Zusammenfassung
Diese Research Note stellt mit StatePol eine neue Datenbank vor, die Informationen über die Mitglieder der Landesparlamente und -regierungen enthält. Die Informationen umfassen sowohl soziodemografische Merkmale als auch Karrieredaten wie Mitgliedschaften und Ämter in Fraktionen, Ausschüssen, Parlamentspräsidien und Regierungskabinetten. Der Mehrwert von StatePol besteht insbesondere darin, dass diese Daten weitestgehend tagesgenau vorliegen und somit auch Dynamiken innerhalb von Legislaturperioden erfassen. Auf diese Weise umfasst StatePol Informationen zu 6946 individuellen Entscheidungsträger:innen in den deutschen Bundesländern und insgesamt 22.379.186 tagesweise Datenpunkte mit Informationen über ihre Ämter und Mandate in Legislative und Exekutive.
Wir illustrieren das Potenzial von StatePol, indem wir uns explorativ der deskriptiven Repräsentation von Gender, Alter und regionaler Herkunft (Ost‑/Westdeutschland) widmen und hierbei Schlaglichter auf tagesgenaue Veränderungen werfen. Es zeigt sich, dass der Frauenanteil in den Länderparlamenten seit den 2000er-Jahren bei etwa 30 % stagniert, wobei erhebliche Unterschiede zwischen Parteien bzw. Fraktionen erkennbar sind. Die Daten konstatieren auch einen stetigen Anstieg des Durchschnittsalters der Abgeordneten, insbesondere bei Bündnisgrünen und Linken. Während Menschen ostdeutscher Herkunft zwar in den Landtagen und Regierungen der ostdeutschen Länder dominieren, sind sie in westdeutschen Landesparlamenten und -regierungen kaum vertreten. Demgegenüber stellen in Westdeutschland geborene Menschen in allen Landesregierungen kontinuierlich einen substanziellen Anteil der Entscheidungsträger:innen. Mithilfe der hochaufgelösten Daten, die mit der Veröffentlichung der Allgemeinheit zur Verfügung stehen, können künftig wichtige Fragen der Repräsentationsforschung im deutschen Kontext umfassend untersucht werden. Zur Research Note steht ein Onlineangebot bereit, das es ermöglicht, die präsentierten Daten eingehend zu erkunden und herunterzuladen.
Abstract
This research note introduces StatePol, a new and comprehensive database of German state politicians in parliaments and governments. StatePol includes sociodemographic characteristics such as age, sex, and birthplace, as well as career data such as memberships and offices in parliamentary party groups, committees, parliamentary presidencies, and government cabinets for every parliamentary and cabinet member on the German state level. The added value of the database lies in the fact that it offers highly fine-grained data capturing day-by-day changes within legislative periods. As a result, StatePol contains a total of 22,379,186 daily observations of 6946 individual decision-makers in the German federal states, including information on their positions and mandates in legislative and executive realms. We illustrate potential applications of StatePol by exploring the descriptive representation of sex, age, and regional origin (eastern/western Germany) in the German states. We find that the proportion of women in the state parliaments has stagnated at around 30% since the early 2000s, with considerable differences between parties and their parliamentary groups. We also observe a steady increase in the average age of the members of parliament, particularly among those of the Greens and the Left. While politicians of East German origin dominate in the parliaments and governments of the East German states, they are less represented in West German state parliaments and governments. In contrast, decision-makers born in West Germany consistently make up a substantial proportion of all state cabinet members. The database is publicly available, allowing researchers to comprehensively examine various questions on representation in the German context. This research note is accompanied by a homepage allowing users to explore the full potential of StatePol and to download the data.
1 Einleitung
Wie gut sind verschiedene gesellschaftliche Gruppen an den Schaltstellen der repräsentativen Demokratie vertreten? Gibt es zu wenige Frauen in den Parlamenten? Bekleiden mehr Menschen mit hohen Bildungsgraden oder Einkommen politische Führungsämter? Gibt es genug junge Menschen in Amt und Mandat? Braucht es mehr Menschen mit Migrationshintergrund? Gestalten vor allem Personen aus den Städten Politik?
Solche Fragen nach der deskriptiven Repräsentation, also der Präsenz verschiedener gesellschaftlicher Gruppen in politischen Ämtern, werden häufig gestellt. Die Antworten darauf sind aus mehreren Gründen relevant. Zum einen ist deskriptive Repräsentation mit substanzieller Repräsentation verbunden, also der demokratischen Kernforderung, dass die Repräsentant:innen die Interessen der Wähler:innenschaft responsiv aufgreifen sollten (Pitkin 1967, S. 209; Dahl 1971). Über den exakten Nexus zwischen deskriptiver und substanzieller Repräsentation wird ausführlich gestritten (Wängnerud 2009, S. 51; Mendelberg et al. 2014). Als gesichert darf jedoch gelten, dass für eine angemessene substanzielle Repräsentation gesellschaftlicher Gruppen auch deren numerische Präsenz notwendig ist. Aufgrund geteilter Lebensrealitäten können bestimmte Gruppeninteressen von ihren Mitgliedern besser verstanden, differenzierter formuliert und diskutiert werden (Mansbridge 1999, S. 644). Dies wird in empirischen Studien bekräftigt, die nahelegen, dass es auch an ihrer geringen Vertretung in politischen Ämtern liegt, wenn die Interessen verschiedener Gruppen nachrangig bleiben (Elsässer et al. 2017; Rosset und Stecker 2019).
Zum anderen beeinflusst deskriptive Repräsentation, wie gut Bürger:innen ihre Interessen im politischen System vertreten sehen. So möchten sie sich in jenen, die sie repräsentieren, wiedererkennen, insbesondere mit Blick auf Alter, Gender und/oder Beruf (Deiss-Helbig 2013; Campbell und Cowley 2014). Bürger:innen vertrauen darauf, dass aufgrund geteilter Merkmale auch deren geteilte Interessen aufgegriffen werden (Gay 2002) oder dass ihre Gruppe zumindest nicht benachteiligt wird (Mansbridge 1999, S. 633). Im Zusammenspiel mit Wahrnehmungen der Bürger:innen ist deskriptive Repräsentation daher Voraussetzung für die Legitimität politischer Entscheidungen und für das Vertrauen in politische Systeme in ihrer Gesamtheit (Arnesen und Peters 2018).
