Immer mehr junge Erwachsene nutzen die Möglichkeit, Erfahrungen im Ausland zu sammeln. Internationale Austauschprogramme wie beispielsweise weltwärts, kulturweit, der europäische Freiwilligendienst (EFD) und der internationale Jugendfreiwilligendienst (ijfd) ermöglichen jungen Erwachsenen aus Deutschland diese Auslandserfahrungen. Dabei rücken auch Programme in den Fokus – wie das Reverse-Programm von weltwärts und die Incoming-Programme des Bundesfreiwilligendienstes bzw. des Freiwilligen Sozialen Jahres – die es jungen Menschen aus Ländern des globalen Südens ermöglichen, einen Freiwilligendienst in Deutschland zu absolvieren.

Incoming-Freiwillige sind im Gegensatz zu Outgoing-Freiwilligen in Deutschland unterrepräsentiert, daran ändern auch die Bemühungen der vorhandenen Reverse-Programme (noch) nichts. Dabei sind Incoming-Freiwilligendienste kein neues Phänomen, sondern die Möglichkeit der staatlichen Förderung besteht bereits seit der Einführung des Freiwilligen Sozialen Jahres (FSJ) im Jahr 1964. Im Rahmen der Schaffung des Bundesfreiwilligendienstes 2011 wurde erstmals die Teilnahmemöglichkeit ausländischer Freiwilliger explizit erwähnt. 2013 wurde aufgrund vielfältiger zivilgesellschaftlicher Forderungen die weltwärts Süd-Nord-Komponente eingeführt (Skoruppa 2018).

Nichtsdestotrotz steigt die Zahl der Incoming-Freiwilligen in Deutschland die letzten Jahre stetig an. Waren es im Jahr 2014 noch ca. 1500 Incoming-Freiwillige (AKLHÜ 2015), so absolvierten 2016 bereits ca. 2500 Incoming-Freiwillige einen Freiwilligendienst in Deutschland (AKLHÜ 2018).

Motive von Incoming-Freiwilligen

Die Freiwilligen aus dem globalen Süden sind häufig bereits über 20 Jahre alt und haben teilweise schon eine Ausbildung bzw. ein Studium begonnen. Schneider (2016) beschäftigt sich mit den Motiven der Incoming-Freiwilligen einen Freiwilligendienst in Deutschland zu absolvieren. Die Zielgruppe in der Studie von Schneider zeichnet sich durch einen relativ hohen Bildungsstatus aus (Hochschulberechtigung), ca. 75 % haben bereits die Hochschule besucht oder gearbeitet. Häufig handelt es sich um Freiwillige aus akademischen Milieus aus Großstädten bzw. der Hauptstadt des jeweiligen Landes. Dennoch ist es für die meisten Incoming-Freiwilligen häufig das erste Mal, dass sie in Europa sind. Als die vier zentralen Motive der jungen Menschen für einen Incoming-Freiwilligendienst rekonstruiert Schneider in der Studie folgende:

  • Erwachsen werden, Selbstfindung, Selbständigkeit;

  • Kompetenzerweiterung (neue Sprache, …);

  • neue Kontakte und neue Lebenswelten kennenlernen;

  • praktische Erfahrung von gesellschaftlichen Veränderungen (Umgang mit Geschlechterrollen, Umweltschutz, etc.).

Die im 15. Kinder- und Jugendbericht erläuterten Kernherausforderungen an junge Menschen – nämlich Qualifikation, Verselbständigung und Selbstpositionierung (BMFSFJ 2017) – lassen sich in diesen Motiven wiederfinden; dies gilt für die Outgoing-Freiwillige gleichermaßen.

Freiwillige wie alle anderen auch?

Incoming-Freiwillige sind junge Menschen, die sich entschieden haben, sich freiwillig im sozialen Bereich zu engagieren und das außerhalb ihres bisherigen Herkunftslandes. Sie sind dabei nicht als Mitarbeiter_innen eingesetzt, sondern als Freiwillige, die die Arbeit unterstützen und bereichern. Dabei gilt stets das Prinzip der Arbeitsmarktneutralität, demzufolge Freiwillige nur als zusätzliche unterstützende Kraft eingesetzt werden und keine Erwerbsarbeitsplätze von ihnen ersetzt werden dürfen (BMFSFJ 2018, S. 546). Dieses Prinzip gilt auch bei allen anderen Freiwilligendiensten (FSJ, FÖJ, BFD). Damit verbunden ist auch der Aspekt, dass ein Freiwilligendienst stets auch eine Bildungsgelegenheit für die Freiwilligen selbst darstellen soll und somit der Freiwilligendienst als Lerndienst zu verstehen ist. Hiermit ist die Notwendigkeit einer Anleitung von Seiten der Einsatzstelle begründet, sowie die Freistellung für pädagogische Begleitseminare.

