1 Zur Religion im Bildungssegment internationaler Organisationen

Ausgehend von den Debatten über die Globalisierungsprozesse und Verflechtungen in allen Bereichen der Gesellschaft – Politik, Wirtschaft, Kultur, Kommunikation und Umwelt – beschäftigen sich verschiedene wissenschaftliche Disziplinen mit der sogenannten „Rückkehr der Religion“. Die Rolle von Religion bei den internationalen Organisationen (im Folgenden „IO“ abgekürzt) untersuchen vor allem Politik- und Religionswissenschaft. Im Rahmen internationaler Beziehungen wird Religion erst nach den Kriegen in Jugoslawien in den 1990er-Jahren und vor allem nach den Anschlägen am 11. September 2001 intensiv und als eine vermeintlich feststehende Größe wahrgenommen (Haynes 2021; Stensvold 2018). Von da an intensivieren auch die IO wie die UNESCO, die OSCE/ODIHR [Organisation for Security and Co-operation in Europe/Office for Democratic Institutions and Human Rights] und der Europarat ihre Arbeit im Hinblick auf die Religion im Bildungssegment und verlautbaren diesbezüglich eigene als auch gemeinsameFootnote 1 Positionen. In der Politikwissenschaft gelten die IO als Akteure, die thematisch am vielfältigsten ausgerichtet sind und zahlreiche Diskursziele verfolgen, die sich über die Zeit vervielfältigen und mit anderen Diskursen verflechten (Martens et al. 2021). Die IO kooperieren eher, als dass sie miteinander kollidieren und bleiben dabei stets dynamisch (Martens et al. 2021). Die bisherigen Analysen der allgemeinen Bildungsideen der UNESCO – Religion ausgenommen – zeigen, dass deren Ziel die Verbreitung von Normen und Werten darstellt. Anfänglich sehe die UNESCO in der Bildung ein „kollektives Sozialisationsinstrument zur Völkerverständigung“, während „in der neueren Sichtweise Bildung als Recht auf individuelle Entwicklung“ verstanden wird (Niemann und Martens 2021). Die neue Wahrnehmung der Religion im politischen Rahmen als auch die Verkürzung der Diskussion der religiösen Akteure auf die politische Dimension kritisiert Jeremy Carrette. Während er in der älteren Forschung noch die Analysen einzelner religiöser Traditionen, diverser Akteure und einer universellen Ethik vorfindet, fehlt es ihm in der jüngeren Forschung an Prozess- und diachronen Analysen der Religion bei den IO (Carrette 2017). Er weist nach, dass Religionen zwar eine bedeutsame Rolle bei den Vereinten Nationen spielen, aber durch normative Anforderungen – z. B. die Diffamierung der Religion zu unterbinden – eine polarisierende Wirkung erzeugen (Carrette et al. 2011).

Im Gegensatz zur Politikwissenschaft analysiert die Religionswissenschaft u. a. die Brüche und Kontinuitäten der Religion in Geschichte und Gegenwart. Die Schnittstelle zwischen Religion und Politik bereichert sie mit dem Verständnis von der Mehrdeutigkeit und Fluidität der „Religion“ (Årsheim 2016). Der vorliegende Beitrag ist entstanden im religionswissenschaftlich angelegten DFG-Projekt „Transnationale Bildungsdiskurse: Religion im Fokus“Footnote 2 und diskutiert erste Resultate im Hinblick auf die Verschränkung von Religion und Bildung im Rahmen internationaler Organisationen. Die bisherigen Analysen von Religion bei den Vereinten Nationen, dem Normen- und Ideengeber der UNESCO, stellen allgemein fest, dass Religion in der säkularen Umgebung der IO als „stellvertretende Religion“ – angelehnt an Grace Davie (2000) – diskutiert wird. Solange sie „draußen bleibt“, kann darüber diskutiert werden. In dem Moment, in dem Religion unter der Perspektive der Zugehörigkeit betrachtet wird, geht es, laut Stensvold, um die Identitätspolitik, die nicht mehr verhandelbar sei (Stensvold 2018). Årsheim behauptet, dass Religion auf der politischen Ebene der UN häufig herangezogen werde, um politische Entscheidungen zu legitimieren und zu gestalten (Årsheim 2016, S. 7). Auf der Ebene der spezialisierten Organe der Vereinten Nationen wie der UNESCO gerät die Religion nur dann ins Blickfeld, wenn sie mit den primären Zielen der UNESCO kollidiert (Årsheim 2016). Stensvold und Årsheim teilen die Meinung, dass die UNESCO an einem grundsätzlichen Konflikt leidet: dem Konflikt zwischen Religion als persönlichem Glauben und Religion als kollektiver Identität. Eine andere Forschungsperspektive auf die IO eröffnet Evelyn Bush, wenn sie unterschiedliche Diskurstypen über Religion aufzeigt (Bush 2017). Die vielfältigen Prozesse innerhalb IO ermöglichen laut Bush unterschiedliche Bedeutungen und erzeugen wiederum unterschiedliche Ebenen der Sichtbarkeit von Religion (Bush 2017), so dass sie u. a. Religion als Institution, Religion als kollektive Identität und Religion als Glauben/Praxis identifiziert. Wie sich die inhaltlichen Schwerpunkte bei den Vereinten Nationen mit der Zeit ändern, zeigt Karsten Lehmann. Er weist nach, dass es im Laufe der Zeit bei den Vereinten Nationen zu einer Verschiebung des Diskursfokus von den Menschenrechten und den darin beinhalteten religiösen Rechten auf den interreligiösen Dialog kam (Lehmann 2017). Diese Verschiebung lässt sich auch auf die UNESCO übertragen.

Die expliziten Bildungsentwicklungen und die neue Wahrnehmung der Religion bei den IO diskutierten u. a. Robert Jackson (2008), Heike Lindner (2008) und Peter Schreiner (2012). Schreiner widmet sich den normativen Dokumenten des Europarates und stellt fest, dass dieser erstens explizit auf die religiöse Dimension des interkulturellen Dialogs verweist und zweitens die Religionsgemeinschaften als Partner der politischen Institutionen betrachtet. Drittens begreift der Europarat Religion als „kulturelle Tatsache“, wobei ihm der Glaube als persönliche Angelegenheit gilt (Schreiner 2012). Heike Lindner weist nach, dass die Erziehung zu religiöser Toleranz und die Entwicklung von gegenseitigem Verständnis zu den zentralen Zielen des Europarats gehören (Lindner 2008).

In den didaktischen Zugängen sowohl der UNESCO als auch anderer IO ist seit der Migration der 1970er-Jahre und dem theoretischen Entwurf zur Multikulturalität (Vertovec 1996) die interkulturelle Bildung relevant. Für die ersten entsprechenden Umgestaltungen der schulischen Religionsvermittlung waren die ethnographischen und religionspädagogischen Arbeiten von Robert Jackson und Eleanor Nesbitt relevant, die einen integrativen Zugang über „teaching about religion“ und „teaching from religion“ pflegen. „To teach about religion as a social and historical fact and variable as well as about the various religions and religious phenomena, takes a secular, professional, non-confessional, ir-religious, non-religious or trans-religious approach“ (Jackson 2008; vgl. auch Jackson 2004). In seinen zahlreichen Aufsätzen beschreibt Jackson, wie der Europarat die glaubensbezogene und weltanschauliche Dimension interkultureller Bildung gestärkt hat und wie die religiöse Vielfalt zur Herausforderung interkultureller Bildung wurde (Jackson 2008). Dabei macht er deutlich, dass der Europarat Religion nur aus dem Blickwinkel der Kultur und im Rahmen der interkulturellen Erziehung betrachten kann (Jackson 2007). Auch im Europarat-Handbuch, den „Signposts“, ist seine religionswissenschaftliche Signatur zu erkennen (Jackson 2014). Darin macht er sich für eine Erweiterung des Religionsbegriffs um Weltanschauungen und auch den Bereich non-religion stark und eröffnet damit einen Rahmen, in den sowohl institutionalisierte als auch andere Formen von Religion in die Bildung (Curricula, Schulbücher, Lehrerausbildung etc.) Eingang finden können. Wie noch gezeigt wird, lassen sich die Überlegungen im Hinblick auf „teaching about religion“ auch auf Religion im Bildungssegment der UNESCO fruchtbar machen. Auf der anderen Seite des didaktischen Spektrums steht der Religionswissenschaftler Tim Jensen, wenn er eine strikte säkularistische Position in der Bildung empfiehlt: „[I]f students or teachers have spiritual needs they must leave them at home“ (Jensen 2008). Er setzt sich für einen „scientific way“ ein, bei dem die Verbindung zwischen akademischen und religiösen Interessen so gering wie möglich ausfallen soll (Jensen 2008). Eine andersgeartete Kritik auf die Bildungspolitik der IO äußert Liam Gearon. Er geht davon aus, dass IO die religionsbezogenen Bildungsthemen benutzen, um auf die Krise der globalen Sicherheit lediglich mit Versicherheitlichung antworten zu können. Dadurch trieben die IO eine Form der Säkularisierung voran, die sich paradoxerweise durch ein Wiederaufleben der religiösen Autorität in der globalen politischen Macht zeige (Gearon 2019). Diese Ausführungen deuten implizit darauf hin, dass eine religiös-säkulare Dichotomie nicht nur in der Politikwissenschaft wahrgenommen wird. Allerdings sei, wie Amy Stambach postulierte, eine strikte Gegenüberstellung von religiöser und säkularer Bildung inzwischen veraltet, da nur eine demokratische säkulare Gesellschaft die Freiheit der Religion garantieren könne (Stambach et al. 2011).