Vor diesem Hintergrund präsentiert diese Studie mit StatePol eine neue Datenbank, die einen detaillierteren Blick auf die deskriptive Repräsentation in den deutschen Bundesländern erlaubt. StatePol enthält für die Zeit von 1990 bis 2022 weitestgehend tagesgenaue Informationen zur Zusammensetzung von Parlamenten (d. h. Landtage bzw. Abgeordnetenhäuser oder Bürgerschaften) und Regierungen (d. h. Landesregierungen bzw. Senate) in allen 16 Bundesländern. Dabei fokussieren wir auf drei Merkmale: Gender, Alter und Herkunft. Mit Blick auf Gender und Alter beleuchten wir Merkmale, die in vielen modernen Demokratien als Kategorien deskriptiver Repräsentation relevant sind. Zum anderen greifen wir mit der Repräsentation Ostdeutscher eine spezifisch bundesrepublikanische Perspektive auf, die auch 30 Jahre nach der Wiedervereinigung als unzureichend problematisiert wird (Vogel 2023).
Wir knüpfen dabei an aufschlussreiche Studien an, die verschiedene Aspekte deskriptiver Repräsentation in der Bundesrepublik und darüber hinaus untersucht haben (Eder et al. 2016; Haffert 2021; Vogel 2020). Unser neuer Beitrag liegt darin, dass wir deskriptive Repräsentation für die Bundesländer kohärent beleuchten. Dies geschieht über die verschiedenen Stufen politischer Karrieren hinweg – von Abgeordnetenmandaten, über Ämter in Fraktion und Parlament bis an den Kabinettstisch. Wir orientieren uns konzeptionell an existierenden relationalen Datenbanken (insbesondere: Turner-Zwinkels et al. 2021), deren Einsichten wir um die subnationale Ebene ergänzen. Unsere neuen Daten befriedigen nicht nur ein gegenstandsorientiertes Interesse an den Ländern. Aufgrund ihrer methodischen Vorteile, als sehr ähnliche politische Systeme (Snyder 2001), ermöglicht StatePol robuste Analysen zum Einfluss institutioneller, biografischer und historischer Zusammenhänge auf Karrieren sowie verschiedene Aspekte der Repräsentation.
Auf Grundlage unserer Daten lässt sich beispielsweise die Stagnation des Frauenanteils unter den deutschen Abgeordneten für die Bundesländer illustrieren. Untersuchen lässt sich auch die Alterung der Parlamente und die für andere Sektoren wie Wissenschaft und Wirtschaft festgestellte eklatante Unterrepräsentation Ostdeutscher unter gesellschaftlichen Entscheidungsträger:innen.
Andere wichtige Kategorien deskriptiver Repräsentation, wie Einkommen, Bildungsstand, Beruf oder Migrationshintergrund, werden von der Datenbank aktuell nicht erfasst. Gleichwohl hoffen wir eine gute Grundlage zu bieten, auf der diese relevanten und notorisch schwierig systematisch zu erhebenden Variablen ergänzt werden können. Zur Datenbank stellen wir ein Onlineangebot zur Verfügung (https://statepol.github.io/Database/). Hier können die in der Folge vorgestellten Daten eingehend erkundet und heruntergeladen werden. Zudem findet sich hier eine umfassende Dokumentation des Erhebungsprozesses sowie der hierbei herangezogenen Quellen.
Im folgenden Abschnitt arbeiten wir zunächst genauer das Konzept und die Bedeutung deskriptiver Repräsentation heraus. Anschließend stellen wir dar, welche Perspektiven die Datenbank auf wichtige Dimensionen deskriptiver Repräsentation in der Bundesrepublik ermöglicht. In einem anschließenden empirischen Teil illustrieren wir das beispielhaft für die Dimensionen Gender, Alter und Herkunft. Die Notwendigkeit tagesgenauer Daten für einige Fragestellungen demonstrieren wir, indem wir darstellen, wie sich die Zusammensetzung von Parlamenten und Regierungen während einer Wahlperiode ändert.
2 Die Relevanz deskriptiver Repräsentation
Deskriptive Repräsentation thematisiert, inwiefern Bevölkerungsgruppen in wichtigen Positionen (z. B. Parlamenten, Regierungen oder Gerichten) vertreten sind. Diese „mirror representation“ (Pitkin 1967, S. 61) bezieht sich auf Merkmale von Personen wie auch geteilte Erfahrungen, die beispielsweise aus dem Beruf oder ihrer sozialen oder geografischen Herkunft hervorgehen. Deskriptive Repräsentation gilt dabei nicht als ein Wert an sich. Denken wir Parlamente als repräsentative Stichproben der Bevölkerung, so Pitkin (1967, S. 226) in einer frühen Kritik, würden wir von der wichtigeren Frage abgelenkt, für welche politischen Vorhaben sich Abgeordnete in diesen Parlamenten einsetzen. Vielmehr soll deskriptive Repräsentation dazu beitragen, relevante demokratische Repräsentationsziele zu erreichen.
So wird deskriptive Repräsentation insbesondere als Voraussetzung für eine adäquate substanzielle Repräsentation gesellschaftlicher Gruppen diskutiert. Phillips (1995, S. 83) etwa argumentiert in The Politics of Presence, dass die Fähigkeit, Interessen zu verstehen und zu artikulieren, oft eng mit den Alltagserfahrungen bestimmter Gruppen und ihrer Position in der Gesellschaft verknüpft ist. Die Präsenz von Gruppenmitgliedern begünstigt daher ihre substanzielle Repräsentation. Der angenommene Nexus von deskriptiver und substanzieller Repräsentation wirkt dabei nicht nur aggregativ, indem entsprechende Gruppeninteressen etwa bei Abstimmungen ausreichend Gewicht erhalten. Dieser Zusammenhang ist auch im deliberativen Kontext relevant. Insbesondere bei dynamischen und unscharfen Themen können Gruppenmitglieder am besten ihre vielfältigen und oft auch heterogenen Interessen in die Diskussion einbringen (Mansbridge 1999, S. 648).
Deskriptive Repräsentation ist vor allem dann für substanzielle Repräsentation von großer Bedeutung, wenn Gruppen eine distinkte gesellschaftliche Position und damit verbundene Alltagserfahrungen und politische Präferenzen aufweisen. Die Zugehörigkeit zu einer Gruppe beeinflusst, wie Bürger:innen gesellschaftliche Probleme definieren, Meinungen bilden und diese rechtfertigen. Empirische Arbeiten haben die Verknüpfung von deskriptiver und substanzieller Repräsentation für sehr verschiedene Merkmale herausgearbeitet. Im Zentrum des Interesses steht unter anderem die Repräsentation von Menschen, die sich hinsichtlich ihres Geschlechts, ihres Alters oder ihrer Herkunft unterscheiden.
