwärtig zu Fragen von Bildung, Erziehung und Sozialpolitik positioniert und über Veranstaltungen kommuniziert. Zu beobachten ist, dass die Ästhetik, die Stile und das Styling rechter Milieus sich seit einigen Jahren verändern. Alte, rechte, nationalvölkische und rassistische Positionen und neurechte, national konservative, rechts patriotische und autoritaristische Positionen wie auch rechtspopulistische und rechtsextreme Thematisierungen schlüpfen in „neue Gewänder“ und präsentieren sich über veränderte, moderne und insbesondere digitale Kommunikationsformen. Weder sind die Positionen des rechts-autoritativen, national-konservativen Milieus dabei einheitlich noch die Darstellungsformen. Diese Uneinheitlichkeit scheint keineswegs nur Ausdruck bestehender Kontroversen in dem Milieu des rechts-autoritativen Nationalismus zu sein, sondern auch Resultat einer gewollten und inszenierten neuen Diskurskultur.

Sicherlich sind weiterhin schlichte und plumpe, rassistische wie antisemitische, queerfeindliche, antifeministische und sozialdarwinistische Äußerungen aus dem rechten und rechtspopulistischen Milieu zu vernehmen. Wahrnehmbar ist aber auch eine neue Diskurkultur insbesondere im sich als national-konservativ verstehenden Milieu. In diesen Diskursen werden bestehende Differenzen benannt und erörtert, aber auch offensiv versucht, neue Themen und Felder zu entdecken und praktisch und rhetorisch zu bearbeiten. Zu erkennen sind Bemühungen, rechts-autoritative Gewissheiten und Erzählungen wissenschaftsbasiert „pseudointellektuell“ aufzuladen. Erkennbar ist aber auch, dass nicht mehr lediglich die „alten“ bedeutsamen Themen neu komponiert werden, sondern vermehrt auch Fragen der Erziehung und Bildung, der Sozialpolitik und partiell auch der Sozialen Arbeit. Ergänzt werden diese thematischen Erweiterungen durch Versuche, das Milieu des rechts-autoritativen Nationalismus – dieser Begriff wird im Weiteren zur Beschreibung der neurechten Szenerie verwendet – „wissenschaftlich“ zu unterfüttern. Diese Initiativen sind Varianten des Vorhabens, mittels neuer thematischer Akzentuierungen und Deutungen die praktische wie rhetorische Hegemonie neurechter Ideologie in möglichst vielen gesellschaftlichen Bereichen und Feldern, auch in denen der Bildung und Sozialen Arbeit, zu erringen.

Erziehung braucht Grenzen – die rechtskonservative Idee von Erziehung

Erziehung und Bildung stehen neben Ökologie und Klimawandel, Heimatschutz und Landbau, Sicherheitspolitik, Völkerrecht und „Großraumordnung", Zuwanderung und Migration, Kultur- und Sozialpolitik sowie Ablehnungen und Ausgrenzungen verschiedener Lebensformen inzwischen prominent auf der Themenagenda des rechts-autoritativen, nationalistischen Milieus. Denen wünscht man sich „auf erfrischende Weise" zu nähern, "um sie sich von einem rechten Standpunkt aus zu eigen zu machen“, wie es Jonas Schick, Herausgeber der neurechten Zeitschrift „Die Kehre. Zeitschrift für Naturschutz“, unlängst in einem Beitrag in der Sezession formuliert (Schick 2022). In „Wir erziehen. Zehn Grundsätze“ formuliert Caroline Sommerfeld (2019), eine der, wenn nicht die Spezialistin für Fragen von Erziehung und Bildung in der neurechten Szene, programmatisch ihre pädagogische Konzeption als Elternratgeber in Gestalt einer philosophischen Streitschrift (vgl. auch Simon und Thole 2021).

