In diesen Interviews sprechen Otto Glanzer, Karsten Krauskopf, Hod Orkibi und Christian Stadler mit Konrad Schnabel über die Zukunft der Psychodramatherapieforschung. Es geht um das Aufspüren von Möglichkeiten, wie sich Psychodrama bei ausstehender wissenschaftlicher und sozialrechtlicher Anerkennung als eigenständiger Interventionsansatz behaupten kann. Die sozialrechtliche Anerkennung spielt in Deutschland eine wichtige Rolle, weil sie eine Voraussetzung darstellt, damit Krankenversicherte psychotherapeutische Behandlungen durch die Krankenkassen finanzieren können. Derzeit sind in Deutschland Tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie, Analytische Psychotherapie, Verhaltenstherapie und Systemische Therapie sozialrechtlich anerkannt. Mit der sozialrechtlichen Anerkennung verbunden ist die Berücksichtigung dieser Verfahren im Curriculum des neuen Master-Studienganges Klinische Psychologie und Psychotherapie, der mit einer Approbationsprüfung abschließt. Zur sozialrechtlichen und wissenschaftlichen Anerkennung müssen Wirksamkeit und Nutzen des Psychotherapieverfahrens für unterschiedliche psychische Störungsbilder empirisch nachgewiesen werden.

Die Interviews beleuchten grundlegende Kern- und Alleinstellungsmerkmale des Psychodramas und diskutieren wie sich diese in Praxis, Forschung und beim psychodramatischen Nachwuchs stärken lassen. Mit der sozialrechtlichen Anerkennung der Systemischen Psychotherapie und vor allem der zunehmenden Bedeutung der Gruppentherapie öffnen sich neue Türen für das Psychodrama. Der Nachweis der Wirksamkeit und ein vertieftes wissenschaftliches Verständnis der im Rahmen von Psychodramatherapie ablaufenden Prozesse kann nicht zuletzt starke Argumente liefern, die den Stellenwert des Psychodramas und seine spezifischen Möglichkeiten auch außerhalb des psychotherapeutischen Bereichs, also in Coaching und Beratung, verdeutlichen. Otto Glanzer beantwortet als Gestalttherapeut und Mitglied der Arbeitsgruppe Forschung der Arbeitsgemeinschaft Humanistische Psychotherapie die Fragen mit einem breiteren Bezug zu Humanistischen Therapieansätzen. Karsten Krauskopf, Hod Orkibi und Christian Stadler sprechen insbesondere über Psychodramatherapie. Karsten Krauskopf schafft durch seine Kenntnisse in analytischer Psychotherapie Bezüge zu einem sozialrechtlich anerkannten Verfahren. Hod Orkibi schlägt als Drama- und Kunsttherapeut Brücken zur Familie der Kreativen Therapien und ist zudem ein ausgewiesener Experte im internationalen Feld der Psychodramaforschung. Christian Stadler stellt als praktischer Anwender und Psychodrama Forschender Bezüge zur Tiefenpsychologischen Psychotherapie her. Die Interviews wurden teilweise leicht gekürzt. Alle Interviewten stimmten der hier wiedergegebenen Version zu. Das englisch durchgeführte Interview mit Hod Orkibi wurde von Konrad Schnabel ins Deutsche übersetzt. Die Interviews wurden getrennt voneinander durchgeführt, hier werden die Antworten jeweils direkt hintereinander abgedruckt.

FormalPara Lassen Sie uns zunächst mit einer eher spielerischen Annäherung beginnen. Welche Metapher kommt Ihnen für die momentane Lage der Forschung zu Humanistischen Therapien beziehungsweise insbesondere zur Psychodramatherapieforschung in den Sinn?

Otto Glanzer: Da fällt mir ein Cartoon ein, in dem ein Storch einen Frosch schlucken möchte, aber der Frosch hält mit beiden Händen den Hals des Storchs umklammert. Dazu ein kurzes „Never give up!“. Ich denke, die Humanistische Psychotherapie ist dabei, von den sogenannten Richtlinienverfahren geschluckt zu werden. Im neuen von Rief, Schramm und Strauß herausgegebenen Lehrbuch mit dem Untertitel „Ein kompetenzorientiertes Lehrbuch“ wird die Humanistische Psychotherapie lediglich als eine impulsgebende Richtung bezeichnet. Dabei werden zwei gesprächspsychotherapeutische Varianten und die Gestalttherapie genannt. In Deutschland wird man gar nicht mehr richtig als eigenständiges Verfahren in der Literatur aufgenommen. Und die emotionsfokussierte Therapie nach Elliott und Greenberg wird mehr und mehr als Methode der Verhaltenstherapie in Deutschland propagiert. Wir sind dabei, aufgesaugt, geschluckt zu werden. Und da fällt mir als Symbol der Storch mit dem Frosch ein und der Frosch hält verzweifelt den Hals des Storchs umklammert.

Karsten Krauskopf: Da denke ich an Dornröschen in ihrem hundertjährigen Schlaf. Es ist keineswegs so, dass da nichts ist, aber Jugend, Schönheit und Potenziale liegen wie ungenutzt da. Als ob ein Prinz kommen müsste, um sie wach zu küssen.

Hod Orkibi: Ich denke dabei an einen Fluss mit vielen verschiedenen kleinen Bächen, wobei es einige unterirdische Ströme gibt. Manche sind bekannter, größer und stärker, während es andere kleine Flüsse gibt, die versuchen, sich einen Weg zu bahnen. Vielleicht sollten wir sie zusammenführen, damit ihre Stimme deutlicher und einflussreicher wird.

Christian Stadler: Es ist so ein bisschen wie ein Schiff, auf dem es eine Menge Leute gibt. Es gibt aber keinen Kapitän oder Steuermann*frau. Und die Menschen sind sich nicht einig, wo sie überall hinwollen, was das Ziel ist, welches die beste Antriebsart ist. In diesem Bild, gibt es viele Schiffe und auch Schiffe, die in anderen Ländern hergestellt wurden und gut funktionieren. Keine Ahnung, wie es da mit Kapitänen ausschaut, aber ich denke, man könnte sich da Einiges zu eigen machen oder abgucken. Die allgemeinere Frage bezieht sich auf die Arbeitsgemeinschaft Humanistische Psychotherapie (AGHPT). Dort ist sozusagen ein Anlauf gemacht worden, tatsächlich mit einem Beauftragten oder Steuermann. Es gibt also zwei Seiten: Einerseits Psychodrama-Forschung, andrerseits Psychodrama im Rahmen der Humanistischen Therapien beforschen.

