Multiprofessionelle Zusammenarbeit ist en vogue. Dabei ergibt sich jedoch eine Leerstelle: die Adressat_innenperspektive wird wenig beachtet. Dies trifft insbesondere auf das Feld der Altenpflege zu, da alten, pflegebedürftigen Menschen häufig die Kompetenz abgesprochen wird, ihre Perspektiven und Positionen einzubringen. Die Soziale Arbeit bietet hier das Potenzial, die Altenpflege um die Partizipation der Adressat_innen zu erweitern und auf unterschiedlichen Ebenen, für Forschung und Praxis, in den Blick zu nehmen.

Im Feld der personenbezogenen sozialen Dienstleistungen zeichnen sich gegenläufige Trends in der Arbeitswelt ab, die auf einen tiefgreifenden Wandel verweisen. Zum einen ist eine zunehmende Arbeitsteilung sowie ein „heiteres Berufebasteln“ (vgl. Evans et al. 2013, S. 33) unter dem Druck zunehmender Ökonomisierung unter anderem in der Pflege zu verzeichnen. Zum anderen gehört in vielen Handlungsfeldern – auch in der Pflege – multiprofessionelle Kooperation mittlerweile zum konzeptionellen Standard. Multiprofessionelle Kooperation kann gar als Resultat dieser zunehmenden Arbeitsteilung aufgefasst werden.

So konstatiert beispielsweise Bauer: „Sie [die multiprofessionelle Kooperation; CO, JS] ist Folge einer umfassenden Ausdifferenzierung von Berufsrollen und personenbezogenen Dienstleistungsorganisationen, die mit einer zunehmend arbeitsteiligen und spezialisierten Problembearbeitung durch die jeweiligen Professionen und Organisationen einhergeht“ (Bauer 2014, S. 273). Durch die organisierte Zusammenarbeit und Abstimmung der beteiligten Akteur_innen unterschiedlicher Professionen, soll nicht nur eine effektive, den Problemstellungen der Adressat_innen angemessene Hilfe ermöglicht, sondern ebenso der drohenden Fragmentierung der Problembearbeitung zwischen und in den verschiedenen Hilfesystemen entgegengewirkt werden (vgl. Bauer 2011, S. 342).

„Multiprofessionalität“ ist also derzeit „in aller Munde“, ist „en vogue“, denn die ermöglicht den bestmöglichen Einsatz aller Ressourcen; durch multiprofessionelle Zusammenarbeit soll neues Wissen geschaffen und durch die intelligente Nutzung vorhandener professioneller Wissensbestände Synergieeffekte erzielt werden.

In der Pflege gilt Multiprofessionalität als gesetzt bzw. wird multiprofessionelle Kooperation zum Ziel erklärt. So verweisen national und international verschiedene Gesellschaften und Vereinigungen auf die Notwendigkeit multiprofessioneller Zusammenarbeit und deklarieren jene als fachlichen Standard in verschiedenen Feldern der Pflege (z. B. Geriatrics Interdisciplinary Advisory Group 2006; National Consensus Project for Quality Palliative Care 2018; Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin e. V./Deutscher Hospiz- und PalliativVerband e. V. 2012).

Betrachtet man jedoch die bisherige Forschung in diesem Kontext, dann kann gegenwärtig vor allem festgehalten werden, dass zwar eine Reihe konzeptioneller Entwürfe von Multiprofessionalität diskutiert werden, aber kaum empirische Analysen zu multiprofessionellen Konstellationen in der Pflege vorliegen, die die Reichweite dieser Konzepte überprüfen könnten. Die wenigen vorhandenen Untersuchungen fokussieren vor allem die Anforderungen bzw. Gelingensbedingungen multiprofessioneller Kooperation und Teamarbeit für die beteiligten professionellen Akteur_innen (vgl. Falkenberg 2007; Nancarrow et al. 2013; Youngworth und Twaddle 2011).

Im Fokus der Aufmerksamkeit steht sodann die Frage, wie diese verschiedenen professionellen Akteur_innen oder Berufsgruppen „überhaupt“ zusammenarbeiten können, d. h. wie sie ihre jeweiligen Aufgabenstellungen, Zuständigkeiten und Befähigungen kontinuierlich bestimmen, verhandeln und legitimieren (müssen). Im Rahmen der bisherigen Forschung wird Multiprofessionalität damit primär als ein Geschehen beforscht, dass die einzelnen professionellen Akteur_innen in den Vordergrund rückt, die Perspektive der Nutzer_innen und Adressat_innen jedoch weitgehend ausblendet (vgl. Heyer et al. 2019). Insgesamt lässt sich mit Hollweg u. a. konstatieren, dass der Diskurs um Multiprofessionalität bislang noch zu wenig mit dem Diskurs der Adressat_innenbeteiligung zusammengedacht wird (vgl. Hollweg et al. 2019).