Mit Blick auf die deskriptive Repräsentation genderspezifischer politischer Anliegen wird häufig hervorgehoben, dass Frauen bzw. Männer in vielen Politikfeldern keine homogenen Interessen aufweisen. Entsprechend ergibt sich oft kein klares Bild zur substanziellen Unterrepräsentation der Frauen (Dingler et al. 2019).Footnote 1 In einer solchen Situation sind Politikerinnen aber insbesondere gefragt, diese Interessenvielfalt der weiblichen Bevölkerung einzubringen. Ein Beispiel hierfür liefert die Analyse von Celis (2006) zum belgischen Parlament über einen Zeitraum von 80 Jahren, welche zeigt, dass Wortbeiträge von weiblichen Abgeordneten die insgesamt berücksichtigten Themenbereiche und Positionen deutlich erweiterten.
Für das Lebensalter wurde die Verknüpfung von deskriptiver und substanzieller Repräsentation bisher selten direkt thematisiert (siehe aber Bailer et al. 2022; Debus und Himmelrath 2022). Gleichzeitig erscheint diese Verknüpfung angesichts langfristiger zivilisatorischer Herausforderungen wie dem Klimawandel zunehmend relevant. Tatsächlich liegt der Anteil von unter 40-Jährigen in Parlamenten meist deutlich unter 20 % (Stockemer und Sundström 2022) und es gibt Hinweise, dass damit auch eine systematische Unterrepräsentation substanzieller Interessen jüngerer Generationen einhergeht (McClean 2021).
Untersuchungen zur Herkunft von Abgeordneten fokussieren meist auf die Zugehörigkeit zu bestimmten diskriminierten Gruppen. Dabei wird vielfach konstatiert, dass diese in politischen Entscheidungsgremien, Regierungen und Verwaltungen unterrepräsentiert sind (Bird et al. 2010). Beispielsweise zeigen Personen mit Migrationshintergrund eine deutlich größere Aktivität in Fragestellungen, die besonders ebendiese gesellschaftliche Gruppen betreffen (Wüst 2014a). Zudem gibt es Hinweise darauf, dass sie sich in den entsprechenden Debatten anders positionieren als Abgeordnete, die derlei Erfahrungen nicht gemacht haben (Blätte und Wüst 2017). Zugleich sind Untersuchungen des Migrationshintergrundes herausfordernd, da entsprechende Daten (z. B. Geburtsort der Eltern) nur sehr aufwändig erhoben werden können (Wüst 2014b).
Deskriptive Repräsentation kann aber auch über substanzielle Repräsentation hinaus relevante Effekte entfalten. Sie kann dabei helfen, Statusunterschiede zwischen Gruppen zu dekonstruieren (Mansbridge 1999, S. 648). Die – vielfach begründete – Wahrnehmung, „Bürger:in zweiter Klasse“ zu sein, verstärkt sich für benachteiligte Gruppen, wenn sie sich auch in Parlament und Regierung selten wiedererkennen. Umgekehrt kann es das Gefühl politischer Teilhabe befördern, wenn sie zumindest in etwa proportional in den politischen Eliten vertreten sind (Snagovsky et al. 2020). So wird politische Gleichheit direkt erleb- und sichtbar. Für diesen Aspekt ist in der deutschen Debatte vor allem die Unterrepräsentation Ostdeutscher relevant (Heide et al. 2023). Deskriptive Repräsentation kann auch das allgemeine Vertrauen in die Politik und Interesse an Politik beeinflussen. So stellt Ulbig (2007) fest, dass Frauen in den USA stärkeres Vertrauen in die Politik haben, wenn ein höherer Anteil der Abgeordneten in Kommunalparlamenten Frauen sind. Stockemer und Sundström (2018) zeigen, dass das politische Interesse junger Menschen zurückgeht und sie sich seltener beteiligen, wenn wachsende Teile der Entscheidungsträger:innen älteren Altersgruppen angehören.
Um der vielfach festgestellten Unterrepräsentation verschiedener gesellschaftlicher Gruppen beizukommen, werden verschiedene Möglichkeiten zur Korrektur erörtert. Diese reichen von Änderungen des Wahlsystems (Norris 2004) oder der Parlamentsstruktur bis hin zu den etwa in Deutschland prominent diskutierten paritätischen Wahllisten (Jutzi 2020), die in der abwechselnden Besetzung durch Männer und Frauen bestehen.
Um den Nexus zwischen deskriptiver und substanzieller Repräsentation zu untersuchen und die Effekte von Reformen zu beurteilen, bedarf es detaillierter Informationen über die persönlichen Merkmale und Karrierewege politischer Eliten. Wir stellen im Folgenden die neue Datenbank StatePol vor, welche die entsprechende Datenbasis für die zentralen politischen Entscheidungsträger:innen in den Bundesländern erweitert. Ausgehend von bisherigen Befunden der Literatur explorieren wir anschließend die in den Daten enthaltenen Merkmale deskriptiver Repräsentation: Gender, Alter und Herkunft (anhand des Geburtsortes). Weitere relevante Merkmale wie Bildung und Beruf sind in unseren Daten noch nicht enthalten, können aber in Zukunft integriert werden.
3 StatePol – Eine neue Datenbank zu den Abgeordneten und Kabinettsmitgliedern in den Bundesländern
Mit StatePol stellen wir die bislang umfangreichste, öffentlich zugängliche Datenbank zu den Mitgliedern der deutschen Landesparlamente und -regierungen vor. Auch wenn die Landespolitik in Kompetenzumfang und Bedeutung hinter der Bundesebene zurücktreten mag (Kropp 2010), bildet sie eine wichtige Arena politischer Repräsentation, in der die Mechanismen von deskriptiver und substanzieller Repräsentation genauer untersucht werden sollten (Höhmann 2023; Kroeber 2023). Abgesehen von diesem substanziellen Argument, bietet die Ebene der Länder auch methodisch ein fruchtbares Feld (Snyder 2001). Wenn das Interesse den Effekten unterschiedlicher Partei-, bzw. Regierungs- und Oppositionskonstellationen oder unterschiedlicher Wahlsysteme gilt (Massicotte 2003; Raabe et al. 2014; Carella 2023), bieten die Länder ein attraktives Maß an Varianz, das auch für international-vergleichende Forschung interessant ist.