Die konkreten didaktischen Herausforderungen im Rahmen globaler Bildung in sachlicher, räumlicher, sozialer und zeitlicher Hinsicht analysiert u. a. Scheunpflug und folgert, dass die „Universalisierung des Pädagogischen in der Weltgesellschaft“ einen Bildungsdruck erzeuge, da dem Umgang mit dieser sozialen Realität nicht durch Sozialisation begegnet werden könne (Scheunpflug 2003). Simojoki geht auf diesen Zusammenhang ein, indem er verschiedene Formen des Religionsunterrichts in der globalen Welt und angesichts der religiös-kulturellen Vielfalt verortet, und entwickelt für schulische Bildung in der Weltgesellschaft entsprechende Teilkompetenzen (Simojoki 2012). Diese Zugänge und theoretischen Überlegungen führen zu zwei Fragen: 1) Welche Entwicklung lässt sich bei der UNESCO im Hinblick auf die Wahrnehmung von Religion im diachronen Verlauf feststellen? 2) Welche Verschränkung von Religion und schulischer Bildung und welche darauf fußenden didaktischen Zugänge lassen sich dabei rekonstruieren?

2 Zu den Quellen und zu den methodischen Zugängen

Um die obengenannten Fragen in Zusammenhang mit der UNESCO zu beantworten, wurden zunächst alle verfügbaren Quellen von 1948 bis 2018 gesichtet, die Religion in verschiedenen Quellengattungen und verschiedenen inhaltlichen Kontexten thematisieren. Erstens wurden alle normativen Quellen bzw. Konventionen, Empfehlungen und Deklarationen gesichtet und auf die Auseinandersetzung mit Religion durchsucht. Im zweiten Schritt sind Quellen gewählt worden wie z. B. Konferenzberichte, Handbücher, Journals, Bücher und Reden/Briefen, die Religion in typischen UNESCO-Zusammenhängen wie z. B. Kultur und Menschenrechte explizit thematisieren. Im dritten Schritt wurden daraus nur diejenigen Quellen berücksichtigt, die Religion im Kontext der schulischen, Erwachsenen- und universitären Bildung verorten. Im letzten Schritt wurde im Sinne der thematischen Fokussierung auf diejenigen Quellen eingegangen, die explizit Religion und schulische Bildung verschränken. Es geht dabei um ca. 400 englischsprachiger Originalquellen.

Methodisch wird ein explorativer Mixed-Methods-Ansatz gewählt (Lamnek 20105), der ermöglichen soll, die ausgewählten Quellen auf verschiedenen Ebenen und aus verschiedenen Perspektiven zu verstehen. Entsprechend wird vom diachronen Vergleich der Debatten, die diskursiv verortet sind, ausgegangen, während in einem weiteren Schritt mit dem DH-topic modeling, einem Verfahren der Themenmodellierung, gearbeitet wird. Qualitativ wird die soziologisch orientierte Diskursanalyse gewählt um das Eingebundensein der UNESCO im diskursiven Feld rekonstruieren zu können (Schwab-Trapp 2001). Die IO als kollektive Akteure sind alle Deutungs- und Machtträger, die zeitweise Koalitionen schließen, um eigene Interessen durchzusetzen (siehe oben Martens, vgl. Keller 2004). Im Hinblick auf Kooperationen mit anderen IO wie der OSCE/ODIHR und dem Europarat wird deutlich, dass Diskurse „verbindliche Deutungen für soziale und politische Ereigniszusammenhänge produzieren“ (Schwab-Trapp 2001, S. 264), und dass die Diskuranalyse als Prozessanalyse und Analyse der öffentlichen Auseinandersetzung sowie der Beziehungen der Diskursteilnehmer stets vergleichend ist (Schwab-Trapp 2001). Auch wenn in diesem Aufsatz auf den Vergleich zwischen den IO verzichtet werden muss, soll auf diese Diskursebene und deren Relevanz im Hinblick auf den Bildungsdiskurs hingewiesen werden.

Um den diachronen Verlauf der religionsbezogenen UNESCO-Arbeit und die entsprechenden didaktischen Zugänge rekonstruieren zu können wurde im Rahmen der Strukturanalyse nach der Quellengattung, Themen und Aussagen unterschieden: erstens obengenannten normativen Quellen wie z. B. Konventionen, Empfehlungen und Deklarationen, und zweitens Handbüchern, Manuals und Guides, die entweder Primar- und Sekundarbereich ansprechen, sich explizit didaktisch äußern und/oder sich an Entscheidungsträger im Bildungsbereich richten. Diese zwei Quellenarten ergänzen sich insofern, als dass die ersten den Kontext für die Religion im schulischen Bereich abstecken, während die zweiten diesen Rahmen mit bildungsrelevanten und didaktischen Inhalten füllen. Die große Textmenge erforderte eine Korpusreduktion z. B. durch Auswahl von Schlüsseltexten, um anschließend eine Aussage über die Deutungsmuster und Topoi machen zu können (Keller 2007). An dieser Stelle sind insbesondere auch die Resultate der quantitativen Analyse, auf die unten eingegangen wird, hilfreich. Die Strukturanalyse ermöglicht Aussagen darüber zu tätigen, welche Themen eine Kontinuität aufweisen und welche mit der Zeit neu hinzukommen. Außerdem wird klar, wie sich die Argumentation mit der Zeit ändert. Um zu verstehen, wie in den einzelnen Passagen Religion und z. B. „teaching about religion“ verortet und gedeutet wird, wird die Feinanalyse unternommen. Für diese Analyse wurden Quellen ausgewählt, die a) aus allen Phasen der UNESCO-Arbeit stammen; b) die ausschließlich schulische Bildung und diejenigen Schulfächer ansprechen, die über Religion unterrichten; c) die explizit auf die didaktischen Zugänge eingehen; d) die einen globalen Wirkungsradius haben bzw. nicht lediglich für bestimmte Regionen konzipiert sind; d) die von der UNESCO selbst oder von der UNESCO in Kooperation mit anderen IO publiziert sind (auf UNESCO-Unterorganisationen, die ebenso Handbücher publizieren, wird aus Machbarkeitsgründen verzichtet) und e) die online zugänglich sind. Es ist relativ schnell deutlich geworden, dass die ersten Handbücher Religion im Kontext des Geschichtsunterrichts behandeln, während die späteren auf den „religious education“ eingehen. Der Begriff „religious education“ hat alleine im Deutschen mehrere Bedeutungen und kann sowohl als konfessioneller und/oder interreligiöser Religionsunterricht als auch Unterricht über Religion (Religionskunde oder integrativen Unterricht) übersetzt werden. Erst die Feinanalyse zeigt, wie die UNESCO diesen Begriff verwendet und was darunter subsumiert wird. Bei der Feinanalyse wird das induktive Vorgehen gewählt, das von Offenheit hinsichtlich Herangehensweise und Kategorienbildung gekennzeichnet ist (Lamnek 1995). Die Schlüsselstellen werden thematisch kategorisiert, gebündelt und integriert um eine Zusammenstellung der Aussagen machen zu können.

Im zweiten methodischen Schritt wird mit dem DH-topic modeling gearbeitet. Hierfür hat die Co-Autorin ein (gewichtetes) Topic Model entwickelt, das maschinell-lernend die verschiedenen identifizierten Themen mit einer Gewichtung versieht und dadurch ihre Relevanz, Situiertheit und Bedeutung im Korpus quantitativ und qualitativ bestimmt.Footnote 3 Die Themen leitet sich das Topic Model aus dem angelernten einzelnen Worten und Wortumgebungen eines vortrainierten Modells für deutsche Sprache („BERT“Footnote 4) her. Mit 80 % des Quellen-Korpus wurde die Grundlage („Trainingsdaten“) für das adjustierte Modell gebildet. Die verbleibenden 20 % dienten zur (Re‑)Evaluierung der Ergebnisse und damit der Präzision identifizierter Themen. In das Topic Model werden verschiedene Textcharakteristika und sprachliche Verwendungen durch diesen Lernprozess und die Aufbereitung eingearbeitet, um Wortumgebungen und Themen ableiten zu können. Dadurch erlaubt das DH-topic modelling auch bei größeren Datenmengen die Aufdeckung von strukturellen Ähnlichkeiten, Mustern und Unterschieden im zeitlichen Verlauf und die Identifikation von semantischen Themenfeldern. Die Ergebnisse des Topic Models dienten der Orientierung für die fortfolgende qualitative Feinanalyse der einzelnen Texte.

Um einen ersten Überblick zu gewinnen wurden alle Quellen der UNESCO zunächst quantitativ und entsprechend ihres Veröffentlichungsdatums angeordnet. Insbesondere die Begriffe „education“, „school“, „religion“ und „religious“ wurden in dieser ersten Übersicht in ihrer häufigkeitsanalytischen Verteilung visualisiert und analysiert (Abb. 1).

Abb. 1
figure 1

Vorkommen der Begriffe „education“, „school“, „religion“ und „religious“ im zeitlichen Verlauf

Es wurde erkennbar, dass bis 1982 alle vier Termini, wenn nur in vereinzelten Nennungen auftauchten. Im Zeitraum von 1982 bis 1989 erlebten sowohl die Wortpaare Schule und Bildung, als auch Religion und religiös erstmals erhöhte Aufmerksamkeit in den UNESCO Quellen. Nach einem erneuten Abebben im zeitlichen Verlauf zeigt sich ab spätestens 1995, dass Bildung und Religion allein in ihrer Häufigkeit in einem Zusammenhang zu stehen scheinen und die Verlaufskurven ähnlich sind. Dieser Sachverhalt wurde mit dem DH topic model weiter aufgearbeitet, um auszuschließen, dass Häufigkeitsverteilungen in verschiedenen Quellen oder losgelöst voneinander existieren. Hierfür wurde über 200 Iterationen das DH topic model angelernt und 21 Themen identifiziert, die in den untersuchten Quellen vorfindbar waren. Durch diese Vorgehensweise war zudem erlaubt, die Veränderung der semantischen Themen auch im zeitlichen Verlauf darstellen zu können und für die spätere qualitative Analyse geeignete (zeitliche) Abschnitte zu identifizieren und festzulegen (Abb. 2).

Abb. 2
figure 2

Visualisierung des DH topic models mit pyLDAvisFootnote

https://github.com/bmabey/pyLDAvis (13.09.2021).

