Zusammenfassung
Im Zuge der Bologna-Reformen hat sich in der deutschen Lehrerbildung eine heterogene Landschaft von Studiengängen entwickelt. In diesem Beitrag untersuchen wir erstens die Umsetzung von Bachelorstudiengängen in der Lehrerbildung und vergleichen dabei lehramtsspezifische (im Sinn einer frühen professionsspezifischen Qualifizierung) mit polyvalenten Studiengängen (im Sinn einer breiteren Qualifizierung und späten Festlegung auf den Lehrerberuf). Zweitens gehen wir der Frage nach, ob sich Studierende zwischen diesen Studiengangtypen systematisch in der subjektiven Sicherheit ihrer Berufswahl unterscheiden. Zu diesem Zweck analysieren wir Portfolios relevanter Studiengangdokumente zu neun Bachelorstudiengängen in der Gymnasial-Lehramtsausbildung sowie Daten aus einer Befragung von N = 2585 Bachelor- und N = 928 Master-Studierenden. Die Ergebnisse zeigen, dass auch polyvalent denominierte Studiengänge meist eine frühe Festlegung auf den Lehrerberuf erfordern. Zudem indizieren unsere Daten konsistent mit früheren Befunden, dass sich Lehramtsstudierende zu Beginn ihres Studiums in ihrer Berufswahl relativ sicher sind, wobei die Berufswahlsicherheit bei Studierenden polyvalenter Studiengänge im Vergleich zu lehramtsspezifischen geringfügig niedriger ausfällt (d = 0.32).
Abstract
The Bologna Process of higher education reform has led to a vast array of different programs of study in German teacher training. In this article, we firstly analyze the implementation of Bachelor programs in teacher training, comparing profession-oriented programs (i.e. those aiming to train students for the teaching profession from the beginning of studies) to polyvalent programs (i.e. those aiming at broad qualifications and including a late decision to become a teacher). Secondly, we investigate whether students enrolled in these study programs differ systematically in their subjective certainty about their career choice. To answer these questions, we analyze portfolios of documents related to teacher training programs from nine German universities that prepare students for teaching in the academic track. Additionally, we analyze data from N = 2585 Bachelor and N = 928 Master degree students. We found that most programs, even when they espouse polyvalence, require an early decision to become a teacher. Moreover, our data confirm findings from earlier studies indicating that student teachers are highly certain about their career choice from the very beginning, with students in polyvalent programs being slightly less certain than those in profession-oriented programs (d = 0.32).
Notes
Effektstärken berechnet auf Basis der bei Rothland (2010) angegebenen Werte.
Betrifft Universitäten, die zum Erhebungszeitpunkte noch keine Masterstudierenden hatten.
Sämtliche Analysen wurden nochmals mit einem zusätzlichen Item zur subjektiven Sicherheit der Studienwahl wiederholt, das zwischen Bachelor- und Mastergruppe identisch ist. Die Ergebnisse zeigen keine substanziellen Unterschiede zu den unten berichteten Befunden.
Für Universität F wurde für Schulpraktika der Mittelwert der in Tab. 2 angegebenen Spannbreite einberechnet.
Die Freiheitsgrade entstehen durch die multiple Imputation.
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PaLea wird gefördert vom BMBF (FKZ: 01PH08004). Wir danken allen beteiligten Partnerinnen und Partnern herzlich für Ihre Unterstützung bei der Durchführung der Studie.
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Bauer, J., Diercks, U., Retelsdorf, J. et al. Spannungsfeld Polyvalenz in der Lehrerbildung. Z Erziehungswiss 14, 629–649 (2011). https://doi.org/10.1007/s11618-011-0239-7
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