Die Datenbank StatePol bietet für den Zeitraum von 1990 bis 2022 eine umfangreiche Dokumentation der Abgeordneten und Kabinettsmitglieder in den deutschen Bundesländern. Im weiteren Verlauf dieses Abschnitts präsentieren wir die Struktur der Datenbank und erläutern, wie die Informationen gewonnen und zusammengeführt wurden. Eine detaillierte und fortlaufend aktualisierte Dokumentation der genutzten Datenquellen ist Teil des Onlineangebots zur Datenbank auf GitHub.Footnote 2 Hier findet sich auch die vollständige Datenbank sowie eine ausführliche Anleitung zur Nutzung. Zudem können mithilfe einer Webanwendung einzelne Datenmuster aufwandsarm exploriert und grafisch dargestellt werden.
Bei StatePol handelt es sich um eine relationale Datenbank, die es ermöglicht Informationen zu den Mitgliedern deutscher Landesparlamente und -regierungen schnell und einfach zusammenzuführen. Die Struktur der Datenbank und ihre Inhalte sind in Abb. 1 veranschaulicht. Das zentrale Element der Datenbank ist ein Datensatz (Politicians), der alle Politiker:innen umfasst, die zwischen 1990 und 2022 ein Mandat in einem deutschen Landesparlament und/oder ein Amt in einer Landesregierung innehatten. Für die Zusammenstellung haben wir die Listen der Wikipedia-EinträgeFootnote 3 zu den Mitgliedern jeder Wahlperiode sowie jedes Kabinetts, innerhalb des Erhebungszeitraums, automatisiert ausgelesen. In einem zweiten Schritt wurden für die dabei erfassten 111 Wahlperioden auch die Einträge der Mandatsträger:innen bzw. Kabinettsmitglieder ausgelesen. Die Liste umfasst sowohl die Namen der Personen als auch eine ihnen zugeordnete, eindeutige ID-Variable, die auf den URLs ihrer individuellen Wikipedia-Einträge basiert.Footnote 4 Zudem enthält sie zeitlich nicht variierende Informationen wie etwa Gender, Geburtsdatum sowie diverse Informationen zum Geburtsort. Das Geschlecht wurde mithilfe der GenderizeR-API von Wais (2016) bestimmtFootnote 5, während die weiteren Informationen aus den, weitestgehend standardisierten, einleitenden Sätzen der bereits erwähnten Einträge der individuellen Abgeordneten extrahiert wurden.Footnote 6 Dieses Kernstück der Datenbank kann um Datensätze ergänzt werden, die Informationen zur Wahl und zum Mandat (Mandate), zur Fraktionszugehörigkeit (PPG), zu Ausschussmitgliedschaften (Committees), zur Mitgliedschaft in Präsidien (Presidencies) und zu Positionen in der Fraktionsführung (PPG-Leadership) beinhalten. Informationen zu Ämtern in Landesregierungen finden sich in dem Datensatz Cabinet.
Alle Informationen zur parlamentarischen Karriere (insbesondere Mandatsverlauf, Fraktionszugehörigkeit, Ämter) wurden in einem dreistufigen Prozess gewonnen: Zuerst wurden die Daten bei den Parlamentsdokumentationen der sechzehn Landesparlamente einzeln angefragt. Für drei Landesparlamente wurden die Informationen in hoher Qualität bereitgestellt und gingen direkt in unsere Datenbank ein. In den übrigen Fällen haben wir in einem zweiten Schritt Einträge in der Wikipedia zu einzelnen Legislaturperioden konsultiert. Informationen, die hier ebenfalls nicht zu finden waren, wurden schließlich aus Handbüchern der jeweiligen Landesparlamente manuell extrahiert.Footnote 7 In diesem Fall sind die Daten bedauerlicherweise nicht tagesgenau.Footnote 8 Mithilfe des dargestellten dreistufigen Vorgehens konnten wir jedoch sicherstellen, dass in StatePol tagesgenaue Daten für sämtliche Wahlperioden enthalten sind, zu denen diese Informationen strukturiert öffentlich zugänglich sind.
Der Logik einer relationalen Datenbank folgend, lassen sich alle genannten Datensätze über die ID-Variable nach Belieben zusammenführen. Durch die Verbindung der Datensätze ist es möglich, dem jeweiligen Forschungsinteresse entsprechend, persönliche Daten der Abgeordneten um Informationen zur Zugehörigkeit in Fraktionen, Kabinett, Landtagspräsidium, Ausschüssen und Fraktionsvorstand zu ergänzen. Die Struktur der Datenbank ermöglicht die Ergänzung um weitere Informationen in der Zukunft. So könnten die bestehenden Wikipedia-Einträge der Politiker:innen ausgelesen werden, um semi-strukturierte Informationen zu Bildungsstand oder Berufen zu erhalten.
Insgesamt enthält die StatePol-Datenbank Informationen zu den Ämtern und Funktionen von 6946 individuellen Politiker:innen, die seit 1990 einer Regierung und/oder einem Parlament in den 16 Bundesländern angehörten. Dabei sind alle 1614 Abgeordneten, die im Verlauf einer Legislaturperiode ausgeschieden sind, ebenso enthalten wie die 1227 nachgerückten Personen. Einzigartig im Vergleich zu anderen Projekten mit langen Datenreihen sind die 22.379.186 tagesgenauen Beobachtungen zu den Mitgliedschaften in Fraktionen, Ausschüssen und Präsidien.
Unsere Datenbank reiht sich in die zahlreichen Projekte ein, die in jüngerer Zeit die empirischen Grundlagen für die Repräsentations- und Parlamentsforschung stetig verbessert haben. Dazu gehören Projekte mit substanziellen Fragestellungen, die über ihre Replikationsdaten neue Einsichten bereitstellen, z. B. zum Frauenanteil unter Minister:innen (Höhmann 2023) oder Ausschussmitgliedern (Kroeber 2023; Fetscher et al. 2023), zum Anteil Ostdeutscher in Führungsämtern von Parteien (Höhne und Lorenz 2023) oder weitere Aspekte komplexer Karriereverläufe im Mehrebenensystem (Carella 2023) ebenso wie umfangreichere Datensammlungen, welche ebenfalls als Datenbank zugänglich und somit niedrigschwellig nutzbar sind (Turner-Zwinkels et al. 2021; Göbel und Munzert 2022; Stockemer und Sundström 2022). Mit der tagesgenauen Aufbereitung der Daten knüpfen wir insbesondere an Turner-Zwinkels et al. (2021) an, die ähnliche Daten für die nationalen Parlamente der Schweiz, Deutschlands und der Niederlande vorgelegt haben.