, wobei jeder Kreis ein Topic repräsentiert. Der Umfang des Kreises indiziert die Bedeutung im Gesamtkorpus, Überschneidungen der Kreise bedeuten thematische Ähnlichkeiten zwischen den Themen

Beginnend mit dem 1945 veröffentlichtem „Conference Establishing“ wurden die Termini international und kulturell – noch nicht interkulturell – etabliert und sind als Themen („topics“) vorherrschend. Über Religion wurde häufig im engen thematischen Zusammenhang zu (einem) Gott berichtet, wie die hohe Korrelation zwischen „religion“ und „god“ in dieser frühen Phase indiziert. Mit der „Convention Against Discrimination“ (1960) und den „Recommendation concerning the Preservation of Cultural Property Endangered by Public or Private Works“ (1968) ergeben sich historisch betrachtet die ersten Brüche in den behandelten Themen, die Perspektive wird interkulturell und löst sich von der oben genannten Verengung, auch Entwicklung und Bildung werden als zusammenhängende Konstrukte verstanden, die den Grundstein für Toleranz und Anti-Diskriminierung legen sollen. In den nachfolgend herausgegebenen Werken, insbesondere den Konventionen, finden sich die alten, d. h. vor 1960/1968 bestehenden Narrative von internationaler und kultureller (Aufklärungs‑)Arbeit wieder, die Themenfelder Bildung und Religion verschwinden erneut von der Bildfläche. Ab 1970 zeigt sich dann eine neue Verteilung der Themen. Statt weniger Ausnahmen zuvor konzentriert sich der neue Diskurs auf Religion aus innerer und äußerer Perspektive, Menschenrechte und Bildungsarbeit insbesondere an Schulen. Sogar in den religionsfernen Konventionen wie etwa der „Regional Convention on the Recognition of Studies Diplomas and Degrees in Higher Education in Asia and the Pacific“ (1983) hat Religion und Glaube als Thema eine beachtende Bedeutungszuschreibung in dem Topic Model erfahren. Ab 2001 wurde Religion, wenn sie als Thema aufgegriffen wird, in der Tonalität eher negativ erwähnt respektive mit negativen Konnotationen im Topic-Model modelliert. Dialoge, Kommunikation und Frieden sowie Bildung, Bildungsarbeit und Transkulturalität dominieren einige Texte dieser Epoche und lassen das Thema Religion, insbesondere aus innerreligiöser Perspektive zunehmend in den Hintergrund rücken.

3 Diachrone Perspektive auf die UNESCO-Tätigkeit

Die verschiedenen Tätigkeitsphasen der UNESCO sind von dazugehörigen Bildungsprogrammen, weltweiten Konferenzen und Debatten, normativen Regelwerken und entsprechenden Bildungsmaterialien gekennzeichnet. Im Folgenden wird auf drei zeitlich aufeinander aufbauende Phasen eingegangen um die Veränderung des Religionsbegriffs nachzuvollziehen, die Verschränkung von Religion und schulischer Bildung zu rekonstruieren und die didaktischen Zugänge herauszuarbeiten.

3.1 Aufbauphase: Die UNESCO und die Weltreligionen

In der ersten bzw. Aufbauphase der UNESCO-Tätigkeit entsteht das Bildungsprogramm Grundlegende Bildung (1946–1959) mit dem globalen Ziel, die Probleme der Armut und Ungleichheit, aber auch weltweite Konflikte zu eliminieren. Das Programm knüpft – wie alle späteren Programme – auf die UNESCO-Verfassung aus dem Jahr 1945 und den folgenden Gedanken an: „Da Kriege im Geist der Menschen entstehen, muss auch der Frieden im Geist der Menschen verankert werden“ (UNESCO 1945). Das Programm Grundlegende Bildung ist geschaffen „zur Ergänzung eines unvollständigen Schulsystems in wirtschaftlich unterentwickelten Gebieten, sowohl auf dem Land als auch in der Stadt.“ Es zielt „unter Berücksichtigung der religiösen Überzeugungen darauf ab, moralische Werte und ein Gefühl für die Solidarität der Menschheit zu entwickeln“ (Martínez de Morentin de Goñi 2004, S. 52ff; Boel 2016, S. 166; vgl. UNESCO 1955, S. 26). Als Grundkonstante gelten hier die Menschenrechte und entsprechend wird Religion als Menschenrecht kontextualisiert. Der Begriff „Grundlegende Bildung“ wurde zwar als missverständlich kritisiert und die vielfältigen Ziele des Programms als nicht realisierbar angesehen, es diente der UNESCO jedoch als Basis für weitere Programme (Watras 2010). In Folge des ersten Programms gründet die UNESCO das „Associated Schools Network“ im Jahr 1953, um die Idee einer „interconnected global village“ zu unterstützen.

Die normativen Dokumente der UNESCO-Sektionen „Kultur“ und „Bildung“ zeigen, dass eine Herausbildung der Grundprinzipien der Bildung stattfindet, die in umformulierter Form bis heute gelten. Die „Konvention gegen Diskriminierung in der Bildung“ (1960) besagt: „Education shall be directed to the full development of the human personality and to the strengthening of respect for human rights and fundamental freedoms; it shall promote understanding, tolerance and friendship among all nations, racial or religious groups […].“Footnote 6 Im weiteren Text wird Religion im allgemeinen Kontext der Menschenrechte genannt (Art 1): „For the purposes of this Convention, the term „discrimination“ includes any distinction, exclusion, limitation or preference […] based on race, colour, sex, language, religion, political or other opinion, national or social origin, economic condition or birth […].“ In Bezug zur religiösen Bildung findet sich hier eine UNESCO-Position, die bis heute ihre Gültigkeit hat. Die Mitgliedstaaten verpflichten sich: „[…] to ensure in a manner consistent with the procedures followed in the State for the application of its legislation, the religious and moral education of the children in conformity with their own convictions; and no person or group of persons should be compelled to receive religious instruction inconsistent with his or their convictions.“ (Art 5 b). Bereits in dieser frühen Phase der UNESCO-Arbeit wird eine Verbindung von Religion und Bildung mit normativen Vorgaben belegt.

Eine Auseinandersetzung mit Buddhismus, Judentum, Katholizismus, Protestantismus, Islam und der Ökumenischen Bewegung findet in der UNESCO-Reihe „The race question in modern thought“ statt, die seit den 1950er-Jahren den Rassismus thematisiert. Demnach gehen Religionen einerseits auf die soziale Ungleichheit ein, andererseits stellen sie dem umstrittenen Konzept rassischer Kategorie eigene Menschen- und Gottesbilder entgegen. So wird aus buddhistischer Perspektive die Ungleichheit des indischen Kastensystems kritisiert, zugleich aber davon ausgegangen, dass die Menschheit eine Einheit darstellen und ihre Potenziale entwickeln kann (Malalasekera und Jayatilleke 1958). Im ökumenischen Rahmen wird in der ethnischen und nicht „rassischen“ Kirche („racial church“) eine Herausforderung gesehen, da das Leben bestimmter Kirchen im ethnischen Rahmen begründet ist (Visser’t Hooft 1954). Für die Katholiken stellen religiöse Quellen zwar eine Antithese zum Rassismus dar, die Gläubigen sind jedoch im Alltag mit dem Problem stets konfrontiert (Congar 1953). Aus islamischer Perspektive wird die Vielfalt als Omnipräsenz Gottes verstanden und alle Unterscheidungen von Menschen gemacht (Kàmil 1970). Das Buch zum Judentum geht einen anderen Weg. Entkräftet wird der Vorwurf des „Rassismus“, der oft gegen die Juden erhoben wird, indem der jüdische Beitrag zur Weltzivilisation aufgezeigt wird (Roth 1961). Auch wenn diese Buchreihe keine Verschränkung von Religion und schulischer Bildung thematisiert, zeigt sie, dass die UNESCO in den Religionen und religiösen Positionen wichtige Ideengeber sieht, die sich mit gesellschaftlichen Problemen auseinandersetzen.

Eine explizite Verbindung von Religion und Bildung wird dann auf Tagungen aber auch in Publikationen wie Lehrerhandbüchern hergestellt. Chronologisch betrachtet beschäftigen sich die ersten Handbücher mit der Darstellung von Religion im Geschichtsunterricht. Ausgehend vom „International Educational Seminar on the Improvement of Textbooks, Particularly History Books“ in Brüssel 1950 werden Probleme der Schulbücher diskutiert und Vorschläge zur Verbesserung gemacht. Das größte Problem ist demnach die gegenseitige negative Wahrnehmung, wie z. B. zwischen ethnischen Gruppen (Norwegern und Schweden), aber auch die vorurteilsvolle Darstellung von Anhängern verschiedener Religionen, insbesondere Christen und Muslime (UNESCO 1951). Deshalb wird sowohl für Geschichtsbuchrevisionen, aber auch für bi- und multilaterale Schulbuchanalysen, eine Zusammenarbeit mit religionswissenschaftlichen Disziplinen empfohlen (UNESCO 1951). Dies würde helfen, die Geschichtsbücher durch die Geschichte der Religionen zu ergänzen und alle Schulbücher im Hinblick auf Religion zu analysieren.

Ausgehend von den Rassismusdebatten erscheinen in den 1950er-Jahren mehrere Lehrerhandbücher, die u. a. religiöse Positionen explizit reflektieren. Auf der Primarstufe geht das UNESCO-Handbuch „Learning to live together without hate“ (Hendry 1955) davon aus, dass „Rassen“ nur äußere Merkmale sind, die im Gegensatz zur „ethics of universal brotherhood“ stehen (Hendry 1955, S. 2). Das Handbuch thematisiert die in der Kindheit erworbenen Vorurteile sowohl der Lernenden als auch der Lehrenden (Hendry 1955, S. 17) und diskutiert, wie die eigene Gruppenzugehörigkeit die Haltung anderen gegenüber prägt (Hendry 1955, S. 15). Die Lehrenden sollen dies reflektieren und eigene Position hinterfragen, da diese die Einstellung zur Vielfalt bei den Jugendlichen und deren Eltern prägt (Hendry 1955, S. 33). Als Inspiration für die Arbeit mit Einstellungen der Heranwachsenden dienen nicht nur Rollenspiele und Experimente, sondern auch verschiedene philosophische, literarische und religiöse Zitate, die am Anfang und am Ende des Dokuments angegeben sind. Damit wird auf einer anderen Ebene der Zugang zur UNESCO-Idee der „universal brotherhood“ bekräftigt, die helfen soll, nicht nur die Bildung, sondern das gesamte Leben mit „mehr Sensibilität, Hingabe und Fähigkeit“ zu gestalten (Hendry 1955, S. 40).

