Zusammenfassung
In diesem Artikel in der Zeitschrift für Psychodrama und Soziometrie wird danach gefragt, welche Potenziale für hoffnungsvolle Utopien in Zeiten multipler Krisen in psychodramatischem und insbesondere soziodramatischem Handeln und Denken zu entdecken sind. Ausgehend von Blochs Ansatz einer konkreten Utopie wird Bezug genommen auf eine psychodramatische Lesart des „überschüssigen Sinns“ in Lorenzers Theorie des „Szenischen Verstehens“ und diese mit dem psychodramatischen Konzept der Surplus Reality in Verbindung gebracht. An Beispielen aus der soziodramatischen Praxis werden günstige Voraussetzungen wie Grenzen der Wirksamkeit einer Umsetzung kritisch reflektiert.
Abstract
In this essay in the journal Zeitschrift für Psychodrama und Soziometrie we ask what potentials for hopeful utopias in times of multiple crises can be discovered in psychodramatic and especially sociodramatic acting and thinking. Starting from Bloch’s approach of a concrete utopia, reference is made to a psychodramatic reading of “surplus meaning” in Lorenzer’s theory of “scenic understanding” and this is related to the psychodramatic concept of Surplus Reality. Examples from sociodramatic practice are used to critically reflect on favorable conditions as well as limits of the effectiveness of an implementation.
Notes
Auch Bloch spricht insbesondere im ästhetischen Feld des „Kunstwollens“ von „Überschüsse(n) über Ideologie“, die mit den Gesellschaften nicht immer untergehen (Bloch 1976, S. 13).
Zukunftswerkstätten werden seit den achtziger Jahren bis heute in sozialen Feldern und im Bildungsbereich praktiziert. Sie hatten und haben das Ziel, Betroffene von gesellschaftlichen Problemen zu Beteiligten zu machen (Jung und Müllert 1981). Die Phasen dieser Werkstätten heißen Beginnen/Hineinfinden, Beschwerde/Kritik, Fantasie/Utopie, Verwirklichung/Praxis und Nachbereitungen (z. B. vgl. Holzinger 2018, S. 295–303).
vgl. „Change Kurve“ (o. J.), oft eingesetzt m Change Management. Ähnlich die Fünf Phasen der Trauer nach Kübler-Ross (2021), später von unterschiedlichen Autoren in den Business Kontext übertragen. Siehe auch Scharmer (Theorie U), hier der Moment der Präsenz am Boden des U‑förmigen Prozesses hin zur Kreativität (Scharmer 2009).
Diese Anregung stammt aus einem gemeinsamen Weiterbildungsseminar mit Christoph Buckel (Soziodrama-Akademie) und wären zu ergänzen mit einer Vielfalt von Arrangements und Techniken aus dem „Praxishandbuch Soziodrama“ von Buckel et al. (2020).
Hier können Methoden und Begründungen aus ressourcenorientierten Embodiment-Ansätzen genutzt werden. Im Unterschied zu dem in diesem Text vorgestellten Erforschen der noch-nicht-gewussten Ziele geht z. B. das Zürcher Ressourcenmodell als Coachingpraxis allerdings von einem vorab formulierten Ziel aus, das es „maßgeschneidert“ zu einem motivierenden Motto zu entwickeln gilt: „Zu dem bewussten Ziel mit dem Unbewussten ein Bild wählen, dann zu dem Bild die passenden Worte erarbeiten, aus diesen Worten ein Motto-Ziel bauen und dieses Sprachgebilde, das eng mit der Bilderwelt verbinden ist, mit den daran gekoppelten somato-affektiven Signalen aus der Körperwelt auf maß schneidern.“ (Storch und Weber 2015, S. 269).
Hier noch einmal Bloch: Hoffnung ist für ihn nicht bloß ein Affekt. Das hoffnungsvolle „Träumen nach vorwärts“, das den „aufrechten Gang“ stärkt, basiert auf Wissen. An der Kluft zwischen Erträumtem und Wirklichkeit muss also auch kognitiv gearbeitet werden. (Bloch 1976; S. 11/12).
Literatur
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Heppekausen, J. Hoffen lernen in diesen Zeiten?. Z Psychodrama Soziom 23, 41–57 (2024). https://doi.org/10.1007/s11620-023-00766-0
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