Die Studie von Turner-Zwinkels und Ko-Autor:innen macht darauf aufmerksam, dass die Zusammensetzung der Parlamente auch innerhalb einer Wahlperiode erheblichen Schwankungen unterliegt, die für bestimmte Fragestellungen erhoben werden sollten. Bevor wir uns genauer den ausgewählten Kategorien deskriptiver Repräsentation zuwenden, demonstrieren wir diese Veränderungen in der Zusammensetzung für Parlamente in den Bundesländern.
Abb. 2 zeigt diese Dynamiken für die Landesparlamente zweier exemplarisch ausgewählter Bundesländer: Nordrhein-Westfalen und Sachsen-Anhalt. Die gestrichelten vertikalen Linien in diesen Kästen markieren die konstituierenden Sitzungen des Parlaments zu Beginn einer neuen Wahlperiode.
Die Verlaufslinien verdeutlichen, wie viele Abgeordnete während einer Legislaturperiode aus dem Landtag ausschieden oder die Fraktion wechselten und wann sie dies taten.Footnote 9 In der letzten Wahlperiode des Düsseldorfer Landtags (2017–2022) betrifft dies immerhin fast 15 % aller Abgeordneten. In der ersten Wahlperiode im sachsen-anhaltinischen Landtag beobachten wir insbesondere am Anfang größere Bewegungen, was für die Konsolidierungsprozesse der parlamentarischen Demokratie in den neuen Ländern typisch war (vgl. Davidson-Schmich 2006). Insgesamt erlauben unsere Daten 325 Fraktionswechsel nachzuvollziehen.
Mit StatePol ist es weiterhin möglich, die Dynamiken personeller Veränderungen im Laufe der Legislaturperioden auch über verschiedene Ämter hinweg nachzuzeichnen. Beispielsweise lassen sich Unterschiede zwischen Bundesländern und Legislaturperioden hinsichtlich der Verweildauer von Minister:innen genauer untersuchen (Jäckle 2013).
4 Deskriptive Repräsentation in der Landespolitik
Die Diversität der politischen Eliten in Deutschland wird vielfach als unzureichend beschrieben. Sowohl in der öffentlichen Debatte als auch in der politikwissenschaftlichen Literatur wird kritisiert, dass viele gesellschaftliche Gruppen an entscheidenden Stellen nicht vertreten sind (Bürklin und Rebenstorf 1997). Unter Rückgriff auf die vorgestellte Datenbank zu den Abgeordneten der Bundesländer, untersuchen wir in diesem Abschnitt die deskriptive Repräsentation unter den Mitgliedern von Landesparlamenten und Landesregierungen entlang dreier Merkmale. Wir beleuchten die Repräsentation von Frauen, die Repräsentation entlang des Lebensalters und die regionale Herkunft der Eliten (Ost- vs. Westdeutschland).
4.1 Gender
Nachdem in den deutschen Parlamenten lange Zeit nur sehr wenige Frauen vertreten waren, stieg der Anteil weiblicher Abgeordneter in den 1980er- und 1990er-Jahren zunächst an. Seit Ende der 1990er-Jahre stagniert diese Entwicklung. Abb. 3 veranschaulicht die Veränderung des Frauenanteils unter den Abgeordneten der deutschen Landesparlamente seit 1990. Die gestrichelte Linie bildet den Durchschnitt über alle Länderparlamente hinweg ab, zudem wird der durchschnittliche Frauenanteil für die großen Parteien separat ausgewiesen. Die Veränderungen ergeben sich sowohl aus der Änderung der Zusammensetzung nach Wahlen, als auch leichteren Schwankungen während der Legislaturperioden, etwa wenn Abgeordnete ausscheiden, nachrücken oder die Fraktion wechseln.
Bei einer differenzierten Betrachtung zeigen sich deutliche Unterschiede zwischen den sechs großen Parteien. So lag der Anteil der Frauen bei den Unionsfraktionen Anfang der 1990er-Jahre lediglich bei etwa 10 % und stieg in den folgenden Jahren auf knapp über 20 %. Bei den Liberalen liegt der Frauenanteil auf einem vergleichbaren Niveau, wobei der prozentuale Anteil in den Fraktionen der FDP durch die gemeinhin geringere Anzahl an Mandatsträger:innen stark variiert.
Linke und Grüne weisen bereits in den 1990er-Jahren einen höheren Frauenanteil auf als andere Fraktionen heute und zeigen seitdem einen weiteren Aufwuchs. Seit etwa 25 Jahren sind die Fraktionen dieser Parteien annähernd genderparitätisch besetzt. Der Frauenanteil in den Fraktionen der SPD liegt konstant über dem Durchschnitt und erreichte um das Jahr 2008 mit etwa 40 % seinen Höchststand. Im Gegensatz zu den Linken und Grünen erreichte die SPD jedoch an keiner Stelle annähernd Genderparität. Diese Diskrepanz lässt sich auf zwei Gründe zurückführen: So hat die SPD lediglich eine Quote von 40 % für Frauen bei der Aufstellung ihrer Wahllisten. Darüber hinaus gewinnt die SPD einen erheblichen Anteil ihrer Mandate direkt, für die keine Quotenregelung gelten, während Linke und Grüne hauptsächlich Mandate über ihre quotierten Listen erhalten.Footnote 10
Auffällig ist, dass die ersten Fraktionen der AfD einen für die eigenen Verhältnisse hohen Frauenanteil aufwiesen. Beispielsweise waren in der ersten Landtagsfraktion der AfD, in Sachsen 2014, von 14 Abgeordneten 4 Frauen. Bis die AfD schließlich in allen Landtagen vertreten war, sank ihr durchschnittlicher Frauenanteil kontinuierlich, besonders gering war er im Mai 2017 in der sachsen-anhaltinischen Landtagsfraktion. Hier fand sich unter den 24 Mitgliedern der Fraktion lediglich eine Frau.
Die von uns zusammengeführten Daten erlauben zudem eine Analyse der Repräsentation gesellschaftlicher Gruppen in verschiedenen Positionen innerhalb von Parlament und Regierung. Abb. 4 stellt den Frauenanteil für eine Reihe dieser Positionen dar.Footnote 11 Die Kurven repräsentieren einen Durchschnitt über alle Landesparlamente hinweg und weisen etwaige Unterschiede zwischen den Parteien nicht aus.