Genau an dieser Stelle möchte jedoch der vorliegende Artikel ansetzen – und zwar am Beispiel der Altenpflege. Der von uns gewählte Titel „Nicht ohne uns“ fokussiert dabei ein doppeltes Anliegen: Erstens versteht sich dieser als ein Plädoyer für die Notwendigkeit von Partizipation der Adressat_innen im multiprofessionellen Feld der Altenpflege und zweitens bezieht sich das „Nicht ohne uns“ auf unsere Profession der Sozialen Arbeit, d. h. es wird zugleich gezeigt, inwiefern Altenpflege und Soziale Arbeit voneinander lernen bzw. profitieren können.

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Partizipation im multiprofessionellen Feld der Altenpflege

Wie bereits einleitend erwähnt, lassen sich die wissenschaftlichen Auseinandersetzungen zu Multiprofessionalität in der Altenpflege vor allem dahingehend zusammenfassen, dass primär verhandelt wird, wie die verschiedenen Professionen, d. h. Pflegekräfte, Ärzte, Heimleitungen, Sozialdienste etc. überhaupt bzw. im Hinblick auf steigende Qualität und ökonomische Effektivität zusammenarbeiten können. In diesem Kontext werden sodann nicht selten insbesondere die Hierarchisierungen und Deutungshoheiten zwischen den verschiedenen beruflichen Akteur_innen als ein Problem verhandelt, welche multiprofessionelle Kooperation erschweren. Durch die (weitgehende) Aussparung der Adressat_innenperspektive wird das Subjekt der multiprofessionellen Zusammenarbeit zu einem zu behandelnden Objekt der Kooperation degradiert. So ist doch bemerkenswert, dass im Rahmen von Forschung immer wieder thematisiert wird, wie Professionen ihre Verantwortlichkeiten, Kompetenzen, Positionen, Perspektiven, Zugänge, Deutungshoheiten zueinander abgrenzen und aushandeln müssen (vgl. Bolay 2011; Bauer 2014, 2018), gleichzeitig aber die Positionen, Perspektiven und Deutungsmuster der Adressat_innen nicht thematisiert und diskutiert werden.

Das Ausbleiben der Perspektive der Adressat_innen bzw. im Kontext der Altenpflege der überwiegend pflegebedürftigen Empfänger_innen, ist auch dadurch begründet, dass im Rahmen der Altenpflege – und zwar sowohl in der pflegerischen Praxis als auch in der Pflegewissenschaft – bisher kaum Reflexionen darüber stattfinden, wie alte pflegebedürftige Menschen in stationären Settings miteinbezogen werden können, d. h. an Forschung und Praxis aktiv teilnehmen und damit ihre Interessen und Anliegen sichtbar machen können (vgl. Bödecker 2015; Demenz Support Stuttgart 2010). Dies mag mitunter auch daran liegen, dass älteren pflegebedürftigen, vor allem an Demenz erkrankten Menschen, häufig die Kompetenz abgesprochen wird, sich beteiligen zu können, obwohl einschlägige Studien darauf verweisen, dass diese Annahme nicht zutreffend ist (vgl. Moore und Hollett 2003). So konstatiert auch Hoops, dass in einem Großteil der zugrunde liegenden Pflegetheorien, die Bedürfnisse der Gepflegten zumeist von den Pflegenden bzw. beteiligten Professionen ausgehandelt und definiert werden, wobei die Wahrnehmung der Gepflegten nur selten erforscht und genauer analysiert wird (vgl. Hoops 2013, S. 26).