Zusätzlich zu diesen Aspekten von Arbeitsmarktneutralität, Anleitung und pädagogischen Reflexionsräumen ist der Incoming-Freiwilligendienst davon gekennzeichnet, dass es sich um Freiwillige handelt, die häufig das erste Mal in ihrem Leben in Europa/Deutschland sind. Incoming-Freiwillige (ebenso wie auch Outgoing-Freiwillige) sind im Vergleich zu nationalen Freiwilligen wie FSJler_innen o. ä. durchaus zusätzlich mit weiteren, über die Arbeit in ihrer Einsatzstelle hinausgehenden Themen beschäftigen. Sie sind biographisch mit verschiedenen Themen des Jugendalters konfrontiert und müssen/dürfen diese im Kontext von einer Migration (auf Zeit) bewältigen. King (2005) formuliert die These, dass Adoleszenz und Migrationshintergrund zu einer doppelten Krise im Jugendalter führen. Mangold (2013) distanziert sich vom Begriff der Krise, macht aber dennoch auf die Vervielfältigung der Herausforderungen aufmerksam, die sich für junge Erwachsene im Internationalen Freiwilligendienst ergeben.

So sind junge Menschen häufig das erste Mal für längere Zeit räumlich getrennt von ihren Herkunftsfamilien und Freund_innen in ihren Herkunftsländern, müssen sich mit fremden Sprachen auseinandersetzen und unbekannte Lebenssituationen meistern. In diesem Beitrag fokussiere ich hierbei auf die Frage, wer sie in dieser Situation unterstützt und mit wem sie ihre Zeit verbringen. Es geht also um die soziale Eingebundenheit der Incoming-Freiwilligen.

Datengrundlage

Im Rahmen des Seminars „Incoming-Freiwillige“ (WS 2018/19 und SS 2019), das in Zusammenarbeit mit Agnetha Bartels und Dorothee Kochskämper an der Universität Hildesheim, Institut für Sozial- und Organisationspädagogik, stattfand, wurden verschiedene Akteur_innen im Feld des Incoming-Freiwilligendienstes befragt:

  • Incoming-Freiwillige selbst,

  • Mitarbeiter_innen in Einsatzstellen, in denen die Incoming-Freiwilligen beschäftigt sind,

  • Adressat_innen in den Einsatzstellen sowie

  • Personen aus dem sozialen Umfeld der Incoming-Freiwilligen.

Während die Incoming-Freiwilligen mithilfe von egozentrierten Netzwerkkarten interviewt wurden, fanden mit den Adressat_innen Gespräche vor Ort in den Einsatzstellen statt. Die Mitarbeiter_innen wurden telefonisch mithilfe eines Leitfadeninterviews befragt.

Netzwerke der Incoming-Freiwilligen

In Interviews mit Incoming-Freiwilligen wurden diese mithilfe von Netzwerkkarten aufgefordert, Personen auf einer Karte einzuzeichnen und mit sich selbst (Ego) in Beziehung zu setzen, die aktuell in ihrem Leben wichtig sind. Aus den Netzwerkkarten der Incoming-Freiwilligen geht hervor, dass sich die sozialen Beziehungen, die sie aktuell als wichtig erachten, wie folgt einteilen lassen:

  • Einerseits benennen sie vor allem Beziehungen zu Menschen in ihren Herkunftsländern. Diese werden in den egozentrierten Netzwerkkarten auch häufig als wichtige und nahe Bezugspersonen platziert (also nah am Ego). Deutlich wird hierbei, dass Incoming-Freiwillige mit ihren Eltern, Verwandten und Freund_innen im Austausch sind und Unterstützung erhalten.

  • Andererseits lassen sich weitere transnationale Beziehungen in den Netzwerkkarten ablesen, was erneut einen Hinweis gibt, dass die Beziehungen der Incoming-Freiwilligen nicht auf den sozialen Nahraum beschränkt oder fokussiert sind.