Im Lehrerhandbuch für die Sekundarstufe „Education in Race Relation“ (Bibby 1955) werden der damalige Forschungsstand über die biologischen Variationen und die Entstehung des Rassenbegriffes diskutiert, dabei Fächer wie Biologie, Geografie, Ethik und Religionsunterricht angesprochen. Im Abschnitt über „Ideologische Positionen zur Rasse“ wählt das Handbuch schulische Beispiele der christlichen Vorurteile gegenüber Juden. Zahlreiche alt- und neutestamentlichen Passagen könnten als Beispiele jüdischer rassischer Exklusivität gedeutet werden, sofern sich Lernende nicht mit Gegenbeispielen wie die Erschaffung von Adam und Eva als Symbol der „unity of mankind“ beschäftigten (Bibby 1955, S. 19). In diesem Lehrerhandbuch wird das Christentum als Rahmen verstanden, bei dem „the religious genius of Israel lies at very heart“ (Bibby 1955, S. 20). Im Abschnitt „School and Society“ werden folgende didaktische Zugänge angeboten: Multiperspektivität (Bibby 1955, S. 44), Sensibilität in prekären Bildungszusammenhängen und kritisches Denken. Dabei soll Empathie sowohl für Schülerinnen und Schüler als für deren Eltern gegeben sein, um nach Bedarf mit beiden arbeiten zu können. Beide Publikationen betonen, dass der Erziehungserfolg gegen Diskriminierung mit den Lehrenden in der Schule steht und fällt. Somit wird deutlich, dass die UNESCO in der ersten Phase nicht nur die normativen, sondern auch die didaktischen Zugänge entwickelt, die bis heute relevant sind.

3.2 Intensivierungsphase: „Kinder Abrahams“ und Bildung zum interreligiösen Dialog

Nachdem die UNESCO eine Bildungsgrundlage im Hinblick auf Religion geschaffen hatte, fand in der darauffolgenden Phase eine Vielzahl der Tagungen statt, wichtige normative Dokumente wurden publiziert und ein umfassendes Projekt realisiert, bei dem Religion im Bildungssegment zentral ist. Tragend für diese Phase ist das Programm „Bildung für internationale Verständigung“, das von Prinzipien Menschenrechte, Frieden, Kultur und Verständigung im VN-System ausgeht (Martinez de Morentin de Goni 2004) und auf vorangegangenen Konzepten wie z. B. der „Education for living in the world community“ und „international citizenship“ basiert. Das Programm „strebt danach, Einstellungen und Fähigkeiten zu erreichen, die Frieden, menschliche Sicherheit und nachhaltige Entwicklung begünstigen“ (Martinez de Morentin de Goni 2004, S. 94). Dies bezieht sich auf alle Ebenen der Bildung und kann laut UNESCO durch diese auch erreicht werden.

Seit den 1980er-Jahren thematisieren die normativen Dokumente – ausgehend von den VN-Deklarationen wie z. B. „Deklaration zur Eliminierung von Diskriminierung auf Basis von Religion und Weltanschauung“ (1981) – zunehmend die friedensfördernde Seite der Religion. Besondere Bedeutung hat hierbei die „Barcelona Declaration on the role of religions in the promotion of a culture of peace“ (1994), die dank der UNESCO-Aktivitäten von 1992 bis 1994 für den Dialog zwischen Vertretern verschiedener Religionen und dem Friedenszentrum in Catalunya entstanden ist. Das Ziel dieses Dialogs war „to concentrate […] on the relationship between the culture of peace and the wisdom of the great religious traditions“ (Singh 1994, S. 3). Die Religionsvertreter und andere Anwesende diskutierten im Vorfeld der Barcelona-Deklaration nicht nur die theoretischen Zugänge zum Frieden, sondern auch die „possibility of a global spirituality“ (Singh 1994, S. 5). In der Eröffnungsrede betonte der damalige Direktor der UNESCO-Abteilung für Menschenrechte, Demokratie und Frieden, Janusz Symonides, die Rolle des Religionsunterrichts für die Friedenssicherung. Alle Anwesenden waren der Meinung, dass Religion durch Demokratie bereichert wird, aber auch dass „the religious traditions and all human communities must contribute to the creation of a new culture of peace […]“ (Singh 1994). In dieser Atmosphäre wurde dann die Deklaration ausformuliert. Sie ging von einer Welt der kulturellen und religiösen Vielfalt, von einer ambivalenten Rolle von Religion (Punkt 6) aber auch von der Verantwortung der Religionen für den Frieden im sozialen Gefüge (Punkt 19): Our communities of faith have a responsibility to encourage conduct imbued with wisdom, compassion, sharing, charity, solidarity, and love; inspiring one and all to choose the path of freedom and responsibility. Religions must be a source of helpful energy (Singh 1994, S. 13). In Punkt 23 wird ein gemeinsamer religiöser Ausgangspunkt beteuert: „Grounded in our faith, we will build a culture of peace based on non-violance“. Diese positive Seite der Religion sollte ab jetzt auch einen Beitrag zum interreligiösen und interkulturellen Dialog wie auch für die Bildung leisten. Wie das vonstattenging, wird im Folgenden rekonstruiert.

Im UNESCO-Kulturbereich und im Rahmen der Weltdekade für Kulturerbe starteten mehrere sogenannte „Roads“-Projekte. Das wissenschaftliche Zentralasien-Projekt sollte ein neues Licht auf die Bewegungen von Menschen, Waren, Ideen und Religionen werfen („Intergral Study of the Silk Roads – Roads of Dialogues“ 1988 bis 1999). Auch wenn für das Projekt Religion nicht zentral ist, dient es als ideeller Vorläufer für das spätere „The roads of pilgrimage to Jerusalem – The Roads of Faith“, das im Jahr 1991 verabschiedet und im Jahr 1995 auf dem Treffen in Rabat startet. Dort trafen sich auf Einladung von König Hassan II und in UNESCO-Organisation „experts on the three monotheistic religions“, um das Projekt „Roads of Faith“ zu besprechen. Die Anwesenden verstehen sich als Kinder Abrahams, die Einheit in der Vielfalt suchen, dankten der UNESCO für die Förderung des interreligiösen Dialogs und machten Vorschläge für weitere Aktivitäten: 3. (a) Die Einrichtung von Instituten zum gegenseitigen Lernen über die drei Schriften; 3. (c) Überarbeitung der Schulbücher in öffentlichen und konfessionellen Schulen; 3. (d) Die mögliche Einrichtung von multikonfessionellen Schulen und 6. […] eigenen Kreis auf andere „spirituelle Bewegungen“ auszuweiten (UNESCO-The Rabat Proposals 1995). In der Machbarkeitsstudie zum Projekt betont die UNESCO, dass Jerusalem als „axis mundi für fast die Hälfte der Weltbevölkerung“ und als ein „Brennpunkt für unterschiedliche Beweggründe und fundamentale theologische Unterschiede“ symbolische Friedens- und Verständigungsrolle innehat (Bowker 1992, S. 17). Davon ausgehend soll das Projekt zwei Schnittstellen erörtern: die Logik der Kongruenz der Religionen in Jerusalem und die Logik des Wettbewerbs symbolischer Universen – sprich religiöser Deutungen und Konstruktionen (Bowker 1992). Das Ziel ist es, die Mechanismen und treibenden Kräfte zu identifizieren, die zum Abbruch oder Festigen der Beziehungen zwischen verschiedenen Kulturen und Zivilisationen führen. Die interreligiös eingestellten Jugendlichen sollen an den zukünftigen Tagungen, bei den Ausstellungen und Kunstprojekten eingebunden sein. Geplant war weiterhin ein Treffen in Malta im Juni 1997 zur Förderung des Dialogs zwischen den Religionen und ein weiteres interreligiöses Programm (UNESCO 1996). Folglich wird im Jahr 1995 das Projekt „The Routes of al-Andalus: Spiritual convergence and intercultural dialogue“ verabschiedet, bei dem ausgehend von den drei monotheistischen Religionen der interkulturelle Dialog gefördert wird (UNESCO 1997b, S. 7). Die UNESCO koppelt dieses Projekt mit der Idee des europäischen Rationalismus und beschreibt Al-Andalus als: „the heir to the rationalist, philosophical and scientific thought of ancient Persia and Greece, reformulated in the light of the universalism born of the fertile dialectic between the three great monotheistic religions […]“ (UNESCO 1997b, S. 22).

Ausgehend von dem Rabatt-Vorschlag, den religiösen Kreis zu erweitern, fand im Juni 1997 eine Konferenz in Valetta statt, bei der die Vertreter von Hinduismus, Buddhismus und Sikhismus anwesend waren. Auch hier war thematisch die Stärkung der Friedenskultur durch den interreligiösen Dialog tragend und so unterzeichneten die Anwesenden „The Roads of Faith: the Malta-Declaration“. Im Bildungsfeld empfahlen sie: „(i) Adoption and implementation of guidelines and a methodology for dialogue between religions […]“ und „the participants recommend to the religious communities that, with the help of UNESCO: (a) promote studies on the image and perception of „others“ in religious texts: on this basis, guidelines should be established for the presentation of other beliefs within the education systems of each of the religious communities or associations working to bring people closer together“ (UNESCO 1997a, S. 3). Dadurch wird die Auseinandersetzung mit „anderen“ Religionen im schulischen Rahmen auch normativ ausformuliert.