In der Konsequenz ist weder allgemein etwas über die Selbstpositionierungen von pflegebedürftigen Menschen, ihren Perspektiven und Sichtweisen hinsichtlich Fragen ihres persönlichen Lebens bekannt, noch im speziellen, wie ihre Positionen Eingang in die multiprofessionellen Aushandlungsprozesse finden können bzw. noch vielmehr: wie diese eigentlich zum Dreh- und Angelpunkt – folgt man dem Anspruch einer ganzheitlichen Pflege (vgl. Stemmer 2003) – werden müssten. Hollweg u. a. weisen jedoch darauf hin, dass „der Diskurs um Adressat_innenbeteiligung […] nicht in jeder Profession gleichermaßen verhandelt und verankert [ist]“ (Hollweg et al. 2019, S. 73) – sehr wohl jedoch in der Sozialen Arbeit. Im Folgenden möchten wir daher aufzeigen, inwiefern die Altenpflege und die Soziale Arbeit diesbezüglich voneinander lernen bzw. profitieren können.

Altenpflege und Soziale Arbeit in Hinblick auf Partizipation und Beteiligung

Partizipation ist in den 1980er Jahren zu einer Art Schlüsselbegriff Sozialer Arbeit avanciert, wobei zunächst einschränkend erwähnt werden muss, dass das, was jeweils in den verschiedenen Handlungsfeldern und Kontexten Sozialer Arbeit unter Partizipation verstanden bzw. wie diese praktisch realisiert wird, recht unterschiedlich sein kann (vgl. Scheu und Autrata 2013). Im Rahmen Sozialer Arbeit wird Partizipation jedoch häufig mit sozialer Teilhabe übersetzt. In Anlehnung an Ritscher ist mit sozialer Teilhabe, sodann die Teilhabe der Adressat_innen an sozialen Entscheidungsprozessen, die ihren Alltag betreffen und beeinflussen, gemeint (vgl. Ritscher 2007). Ein solches Verständnis von Partizipation steht damit im Einklang mit zahlreichen Theoriepositionen Sozialer Arbeit: Soziale Arbeit bietet Hilfe und Unterstützung für Einzelne, Gruppen, Familien etc. in schwierigen Lebenslagen; Soziale Arbeit versucht dabei die Handlungsspielräume ihrer Adressat_innen zu erweitern, die Handlungsfähigkeit und Autonomie (wieder) herzustellen, Macht- und Abhängigkeitskonstellationen zu verringern und gesellschaftliche Normen und Regeln kritisch zu reflektieren.

Folgt man Schnurr, dann findet die Soziale Arbeit dabei „ihre eigenen normativen Orientierungen im Begriff der sozialen Gerechtigkeit und in den Grundrechten Würde, Freiheit und Gleichheit“ (Schnurr 2018, S. 633). In diesem Sinne kann Partizipation somit als „ein übergreifendes Ziel und Handlungsprinzip der Sozialen Arbeit“ verstanden werden (ebd. 631). Dass Partizipation in der Sozialen Arbeit mittlerweile einen Kernauftrag darstellt, ist dabei zu einem nicht unerheblichen Anteil auf die UN-Kinderrechtskonventionen und die UN-Behindertenrechtskonventionen zurückzuführen, welche insbesondere vulnerablen Gruppen und damit Adressat_innen Sozialer Arbeit explizite Schutz- und Partizipationsrechte einräumen und anerkennen.

Ein vergleichbarer Anspruch ist für den Kontext der Altenpflege in der Pflegecharta 2014 formuliert – so heißt es beispielsweise in § 1, dass Pflegebedürftige explizit ein Mitspracherecht haben sollen (vgl. BMFSFJ/BMG 2019). Partizipation hat sich damit, laut Messer, zu „einem neuen nationalen Paradigma der Gesundheitsversorgung gewandelt“ (Messer 2018, S. 14) bzw. wird gesetzt, dass Partizipation ermöglicht werden soll. Allerdings handelt es sich jedoch bei der Pflegecharta um eine Art „Selbstverpflichtung“, d. h. es kann kein rechtlicher Anspruch der Adressat_innen geltend gemacht werden. Als problematisch erweist sich darüber hinaus, dass bis dato kaum Vorstellungen darüber existieren, wie Partizipation im Kontext von Interaktion zwischen Adressat_innen und Gesundheitsprofessionen, insbesondere in Bezug auf vulnerable Gruppen, wie schwer Pflegebedürftige oder Menschen mit Demenz umgesetzt bzw. realisiert werden kann. So zeigen die Erfahrungen von Adressat_innen, dass Partizipationsmöglichkeiten im Rahmen von (Alten)pflege nach wie vor eher als gering einzuschätzen sind (vgl. ebd., S. 15).