Exemplarisch sind hier zwei Netzwerkkarten abgebildet, die veranschaulichen, dass …

  • … das soziale Umfeld im Herkunftsland eine bedeutende Rolle spielt und eine zentrale Ressource für die Incoming-Freiwilligen darstellt.

  • … Mitarbeiter_innen und Personen aus den jeweiligen Einrichtungen, in denen die Incoming-Freiwilligen arbeiten, durchaus – über die Funktionsrolle hinaus – wichtige Personen für die Incoming-Freiwilligen sind.

  • … die anderen Incoming-Freiwilligen wichtige Ansprechpersonen und eine zentrale Unterstützungsressource sind.

  • … Freundschaftsbeziehungen im geographischen Nahraum abseits von „Funktionsrollen“ sehr wenig benannt werden.

Das Netzwerk von Incoming-Freiwilligen im geographischen Nahraum setzt sich aus Mitarbeitenden in den jeweiligen Arbeitsstellen, die gegebenenfalls auch über ihre Funktionsrolle als Kolleg_innen oder Anleiter_innen mit ihnen in Beziehung stehen (z. B. wird gemeinsam Weihnachten gefeiert), Mitarbeiter_innen der jeweiligen Träger, welche im Rahmen von Zwischenseminaren o. ä. erlebt werden, als auch – und diese vor allem – aus anderen Incoming-Freiwillige zusammen.

Soziale Kontakte abseits von Arbeitskolleg_innen, Gastfamilien und anderen (Incoming- und nationalen) Freiwilligen finden selten Einzug in die Netzwerkkarten (Abb. 1 und 2). Das soziale Umfeld im Sinne von Beziehungen im regionalen Sozialraum ist somit sehr begrenzt. Incoming-Freiwillige verbringen viel Zeit in ihrem Arbeitskontext in der Einsatzstelle und mit anderen Incoming- und nationalen Freiwilligen. Dies lässt sich auch in Studien bezüglich internationalen Freiwilligen von Outgoings beobachten (bspw. Mangold 2013). Dabei wird auch jeweils sichtbar, dass die jungen Menschen transnational gut vernetzt sind und Unterstützung erhalten.

Abb. 1
figure 1

Netzwerkkarte J., 25 Jahre alt, seit acht Monaten in Deutschland

Abb. 2
figure 2

Netzwerkkarte M., 24 Jahre alt, seit acht Monaten in Deutschland

Es kann an dieser Stelle nicht abschließend beantwortet werden, inwiefern und ob die Incoming-Freiwilligen sich ein größeres und vielfältigeres sozialen Umfeld im sozialen Nahraum wünschen. Sie sind in transnationalen (Unterstützungs‑) Beziehungen eingebunden und mit anderen Freiwilligen vor Ort vernetzt. Von Seiten der Mitarbeiter_innen und Akteur_innen im sozialen Umfeld wird das Einbinden von Incoming-Freiwilligen in den regionalen Sozialraum jedoch als Aufgabe artikuliert.

Incoming-Freiwillige „einbinden“ müssen

Im Rahmen der Gespräche mit Mitarbeiter_innen, die für die Anleitung der Incoming-Freiwilligen zuständig sind, wird deutlich, dass die Anleitungsaufgaben häufig über die Begleitung im Rahmen eine Einsatzstelle hinausgehen:

… die Betreuung geht auch darüber hinaus das heißt wir haben auch immer Telefonkontakt, wenn irgendwelche Fragen anfallen oder wenn Notfälle sind Buskarte verloren oder Gehirnerschütterung oder keine Ahnung eh da kümmere ich mich dann auch (Mitarbeiter_in).

Die Betreuung geht über den Arbeitsalltag hinaus. Dies wird von den interviewten Mitarbeiter_innen ganz unterschiedlich erlebt – während die einen es als persönliche Bereicherung erleben, die jungen Menschen über die Arbeit hinaus begleiten zu dürfen, erleben es andere Mitarbeiter_innen als Mehrbelastung und Last und ziehen dann auch klarere Grenzen (kein Telefonkontakt usw.).