Das Buch ist durchzogen mit auf Alltagsbeobachtungen basierenden, modernisierungskritischen Passagen. Mediatisierung, Selbstoptimierung, Konsum sowie das Bildungssystem werden als Bereiche thematisiert, die das Aufwachsen von Kindern nicht fördern. Illustriert wird die Kritik gegenwärtiger Erziehungspraxen über Erzählungen, alltägliche Episoden und biografische Erinnerungen. Ins Zentrum ihrer Überlegungen stellt C. Sommerfeld den Begriff „Grenze“. „Grenzöffnungen, das wußte ich aus meiner früheren philosophischen Handhabung der Systemtheorie, zerstören funktionierende Systeme (…). Warum sollte dies beim System der Erziehung anders sein! Rasch wurde mir immer deutlicher: Hinter der Forderung nach ‚offenen Grenzen‘ steckt eine ganze Glaubensüberzeugung, ein bestimmtes Bild vom Menschen, und zu dieser Ideologie gehört auch das Ablehnen von Erziehung, von Autorität, von Führung und elementarer Unterscheidung zwischen Erwachsenen und Kindern.“ (Sommerfeld 2019, S. 13 f)Footnote 1 Nicht gänzlich ungeschickt instrumentalisiert sie systemtheoretisches Wissen für ihre Beobachtung, in modernen Gesellschaften sei eine Ablehnung von Erziehung und Autorität zu erkennen, um implizit gegen nationalstaatliche Grenzöffnungen zu votieren. Über diese, an ethnopluralistische Konzeptionen anknüpfende Position werden zehn Grundsätze komponiert. Alles, was nicht einem konservativ-christlichen oder ethnopluralistischen, völkisch-nationalen Weltbild entspricht, wird im Zuge ihrer Kritik diffamiert: Wenn Erziehung nicht mit Führung verbunden werde, könne es sich auch nicht um Erziehung handeln. Kindern sollten einfache Erklärungen für die Welt angeboten werden, jedoch keineswegs in demokratischer Absicht, denn Demokratieerziehung sei „eine manipulative Hinterlist“ (S. 239 f.). Stattdessen plädiert Sommerfeld für eine Reaktivierung der „Grundbegriffe wie Führung, Autorität, Askese, Glauben und Volk“ (S. 29 ff.). In Anerkennung der Distanz zwischen den Erziehenden und den zu Erziehenden, denn „gleichwertige Partner (…) haben keine Entwicklungschance“ (S. 82), soll „Beheimatetsein und Verwurzelung im eigenen Volk“ (S. 237 ff.) als Gemeinschaft erzwungen werden (Sommerfeld 2019, S. 121ff.). Darüber kann sich dann „Anstrengungsbereitschaft“ (S. 275 ff.) und „Individualität […] durch stabile Autorität“ (S. 263 ff.) über das „Wachstum der inneren Kräfte“ entwickeln. Durch „religiöse Erziehung“ (S. 138) soll so „dem Bösen in jedem Menschen, auch im Kind“ die „Brücke zu einer höheren Ebene“ und damit zur „Sündensouveränität“, die zu erlangen allerdings nur „geistig erzogenen Erwachsenen“ (S. 30) gelingt, eröffnet werden.

Wie Kindern abgesprochen wird, für sich zu sprechen, und sie als unmündige, über autoritäre Erziehung und Zwang erst zum Menschen reifende Objekte konzipiert werden, wird „der Menschheit“ abgesprochen, über sich entscheiden zu können. Die Menschheit bedarf der Autorität und Führung, um den Weg „in die Zukunft“ zu finden – allerdings: Gegenwärtig gehe es noch darum, „den Menschen kleinzuhalten, weil er zum Ich Bewußtsein noch nicht reif“ sei (S. 262). Vorgelegt wird von C. Sommerfeld eine christlich-fundamentalistische, autoritäre wie national-rassistische Erziehungsphilosophie, in der das vermeintlich bestehende Machtgefälle zwischen den Generationen hinzureichen scheint, pädagogische Beziehungen herzustellen (vgl. auch Simon und Thole 2021).