Insgesamt ergibt sich damit bezogen auf die Frage der Perspektive der Adressat_innen im multiprofessionellen Aushandlungsgeschehen der Pflege ein doppelte, sich bedingende Leerstelle, die sich in der These formulieren lässt: Die Abwesenheit der Selbstpositionierungen und Stimmen der pflegebedürftigen Adressat_innen ist durch die mangelnde methodische und methodologische Reflexion zur Inklusion dieser Gruppe in Forschung und Praxis begründet. Abschließend soll daher diskutiert werden, inwiefern die Altenpflege diesbezüglich von der Sozialen Arbeit, einer Disziplin die sich explizit als adressatenorientiert versteht, lernen könnte.

Ausblick

Um die wachsende Gruppe der älteren pflegebedürftigen Menschen (Statistisches Bundesamt 2017) nicht weiter zu marginalisieren, sondern sie in ihrer Lebenswelt besser zu verstehen und somit auch aktiv zu deren Inklusion in der Gesellschaft beizutragen, bedarf es perspektivisch partizipativer Formen der Beteiligung für Forschung und Praxis.

Obgleich Partizipation in der Sozialen Arbeit in verschiedenen Handlungsfelder sehr heterogen diskutiert wird, lässt sich jedoch übergreifend konstatieren, dass im Diskurs der Sozialen Arbeit zumindest epistemologische, methodische, forschungsethische und -praktische Fragen und Herausforderungen, die sich sowohl an eine solche Praxis als auch an ein solches Forschen stellen, verhandelt werden, die im Kontext der Altenpflege bis dato erst wenig diskutiert werden.

Eine Soziale Arbeit, die ihr Handeln primär an ihren Adressat_innen ausrichtet, d. h. sich selbst als adressat_innenorientiert versteht und konzeptualisiert, hat u. E. somit die Aufgabe bzw. bietet zugleich das Potenzial, den Diskurs um Multiprofessionalität in der Altenpflege um die Perspektive und Beteiligung der Adressat_innen zu erweitern und auf unterschiedlichen Ebenen, für Forschung und Praxis, in den Blick zu nehmen. Konkret bedeutet dies danach zu fragen, wie in dem multiprofessionellen Geschehen die Stimmen der Adressat_innen eingefangen werden, wie ihre Positionen Gehör finden können; an welchen Stellen in welchen Situationen die Adressat_innen exkludiert oder mitunter nicht wahrgenommen werden; inwiefern Macht- und Rollenbeziehungen nicht nur zwischen den Professionen, sondern auch zwischen den Professionellen und Adressat_innen reflektiert und hinterfragt werden müssen? Weiterhin gilt es zu klären, wie Partizipation und Beteiligung auf verschiedenen Ebenen, d. h. rechtlich, strukturell, organisational und interaktionell sichergestellt und verankert werden können? Und es stellt sich die Herausforderung, wie Partizipation, insbesondere in Bezug auf besonders vulnerable Gruppen wie Pflegebedürftige, methodisch realisiert und ethisch reflektiert werden muss.

Genau diese Fragen und Herausforderungen bieten zugleich wichtige Anknüpfungspunkte für eine perspektivisch multiprofessionelle Kooperation von Sozialer Arbeit und Altenpflege. Während die Soziale Arbeit im multiprofessionellen Feld der Altenpflege bislang eher als randständig wahrgenommen wird, ergibt sich auf der Ebene von Partizipation und Beteiligung ein sowohl methodisches als auch ein fachliches gemeinsames Erkenntnisinteresse: Gemeinsames Ziel könnte es sein, Umsetzungsmöglichkeiten zu erarbeiten und zu erforschen. Dabei muss gemeinsam exploriert werden, wie Partizipationsprozesse sowohl in Forschung als auch in Praxis zu gestalten sind, wie die pflegebedürftigen Menschen sich unter der Berücksichtigung ihrer Bedürfnisse am besten auszudrücken vermögen und wie neue Methoden kreativ gestaltet und eingesetzt werden können. Ein derart mitunter exploratives partizipatives und multiprofessionelles Vorgehen mit pflegebedürftigen Menschen in der Altenpflege ermöglicht somit zum einen über das bisherige Wissen hinauszugehen und Wissen über das persönliche Leben, die Lebenspraxis und die Selbstpositionierungen aus der Perspektive der älteren pflegebedürftigen Menschen zu generieren und zum anderen durch das reflexive Einholen dieser Beteiligungsprozesse die methodologischen und methodischen Diskussionen um das partizipative Forschen mit älteren pflegebedürftigen Menschen in der Altenpflege zu erweitern.