Weder die Präsidien, Fraktionsführungen und Ausschussvorsitze in den deutschen Landesparlamenten noch die Ämter der Regierungschef:innen und Minister:innen waren seit 1990 jemals zur Hälfte mit Frauen besetzt. Tatsächlich scheint eine gläserne Decke das Aufrücken von Frauen in diese herausgehobenen exekutiven und legislativen Positionen zu behindern. Allerdings zeigen sich für die Positionen deutliche Unterschiede zwischen den verschiedenen Parteien (vgl. Abb. 10 im Anhang).
Für einige der Ämter lässt sich eine Entwicklung beobachten, die weitgehend parallel zum Frauenanteil unter den Abgeordneten verläuft. Dies gilt für Fraktionsführungen, Ausschussvorsitzende und Minister:innen. Frauen sind hier etwa gleichermaßen repräsentiert wie in den Fraktionen. Allerdings stieg der Anteil weiblicher Kabinettsmitglieder in den letzten fünfzehn Jahren nochmals deutlich an: von etwa 25 % im Jahr 2007 auf 40 % im Jahr 2020. Dies könnte darauf hindeuten, dass zumindest manche Regierungsparteien zunehmend bestrebt sind, Parität im Kabinett herzustellen.
Im Spitzenamt der Ministerpräsident:innen und Regierenden Bürgermeister:innen zeigt sich dagegen ein durchweg geringerer Frauenanteil. Erst 1993 wurde mit Heide Simonis in Schleswig-Holstein die erste Frau überhaupt zur Ministerpräsidentin gewählt. Ab den 2010er-Jahren gab es erstmals zwei Ministerpräsidentinnen gleichzeitig; der Wert stieg Mitte dieses Jahrzehnts zeitweise auf vier an (Christine Lieberknecht, Hannelore Kraft, Annegret Kramp-Karrenbauer und Malu Dreyer), 2019 waren es mit Malu Dreyer und Manuela Schwesig wieder zwei.
Vollkommen anders stellt sich die Entwicklung bei den Landtagspräsident:innen und -vizepräsident:innen dar. Frauen sind in diesen Ämtern durchweg häufiger vertreten als in allen anderen betrachteten Positionen. Seit Mitte der 2000er-Jahre liegt der Frauenanteil in den Präsidien bei über 40 % und damit deutlich höher als unter den Abgeordneten.Footnote 12
4.2 Alter
In Abb. 5 werfen wir einen Blick auf den Altersschnitt in den Landesparlamenten. Während die gepunktete Linie das Durchschnittsalter aller Abgeordneten darstellt, wird dieser Wert für die Gesamtbevölkerung mithilfe der gestrichelten Linie festgehalten. Die durchgezogenen, farbigen Linien repräsentieren das Durchschnittsalter der Abgeordneten der verschiedenen Parteien in den Landesparlamenten. Es zeigt sich, dass die Abgeordneten der Länderparlamente seit 1990 sichtbar gealtert sind. Im Schnitt waren die Abgeordneten im Jahr 1990 48 Jahre alt, im Jahr 2020 vier Jahre älter. Dieser Trend korreliert zum Teil mit der generellen Alterung der Gesellschaft und der Parteimitgliedschaft, wobei die Abgeordneten der Landesparlamente kontinuierlich rund 10 Jahre älter im Mittel als die Gesamtbevölkerung sind. Ebenso bestehen erhebliche Unterschiede zwischen den verschiedenen Fraktionen.
Zunächst zeigt sich für alle Fraktionen ein „zackiger“ Trend. Dies ist den tagesgenauen Daten geschuldet: nach Wahlen sind Fraktionen meist von einem Tag auf den anderen im Durchschnitt jünger, während einer Legislaturperiode werden die Fraktionsmitglieder stetig älter. Neben diesem technischen Effekt lassen sich auch substanziell interessante Entwicklungen beobachten.
Bei den Unionsparteien und der SPD bewegt sich das Durchschnittsalter der Fraktionen weitgehend einheitlich über den gesamten Beobachtungszeitraum hinweg. In den frühen 1990er-Jahren waren die Abgeordneten dieser drei Parteien im Durchschnitt noch knapp unter 50 Jahren alt, bis 2020 stieg dieser Wert auf etwa 53 Jahre an. Das Durchschnittsalter der AfD-Fraktionen liegt seit ihrem Einzug in die Landesparlamente etwa auf dem Niveau der übrigen Parteien.
Deutlich größere Veränderungen sind hingegen bei den Abgeordneten der Linken und Grünen zu beobachten. Nach der Wiedervereinigung stellten die beiden Parteien die mit Abstand jüngsten Abgeordneten. In den Folgejahren erlebten diese Fraktionen jedoch einen starken Alterungsprozess: So stellten die Grünen nach 1990 zwar für etwa 25 Jahre die im Mittel jüngsten Fraktionen, allerdings stieg das Durchschnittsalter ihrer Abgeordneten bis zur Jahrtausendwende zügig um etwa acht Jahre an. Für die Abgeordneten der Linken bzw. der PDS zeigt sich eine ähnliche Entwicklung mit einem besonders steilen Altersanstieg Mitte der 2000er-Jahre. 2005 lag das Durchschnittsalter der Linken noch bei etwa 45 Jahren, 2014 bereits bei 54. Ein möglicher Erklärungsansatz hierfür ist, dass Abgeordnete, die in den Gründungsjahren der Parteien erstmals ein Mandat erhielten, für einen längeren Zeitraum Mitglieder des Parlaments und ihrer Fraktionen blieben. Folglich wäre es denkbar, dass die Gründungsgenerationen bei Bündnisgrünen und Linken mit ihrer Partei alterten.
Die Abgeordneten der FDP waren bis in die späten 1990er-Jahre nur unwesentlich jünger als ihre Kolleg:innen in den Fraktionen der Union oder der SPD. In den frühen 2000er-Jahren erlebten die Liberalen jedoch eine deutliche Verjüngung. Seitdem bewegt sich das Durchschnittsalter der FDP-Abgeordneten etwa auf dem Niveau der Fraktionen der Grünen, wobei sie im Jahr 2020 die im Durchschnitt jüngsten Abgeordneten in den Landesparlamenten stellten.