FormalPara Psychodrama-Therapie ist die Pionierin der Gruppentherapie. Inwiefern wird die aktuelle Forschung und Praxis dieser Besonderheit gerecht und was kann unternommen werden, um die spezifischen Potenziale des Psychodramas oder der Humanistischen Therapien insgesamt als gruppentherapeutisches Verfahren zu stärken?

Otto Glanzer: Man müsste Forschung betreiben so wie Bernhard Strauß zum Beispiel sein Buch über Gruppenpsychotherapie herausgegeben hat. Wir müssten forschen, was kaum möglich ist, wenn man keine universitäre Infrastruktur und keine Kliniken zur Verfügung hat. Das haben die Richtlinienverfahren und die haben daher eine riesige Datenmenge zur Verfügung. Bei der letzten Tagung des Deutschen Kollegiums für Psychosomatische Medizin wurden unglaubliche Patientenzahlen und Metaanalysen über Gruppentherapie präsentiert. Das ist wirklich sehr beeindruckend. Wir machen in der Gestaltpsychotherapie hauptsächlich Einzelarbeit im Rahmen der Gruppe. In der modernen Form wird die Gruppentherapie mit einbezogen. Vor allem das Psychodrama mit dem Schwerpunkt auf Gruppe müsste empirische Forschung in möglichst großem Maß betreiben. Aber wie das ohne universitäre Anbindung gelingen kann, ist mir ein Rätsel. Man müsste international in den Ländern aktiv werden, wo die Humanistische Psychotherapie anerkannt ist, zum Beispiel in Italien, Chile oder Österreich.

Karsten Krauskopf: Wir sollten uns insbesondere anschauen, was passiert in der Gruppe und was passiert vor und nach Gruppensitzungen. Das soziometrische Instrumentarium ermöglicht uns, die gegenseitigen Wahlen und deren Veränderungen mit in den Blick zu nehmen. Also wer spielt welche Rollen, mit welchen Valenzen, in welchen Dramen und wer gibt wem welches Feedback in der Nachbesprechung? Die Perspektive sollte auf die Gruppe gerichtet sein, weg von den einzelnen Protagonist*innen hin zu geteilten Themen und zum Beziehungsaufbau der Teilnehmenden untereinander als Wirkfaktor.

Hod Orkibi: Eine der Herausforderungen bei der Erforschung des Psychodramas als Gruppenintervention besteht darin, dass wir in der Regel ein protagonistenzentriertes Psychodrama anwenden, bei dem die Gruppenmitglieder, die den Protagonisten bei der Arbeit beobachten, in unterschiedlichem Maße beteiligt sind. Die Fokussierung auf das Individuum macht es einfacher zu sagen, ob sich der Klient durch die Behandlung verändert hat, da der Klient derjenige ist, der aktiv ist. Im Psychodrama haben die Gruppenmitglieder viele verschiedene Rollen, und wir müssen einen Weg finden, den Einfluss der verschiedenen Gruppenmitglieder zu messen, ebenso wie die Auswirkungen eines protagonistenzentrierten Psychodramas auf diejenigen, die als Hilfs-Ichs oder Zuschauer teilnehmen.

Christian Stadler: Das Erste ist natürlich das Zitat von Moreno, was mir dazu einfällt, Psychodrama ist Therapie in der Gruppe durch die Gruppe, für die Gruppe und der Gruppe. Der erste Punkt wäre zu überlegen, welchen Aspekt man beforscht, weil Psychodrama in der Gruppe eher einzelfallorientiert wäre. Die Themen Soziodrama und Soziometrie würde ich stärker mit einbeziehen, weil das die Instrumente sind, mit denen Moreno primär in die Gruppen eingestiegen ist. Wenn ich das aufgreifen darf, was meine Vorredner gesagt haben, sollten wir anschauen, was ist vor Gruppe, nach Gruppe und in der Gruppe, so dass man diese Bereiche unterscheidet. Man könnte natürlich auch schauen, was passiert mit den Mitspieler*innen, die ja auch Teil des Psychodrama sind, selbst wenn es protagonist*innenzentriert ist. Erstmal wäre festzulegen, auf welchen dieser Aspekte bezüglich Gruppe zielen wir genau, um dann von dort zu starten. Und natürlich ist die Anerkennungsfrage, was die Psychotherapie angeht, immer relevant. Da geht es tatsächlich nicht um die Entwicklung der Gruppe, sondern am Ende des Tages sollen die Patient*innen gesünder werden. Daran werden wir immer gemessen werden. Das ist die Schwierigkeit, die es dabei auch zu bedenken gilt. Wenn man auf Veränderung schaut, könnte man auch untersuchen, was passiert in einem monodramatischen Setting und welche Intervention führt zu welcher Veränderung?

FormalPara Ganz verallgemeinernd lässt sich Psychotherapieforschung zwei großen Bereichen zuordnen. Der eine Bereich betrifft Fragen nach der Effektivität der psychotherapeutischen Methoden, die sogenannte Outcome- oder Legitimationsforschung. Der andere Bereich betrifft die konkreten Wirkprinzipien, also die Psychotherapie-Prozessforschung. Ich würde Sie gerne bitten, jeweils verschiedene Schwerpunkte in beiden Bereichen zu beschreiben, die die Psychodramatherapieforschung bzw. die Forschung zu Humanistischen Therapien insgesamt in den nächsten zehn Jahren verfolgen sollte.

Otto Glanzer: Die Legitimationsforschung ist am besten mit RCT Designs zu erbringen. Wenn das aufgrund von mangelnder Universitätsanbindung, mangelnder Klinikanbindung nicht gut möglich ist, dann bleiben die hochqualitativen Einzelfall-Zeitreihen Studien. Den Humanistischen Verfahren ist zweierlei zu wünschen. Es sollten schulenspezifische (also für Gestalt- oder Psychodramatherapie) Messmethoden entwickelt werden. Zum Beispiel Fragebögen und Fremdbeurteilungsbögen, mit denen dann mit etablierten Verfahren wie der Symptom Check List hochqualifizierte Einzelfall-Zeitreihen Studien durchgeführt werden. In der Gestalttherapie haben wir zum Beispiel die Gestalt Inventory of Resistance Loadings. Oder die Chilenen in der Gruppe um Pablo Herrera entwickeln eine Selbstbeschreibung und ein Beobachtungsverfahren für psychosomatische Erkrankungen. Zusammengefasst sollten wir theoriespezifische Messinstrumente entwickeln und dann viele Einzelfall-Zeitreihen Studien machen.