Antwort von „rechts“ auf die Soziale Frage: „Solidarischer Patriotismus“

Kaum dürfte überraschen, dass auch die sozialpolitischen Programmatiken des neurechten Spektrums eine ethnopluralistische Grundtönung zeigen. Seit dem Kalkaer Parteitag der „Alternative für Deutschland“ 2020 findet sich diese als „gegenseitige Hilfe innerhalb unseres Volkes“ (AfD 2020, S. 3) programmatisch formuliert. Die aus der Gründungsphase der AfD stammende Betonung des marktwirtschaftsliberalen Wettbewerbs wird damit relativiert und um ethnozentristische und rassistische Rhetoriken angereichert. Mitinspiriert wurde dieser Wandel durch den von Benedikt Kaiser, Politikwissenschaftler und Redakteur des rechts-identitären Magazins Sezession, im Sommer 2020 vorgelegten Versuch, die „soziale Frage von rechts“ (Kaiser 2020)Footnote 2 zu beantworten. In seinem im Antaios Verlag erschienenen Buch „Solidarischer Patriotismus“ schreibt er diagnostisch, „wir gehen entsicherten Jahrzehnten entgegen, in denen sich bereits bestehende soziale und identitäre Widersprüche der Gesellschaft verschärfen werden“ (S. 10). Bereits in dieser Beschreibung wird die soziale Frage implizit mit einer vermeintlich einheitlichen Identität der deutschen Gesellschaft verknüpft. Über eine vordergründig faktenbasierte, über unzählige Zitate collagierte Argumentation zu Armut und Gerechtigkeitsfragen und einen historischen Abriss zu Politik und Kapitalismus, in welchem sich auch verschwörungsideologische Versatzstücke eingewoben finden, fordert B. Kaiser eine neue gesellschaftliche Organisation des Sozialen. Eine Sozialpolitik von rechts, so wird ausgeführt, „strebt nach einem konstruktiven, zukunftsfähigen Verständnis einer gehegten sozialen Marktwirtschaft im Zeichen einer solidarischen und patriotisch rückgebundenen Leistungsgemeinschaft“ (S. 10), in dem „‚preußische Vorstellungen‘ von Dienst, Pflicht und Arbeitsbereitschaft für das große Ganze wieder in den Vordergrund“ (S. 139) rücken. Der Sozialstaat sei „für Deutschlands Volk (…) konzipiert“ worden, „nicht hingegen als zusätzlicher Pull-Faktor für multikulturalistische Experimente“ (S. 39).

B. Kaiser beginnt mit Hinweisen zu Armut, Prekarisierung und prekarisierten Lebenslagen (S. 11 ff.; S. 27 ff., S. 149 ff.). Mit Verweis auf sozialwissenschaftliche Autor_innen wird die wachsende Kluft zwischen „Arm und Reich“ (S. 13), der Anstieg atypischer Beschäftigungsverhältnisse, eine Veränderung des sozialen Miteinanders und das Erodieren der klassischen Mittelschicht (S. 15; 117 ff.) beschrieben. Notiert wird auch, dass diejenigen, die die Bedeutung der Armutsfrage leugnen, einem „neoliberalen Taschenspielertrick auf den Leim“ gehen und die „moderne Vielschichtigkeit des Armutsphänomens“ verkennen (S. 29). Konstatiert wird allerdings auch, dass Armut „zweifellos (…) nicht in allen Fällen an externen Faktoren“ liegt, sondern auch „ein Problem der Dekadenz und der damit verbundenen ‚Verfettung‘“ (S. 31) und der zu erwartenden „Verteilungskämpfe im Zuge der sich hinschleppenden Migrationskrise“ (S. 31) ist.

Insbesondere in den Ausführungen zum „Weg in die neoliberale Abstiegsgesellschaft“ (S. 114–119) wird diese Argumentationsfigur deutlich. Die Beobachtung, dass seit den 1990er-Jahren „Konzerne und politische wie wirtschaftliche Eliten ihre hegemoniale Stellung ausbauen konnten“ (S. 115), wird um die Feststellung ergänzt, der Niedriglohnsektor leiste der „moralisch wie sittlich folgenschweren Einstellung Vorschub (…), Arbeit lohne sich unter diesen Umständen nicht“ (S. 118), weil erwiesen ist, „daß es diesen Mißbrauch der sozialstaatlichen Fürsorge durch Arbeitslose (…) gibt“ (S. 136). Um dem entgegenzuwirken, empfehle es sich, einen „verpflichtenden Gesellschaftsdienst“ (S. 140) einzurichten. Die sozialpolitische Programmatik von Kaiser illustriert, wie im rechts-autoritaristischen, nationalen Milieu eine Bewältigung der sozialen Frage gedacht wird. Die Überlegungen zu einer rechten, sozialpolitischen Agenda können als Partikel des Metapolitik Projektes des sich als konservativ-revolutionär bezeichnenden Milieus verstanden werden (vgl. Thole und Simon 2022).

„Wissenschaftliche Unterrichtung des akademischen Nachwuchs“

„Die wissenschaftliche Unterrichtung des akademischen Nachwuchs“ sei seit 1999 neben der Gründung von Verlagen eine „unserer“ wesentlichen Aufgaben, formuliert Götz Kubischek (2022) anlässlich der Eröffnung eines Akademiegespräches am „Institut für Staatspolitik“. Dieser Aufgabe sollen unter anderem die im Antaios Verlag herausgegebenen Publikationen, Zeitschriften wie die „Blaue Narzisse“, die „Kehre“ und die „Sezession“ nachkommen, aber auch „wissenschaftliche“ Veranstaltungen wie die Akademietagungen des „Instituts für Staatspolitik“ in Schnellroda, die Veranstaltungen und Tagungen der „Bibliothek des Konservatismus“, Berlin, und auch die Buchvorstellungen und -veranstaltungen im „KulturHaus Loschwitz“, Dresden.