Die Entwicklung der obengenannten Deklarationen und Projekte findet vor dem Hintergrund der Ereignisse statt, die der Religion neue Relevanz verliehen haben. Bei dem Zusammentreffen des Weltparlamentes der Religionen in Chicago im Jahr 1993 wurde unter der Federführung von Hans Küng die „Erklärung zum Weltethos“ formuliert und unterzeichnet. Diese geht von den Werten der Gewaltlosigkeit, Solidarität, Toleranz und Gleichberechtigung/Partnerschaft von Mann und Frau, die alle Menschen betreffen (Küng 1990). Küng formuliert, dass es „Kein Zusammenleben auf unserem Globus ohne ein globales Ethos; kein Frieden unter den Nationen ohne Frieden unter den Religionen; kein Frieden unter den Religionen ohne Dialog zwischen den Religionen“ (Küng 1990). Außerdem sieht er in der Goldenen Regel, „Behandle andere so, wie du von ihnen behandelt werden willst“ eine globale Bewusstseinsnorm (Küng 1996). Auf seine Arbeit weißt die UNESCO stets hin (Gundara 2010). Das zweite Ereignis ist die Internationale Konferenz über die Freiheit der Religion in Oslo (1998) organisiert vom „Norwegian Council of Religious and Humanist Communities“. Auf der Konferenz wurde die „The Declaration on Freedom of Religion or Belief“ von Vertreter*innen der Religionen, der Wissenschaft und der humanistischen Organisationen unterzeichnet. Die Unterzeichner*innen forderten die UNESCO auf, sich der Probleme in Bezug auf Religionsfreiheit anzunehmen, was die UNESCO positiv beantwortete.

Der Aufwind für den interreligiösen Dialog wird auch an den UNESCO-Konferenzen sichtbar, die das religiöse Welterbe auf der universitären Ebene aufgreifen wie z. B. „The Bishkek Forum of Cultures and Religions in Central Asia“ 1999 und im Rahmen des Programms „Dialog der Zivilisationen“. Aus Platzgründen kann darauf nicht eingegangen werden, es sei aber erwähnt, dass die UNESCO zwischen 1989 und 2000 zahlreiche Themen diskutierte, die von den Candoblé über Teilhard de Chardin bis hin zu den Neuen religiösen Bewegungen reichen. Solch gelagerte Vielfalt der Konferenzen zur Religion gibt es in den späteren Dekaden nicht mehr.

Für den schulischen Primar- und Sekundarbereich aber auch für die breite Öffentlichkeit ist in dieser zweiten Phase vor allem der „Survey on education and teaching of intercultural and interreligious dialogue (1999–2001)“ (UNESCO 2002) relevant. Ausgehend von der Frage, wie in der Schule „teaching about religion“ organisiert werden soll, erstellte die UNESCO-Abteilung für interkulturellen Dialog eine Umfrage, die von der Religionssoziologin Anne-Sophie Lamine ausgearbeitet wurde. Von 4000 Fragebögen kamen nur 471 aus 100 Ländern zurück. Die Stichprobe ist daher nicht repräsentativ, aber wissenschaftlich hochinteressant. Gestellt werden die Fragen, die heute noch im Bildungssegment diskutiert werden: Was sind die Ziele interkultureller und interreligiöser Bildung? Was ist der Inhalt und was die ethische Orientierung von Bildung? Wer soll den Unterricht verantworten? Wer soll diese Inhalte/Fächer unterrichten? Wo sollen die Lehrkräfte ausgebildet werden? (UNESCO 2002, S. 9). Die Mehrheit der Befragten geben an, dass sie folgende Inhalte wünschen: Grundwissen über verschiedene Religionen, Bräuche, religiöse Werte und Gedankengut. Es sollte ein komparatives Vorgehen geben, dass von ethischen Vorstellungen zu gemeinsamen Werten führt und von Menschen in ihren Alltagssituation ausgeht. In die Ausbildung der Lehrkräfte sollten Expert*innen aus Religionssoziologie, Geschichte, Psychologie und Philosophie involviert werden (UNESCO 2002, S. 18). Die Lehrkräfte sollten in den Themen des interkulturellen und interreligiösen Dialogs ausgebildet werden (UNESCO 2002, S. 15) und Handbücher verwenden, die auf internationaler Ebene entstehen und international angeglichen sind (UNESCO 2002, S. 16). Diese wissenschaftlichen Resultate werden im Text jedoch konterkariert. So findet sich im Dokument eine Vermischung theologischer und wissenschaftlicher Sprache, eine Funktionalisierung der Religion im Sinne der UNESCO-Policy und eine Gleichsetzung aller Jugendlichen als „religiös“. Die Studie bevorzugt den didaktischen Zugang, der stark an die Barcelona-Deklaration erinnert und die kulturelle Differenz bemüht: „Children should be introduced to the discovery of ‘otherness’, and to the values of tolerance, respect, and confidence in the ‘other’ that will bring about a change of behaviour and attitudes towards others. The introduction of specific teaching of intercultural and interreligious dialogue, through the adequate pedagogical tools, is conceived as a means to foster reciprocal knowledge of shared values contained in the message issued by religions and spiritual traditions, which can be considered as a common spiritual and cultural heritage“ (UNESCO 2002, S. 3). Die Kommentare der Survey – die von der UNESCO erstellt sind – zeigen, dass der Begriff „teaching about religion“ verwendet, jedoch nicht weiter erklärt wird. Gefüllt wird der Begriff mit religiösen und interreligiösen Inhalten, die sich am „Bild der Anderen“ orientieren.

3.3 Vervielfältigungsphase: Zwischen kultureller Vielfalt und politischer Sicherheit

Während in der vorausgegangenen Phase Religion normativ aufgewertet und interkultureller/interreligiöser Zugang als Folge eines bestimmten Kulturverständnisses verankert wurde, kommt es nach dem Jahr 2000 zu einer erneuten Erweiterung der Begriffe und zu einer großen Vervielfältigung der Bildungsprogramme, Konventionen, Deklarationen, policy papers und Handbücher. Für diesen Abschnitt sind vor allem die normativen Dokumente des UNESCO-Kulturbereichs relevant, die in der Diversität und im immateriellen Erbe zentrale Themen sehen.

In der „Universalen Deklaration über kulturelle Diversität“ (UNESCO 2001) wird die Diversität zum „gemeinsamen Erbe der Menschheit“ (Art 1). Global sollten harmonische Interaktionen von Menschen und Gruppen pluraler und dynamischer kultureller Identitäten ermöglicht werden (Art 2). Als Garanten des freien Ausdrucks aller Kulturen zählen u. a. die Redefreiheit, freie Zugänge zur Kunst und zu verschiedenen Medien (Art. 6). Bildung wird im angegliederten Aktionsplan erwähnt, insoweit zur Förderung des Bewusstseins für den Wert kultureller Vielfalt eine Verbesserung der Lehrpläne und Lehrerausbildung empfohlen wird (Punkt 7). Ab diesem Zeitpunkt ist theoretisch nicht mehr die kulturelle Differenz zentral, sondern Kultur als ein ganzer Komplex von charakteristischen geistigen, materiellen, intellektuellen und emotionalen Merkmalen einer Gesellschaftsgruppe (UNESCO 2018). Dadurch wird ein neuer Kulturbegriff eingeführt, der sich scheinbar von der Betonung der kulturellen Differenz der vorangegangenen Tätigkeitsphase entfernt. Gefördert soll das traditionelle Wissen indigener Völker, das a) im Austausch von Gemeinschaften und in Interaktion mit der natürlichen Umwelt entwickelt wird, b) durch Sprache, mündliche Traditionen, Memorieren, Spiritualität und Weltanschauung ausgedrückt; und c) dargestellt in einem breiten Komplex von Werten und Überzeugungen (UNESCO 2018, S. 7). Daran anknüpfend und ausgehend von der VN-Deklaration über die Rechte indigener Völker (2007) beschreibt die UNESCO das Bildungssystem der indigener Völker explizit als ein allumfassendes, holistisches Bildungssystem (UNESCO 2018, S. 12). Darauf knüpft wiederum die „Convention for the safeguarding of the intangible heritage“ (UNESCO 2003) und definiert im Art. 2 das immaterielle Erbe: The „intangible cultural heritage’ means the practices, representations, expressions, knowledge, skills – as well as the instruments, objects, artefacts and cultural spaces associated there with – that communities, groups and, in some cases, individuals recognize as part of their cultural heritage. This intangible cultural heritage, transmitted from generation to generation, is constantly recreated by communities and groups in response to their environment, their interaction with nature and their history […]“ (UNESCO 2003, S. 4). Hier werden diejenigen Formen und Dimensionen der Religion, die bisher unberücksichtigt blieben – wie z. B. Rituale und Bräuche – zum ersten Mal in einem normativen und verbindlichen Dokument aufgenommen. Beide Dokumente bringen Neuerungen mit sich. Zwar werden in dieser Phase die Religionen vor allem unter Diversität subsumiert, der UNESCO-Religionsbegriff wird jedoch durch die Spiritualität der indigenen Völker erweitert (UNESCO 2003). Der auf die indigenen Völker angewandte Begriff „holistic education“ (UNESCO 2001, UN 2007) scheint sich mit dem UNESCO-Bildungsbegriff so sehr zu überschneiden, dass die UNESCO ihn ab diesem Zeitpunkt verwendet auch um die eigene universalistische Bildungsarbeit zu beschreiben. Trotz dieser Neuerungen bleibt die Kritik am essentialistischen Kulturbegriff (Eriksen 2012) und an dem Begriff „indigener Völker“ groß und kann hier nur angedeutet werden (Kraft et al. 2020; Niezen 2011).