Karsten Krauskopf: Für die Legitimationsforschung bräuchte man größere Stichproben mit therapeutisch arbeitenden Psychodrama Gruppen, die beispielsweise Psychodrama über zehn Wochen zur Behandlung von Depression anwenden, vorher und nachher ein Becks-Depressions-Inventar durchführen und dann mit den Ergebnissen aus anderen Interventionsverfahren vergleichen. Für die Wirksamkeitsforschung sollten wir die Kernmethoden betrachten und zum Beispiel, wie von Reinhard Krüger beschrieben, detailliert Bühne- und Szenenaufbau analysieren. Wir sollten Erkenntnisse aus der Entwicklungspsychologie nutzen, um Prozesse beim Doppeln, Rollentausch und Spiegeln besser zu verstehen. Und wir sollten uns damit beschäftigen, inwiefern psychodramatische Kerntechniken zu einer Kompetenzerweiterung beim Verstehen, Erkennen, Kommunizieren und Regulieren eigener und fremder Emotionen beitragen.

Hod Orkibi: Ich weiß es zu schätzen, dass Sie diese Unterscheidung treffen, denn viele Jahre lang haben wir uns nur auf die Effekte in Outcome-Studien konzentriert. Einige der frühen Studien von Kellerman und Kipper begannen mit der Untersuchung von Prozessen. Zusammen mit Kolleginnen und Kollegen habe ich ein zusammenfassendes Review über die therapeutischen Faktoren und Veränderungsmechanismen von Kunsttherapien verfasst, in dem ich mich verpflichtet fühlte, das Psychodrama zu vertreten und einzubeziehen. Diesen Diskurs im breiteren Kontext der Kunsttherapien zu führen, kann dem Psychodrama wirklich helfen. Ich glaube, dass wir zunächst einmal eine Art gemeinsame Sprache brauchen. Wir haben zum Beispiel eine Unterscheidung zwischen Faktoren getroffen, die allen Psychotherapien unabhängig von der Behandlungsmethode gemeinsam sind. Der am besten untersuchte gemeinsame Faktor ist die therapeutische Allianz. Dabei spielt es keine Rolle, ob es sich um Psychodrama, kognitive Verhaltenstherapie, Humanistische Psychologie, emotionsfokussierte Therapie oder psychodynamische Psychotherapie handelt. Wir untersuchten auch gemeinsame Faktoren, die den verschiedenen Kunsttherapien zuzuordnen sind. Zum Beispiel sind Spielfreude, Spontaneität oder Kreativität nicht nur für das Psychodrama relevant. Ich denke, wenn das Psychodrama weiterhin von den Kunsttherapien getrennt wird, werden wir nicht in diesen sehr interessanten Diskurs einbezogen, der innerhalb der Kunsttherapien entwickelt wurde. Die dritte Art von therapeutischen Faktoren werden als spezifische Faktoren bezeichnet. An dieser Stelle wird es noch interessanter. Spezifische Faktoren sind spezifisch für das Psychodrama. Viele Wissenschaftler verwenden unterschiedliche Begriffe, die das Gleiche bedeuten. Das ist ein sehr großes Problem in der Forschung, weil es sehr schwierig ist, ein systematisches Review oder eine Meta-Analyse zu verfassen. Wenn so viele verschiedene Begriffe verwendet werden, ohne die feinen Unterschiede zu kennen, ist es schwierig, eine gemeinsame Grundlage für empirische Evidenz zu entwickeln. Wir müssen die Begriffe vereinheitlichen, damit wir die gleiche Sprache sprechen. Zum Beispiel ist der Begriff „Mechanismen der Veränderung“ nicht dasselbe wie „therapeutische Faktoren“, aber viele Leute verwenden ihn austauschbar, als ob er dasselbe wäre. Das ist eines der Probleme, wenn man über die verschiedenen Terminologien spricht. Das zweite Problem im Zusammenhang mit Prozess und Outcome ist ein besseres Verständnis des Konzepts der statistischen Mediation, was im Grunde bedeutet, dass wir Daten zu mehreren Zeitpunkten im Verlauf der Behandlung erheben müssen. Es reicht nicht aus, Daten nur vor und nach der Behandlung zu erheben, wie es in den meisten Studien geschieht. Ich habe vor kurzem mit Kollegen eine Meta-Analyse über Psychodrama und Dramatherapie durchgeführt. Wir mussten viele Studien ausschließen, weil sie nur Daten vor und nach der Behandlung erhoben haben und keine Kontrollgruppe hatten. Wir müssen mehr randomisierte Kontrollstudien (Randomized Controlled Trials, RCTs) oder zumindest kontrollierte klinische Studien (Controlled Clinical Trails, CCTs) durchführen, die keine Randomisierung aber eine Kontrollgruppe haben. Es scheint, dass in der Türkei derzeit eine beträchtliche Anzahl von RCTs durchgeführt werden, vielleicht weil ein Großteil der Psychodrama-Forschung in Krankenhäusern stattfindet. Aber es reicht nicht aus, nur RCTs zu verwenden. Ich möchte dazu einladen, auch die therapeutischen Faktoren zu messen, aber das kann man nicht mit nur zwei Datenpunkten tun. Man muss mindestens drei oder vier Datenpunkte verwenden, um zu sehen, was sich wie und in welcher Abfolge verändert. Wir wollen zeigen, dass sich der therapeutische Faktor ändert, bevor sich das Outcome ändert. Mein dritter Punkt ist, dass wir auch den Zusammenhang zwischen prozessbezogenen therapeutischen Faktoren und dem Outcome untersuchen sollten. Dies würde voraussetzen, dass die Psychodrama-Ausbildung stärker forschungsorientiert ist, denn wir werden keine Forschende haben, die sich mit quantitativen Methoden auskennen, wenn Psychodrama nur in Instituten gelehrt wird, die nicht akademisch sind und weniger oder keinen Wert auf Forschungsmethoden legen. Denn die Sprache der Wissenschaft ist für viele Therapeut*innen, die zwar hervorragende Kliniker*innen sind, nicht unbedingt intuitiv verständlich. Außerdem müssen wir uns mit dem auseinandersetzen, was oft als „Replikationskrise“ bezeichnet wird, um zu zeigen, dass die Wirksamkeit nicht nur zufällig oder in einem sehr spezifischen Kontext gegeben ist, sondern tatsächlich solide und vertrauenswürdig ist.