Es finden sich auch einige Abgeordnete, die das Renteneintrittsalter bereits lange hinter sich gelassen haben. Rekordhalterin in unserem Beobachtungszeitraum ist hier Charlotte Fera, die bei ihrem Ausscheiden aus der 14. Hamburgischen Bürgerschaft bereits das 87. Lebensjahr vollendet hatte. Des Weiteren lassen sich sowohl in den parlamentarischen als auch in den Kabinettspositionen interessante Trends beobachten. Insbesondere das Durchschnittsalter der Regierungschef:innen und von Mitgliedern der Parlamentspräsidien liegt über dem der Abgeordneten insgesamt (vgl. Abb. 11 im Anhang).
4.3 Herkunft
Abb. 6 wirft einen differenzierten Blick auf den Geburtsort der Parlamentarier:innen. Die rote Linie repräsentiert den Anteil der Abgeordneten, die ihren Geburtsort im Bundesland haben, in dessen Landesparlament sie sitzen. Ausgezeichnet sind auch Abgeordnete, die außerhalb des jeweiligen Bundeslandes des Landesparlamentes in einem anderen westdeutschen (gelb) oder ostdeutschen (schwarz) Bundesland geboren wurden. Im Ausland geborene Abgeordnete sind durch eine grüne Linie repräsentiert.Footnote 13
Vor allem Bayern, Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg weisen mit etwa 80 % einen hohen Anteil an Landeskindern in ihren Parlamenten auf. Im Düsseldorfer Landtag waren beispielsweise im Juni 2020 85 % der Abgeordneten auch auf dem Gebiet des Bundeslandes geboren. Insbesondere in Berlin, Hamburg und Brandenburg ist der Anteil der Landeskinder dagegen unterdurchschnittlich. Diese Unterschiede dürften auf diverse Faktoren zurückzuführen sein. Größe und Lage der Länder dürften einen Erklärungsbeitrag liefern, ebenso wie die Mobilität der Bevölkerung, die wiederum mit den Anteilen ländlicher und urbaner Räume zusammenhängt. Mutmaßlich spielt auch die Stärke der Landesidentität eine Rolle. Dass man „von hier“ ist spielt für eine Kandidatennominierung im bayrischen Allgäu sicherlich vielerorts eine größere Rolle als im Berliner Prenzlauer Berg.
Die Frage, ob eine Pfälzerin im baden-württembergischen Landtag sitzen sollte, gehört in den Bereich launiger Frotzeleien. Wie viele Niedersachsen im Magdeburger Landtag, wie viele Bremer im Landtag in Schwerin; kurz – wie viele Westdeutsche in ostdeutschen Landtagen zu viel sind, ist eine handfeste politische Streitfrage. Ostdeutsche sind nach wie vor unter den ökonomischen, wissenschaftlichen und, dies weniger deutlich, politischen Eliten selbst in den ostdeutschen Ländern unterrepräsentiert. Je nach Sektor besetzen Ostdeutsche auch 30 Jahre nach der Wiedervereinigung nur zwischen drei und 15 % der Führungspositionen, wobei ihr Gesamtanteil an der Bevölkerung 18 % beträgt (Kollmorgen 2015). Vor diesem Hintergrund ist ein Blick auf die Anteile Ostdeutscher unter den Mitgliedern der Landtage und der Exekutive relevant. Dabei haben wir alle Personen als „ostdeutsch“ klassifiziert, die auf dem Gebiet der DDR bzw. der neuen Länder geboren wurden (vgl. Heide et al. 2023). Dieser Indikator ist nur bedingt geeignet die Sozialisation oder Gruppeninteressen zu erfassen, genauere biografische Daten wären wünschenswert. Beispielsweise ist die in Hamburg geborene spätere Bundeskanzlerin Angela Merkel zweifelsohne ostdeutscher Herkunft. Gleichzeitig dürfte der Geburtsort insbesondere vor 1989 für spätere Generationen keine größeren Probleme aufwerfen, da relevante Wanderungsbewegungen zwischen Ost und West ausgeschlossen waren. Je weiter die Wiedervereinigung zurückliegt, desto stärker muss bedacht werden, dass Abgeordnete nach ihrer Geburt auch mehrfach umgezogen sein könnten und ihre Primärsozialisation zumindest nicht in Ostdeutschland erfahren haben.
Die Abb. 7 und 8 ermöglichen einen aggregierten Blick auf die Anteile von Ost- und Westdeutschen in den Parlamenten und Regierungen auf Landesebene.Footnote 14 Für die Parlamente sind zunächst kaum Unterschiede zu sehen. Sowohl in ost- als auch in westdeutschen Landtagen kommen etwa drei Viertel der Abgeordneten aus jeweils demselben Teil der Bundesrepublik. Der Blick auf die Landesregierungen offenbart hingegen Unterschiede. Zwar werden Regierungsposten im Osten mehrheitlich von Ostdeutschen besetzt – in den ersten Landesregierungen nach der Wiedervereinigung fanden sich insgesamt etwa 60 % Ostdeutsche und nur 25 % Westdeutsche. Allerdings spielen Ostdeutsche in westdeutschen Landesregierungen eine deutlich geringere Rolle. Ihr höherer Anteil im Jahr 1990 lässt sich darauf zurückführen, dass zahlreiche Personen zwar im Osten geboren wurden, aber vor dem Bau der Mauer umsiedelten. Mit dem Ausscheiden dieser Generation sank auch der Anteil Ostdeutscher stetig. Bemerkenswert ist auch, dass der Anteil Westdeutscher in ostdeutschen Landesregierungen zuletzt einen neuen Höchststand erreicht hat. 2020 waren 40 % der dortigen Regierungsmitglieder in den westdeutschen Bundesländern geboren.
5 Fazit
Unsere Research Note legt mit StatePol eine neue Datenbank zur Zusammensetzung von Landesparlamenten und -regierungen in der Bundesrepublik seit 1990 vor. Im Vergleich zu ähnlichen Projekten besteht ihr Zusatzbeitrag insbesondere in der tagesgenauen Dokumentation der Zugehörigkeiten zu Fraktionen und zu diversen exekutiven und legislativen Ämtern. Wir haben hier zunächst das Potenzial dieser Datenbank für die Repräsentationsforschung deskriptiv skizziert. So haben wir auf den bei etwa 30 % stagnierenden Anteil von Frauen in den Parlamenten hingewiesen und erhebliche Unterschiede zwischen den Fraktionen identifiziert. Während die Fraktionen von Grünen und Linken seit den 2000er-Jahren annähernd paritätisch besetzt sind, finden sich in den Reihen der AfD-Fraktionen 2020 nur 10 % Frauen.