Da kulturelle Diversität mit dem interkulturellen und dem interreligiösen Dialog im Bildungssegment gekoppelt ist, spielen die Themen rund um „teaching about religion“ weiterhin eine wichtige Rolle. Der Begriff bekommt inzwischen eine eher religionskundliche Perspektive. Laut dem Generaldirektor Koïchiro Matsuura fehle es den Schulen an der historischen, anthropologischen und soziologischen Perspektive auf Religion. Seiner Meinung nach: „the predominance of religious instruction in only one faith may also lead to lack of understanding among individuals and groups belonging to different faiths or having non-religious convictions“ (UNESCO 2007, S. 1). Die Lösung sieht Matsuura darin, dass die UNESCO das eigene interreligiöse Programm stärkt, indem sowohl Vertreter*innen aus religiösen und spirituellen Traditionen, als auch humanistischen Organisationen und (Religions‑)Wissenschaft zusammenkommen (UNESCO 2007, S. 2). Er folgert: „16. Priority has therefore been given in recent years to teaching young people about religion and interreligious dialogue in order to make them aware of the value of respect for the Other, which is more vital than ever to ensure harmonious coexistence in contemporary pluralistic societies […]“ (UNESCO 2007, S. 3). Deshalb lädt der UNESCO-Vorstand den Generaldirektor dazu: „to continue reflection on the place of religion, under an interdisciplinary approach that fosters knowledge of and respect for all cultures“ (S. 4). Dass der Generaldirektor diese Aufforderung nachgegangen ist, zeigt die rege Produktion der Handbücher sei es im Alleingang der UNESCO oder zusammen mit anderen internationalen Organisationen.

Die Handbücher modellieren und verfolgen zwei grundlegende didaktische Ansätze – den interkulturellen und den menschenrechtsbasierten. In die erste Gruppe gehören genuine UNESCO-Publikationen wie z. B. „Guidelines for intercultural education“ (UNESCO 2006) und das „Guidebook for history textbook authors“ (Al Ashmawi et al. 2012). Die Publikation aus dem Jahr 2006 konzentriert sich auf die interreligiöse Erziehung als Teil der interkulturellen Bildung. Als Ziele dieser Bildung werden Verminderung der Exklusion, Fördern der Integration, des Respekts für kulturelle Vielfalt, des Verständnisses anderer Kulturen und anderer Menschen, sowie internationale Verständigung genannt (S. 27). Die religiöse Bildung (religious education) wird hier als Lernen über die eigene Religion oder spirituelle Praktiken, alternativ als Lernen über andere Religionen oder Glaubensrichtungen beschrieben. Interreligiöse Bildung (interfaith education) ziele dagegen darauf ab, die Beziehungen zwischen Menschen unterschiedlicher Religionen aktiv zu gestalten (UNESCO 2006, S. 12). Als „innovativ“ wird die „Teamarbeit in multikulturellen Kontexten“ empfohlen, wobei traditionelles und lokales Wissen zu kombinieren sei (UNESCO 2006, S. 29). Curricula und Bildungsmaterialien seien so zu konzipieren, dass sie von den verschiedenen Wissens- und Erfahrungssystemen der Lernenden ausgingen und darauf aufbauten (UNESCO 2006, S. 33). Dazu komme die Vermittlung von Wissen über die Geschichte, Traditionen, Sprache und Kultur der bestehenden Minderheiten an die Mehrheitsgruppen („minorities to majority groups“, UNESCO 2006, S. 35).

Das Ziel der Publikation aus dem Jahr 2012 ist es, Ideen zu liefern, „wie der Geschichtsunterricht das Wissen der Schüler über andere Kulturen bereichern und ihr kritisches Denken entwickeln kann“ (Al Ashmawi et al. 2012, S. 55). Der geographische Fokus liegt auf europäischen und auf arabischen Ländern. Diskutiert werden Beispiele der „Begegnungen mit den Anderen“, die das Handbuch als positiv oder negativ beschreibt. Bei der Darstellung negativer Beispiele (kriegerische Verbreitung des Islams, Kreuzzüge, Auseinandersetzung zwischen europäischen Ländern und dem Osmanisches Reich, Kolonialisierung etc.) soll die Multiperspektivität in Schulbüchern eine wichtige Rolle spielen, um verschiedene Facetten der Ereignisse zu diskutieren. Das Handbuch empfiehlt außerdem, die Vertreter der Kirchen und Religionsgemeinschaften bei der Geschichtsbuchproduktion einzuladen (Al Ashmawi et al. 2012, S. 23). Gänzlich ohne Multiperspektivität bleibt die im Handbuch durchgehende Verwendung der Begriffspaare wie z. B. „Arab and islamic worlds and Europe“, „Islamic and European countries/encounters“ (Al Ashmawi et al. 2012, S. 32), und „Europeans and Muslims“ (Al Ashmawi et al. 2012, S. 48). Auch die Anforderung an das Bild der jeweils anderen ist unausgewogen. Während die Geschichtsbuchautor*innen in Europa: „[…] should respect this Muslim presence by producing balanced textbooks that give sufficient space to the history of the Muslim world.“ (Al Ashmawi et al. 2012, S. 21), sagt das Handbuch über die arabischen Schulbücher lediglich: „[…] we note that these religions [Christians and Jews] are sometimes presented from the point of view of the Qur’ân’s prescriptions and Islamic ethics and values.“ (Al Ashmawi et al. 2012, S. 23). Offenbar bemüht die Publikation das bereits genannte Prinzip der Reziprozität in Zusammenhang mit dem Wissen. Allerdings ist der Bias deutlich und für die Geschichtsbuchbuchautor*innen nicht fruchtbar.

In die zweite Gruppe der Publikationen fallen diejenigen, die den menschenrechtsbasierten didaktischen Ansatz (HR-Ansatz) anwenden. Sie wurden von der OSCE initiiert und gemeinsam mit der UNESCO und dem Europarat veröffentlicht. Dazu gehören die Publikationen „Human Rights Education in Schools of Europe, Central Asia and North America: A Compendium of Good Practice“ (OSCE/ODIHR et al. 2009), „Guidelines for educators on countering intolerance and discrimination against Muslims: Addressing Islamophobia through education“ (OSCE/ODIHR, CoE, UNESCO 2011) und „Addressing Anti-Semitism through education“ (UNESCO, OSCE/ODIHR 2018). Die Publikation „Making textbooks content inclusive: A focus on religion, gender and culture“ (UNESCO 2017a) entsteht unter Mitwirkung des Georg-Eckert-Instituts für internationale Schulbuchforschung, verfolgt aber auch den HR-Ansatz. Dabei gehe es um die Bildung, Ausbildung und Information mit dem Ziel, eine universelle Kultur der Menschenrechte aufzubauen. Diese vermittele sowohl das Wissen über die Menschenrechte und die Mechanismen, die sie schützen, als auch die Fähigkeiten, die zur Förderung, Verteidigung und Anwendung der Menschenrechte im täglichen Leben notwendig seien (OSCE/ODIHR et al. 2009, S. 9). Dieser Ansatz garantiere das Recht auf Respekt in der Lernumgebung und beinhalte die Achtung der Identität, Partizipation und Integrität der Schüler (OSCE/ODIHR, CoE, UNESCO 2011, S. 23). Der Ansatz verhindere den gewalttätigen Extremismus und Radikalisierung, die zu Terrorismus führen (UNESCO, OSCE/ODIHR 2018, S. 16).

Die erste hier gemeinsame Publikation aus dem Jahr 2009 nennt viele Beispiele guter Praxis und dazu verschiedene didaktische Vorgehensweisen. Diejenigen, die sich explizit mit Religion beschäftigen empfehlen u. a. das Lesen und Diskutieren der Originalquellen aus den Religionen. Dabei würden die Schüler*innen die zu Minderheiten gehören, zu Expert*innen in den eigenen Religionen (OSCE/ODIHR et al. 2009, S. 171). Bei einem anderen Beispiel wird betont, alle Schüler*innen sollten sich ihrer eigenen religiösen Identität vergewissern, den eigenen Glauben reflektieren und die große Bandbreite der spirituellen Vielfalt zwischen und innerhalb der zahlreichen Religionen kennenlernen (OSCE/ODIHR et al. 2009, S. 217). Die Handbücher zum Umgang mit Islamophobie und dem Antisemitismus schlagen ähnliche Wege ein. In dem ersten Handbuch wird ausgehend von den Stereotypen gegenüber muslimischen Jugendlichen religiöse Diskriminierung diskutiert (OSCE/ODIHR, UNESCO et al. 2011, S. 23). Die Publikation empfiehlt zunächst die Vielfalt im Islam, aber auch den Beitrag „islamischer Kulturen und Zivilisationen“ in Kunst und Wissenschaft in den Schulunterricht einzubeziehen (OSCE/ODIHR, UNESCO et al. 2011, S. 26/7). Im „teaching about religion“ sollten die Inhalte ausgewogen und objektiv dargestellt werden und die Lehrenden Kompetenzen im Umgang mit kontroversen Themen aufweisen (OSCE/ODIHR, UNESCO et al. 2011, S. 29). Auch Lektionen über Weltgeschichte sollten Inhalte über die Kultur der Muslime beinhalten (OSCE/ODIHR, UNESCO et al. 2011, S. 30). In der Anti-Semitismus-Publikation gehe es in erster Linie um Geschichte und Kultur der Juden, weshalb relevante Themen wie z. B. antisemitische Stereotype und der Holocaust im Unterricht zu besprechen seien. Der menschenrechtsbasierte Ansatz ermögliche das kritische Denken und stärke die Resilienz der betroffenen Schüler*innen. Deshalb sollte die Fähigkeit zur Selbstreflexion und die Fähigkeit, komplexe Themen anzusprechen, gefördert werden (UNESCO, OSCE/ODIHR 2018, S. 27). Das übergreifende Ziel sei aber der Intoleranz entgegenwirken, gewaltsamen Extremismus verhindern und „global citizenship education“ fördern (UNESCO, OSCE/ODIHR 2018, S. 16). Die Publikation „Making textbooks content inclusive“ will helfen, die Schulbücher von Stereotypen und Vorurteilen zu befreien. In Bezug auf Religionen und Weltanschauungen werden Formen der Spiritualität und philosophische Traditionen samt säkularer Perspektiven genannt (UNESCO 2017a, S. 9). Tatsächlich aber ist die Bandbreite der behandelten Themen verkürzt, so dass der innerreligiösen Differenzierung nicht gerecht wird. Das Handbuch arbeitet mit Verallgemeinerungen über Religionen, die zu meiden empfohlen werden (UNESCO 2017a, S. 11). Der Begriff Weltanschauung wird in diesem Handbuch zum ersten Mal explizit bemüht, die Bedeutung der Weltanschauungen bleibt diffus. So wichtig es ist, die „non-religions“ zu thematisieren, so problematisch ist die damit zusammenhängende Aufgabe: „Discuss the possible spiritual lives and values of non-religious.“ (UNESCO 2017a, S. 11). Gänzlich wird auf die teilweise gegenseitige negative Wahrnehmung der Religiösen und Religionsfreien verzichtet, was ganz im Sinne des Menschenrechtsansatzes wäre. Dieses Handbuch geht zwar von den wichtigen Verflechtungen von Sprache, Identität und Rechten mit Religion, Gender und Kultur ein, allerdings wird deutlich, dass auch der menschenrechtsbasierte didaktische Ansatz zu Verkürzungen und Vereinfachungen führen kann, wenn die fachliche Differenzierung unterbelichtet bleibt.