Christian Stadler: Da kann ich direkt anknüpfen an das, was ich zuvor schon andeutete. Bezüglich des Outcomes könnte untersucht werden, welche Interventionen psychodramatischer Art zu welcher Veränderung führen und dabei tatsächlich zielgruppenspezifisch vorgehen, also z. B. bei Angstpatient*innen oder bei depressiven Patient*innen. Gemessen werden wir am Kriterium Wissenschaftlichkeit in dieser sehr eingeschränkten Definition der randomisierten Kontrollstudien. Die werden wir so nicht hinbekommen, weil wir wenig Zugang haben zu solchen großen klinischen Studienpopulationen. Aber zumindest die kleinere Variante könnte man im Rahmen von Vergleichsstudien in den Blick nehmen. Also in einer Klinik, wo Psychotherapie einmal mit Psychodrama stattfindet und einmal mit VT. In Bezug auf das Modell von Reinhard Krüger zur mentalisierungsbasierten Therapie könnte man natürlich jetzt eine Vergleichsstudie starten. Dabei erfolgt ein Vergleich der Effekte, wenn mentalisationsbasiert ausschließlich im Rahmen von Psychoanalyse oder TP, also ausschließlich sprechend gearbeitet wird, im Unterschied zu Mentalisierung über psychodramatisches Arbeiten. Dann entstünde eine gemeinsame Schnittmenge. Es müsste nicht nochmal extra nachgewiesen werde, dass die Mentalisierungsförderung etwas Salutogenes ist. Wir müssten sozusagen nicht von ganz vorne anfangen an der Stelle.

FormalPara Eine aktuelle Konzeptualisierung versteht Psychodrama als mentalisationsbasiertes Verfahren, das Mentalisationsprozesse szenisch darstellt und bearbeitet. Inwiefern kann diese Definition ein grundlegendes theoretisches Modell sein, um spezifische Wirkfaktoren des Psychodramas abzubilden und in einen breiteren Kontext, zum Beispiel im Rahmen der Humanistischen Therapien, zu stellen? Ein wichtiger therapeutischer Faktor des Psychodramas ist beispielsweise die Konkretisierung, also die konkrete Darstellung von inneren Empfindungen, um sie im Hier und Jetzt sichtbar und erlebbar werden zu lassen.

Otto Glanzer: Ich denke schon, dass die frühe Avantgarde der Psychotherapie also auch Psychodrama und Gestalttherapie anschlussfähig sind an die moderne psychoanalytische Diskussion. Die mentalisationsbasierte Psychotherapie nach Peter Fonagy ist ja so gesehen nicht neu. Wir verwenden zum Beispiel die psychodramatische und gestalttherapeutische Stühle-Arbeit, um innere Konflikte im Hier und Jetzt darzustellen. Im Sinne der Problemaktualisierung nach Grawe sind wir ja eigentlich vorderste Front gewesen. Wir waren lang vor Peter Fonagy mit diesen Dingen schon aktuell, vor allem das Psychodrama. Also man könnte sagen die moderne psychodynamische Psychotherapie hat aufgeschlossen zu uns, aber berufsrechtlich schaut es nur leider andersrum aus. Sie stellen mir jetzt die Frage, ob sich das Psychodrama an die mentalisationsbasierte Psychotherapie anschließen könnte. Historisch ist es meines Wissens in Wirklichkeit genau umgekehrt. Aber natürlich, unter dem Umbrella der mentalisationsbasierten Psychotherapie lässt sich sehr viel Kluges, Gescheites aus der Bindungstheorie, der Psychodramatherapie und der psychodynamischen Entwicklungspsychologie zusammenfassen. Das ist alles sehr spannend. Es ärgert mich nur historisch, dass wir jetzt fragen müssen, ob wir da dazu passen und es eigentlich umgekehrt sein müsste.

Karsten Krauskopf: Also da bin ich skeptisch. Aus meiner Sicht sind mentalisationsbasierte Verfahren als theoretische Ansätze bestimmt interessant, vielleicht aber eher im Sinne der Outcomeforschung, um zu untersuchen, ob Menschen nach psychodramatischen Interventionen besser mentalisieren können. Auf der anderen Seite müssen wir aufpassen, Psychodrama nicht nur als Tool der mentalisationsbasierten therapeutischen Ansätze darzustellen, weil dabei der humanistische Hintergrund und Anspruch zu kurz kommt.

Hod Orkibi: Für mich bezieht sich Mentalisierung eher auf die Arbeit von Peter Fonagy, also auf die Fähigkeit, über das eigene Denken und das der anderen nachzudenken, und die Verwendung dieses spezifischen Begriffs zur Beschreibung des Psychodramas scheint mir einschränkend zu sein. Ich denke, dass das Psychodrama viel breiter ist als Mentalisierung. Ich habe einen Artikel über Konkretisierung in Frontiers in Psychology geschrieben. Konkretisierung ist ein wunderbares Beispiel für einen Prozess, der nicht nur kognitiv ist, sondern auch ein emotionaler und körperlicher Prozess, der vage und abstrakte Erfahrungen aufgreift und sie greifbar macht. Wir müssen beginnen, die Konkretisierung als therapeutischen Faktor zu operationalisieren. Wenn wir in der Lage sein wollen, diese Veränderungsprozesse zu dokumentieren, müssen wir wissen, worauf wir schauen. Vorzugsweise nicht nur durch Selbstauskunft, sondern auch durch Beobachtungsmethoden, indem wir uns aufgezeichnete Sitzungen ansehen und die Indikatoren der beobachteten therapeutischen Faktoren kodieren.

Christian Stadler: Also grundsätzlich denke ich, dass ein transtheoretisches Modell, wie es die Mentalisierungsorientierung ist, einen großen Gewinn darstellt, um anschlussfähig zu bleiben in der Diskussion, was wissenschaftlich ist oder was wirksam ist. Nach Reinhard Krüger stößt das psychodramatische Arbeiten auch die Mentalisierung an. Es handelt sich also nicht nur um den Prozess, der in der Frage beschrieben ist (Mentalisieren wird szenisch dargestellt), sondern das Umgekehrte gilt auch. Man muss sozusagen mentalisieren, um psychodramatisch etwas umzusetzen und auf die Bühne zu bringen. Ich muss mir meine inneren Bilder klar machen, z. B. was steht wo auf der Bühne. Und insofern fände ich es sehr gut, eben nicht als verfahrensbezogenes, sondern übergreifendes Modell. Der zweite Teil der Frage bezieht sich darauf, inwieweit sich das in der Community der Humanistischen Therapien so darstellen lässt. Das weiß ich nicht. Es handelt sich wahrscheinlich um ein Modell, das dort gar nicht so viele Menschen wirklich kennen. Also müssten wir erst mal das Modell darstellen und auch in die Sprache der jeweiligen Verfahren bringen, um es dann nutzen zu können. Wir haben das Thema ja beim Psychodrama, dass es im Prinzip je nach Anwender*in auch eine unterschiedliche Schwerpunktsetzung gibt. Wir haben Anwender*innen, die mehr in Richtung hermeneutische Verfahren gehen, psychodynamische Verfahren, wir haben Anwender*innen, die mehr in Richtung Verhaltensorientierung gehen und wir haben Anwender*innen, die mehr in Richtung der systemischen Sicht gehen. Daher ist es schwierig, ein sehr spezifisches Modell zu finden und würde noch mal für mich dafür sprechen, ein übergreifendes zu wählen.