Die Alterung der deutschen Bevölkerung lässt sich auch an den Landtagen ablesen. Seit 1990 hat sich das Durchschnittsalter der Abgeordneten von 48 auf 52 Jahre erhöht. Bemerkenswert ist die Alterung innerhalb der Fraktionen von Linken und Grünen, die in den 1990er-Jahren noch ein Durchschnittsalter um die 45 Jahre aufwiesen. Die in zahlreichen Sektoren konstatierte Unterrepräsentation Ostdeutscher lässt sich in den ostdeutschen Landesparlamenten und -regierungen in schwächerer Ausprägung feststellen. Die Regierungsmitglieder und insbesondere die Parlamentarier:innen sind mehrheitlich ostdeutscher Herkunft. Es fällt aber auf, dass der Anteil westdeutscher Politker:innen in den ostdeutschen Landesregierungen zuletzt gestiegen ist. Der Eindruck einer Unterrepräsentation wird potenziell auch dadurch verstärkt, dass Ostdeutsche in westdeutschen Parlamenten und Regierungen deskriptiv praktisch keine Rolle spielen.
Diese Analyse ist nur ein erster Schritt, um mit StatePol relevante Dimensionen der (Unter‑)Repräsentation verschiedener Gruppen zu beleuchten. Künftig können mit den hochaufgelösten Daten präzisere Antworten auf zahlreiche Fragen der Repräsentationsforschung geliefert werden. Beispielsweise zeigen Studien, dass Frauen in verschiedenen Sektoren häufig mehr investieren müssen, um Spitzenpositionen zu erreichen als Männer. O’Brien zeigt solche „gendered opportunity structures“ (2015, S. 1036) mit Blick auf die Wahl und Abwahl von Parteivorsitzenden. Gelingt es Männern, bei sonst gleichen Qualifikationen und Eigenschaften (z. B. Seniorität) auch in der Landespolitik eher als Frauen Spitzenpositionen zu besetzen? Mit StatePol kann diese und viele weitere verwandte Fragen künftig beleuchtet werden.
Auch für die Forschung zum Nexus zwischen deskriptiver und substanzieller Repräsentation kann StatePol relevant sein. Zahlreiche Studien beleuchten, inwieweit sich die Zugehörigkeit zu einer Gruppe (z. B. definiert durch Gender oder Herkunft) auch im Repräsentationshandeln der Parlamentarier:innen niederschlägt (Kroeber 2023; Celis 2006). Durch data linkages zu parlamentarischen Reden und Aktivitäten (z. B. kleinen Anfragen) können diese Fragen für die Landesparlamente und -regierungen künftig besser untersucht werden.
Notes
Die Forschung zur politischen Repräsentation nichtbinärer Genderkategorien steht derzeit erst am Anfang (Magni und Reynolds 2021).
Unter dem folgenden Link findet sich für jede Wahlperiode (WP) und für sämtliche Variablen eine detaillierte Übersicht über die genutzten Datenquellen sowie eine detaillierte Dokumentation, die fortlaufend aktualisiert wird: https://statepol.github.io/Database/.
Diese Daten wurden direkt aus deutschsprachigen Wikipedia-Einträgen bezogen, nicht aus Wikidata, einer separaten strukturierten Datenbank von https://www.wikimedia.de/.
Diese besteht aus dem Teil der URL des Wikipedia-Eintrags der jeweiligen Person, welcher auf „https://de.wikipedia.org/“ folgt. So hat Heide Simonis (vollständige URL: https://de.wikipedia.org/wiki/Heide_Simonis), die als erste Frau einer deutschen Landesregierung vorstand in StatePol die personenspezifische ID „wiki/Heide_Simonis“.
Die Genderize-API nutzt einen algorithmischen Ansatz zur Bestimmung des Gender basierend auf den Vornamen der Politiker:innen. Dabei werden die Vornamen mit einer Datenbank, die 114.541.298 Namen umfasst, abgeglichen, um die Wahrscheinlichkeit des zugehörigen Gender zu ermitteln. Zusätzlich liefert die Methode eine prozentuale Angabe zur Sicherheit der Schätzung. Zur Validierung haben wir das Verfahren stichprobenartig überprüft und die Namen, bei denen keine Schätzung möglich war, manuell ergänzt.
An dieser Stelle gilt unser Dank den ausgesprochen freundlichen Mitarbeiter:innen der Bibliothek des Berliner Abgeordnetenhauses, welche dieses Projekt mit der Bereitstellung einer Vielzahl an, teils schwer erhältlichen, Parlamentshandbüchern über mehrere Monate hinweg unterstützt haben.
Für diese Beobachtungen entsprechen die Start- und Enddaten der Ausschussmitgliedschaften denen der gesamten Wahlperiode.
Der in der Abbildung dargestellte Anteil der Abgeordneten, die weder aus dem Parlament ausgeschieden sind oder ihre Fraktion gewechselt haben, zeigt an manchen Stellen einen Anstieg. Dies erscheint zunächst kontraintuitiv, lässt sich jedoch dadurch erklären, dass in einigen Fällen Abgeordnete nach einem Austritt wieder in ihre ursprüngliche Fraktion zurückkehren.
Sämtliche in diesem Abschnitt diskutierten Daten liegen mit Ausnahme der Amtszeiten der Ausschussvorsitzenden tagesgenau vor. Auf die geglätteten Linien wurde in der Abbildung lediglich zurückgegriffen, um die Nachvollziehbarkeit längerfristiger Entwicklungen zu erhöhen.
An dieser Stelle sei darauf hingewiesen, dass die Zahl gleichzeitig amtierender Parlamentspräsident:innen und -vizepräsident:innen begrenzt ist. Somit haben bereits wenige Personen einen recht starken Einfluss auf die aggregierte Genderverteilung in diesem Amt und können die Mittelwerte somit schnell substanziell verändern.
Eine genaue Darstellung der Geburtsorte der Abgeordneten findet sich in Abb. 12 im Anhang.
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Koch, E., Kuhlen, D., Müller, J. et al. StatePol – Eine Datenbank zu den Mitgliedern von Regierungen und Parlamenten in den 16 Bundesländern. Polit Vierteljahresschr (2024). https://doi.org/10.1007/s11615-024-00528-z
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