Eine besondere Bedeutung soll bezüglich der „Förderung des akademischen Nachwuchs“ der „GegenUni“, Frankfurt a. Main, zukommen. Ihre Gründung wird damit erklärt, dass der „patriotischen Bewegung ein verbindendes Dach in Form einer einheitlichen Weltsicht und einer verbindlichen Theorie“ benötigt, da „die ideologische Überlegenheit“ noch bei den „Gegnern“ liegt. „Erst wenn Rechte die ideologische Hoheit für sich erlangen“, kann „es eine wirkliche politische Veränderung geben“. Über die „GegenUni“ soll Konservativen und Patrioten qualitativ hochwertige Theoriearbeit zugänglich“ gemacht werden, denn „rechte Intellektuelle halten (…) die rechte Theorie am Leben“. Und da, so wird formuliert, „reguläre Universitäten (…) fest in linker und liberaler Hand sind“ (GegenUni 2022), sei die „GegenUni“ notwendig. Gegenwärtig werden unter anderem Veranstaltungen zu Themen wie „Rechtes Lesen. Die Beat Generation und ihre Verbündeten“, „‚Vergangenheitsbewältigung‘ – fixe Idee einer neuen Elite“, „Sociobiology. Human Biological Differences“, „Carl Schmitt. Die Tyrannei der Werte“ und „Wir und die Anderen“ angeboten.

Komplettiert wird diese „wissenschaftliche“ Offensive der neuen Rechten durch Aktivitäten in oder am Rande von fachwissenschaftlichen Gesellschaften und Zeitschriften und über Blogs wie „ScienceFiles“, auf dem vorgegeben wird, „kritische Wissenschaft“ zu betreiben, jedoch vornehmlich gender- und antifeministische Beiträge zu finden sind. Ob und in welcher Form rechts-konservative, autoritaristische, rassistische oder völkische Positionen und Akteur_innen in der wissenschaftlichen, akademischen Öffentlichkeit mit welcher Resonanz aktiv sind, ist allerdings bislang wenig bekannt und erforscht.

Das Meta-Projekt des neurechten, national-konservativen Milieus

Die Bemühungen, mittels „qualitativ hochwertige Theoriearbeit“ „ideologische Hoheit“ (GegenUni 2022) zu erlangen, sind Kernbestandteil des Meta-Politik-Projektes des sich als konservativ-revolutionär bezeichnenden, rechts-autoritativen, nationalen Milieus. Über das Metaprojekt soll die Deutungshoheit und thematische, kulturelle Hegemonie national-konservative Positionen im zivilgesellschaftlichen wie im politischen Diskurs erweitert und letztendlich etabliert werden (vgl. Weiß 2017; Bock 2018). Dieses Ansinnen, vorgeschlagen von dem französischen neurechten Philosophen Alan Benoist (1985), greift eine ursprünglich von Antonio Gramsci (1991) entwickelte Konzeption auf. Demnach kommt es nicht nur darauf an, bei Wahlen hohe Stimmenanteile zu erreichen und über politische Bewegungen national-autoritative Positionen zu artikulieren, sondern es geht wesentlich auch darum, Narrative und Deutungen zu entwickeln, die in den zivilgesellschaftlichen Kulturen Zustimmung finden. Angestrebt wird, die Diskurse zu dominieren, um auf den politischen Bühnen als bedeutsam und beachtenswert wahrgenommen zu werden.

Partiell gelingt es inzwischen rechts-nationalen, autoritativen, antisemitischen und rassistischen, ethnozentristischen Positionen, sich gesellschaftlich zu etablieren, quasi zu „normalisieren“. Die „Modernisierung historischer Ideologien“ (Heitmeyer, Freiheit & Sitzer 2020) und die „Aufrufung von Verschwörungsmythen“ können als Praktiken des Projektes angesehen werden, neurechte Erzählungen, Rhetoriken, Deutungen und Bilder im zivilgesellschaftlichen und politischen Diskurs zu implementieren, auch um traditionelle, konservative Sichtweisen und Positionen zu aktualisieren und über rechts-autoritative, nationale Narrative zu ideologisieren (vgl. Strobl 2021).