FormalPara Die Förderung von Spontaneität und Kreativität sind Kernanliegen des Psychodramas. Überraschenderweise gibt es gerade zu diesen beiden Aspekten nur wenig Forschung. Wie können wir dies ändern?

Otto Glanzer: Ich bin da jetzt nicht so eingearbeitet in die Kreativitätsforschung. Man müsste mit Masterarbeiten zur Kreativitätsforschung allgemein und zur Kreativitätsforschung im psychotherapeutischen Rahmen beginnen. Das ist wahrscheinlich ein Feld, um einen Nobelpreis anzustreben. Wir müssten Studierende finden, die sagen: „Ja, das ist interessant, da konzentriere ich mich drauf und gehe der Sache nach.“

Karsten Krauskopf: Der akademisch gebildete Psychologe in mir sagt, wir müssen es bloß ordentlich operationalisieren. Auf einer gemeinsamen Konferenz könnten wir Operationalisierungen für Spontaneität und Kreativität erarbeiten. Bei Kreativität gibt es Maße im Sinne von divergentem Denken, die im Kontext von psychodramatischen Interventionen eingesetzt werden können. Wir könnten untersuchen, inwiefern divergentes Denken eine Voraussetzung für das Finden neuer Handlungsalternativen ist. Spontaneität könnte mit Reaktionszeiten in Bezug gesetzt werden, die sich möglicherweise nach einer psychodramatischen Erwärmung verringern. Gleichzeitig sollten Gruppenphänomene wie emotionale Ansteckung untersucht werden.

Hod Orkibi: Ich denke, das ist eine gute Frage, denn Moreno betrachtete Spontaneität und Kreativität als sehr grundlegende menschliche Fähigkeiten oder Eigenschaften, aber wir haben keine geeigneten Methoden, um Spontaneität und Kreativität in der Art und Weise zu messen, wie Moreno sie verstand. Die Revidierte Spontaneitätsskala von Kipper enthält eine Liste von Wörtern. Wenn man diese Liste mit anderen Skalen vergleicht, z. B. dem Positive Affect Negative Affect Schedule (PANAS), stellt man fest, dass sie auffallend ähnlich ist. Was Moreno mit Spontaneität meinte, ist ein vor-kreativer Zustand der Bereitschaft, kreativ zu reagieren. Nicht die Reaktion selbst, sondern die Bereitschaft, auf eine neue Situation oder auf eine alte Situation auf angemessene Weise zu reagieren. Kreativität hingegen ist auf viele verschiedene Arten gemessen worden. Ich habe noch nie gesehen, dass jemand im Psychodrama zum Beispiel das Maß der kognitiven Kreativität verwendet hat, das als divergentes Denken bezeichnet wird. Ich habe auch noch nie gesehen, dass Psychodramatiker das verwenden, was wir als kreative Selbstwirksamkeit bezeichnen, d. h. die Wahrnehmung, dass man bei der Lösung von Problemen kreativ sein kann. Wir müssen entscheiden, wie wir Kreativität im Psychodrama-Kontext definieren und operationalisieren. Die Standarddefinition von Kreativität hat zwei Komponenten. Die eine bezieht sich auf etwas, das neu ist und noch nicht da war. Die zweite bezieht sich auf die Tatsache, dass etwas einen besonderen Wert hat, eine Anpassungsleistung darstellt oder nützlich ist. Wenn wir über Therapie sprechen, sprechen wir über Anpassungsfähigkeit im psychologischen Sinne. Meine neueste Definition bezieht sich auf die kreative Anpassungsfähigkeit, ein Konzept, das meiner Meinung nach näher an Morenos Denken ist, denn es geht darum, kreativ zu sein, um sich an das, was im Leben passiert, anzupassen. Wir müssen darüber nachdenken, wie wir diese Dinge in quantitativen Studien messen können. Ich habe eine Messung der kreativen Anpassungsfähigkeit entwickelt und veröffentlicht.

Christian Stadler: Ja auch da würde ich ein bisschen aufgreifen, was die Vorredner gesagt haben. Beides müsste man operationalisieren, um es überhaupt beforschen zu können. Spontanität könnte als ein „Zustand“ beschrieben werden, der es ermöglicht sich situationsangemessen zu verhalten. Kreativität wird sehr viel schwieriger. Ich habe gerade mit Bärbel Kress einen Artikel dazu geschrieben: Kreativität lässt sich in Bezug auf die kreative Person, den kreativen Prozess, das kreative Produkt und das kreative Umfeld beschreiben. Da müsste man sich jeweils wieder einen Aspekt herausgreifen und dann operational schauen, wie kann ich das erheben und beforschen. Die Begriffe, wie sie von Moreno eingeführt worden sind, sind zu allgemein und von Moreno auch zu unterschiedlich definiert, als dass sie eins zu eins für die Forschung umgesetzt werden könnten. Da müssen wir uns einen Aspekt rausnehmen, den genau definieren, operationale Ziele besprechen und dann kann es losgehen. Kreativität hat ja zumindest einen guten Ruf. Also wer will nicht kreativ sein?

FormalPara Psychotherapie findet in einem Spannungsfeld statt, das von den erprobten und empfohlen Methoden auf der einen Seite sowie von den individuellen Bedürfnissen der Klient*innen und den besonderen Möglichkeiten der Therapeut*innen auf der anderen Seite aufgespannt wird. Welche spezifischen Möglichkeiten bietet Psychodrama bzw. bieten die Humanistischen Therapien insgesamt, für eine gelingende Gratwanderung zwischen transparenten methodischen Leitlinien einerseits und ausreichend Flexibilität im Umgang mit jeweils einzigartigen Individuen andrerseits?