4 Abschlussbetrachtung

Die Analyse der normativen und didaktischen Aussagen der Phasen des Ausbaus, der Intensivierung und der Vervielfältigung der UNESCO-Zugänge zu Religion zeigt markante Dynamiken. Diese knüpfen an die theoretischen Ausführungen des ersten Kapitels an. So lassen sich mehrere Übereinstimmungen mit den Resultaten der aktuellen Forschung von Kerstin Martens und ihrem Team über die IO feststellen. Erstens findet im Hinblick auf die Zahl, Inhalt und Komplexität der normativen und der Bildungsquellen, die in der Aufbauphase noch überschaubar sind, eine rasante Vervielfältigung statt. Zweitens bleibt die Relevanz der liberalen politischen Ziele sowohl auf der kollektiven als auch individuellen Ebene konstant. Drittens kooperiert die UNESCO zunehmend mit anderen IO und arbeitet mit ihnen an gemeinsamen Themen im Hinblick auf Religion und greift dabei auf eigenen didaktischen Grundstock. Wie alle anderen IO hat auch die UNESCO Religion in unterschiedlich gelagerten normativen Quellen diskutiert. So kommt Religion in verbindlichen Konventionen vor, die von allen Mitgliedstaaten zu ratifizieren sind, aber auch in unverbindlichen Deklarationen vor, die keiner Ratifizierung unterliegen. Während die Konventionen Religion allgemein als Teil der Menschenrechte nennen, gehen die Deklarationen, die als Resultate zahlreicher Symposien und Konferenzen unterzeichnet wurden, explizit auf die größtenteils positive Rolle der religiösen Akteure auf kollektiver und individueller Ebene ein und nennen die (möglichen) zukünftigen Bildungsaktivitäten. So visionär und weitrechend die Deklarationen teilweise ausformuliert sind, so ist deren praktische Wirkkraft jedoch relativ schwach, da sie lediglich deklarativen Charakter haben. Ideell bereiten sie dennoch die Grundlage, auf der die UNESCO eigene Bildungsprogramme über Religion entwickelt. Die normativen Dokumente weisen eine Kontinuität insbesondere im Hinblick auf die Menschenrechte und Friedensförderung auf. Dagegen jedoch erfährt die Auseinandersetzung mit der Religionsfreiheit – angeregt durch die indigenen Völker – eine Schwerpunktverschiebung von der individuellen auf die kollektive Perspektive. Mit Blick auf Religion im Bildungssegment gilt die normative Formulierung „to ensure […] religious and moral education of the children in conformity with their own convictions“ (UNESCO 1960) bis heute.

5 Konstruktion der Religionsbegriffe

Der UNESCO-Religionsbegriff, der sich anhand des Schemas „Religion-interreligiöser Dialog-Diversität“ rekonstruieren lässt, erfährt mehrere Modifizierungen. Die Beobachtung von Carrette, dass vor dem 11. September 2001 religiöse Positionen und ethische Standpunkte einzelner religiöser Institutionen verstärkt berücksichtigt werden, bevor sie sich später zu einem politischen Faktor entwickeln, lässt sich bedingt am Beispiel der UNESCO bestätigen. In den 1950er-Jahren kommen einzelne Autoren aus Buddhismus, Judentum, Islam und Christentum (sowohl aus Protestantismus wie Katholizismus) zu Wort. Diese machen deutlich, welchen gesellschaftlichen Beitrag deren religiösen Normen im Hinblick auf soziale Ungleichheit und Rassismus leisten. Ähnlich ist es in den 1980er- und 1990er-Jahren, als Tagungen und Symposien z. B. Neue religiöse Bewegungen, verschiedene religiösen Persönlichkeiten (Teilhard de Chardin u. a.), Kulte (wie Candomblé) und Bräuche einzeln oder in Zusammenhang mit soziokulturellen und politischen Herausforderungen (Armut, Analphabetismus usw.) diskutieren. Diese Thematisierungen finden vor dem Hintergrund eines Kulturbegriffs statt, der kulturelle Differenzen betont und Kulturen als sich zwar beeinflussende aber dennoch getrennte Einheiten wahrnimmt.

Eine begriffliche Hinwendung zum interreligiösen Dialog wie auch eine explizite Aufwertung der Religion und der religiösen Akteure findet in den späten 1990er-Jahren als Kontrapunkt zu den damaligen ethnoreligiösen Konflikten statt. Sichtbar ist das an der Barcelona-Deklaration (1994), mit der ein „Dialog zwischen der Kultur des Friedens und der Weisheit der größten Religionstraditionen“ anfing. Im damaligen Religionsprogram „Roads of Faith“ kommt es zu einer Bündelung monotheistischer Religionen (Judentum, Christentum und Islam) als dem Ausgangspunkt für den interreligiösen Dialog. Die Fokussierung auf die genannten Religionen führt dazu, dass andere Religionen und historische „Dialoggebiete“ wie z. B. Zentralasien und Indien nur sporadisch berücksichtigt werden. Und schließlich wirkt sich dieser Religionsbegriff maßgeblich auch auf die didaktischen Zugänge zur Religion aus, auf die später noch eingegangen wird.

Die vorerst letzte begriffliche Veränderung – eine Subsumierung verschiedener Begriffe unter Diversität – findet nach der Konvention über die kulturelle Vielfalt (2001) statt. Berücksichtigt werden gleichermaßen Kulturen, Religionen und spirituelle Traditionen. Den Hintergrund lieferte der veränderte Kulturbegriff, der nicht mehr auf die kulturelle Differenz hinzielt, sondern Kultur als Komplex von charakteristischen geistigen, materiellen, intellektuellen und emotionalen Merkmalen einer Gesellschaftsgruppe versteht. Aus religionswissenschaftlicher Sicht ist insbesondere die Konstruktion der „spirituellen Traditionen“ interessant. Seit 1995 wurde das immaterielle Erbe unterschiedlicher sozialer Formen von Religion wie z. B. der „indigenen spirituellen Traditionen“ (UNESCO-Begrifflichkeit) diskutiert und schließlich in einer international verbindlichen Konvention aufgenommen (2003). Die Konstruktion von Religion durch Recht und Politik lässt sich am Beispiel indigener Völker nachvollziehen, da diese Völker durch die bereits vorhandenen rechtlichen Vorgaben und politischen Normen zur nachträglichen Eigendefinition gezwungen wurden (Niezen 2011, S. 21).

Diese begriffliche Erweiterung ist der UNESCO-Arbeit immanent, da sie mit der Zeit immer weitere inhaltliche Kreise zieht und Perspektiven aufgreift. Durch den Begriff „Diversität“ wird eine größtmögliche religiöse und weltanschauliche Vielfalt – neben allen anderen Facetten der Diversität – angesprochen. Diese Erweiterung ist allerdings auch ambivalent, denn dadurch bleiben diejenigen, um deren Rechte lange gekämpft wurde, die gesellschaftlich am unsichtbarsten und sozial am verletzlichsten sind – wie die indigenen Völker – weiterhin unsichtbar. Schließlich scheinen alle durch den Begriff „Diversität“ angesprochenen Formen der Religion dieselben Handlungsmöglichkeiten im Rahmen der UNESCO zu haben, was praktisch nicht der Fall ist. Dies ist am bestem am interreligiösen Dialog abzulesen, an dem sich z. B. die Vertreter dreier religiöser Institutionen beteiligen, während die „indigenen Völker“ bisher außen vor bleiben. Auch wenn die normativen Dokumente den begrifflichen Rahmen erweitern, zeigen spätestens die Bildungshandbücher, dass sie dem eigenen Anspruch, religiöse Diversität aufzugreifen, nur bedingt gerecht werden. Wenn dies schon in den UNESCO-Handbüchern nicht gänzlich gelingt, dann ist zu vermuten, dass die Diskrepanz in der Bildungspraxis noch stärker ausfällt.

Die Ausführungen über die diachrone Veränderung des Religionsbegriffs knüpfen an die eingangs dargestellten theoretischen Positionen von Stensvold und Årsheim, dass die Religion ins Blickfeld von IO vor allem dann gerät, wenn sie mit deren Zielen kollidiert. Mit anderen Worten heißt das, dass sich die UNESCO mit Religion nur dann befasst, wenn es globale Krisen gibt wie z. B. den Rassismus der 1960er-Jahre, die ethnoreligiösen Kriege der 1990er-Jahre und den Terrorismus des 11. September 2001. Folglich wäre die Strategie der UNESCO, die Vertreter der religiösen Institutionen an Bord zu haben, um die konstruktive Rolle der Religion für die globale Gesellschaft herauszuheben und die religiösen Institutionen in die Verantwortung zu ziehen. Dieses Verständnis knüpft wiederum Gearons Position an, dass die IO durch das Wiederaufleben der religiösen Autoritäten im Umkehrschluss eine Form der Säkularisierung vorantreiben, indem den globalen Problemen vor allem die Versicherheitlichung entgegengebracht wird.