Projekte der Eroberung kultureller Hegemonie sind keineswegs nur in der Bundesrepublik Deutschland zu beobachten. Georgia Meloni sucht in Italien die faschistische Idee zu reanimieren, Jair Bolsonaro, Viktor Orbán, Marine Le Pen, Sebastian Kurz und Geert Wilders gelang es mit migrations- und genderfeindlichen, rassistischen Positionen beträchtlichen Zuspruch bei Wahlen zu erhalten oder diese sogar zu gewinnen. „Radikalisierte“ Konservative in den USA versuchen schon seit gut einem Jahrzehnt über die „American Library Association“ (ALA) Bücher aus Bibliotheken zu entfernen. Von der ALA werden seit 2000 jährlich Listen mit Büchern veröffentlicht, die aus den Beständen der Bibliotheken zu entfernen empfohlen wird. Erstellt werden die Listen über „Challenges“, an denen alle Bürger_innen der USA sich beteiligen können. Vermehrt beteiligen sich an diesen „Challenges“ „besorgte“ Eltern aus konservativen Milieus (Daub 2022) – mit Erfolg. Auf der zehn Bücher umfassenden, aus Bibliotheken zu entfernenden ALA Liste stehen insbesondere solche, die Fragen von Gender und LSBT*IQ thematisieren, unter anderem Bücher von Maia Kobabe, Jonathan Evision und George M. Johnson, sowie Bücher, die sich kritisch mit Rassismus beschäftigen, so unter anderem „Racism, Antiracism, and You“ von Ibram X. Kendi und Jason Reynolds (ALA 2022). Die Politik „American first“ des ehemaligen amerikanischen Präsidenten Donald Trump konnte und kann sich auf dieses radikalisierte konservative „Büchersturmmilieu“ verlassen wie Wladimir Putin seine wiedererstarkten großrussischen, kriegstreibenden Allmachtsfantasien legitimiert finden kann in der mystisch verklärten, nationalistisch-konservativen, ethnozentrischen „Eurasischen Idee“.

„Normalisierung“, „radikalisierter Konservatismus“ und Soziale Arbeit

Das sich als konservative Revolution ausgebende, im Kern national-autoritäre Projekt der neuen Rechten in Europa wie in den USA und Russland intendiert die Etablierung von neuen Wertekulturen. Ethnozentristische Ideen platzieren sich in unterschiedlichen Facetten im Zentrum der kulturelle Hegemonie anstrebenden Bewegungen und Unternehmungen. Nationalistische, antifeministische, autoritative, auf klassische Werte reaktivierende Vorstellungen grundieren die jeweiligen Bemühungen.

In der Bundesrepublik Deutschland verschoben sich die Formen und Grenzen des öffentlich Sag- und Denkbaren in den zurückliegenden anderthalb Jahrzehnen deutlich. Rassistische und homophobe, ethnisierende, partiell sozialdarwinistische und antifeministische Denkfiguren sind im Alltag wahrnehmbar und werden normalisiert. Wahrzunehmen ist auch, dass autoritative, nationalistische Rhetoriken im klassisch konservativen Milieu aufgegriffen, in politischen Sprachfiguren umgesetzt werden und diese radikalisieren. Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit (Heitmeyer 2018) respektive pauschalisierende Ablehnungspositionierungen, Abwertungen von Langzeitarbeitslosen, Obdachlosen, Behinderten und der LSBT*IQ Community sind weithin verbreitet. Umfassende Studien, die der Frage nachgehen, ob solche Narrationen und in welcher Form autorititative, rechts-nationale Vorstellung von Erziehung, Bildung und Hilfe auch in der Sozialen Arbeit präsent sind, liegen noch nicht vor. Bisherige Befunde deuten allerdings an, dass entsprechende Thematisierungen im Kontext der Sozialen Arbeit durchaus wahrnehmbar sind (Gedik et al. 2019). Rassistisches Othering (Riegel 2016; Radvan und Leidinger 2017), rechtsextreme Positionierungen (Gille et al. 2020) und autoritär und paternalistisch ausgerichtete Handlungsformen finden sich auch im Feld der Sozialen Arbeit oder werden durch diese aufgegriffen (vgl. die Beiträge von Vogel; Meyer; Jagusch, Krüger, Gille & Wéber; Haase & König in diesem Schwerpunkt). Die professionellen Akteur_innen Sozialer Arbeit bleiben und sind aufgefordert, sich für die Wahrnehmung von rechts-autoritativen, nationalistischen Rhetoriken und pauschalisierenden Ablehnungskonstruktionen zu sensibilisieren und auch die vorliegenden Konzepte und methodischen Zugänge der Sozialen Arbeit daraufhin zu untersuchen.