Otto Glanzer: Ich meine, dass das für alle Verfahren gilt. Wenn man davon ausgeht, dass die manualisierte Therapie, wie die Verhaltenstherapie es lange favorisiert hat, mittlerweile forschungsgestützt nicht mehr favorisiert wird. Vielleicht in Ausbildungsgruppen noch oder in der Berufspolitik, aber auf der Forschungsebene weiß man, dass das eine Sackgasse ist. Was man braucht, ist so etwas wie eine verinnerlichte Case Formulation. Also Wissen darüber, wie eine Psychodramatherapie, eine Emotionsfokussierte Therapie oder eine Gestalttherapie im Prinzip abläuft, ohne dass dies manualisiert ist. So entsteht durch Kenntnis der Theorie und durch viel Übung eine geschulte Intuition für den Prozess. Ich denke, das gilt für alle Verfahren, für die deutenden Verfahren in der Psychodynamik und für die verstehenden Schulen innerhalb der Psychodynamik. Die Selbstpsychologen haben es ja nicht so mit der Deutung, sondern ähnlich wie wir Humanisten mehr mit dem Verstehen. Wir sind nicht die einzigen, die diese Gratwanderung gehen zwischen das ist unser Konzept, das sind unsere Techniken und im Einzelfall müssen wir gucken, wo es passt und wo wir uns weiterentwickeln. Man sieht gerade in der psychodynamischen Psychotherapie, wie sich das seit Freud weiterentwickelt hat. Das ist ja kolossal. Die moderne Verhaltenstherapie, die jetzt an der soundsovielten Wende ist – im Moment ist sie bei der emotionalen Wende und bei Hoffmanns prozessualer Verhaltenstherapie. Wir schauen, was passt von dem, was wir in den Lehrbüchern haben, und wo können wir sinnvoll von den Kolleginnen und Kollegen lernen, so dass wir integrieren und unsere eigene Konzeptualisierung noch mehr differenzieren. Dieser Prozess der allgemeinen Psychotherapieentwicklung betrifft meiner Überzeugung nach nicht nur die Humanistischen Verfahren, sondern die Psychotherapie jeglichen Verfahrens.

Karsten Krauskopf: Ich denke, das geht der Psychoanalyse nicht anders. Dort wird auch der Rahmen gesetzt, aber was dann darin passiert unterliegt keinem Skript. Ähnlich bietet das Psychodrama einen anderen klaren Rahmen. Es gibt eine Erwärmung, eine Aktionsphase auf der Bühne mit den drei Kerntechniken Doppeln, Rollentausch, Spiegeln. Und dann gibt es Sharing, wo man in einer bestimmten Art und Weise spricht, aber inhaltlich wieder unendlich frei ist. So bietet das Psychodrama einen Rahmen, aber was darin passiert hängt stark von der Individualität der Teilnehmenden ab.

Hod Orkibi: Das ist eine gute Frage, denn eine der Herausforderungen in der erfahrungsorientierten und psychodynamischen Psychotherapie besteht darin, dass wir, auch wenn wir ein Protokoll für die Behandlung haben, im Hier und Jetzt sein müssen und sehr offen für das sein müssen, was beim Klienten aufkommt. Mehr Psychodrama-Forschende sollten klar dokumentieren, was sie in einer Sitzung tun wollen, und es mit dem vergleichen, was sie tatsächlich getan haben. In all meinen systematischen Reviews sind einige der offensichtlichen Mängel, dass wir unsere Intervention nicht detailliert genug beschreiben, so dass der Leser tatsächlich verstehen kann, was getan wurde und wie strukturiert es war. Dies bringt uns auf das Konzept der Behandlungstreue und insbesondere der Therapieadhärenz, d. h. der Einhaltung des Therapiemanuals. Wir müssen jede Abweichung registrieren, wobei Abweichungen in Ordnung sind, denn wir wollen das tun, was für den Klienten richtig ist. Aus Sicht der Forschung müssen wir jedoch nicht nur über die Therapieadhärenz berichten, sondern auch über die Kompetenz des Therapeuten, die Behandlung wie vorgesehen durchzuführen. Kompetenz und Adhärenz sind also zwei wichtige Komponenten der Behandlungstreue und können anhand von Beobachtungsdaten aus aufgezeichneten Sitzungen oder wörtlich dokumentierten Sitzungen ermittelt werden.

Christian Stadler: Also ich sehe das eigentlich gar nicht so als großen Widerspruch. Der Objektbeziehungstheoretiker und Psychodramatiker Paul Holmes beschreibt in seinem Buch The Inner World Outside, dass das, was auf die Bühne kommt, erstmal ein protagonist*innenzentriertes Vorgehen ist, das absolut auf die Person, auf das Individuum bezogen ist. Dabei haben wir Psychodrama-Instrumente, bestimmte Arrangements, bestimmte Techniken zur Verfügung. Beides (Person und Intervention/Methodik) muss in Einklang gebracht werden und ich bin tatsächlich ein Befürworter des störungsspezifischen Vorgehens. Dabei weiß ich, dass dies einige meiner Vorredner sehr kritisch sehen. Ich würde störungsspezifisch auch nicht als manualisiert bezeichnen. Es geht darum zu schauen, wie wir mit einem konkreten Patienten oder einer Patientin, auf die wir im Psychodrama immer zugehen, dessen*deren Innenwelt auf die Bühne bringen können. Da im Psychodrama nur das auf der Bühne passiert, was im Protagonisten ist, sehe ich hier insgesamt nicht so einen starken Widerspruch, so eine starke Spannung.

FormalPara Wo sehen Sie Möglichkeiten beim wissenschaftlichen Nachwuchs und bei praktizierenden Therapeut*innen, um die Psychdramatherapie-Forschung bzw. die Forschung in Humanistischen Therapien nachhaltig zu fördern?

Otto Glanzer: Ich finde es wichtig, in den Arbeitsgruppen und in den Kongressen die Einzelfall-Zeitreihen Studien zu favorisieren. Die können in den Praxen und Ausbildungsinstituten durchgeführt werden und da gibt es überzeugende Vorbilder. Robert Elliott hat hier ausgesprochen viel publiziert. Wir sind in der Gestalttherapie da auch dran, aber es ist halt nicht so einfach, Praxen zu finden, die sich diese Mühe antun. Leute, die bereit sind, sich selber bei der Therapie audiotapen, oder noch besser, filmen zu lassen.

Karsten Krauskopf: Bei den Praktizierenden würde ich für Audio- oder Videoaufzeichnungen werben, um einen großen Datenpool zu genieren, der dann im Rahmen von Bachelor‑, Masterarbeiten und Promotionen kodiert werden kann. Wichtig ist dabei eine Multilevel Analyse, die die Hierarchie der genesteten Daten berücksichtigt und die Auswertung von Gruppenvariablen ermöglicht. Der Nachwuchs braucht natürlich eine institutionelle Anbindung. Auf der anderen Seite könnten wir jenseits des therapeutischen Bereichs Prozesse in den Bereichen Coaching, Selbsterfahrung oder im sozialpädagogischen Bereich analysieren, weil dort ebenfalls viel Psychodrama angewendet wird.