6 Didaktische Kontinuitäten und Begriffliche Erneuerungen

Parallel zum Religionsbegriff lassen sich unterschiedliche Dynamiken auch im Hinblick auf Begriffe und Zugänge rekonstruieren, die didaktische Relevanz haben. Dabei lassen sich zwei grundsätzliche Zugänge finden: a) der interkulturelle, der eine ununterbrochene Kontinuität bis heute aufweist, und b) der Menschenrechtsansatz, der in der UNESCO-Bildungsarbeit nach den Kooperationen mit der OSCE in den Vordergrund tritt.

Der interkulturelle Ansatz ist bereits in den UNESCO-Handbüchern und Leitlinien der 1950-er Jahre zu finden, als Geschichtsbücher mit ihren Stereotypen und vorurteilsbeladenen Religionsdarstellungen analysiert wurden. Die damaligen UNESCO-Empfehlungen sind bis heute relevant geblieben: notwendig seien Analysen der Stereotypen und Vorurteile in Bildungsmedien, Schulbuchrevisionen und multilateralen Schulbuchanalysen, der Umgang mit gegenseitiger Wahrnehmung insbesondere zwischen Christen und Muslimen wie auch eine Zusammenarbeit der UNESCO mit der Religionswissenschaft und anderen wissenschaftlichen Disziplinen. Von den didaktischen Zugängen der ersten Stunde sind bis heute u. a. Multiperspektivität, Einübung in Empathie bei den Schüler*innen, eine Sensibilisierung der Lehrkräfte für die religiöse Vielfalt sowie eine positive Einstellung zur Vielfalt auch heute noch aktuell.

Obwohl die UNESCO ab dem Jahr 2001 einen erweiterten Kulturbegriff einführt, der mit einem erweiterten Bildungsbegriff hätte einhergehen können, bleibt sie bei dem interkulturellen Zugang und verankert diesen in der eigenen Sprache bis heute. Dieser wird jedoch bereits seit den 1990er-Jahren als verkürzt kritisiert, da sich die Menschen mehr als an nur einem kulturellen Bezugssystem orientieren (Welsch 2010, S. 43). Eine weitere Kontinuität, die die UNESCO-Bildungsarbeit bis heute prägt, stellen die Schulbuchrevisionen dar. Diese werden bereits in den ersten Handbüchern genannt und stets als Mechanismen der Bildungs- und Schulbuchverbesserung empfohlen.

Ein Umgang mit Religion im schulischen Segment ist bei der UNESCO fast immer ein Umgang mit dem „religiösen Anderen“, auch wenn verschiedene UNESCO-Publikationen theoretisch die Möglichkeit eröffnen, dass alle Jugendlichen – religiöse und religionsfreie gleichermaßen – angesprochen werden. Dies erfolgt auch unabhängig davon, ob die Begriffe „religious education“, „interfaith education“ oder „teaching about religion“ verwendet werden und theoretische Konzeptionen angesprochen werden, die Weltanschauungen mitberücksichtigen. Diese Tatsache lässt sich anhand der Einführung des Begriffs „teaching about religion“ in die UNESCO-Bildungslandschaften nachvollziehen, als im Rahmen des Survey der UNESCO-Teilnehmerstaaten (1999–2001) eine weltweite Umfrage zum „teaching about religion“ gestartet wurde. Die Antworten der angefragten Bildungsinstitutionen der UNESCO-Teilnehmerstaaten zeigen, dass einerseits das Grundwissen über verschiedene Religionen in Zusammenarbeit mit wissenschaftlichen Disziplinen wie der Religionssoziologie in der Bildung gekoppelt werden soll, das Ziel des Unterrichts und/oder Faches jedoch ein theologisches ist: Der Unterricht soll den interreligiösen Dialog zwischen den gläubigen Jugendlichen stärken. Die Beschreibung der Umfrage macht deutlich, dass sie didaktisch das wechselseitige Kennenlernen und das Lernen übereinander und voneinander („Reziprozität“) bevorzugt, die beide bereits seit Dekaden UNESCO-relevant sind. Ganz im Sinne der damaligen Kultur der Differenz sprechen die Quellen vom „discovery of ’otherness’“ als Ziel.

Die didaktische Ausformulierung des „teaching about religion“ in der britischen Pädagogik wie auch die wissenschaftlichen Hintergründe, die eingangs genannt sind, werden von der UNESCO in den untersuchten Quellen nicht explizit diskutiert und der Begriff bleibt vage und ohne theoretische Tiefe. Ähnlich verhält es sich in den Handbüchern wie „Guideline“ (2006) und „Guidebook for history textbooks authors“ (Al Ashmawi et al. 2012). Auch hier sind die religiösen Jugendlichen zentral. Über eigene Religion lernen sie in „religious education“ und über die Beziehung der religiösen Menschen in unterschiedlichen Religionen sollen sie im „interfaith education“ lernen, als Teil der interkulturellen Bildung. Trotz interkultureller Zielsetzungen weist das „Guidebook“ eine gewisse begriffliche Undifferenziertheit aus, die das Interkulturelle in Frage stellt und die um diverse Dichotomien angereichert wird, etwa wenn von „Europeans and Muslims“ und von den „Islamic and European Countries“ die Rede ist. Das produziert Stereotype, die die UNESCO eigentlich abbauen will.

Die analysierten Bildungshandbücher berücksichtigen nicht die spirituellen Traditionen der indigenen Völker, obwohl diese normativ und inhaltlich relevant sind und einen besonderen neuen Schritt in der UNESCO-Tätigkeit darstellen. Diese Tätigkeit prägte sogar einen neuen Religionsbegriff, der sich aber nicht auf die Didaktik auswirkte, auch wenn die normativen Quellen der UNESCO das Wissen indigener Völker mit dem Begriff holistisch (ganzheitlich) belegen. Dieser Begriff findet sich in anderen Quellen nur dann, wenn die indigenen Völker die Natur und den Klimawandel thematisieren. Die indigenen Völker sollen sich zwischenzeitlich das universalistische Wissen aneignen. Inzwischen verwendet die UNESCO diesen Begriff, um die eigene universalistische Bildungsarbeit zu beschreiben.

Einen neuen Schritt in der UNESCO-Bildungsarbeit stellt die Kooperation mit der OSCE und dem Europarat bei der Erarbeitung von Handbüchern wie „Human Rights Education in Schools“, „Addressing Islamophobia“, und „Addressing Anti-Semitism“, die den menschenrechtsbasierten Ansatz verfolgen. Offenbar reagieren die internationalen Akteure mit diesem Ansatz gemeinsam auf die Menschenrechtsprobleme im Hinblick auf Religion. Diese Publikationen thematisieren verschiedene kontroverse Themen, die mit dem Verständnis der und mit dem Umgang mit bestimmten Religionen, vor allem dem Judentum und dem Islam, zusammenhängen (z. B. Diskriminierung von Juden und Muslimen). Didaktisch gesprochen sollten diese Handbücher helfen, mehr über die Kultur der religiösen Gruppen zu lernen, etwa im Rahmen des Unterrichts der Weltgeschichte. Empfohlen wird, dass einzelne Schüler*innen, die zu religiösen Minderheiten gehören, in der Schule zu religiösen Expert*innen werden. Außerdem sollten sich die Schüler*innen ihrer eigenen religiösen Identität vergewissern, den eigenen Glauben reflektieren und die große Bandbreite der „spirituellen Vielfalt“ zwischen und innerhalb der zahlreichen Religionen kennenlernen. Dadurch werden Jugendliche zu den gesellschaftlich Handelnden und insbesondere zu religiösen Expert*innen in der Schule, was inzwischen didaktisch als ambivalent gesehen wird. Überraschenderweise bleiben ausgerechnet im menschenrechtsbasierten Ansatz die Herausforderungen im Hinblick auf Weltanschauungen außen vor, auch dann, wenn sie explizit (z. B. als non-religion) erwähnt werden. Ambivalent bleibt auch die Signalwirkung für die Bildung, wenn sich die gemeinsame Diskussion der IO vor allem mit den problembehafteten und kontroversen religionsbezogenen Themen befasst. Inwiefern sich die UNESCO in Zukunft von sicherheitsorientierten Bildungsstandards – wie z. B. die OSCE – leiten lässt, bleibt abzuwarten.

Abschließend lässt sich folgern, dass die UNESCO die schulische Bildung und dadurch die Zukunft der Religion im Bildungssegment mittels verändernder Begriffe und altbewährter didaktischer Zugänge zu prägen versucht. Dabei bleibt der Einfluss der UNESCO auf das künftige Bildungsgeschehen – insbesondere im Vergleich mit der Wirkung jüngster Aktivitäten der OSCE und des Europarats – scheinbar relativ gering. Dafür gibt es zwei Gründe. Erstens fielen die größten Religionsprojekte der UNESCO in die Hochzeit der Säkularisierungsthese, als eine Auseinandersetzung mit Religion im schulischen Bereich sowohl gesellschaftlich als auch wissenschaftlich fast ein Randthema darstellte. Zweitens weist die UNESCO die Religion im Bildungssegment nicht als ihr explizites Thema aus, sodass ihre Projekte wie z. B. „Roads of Faith“ oft unter dem Radar der im Bildungsbereich Tätigen bleiben. Die Tätigkeiten anderer IO werden hingegen direkt von der sogenannten Rückkehr der Religion getragen und scheinen daher genau den Nerv der Zeit zu treffen. Da sich aber sowohl der Europarat als auch die OSCE/ODIHR bis heute auf die Konventionen und Deklarationen der UNESCO berufen und auf die didaktischen Zugänge und Begriffe dieser Organisation zurückgreifen, tragen sie diese auch unabhängig von der UNESCO in die zukünftige religionsbezogene Bildungsarbeit hinein.