Generell lässt sich festhalten, dass das „Einbinden“ von Incoming-Freiwilligen als verantwortungsvolle Aufgabe wahrgenommen wird. Eine Person, die mit einer Incoming-Freiwilligen in Rahmen einer ehrenamtlichen Tätigkeit in einem sozialen Projekt zu tun hat, berichtet folgendes:

Also wir hatten selber auch kürzlich darüber nachgedacht jemand Freiwilliges hier aufzunehmen und haben uns dann aber dafür entschieden, das nochmal ein Jahr aufzuschieben. Weil wir uns das gerade nicht zugetraut haben da wirklich dann so klare Aufgaben und die Person auch wirklich einzubinden in Kontakte und so (soziales Umfeld).

Die Aussage, sich dafür zu entscheiden, das nochmal ein Jahr aufzuschieben, macht eine Negativ-Aussage in einer positiven Formulierung möglich – sie haben sich dafür entschieden, etwas (noch) nicht zu tun. Als Begründung wird angeführt, dass man sich noch nicht zutraue, klare Aufgaben zu formulieren und die Person wirklich einzubinden in Kontakte. Hier wird bereits sichtbar, dass es eine Doppelaufgabe gibt, welche Einsatzstellen, die einen Incoming-Freiwilligen aufnehmen, erwarten: einerseits das Bereitstellen von Arbeitsaufgaben, mit denen sich der/die Incoming-Freiwillige sinnvollerweise beschäftigen kann und andererseits die Einbindung in Kontakte und damit verbunden die Unterstützung in Bezug auf das soziale Umfeld. Diese Aufgabe kommt – anders möglicherweise als bei nationalen Freiwilligendiensten – auf die Einsatzstelle zu, ohne dass sie diesbezüglich einen klaren Auftrag haben.

Bereits der verwendete Begriff einbinden macht auf diese Aufgabe aufmerksam. In einem freundschaftlichen Zusammenhang würde man wohl nicht von Einbindung sprechen. Die Einbindung ist zielgerichtet und hat mit einem verantwortlichen Handeln zu tun mit dem Ziel den Incoming-Freiwilligen soziale Beziehungen im regionalen Nahraum zu ermöglichen. Begründet wird die Notwendigkeit der Einbindung auch damit, dass es „total schwierig [sei], wirklich so Freundschaften mit Leuten in einer ähnlichen Lebenssituation oder so herzustellen“ (soziales Umfeld).

Fazit/Ausblick

Die bisherigen Überlegungen konnten zeigen, dass es vielfältige Parallelen zwischen Incoming- und Outgoing-Freiwilligen gibt (das erstes Mal längere Zeit abseits der Herkunftsfamilie, Neues entdecken wollen, …). Die Netzwerke der jungen Menschen – und auch dies scheint für die Outgoings zuzutreffen (vgl. Altissimo et al. 2018) – sind insbesondere von anderen Freiwilligen, von Mitarbeiter_innen der Einsatzstelle und von Menschen in ihrem Herkunftsland geprägt. Während dies in Diskussionen um Outgoings meist auf die jeweilige Peergroup der Freiwilligen zurückgeführt wird (vgl. bspw. Mangold 2013), wird in der vorliegenden Studie deutlich, dass die Einsatzstellen selbst die Einbindung der Incoming-Freiwilligen als relevante Aufgabe reflektieren (welche nicht als klar formulierte Aufgabe von Seiten der Träger festgeschrieben ist). Diese Aufgabe lässt sich vor allem auf der Folie einer Gesellschaft verstehen, in der es eine Herausforderung für Menschen aus anderen Ländern zu sein scheint, Anschluss zu finden. Somit steckt hinter der wahrgenommenen Aufgabe ein zentrales Ziel des Internationalen Freiwilligendienstes – nämlich Menschen verschiedener Nationen und verschiedener Kulturen miteinander in Kontakt zu bringen und Vorurteile zu überwinden.

So wäre es sinnvoll und wünschenswert hier (weitere) Modelle zu entwickeln Incoming-Freiwillige im sozialen Umfeld zu vernetzen (z. B. Peer-Pat_innen-Modelle; Integration in Sportvereine o. ä.) – immer davon ausgehend, dass dies auch von den Incoming-Freiwilligen gewünscht wird. Dabei darf aber nicht übersehen werden, dass die jungen Menschen transnational gut vernetzt sind und durchaus in verlässlichen Unterstützungsbeziehungen agieren – so wie die Outgoing-Freiwilligen auch in Beziehung mit anderen Freiwilligen und ihren Familien und Freund_innen aus dem Herkunftsland sind.