Hod Orkibi: Was die Forschung anbelangt, so halte ich das Mentoring für sehr wichtig. Für mich ist die Situation vielleicht etwas anders, weil ich an einer Forschungsuniversität arbeite. Wenn Studierende eine Master- oder Doktorarbeit im Psychodrama machen wollen, bringen wir ihnen bei, wie man Forschung betreibt. Wenn das Psychodrama in der akademischen Welt stärker vertreten ist, können wir damit beginnen, die nächste Generation von Psychodrama-Forschenden auszubilden. Es wäre auch eine sehr gute Idee, eine Zusammenarbeit zwischen aktiven Psychodrama-Forschenden und anderen Ausbildungseinrichtungen zu beginnen. Ich denke, dass die Forschungskomitees der FEPTO in Europa und der American Society of Group Psychotherapy and Psychodrama in den USA in dieser Richtung aktiv sind. Wenn wir Forschende ausbilden wollen, müssen wir eine Brücke schlagen zwischen der akademischen Welt und Programmen außerhalb davon, indem wir zum Beispiel Workshops mit sehr etablierten Forschenden anbieten, die die neuesten Methoden kennen und denen anbieten, die ihr Forschungsverständnis und ihre Fähigkeiten verbessern wollen. Diese Programme könnten ein Zertifikat im Rahmen eines Seminars oder Kurses von den Verbänden einschließen. Oder man könnte gemeinsame Masterstudiengänge für Psychodrama entwickeln und dabei Programme wie Erasmus plus oder Horizon Europe nutzen.

Christian Stadler: Ja, ich denke, die Forschung muss tatsächlich in die Weiterbildungen rein. Und sei es auch nur in einem kleinen Schritt. Zum Beispiel als ein verpflichtendes Seminar zum Thema Forschung im Rahmen der Weiterbildung. Das sollte zumindest für Oberstufenabschlüsse gangbar sein. Auch in Österreich wurde zunächst mit kleinen Schritten in der Forschung angefangen und insgesamt wurden damit beachtliche Erfolge erzielt. Auch könnten übergeordnete Organisationen wie das FEPTO Research Committee einbezogen werden. Oder wir könnten beim DFP eine Plattform schaffen, wo übergreifend Seminare angeboten werden, die zum Thema Forschung von allen Weiterbildungskandidat*innen besucht werden können. Wenn wir es nicht in der Weiterbildung tun, dann wird es danach nicht kommen.

FormalPara Wir haben nun ausführlich über wichtige zukünftige Inhalte der Psychotherapie-Forschung gesprochen. Lassen Sie uns auch kurz darüber sprechen, womit sich die Forschung vielleicht eher nicht beschäftigen sollte oder was sich als mögliche Sackgassen der Forschung herausstellen könnte.

Otto Glanzer: Manualisierte Psychotherapie ist eine Sackgasse. Das ist nicht meine Meinung, sondern das haben viel Klügere gesagt. Also gerade jetzt, bei dem letzten Kongress in Hamburg, war das sehr deutlich von Bruce Wampold und Robert Elliott demonstriert mit vielen Untersuchungen, dass die manualisierte Form eigentlich Historie ist, auch wenn sie berufspolitisch noch immer favorisiert wird. Demgegenüber lässt sich die Prozessforschung eben ziemlich gut in Einzelfallstudien auf hohem Niveau betreiben.

Karsten Krauskopf: Für mich ist eine Sackgasse, wenn wir uns in Analogien verlieren und beispielsweise Psychodrama auf Mentalisierungsprozesse reduzieren und behaupten damit sei quasi schon nachgewiesen, dass Psychodrama gut und wirksam ist. Die Analogien ergeben bestimmt Sinn, aber aus meiner Sicht wäre es wirklich notwendig in Richtung einer konzertierte Aktion zu denken und herauszuarbeiten, was die besonderen Möglichkeiten des Psychodramas sind, die es von anderen Interventionsansätzen unterscheidet.

Hod Orkibi: Ich denke, wir haben genug Studien, die Fallstudien und qualitative Erfahrungen dokumentieren. Ich würde mir wünschen, dass die Leute ihre Zeit, Energie und finanziellen Ressourcen in Studien investieren, die das Feld des Psychodramas voranbringen und zumindest Mixed Methods Ansätze verwenden.

Christian Stadler: Wenn ich jetzt wieder zu meinem Bild komme, dann sehe ich mögliche Sackgassen, wenn das Schiff zu groß oder zu klein wird. Das sind, glaube ich die Sackgassen. Also mehr in der Struktur, wie Forschung angegangen wird. Nicht an den Inhalten, da sehe ich weniger Probleme. Da gibt es vielleicht Dinge, die nicht zu einer wissenschaftlichen Anerkennung im Sinne des wissenschaftlichen Beirats für Psychotherapie führen. Das kann ich mir vorstellen. Da gibt es viele Sackgassen. Also wenn wir noch 150.000 Einzelfallstudien machen und nichts anderes, das würde zu nichts führen. Aber ich denke, dass es für das Psychodrama grundsätzlich elementar ist, dass es beforscht wird und es darf insofern auch viele Wege neben diesem wissenschaftlichen Beirat geben. Warum nicht?

FormalPara Wenn Sie heute einen Forschungspreis gewinnen würden, der Sie optimal mit Forschungsmitteln ausstatten würde, welche Fragestellung würden Sie untersuchen?

Otto Glanzer: Also diese Frage ist mein seelisches Paradies. Denn davon träume ich ja auch, dass ich so viel Forschungsgeld zur Verfügung hätte, dass ich das machen könnte. Also ich würde mit Kolleginnen und Kollegen zusammen, die das schon betreiben, zum Beispiel in Italien, auch zum Teil in Österreich und vor allem in Chile, sehr viel Einzelfall-Zeitreihen Studien machen mit einer Mischung aus quantitativer und qualitativer Forschung. Mit Videos in gut eingerichteten Laboren, wo die Therapien nicht gestört werden durch technische Objekte, die rumstehen. Also gut ausgestattete Psychotherapiepraxen, mit denen man auf hohem Niveau Forschung betreiben könnte. Das wäre ein Traum. Wenn wir da zwei-, dreihundert internationale Einzelfallstudien hätten auf ausreichend hohem Niveau, das wäre großartig. Dann könnte man Meta-Analysen rechnen, das wäre traumhaft.

Karsten Krauskopf: Doppeln fasziniert mich. Und gleich danach Rollentausch. Dazu kann ich mir detaillierte Laborforschung, die sich an sozialpsychologischen Experimenten orientiert, gut vorstellen. Inwiefern fördern Doppeln und Rollentausch bestimmte kognitive und auch motorische Fähigkeiten? Dem Körper, der im Psychodrama eine so bedeutsame Rolle spielt, sollte mehr Beachtung geschenkt werden. Wie fühlt sich mein Körper an, wenn ich mich so hinsetze wie die andere Person? Und dann sollten wir entwicklungspsychologisches Denken stärken und untersuchen, wie machen das denn tatsächlich Mütter oder Väter mit ihren Säuglingen, wenn sie doppeln.

Hod Orkibi: Ich würde eine große Studie durchführen, die zunächst die Veränderungsprozesse des Psychodramas als therapeutische Faktoren operationalisiert. In der zweiten Phase würde ich die Veränderungsprozesse in eine große, standortübergreifende, randomisierte Kontrollstudie einbeziehen, zum Beispiel in Deutschland, Israel, Portugal und Amerika, um herauszufinden, ob sie kultur- und ortsübergreifend gültig sind.

Christian Stadler: Ich würde eine klinische Gruppe von Patient*innen herausgreifen, also zum Beispiel mit Angststörungen oder mit depressiven Erkrankungen. Dann sollte organisiert werden, dass möglichst viele Psychodramatiker*innen sich mit konkreten Dingen beschäftigen: Welche Psychodrama-Intervention hilft bei dieser Störung und welche hilft eher nicht? Natürlich sollte die Population ausreichend groß sein, damit wir bessere Argumente hätten beim wissenschaftlichen Beirat. Es wäre doch interessant, wenn jemand rausfinden würde, bei Angststörungen hilft Doppeln besonders, oder ein Szenenwechsel besonders. Und es wäre auch okay, wenn man rauskriegen würde, die Technik hilft nicht, sondern die therapeutische Allianz. Mit einem solchen Forschungspreis könnten wir jemand organisieren, der oder die sich mit viel Zeit damit beschäftigt, ein vernünftiges Design aufzusetzen und dann müssen wir es nur noch an die Anwendenden bringen. Mit genügend Geld sollte das gehen.

FormalPara Lassen Sie uns abschließend noch einmal zu Ihrer anfänglich beschriebenen Metapher zurückkehren. Stellen Sie sich vor, Sie treffen Ihre Metapher in zehn Jahren wieder. Was ist passiert und was hat sich verändert?

Otto Glanzer: Das kann ich ganz genau sagen. Aus dem Frosch ist ein Prinz geworden, der Störche in seinem Privatgehege füttert und betreibt und halt Chef über das Ganze geworden ist.

Karsten Krauskopf: Dornröschen ist wachgeküsst und konnte zehn Jahre wirken. Ich stelle sie mir ganz aufgeregt und lebendig vor. Und mir kommt der Hofstaat in den Sinn, dass da viele andere sind, die mit ihr aufwachten. Der ganze Hof hat angefangen zu wuseln. Dann würde sie vielleicht sagen: „Ja, ich merke schon auch, dass ich 100 Jahre geschlafen habe. Aber ich frage mich, was war denn da, als wir vor 100 Jahren eingeschlafen sind?“ Ich finde es wichtig, Morenos Impulse in der Sozialen Arbeit ins Gedächtnis zu rufen, seine Arbeit mit Prostituierten, mit Schwererziehbaren, mit den Ärmsten der Armen, mit benachteiligten Gruppen. Das ist der Ausgangspunkt. Und Kinder am Spielplatz.

Hod Orkibi: Ich träume von einem Ort, wo wir alle die Arbeit sehen können, die jede*r von uns macht. So sollten wir zum Beispiel mehr über Psychodrama im Iran wissen. Dort gibt viel Psychodrama an Universitäten und in Krankenhäusern, aber die Kommunikation mit diesem Land ist schwierig. Ich würde gerne in einer Position sein, in der ich all die verschiedenen Flüsse und die kleineren Ströme sehe, die an bestimmten Stellen zu einem einheitlichen Fluss zusammenfließen, der das Psychodrama in den unterschiedlichsten Farben beleben kann.

Christian Stadler: Was ist passiert? Sagen wir mal, die Mannschaft hat sich organisiert. Die hat irgendwie lange diskutiert und hat am Ende eine*n Steuermann*frau bestimmt. Eine Person, die als Kapitänin oder Kapitän das Ganze betreut. Man hat sich auf ein Ziel geeinigt und es ist vielleicht 50 % der Wegstrecke des Zieles erreicht. Also das Schiff wäre noch nicht da, wo es günstigerweise hin sollte, aber ein gutes Stück wäre gefahren. Ich glaube, in 20 Jahren würde das schon ganz gut aussehen. Ich glaube, so lange haben die Systemiker*innen auch gebraucht für ihre Anerkennung.

Die Interviews machen deutlich, dass die Psychodramatherapie-Forschung vor großen Herausforderungen steht. Gleichzeitig bieten sich neue Chancen, um die einzigartigen Möglichkeiten des Psychodramas in enger miteinander vernetzten internationalen Kooperationen herauszuarbeiten. Alle Interviewten betonen die Notwendigkeit von qualitativ hochwertigen Wirksamkeitsstudien, die die besonderen Potenziale des Psychodramas auch im Vergleich zu anderen Psychotherapieansätzen nachweisen. Dabei sollte insbesondere die Beforschung der psychodramatischen Kerntechniken Doppeln, Rollentausch und Spiegeln mehr Berücksichtigung finden. Psychodrama könnte mutiger auftreten und sich als ergänzender und komplementärer Ansatz in Kombination mit sozialrechtlich anerkannten Analytischen, Verhaltenstherapeutischen oder Systemischen Therapien einbringen. Die Bedeutung der Gruppenpsychotherapie als hochwirksamer und kosteneffizienter Ansatz darf weiterhin betont werden. Besondere Möglichkeiten der personalisierten Psychotherapie und die Nützlichkeit von Psychodrama in der Prävention und Gesundheitsförderung fanden in der Forschung bislang zu wenig Aufmerksamkeit. Nicht zuletzt sollten Forschungskompetenzen in die Psychodrama-Ausbildung integriert werden, um Praktizierende für zukünftige Forschungsprojekte zu gewinnen. Dabei ist insbesondere eine sachkundige und sorgfältige Dokumentation der therapeutischen Vorgehensweisen einschließlich ihrer Evaluation von Bedeutung. Um den Stellenwert des Psychodramas in der Familie der psychotherapeutischen Ansätze zu behaupten und nachhaltig zu kräftigen, sind gemeinsame Forschungsanstrengungen von allen erforderlich, denen Psychodrama am Herzen liegt.