1 Teil 1: Beziehungsgestaltung im Chatbot Coaching

Vanessa Mai

1.1 StudiCoachBot der TH Köln

Der StudiCoachBot der TH Köln ist ein Coaching-Chatbot für Studierende, der derzeit am Cologne Cobots Lab der Fakultät für Anlagen, Energie- und Maschinensysteme entwickelt wird (Mai und Richert 2020, 2021). Zum interdisziplinär zusammengesetzten Team gehören Kommunikationswissenschaftler:innen, systemische Coaches und Supervisor:innen sowie Software-Entwickler:innen und Maschinenbauer:innen. Studierende sind eng in den Entwicklungs- und Forschungsprozess eingebunden. Im Rahmen eines begleitenden Promotionsprojekts wird die Akzeptanz und Wirksamkeit untersucht. Der folgende Teil gibt Einblicke in die Entwicklung und Beforschung des StudiCoachBots und stellt aktuelle Ergebnisse der Forschung zur Beziehungsgestaltung im Chatbot-Coaching vor.

1.1.1 Use Case Prüfungsangst

Studierende stehen während ihres Studiums vor einer Vielzahl persönlicher Herausforderungen, lernen mit Veränderungen im Leben umzugehen und unvorhergesehene Aufgaben zu meistern. Sie durchlaufen Entscheidungsfindungsprozesse und sehen sich mit Leistungsdruck konfrontiert. Um Studierende bei solchen und ähnlichen Herausforderungen zu unterstützen und zu begleiten, entwickeln Hochschulen zunehmend Coaching-Angebote (z. B. Mai 2020; Reis 2006; Wiemer 2012). Sie regen Selbstreflexionsprozesse der Studierenden an, um mögliche Handlungsmöglichkeiten sichtbar zu machen und lösungsorientiertes Denken zu fördern (Albrecht 2016).

Prüfungsangst ist dabei ein häufiges Thema. Laut einer repräsentativen Umfrage litten 9 von 10 Befragten schon einmal unter Prüfungsangst – fast zwei Drittel davon während ihrer Schul- oder Studienzeit (Internationale Hochschule 2022). Zwar gibt es eine Vielzahl von professionellen Beratungsangeboten für Studierende (z. B. ASTA der Hochschulen, psychosoziale und kirchliche Beratungsstellen); eine explorative Studie an der TH Köln fand jedoch Hinweise darauf, dass nur ca. 20–30 % der Beratungsanliegen von Studierenden auf das Thema Prüfungsangst fallen. Dies legt den Schluss nahe, dass Studierende den Weg zu einer Beratungsstelle scheuen und/oder es an niederschwelligen Angeboten mangelt, um sich mit dem Thema Prüfungsangst auseinanderzusetzen. Der Einsatz eines Coaching-Chatbots birgt hier enormes Potenzial. Studierende melden dies auch ganz konkret während des Entwicklungsprozesses im Rahmen der Studien an der TH Köln zurück. Sie empfinden einen Chatbot zum Thema Prüfungsangst als hilfreich, weil es ein niederschwelliges Angebot für sie darstellt und sie sich ohne Scheu und Angst vor Bewertung mit dem Thema auseinandersetzen können (zu den Potenzialen von Chatbots s. unseren Hauptbeitrag).

1.1.2 Konzeption des StudiCoachBots

Dem StudiCoachBot liegt ein lösungs- und ressourcenorientierter Coachingansatz zugrunde (Berninger-Schäfer 2018; v. Schlippe und Schweitzer 2016). Ziel ist es, durch systemische Interventionen die Studierenden anzuregen, ihre Handlungsmöglichkeiten zu erweitern und eigene Strategien zum Umgang mit Prüfungsangst zu entwickeln. Das übergeordnete Ziel des Chatbot-Coachings ist es, Selbstreflexion und lösungsorientiertes Denken zu fördern. Es ist explizit nicht das Ziel des Coachings, den Studierenden so viel Wissen wie möglich zum Thema Prüfungsangst zu vermitteln oder Ratschläge und Anweisungen zu geben.

Der Ablauf der Coachinginteraktion basiert auf etablierten Prozessschritten aus der Coaching-Literatur (Berninger-Schäfer 2018) und lässt sich in die folgenden Phasen unterteilen: Onboarding, Situationsbeschreibung, Zielsetzung, Lösungsfindung und Verabschiedung. Onboarding ist ein integraler Bestandteil eines Chatbot-Konzepts und umfasst die Begrüßung und das Kennenlernen der User:innen. Beim Onboarding stellt sich der Chatbot vor, gibt Hinweise zu Datenschutz und Anonymität und erklärt seine Aufgaben und Grenzen, um zu verdeutlichen, was er leisten kann und was nicht. Ein gutes Onboarding und ein klares Erwartungsmanagement sind Voraussetzungen für die Akzeptanz von Chatbots (Terblanche und Cilliers 2020; zur Konzeption von Chatbots s. unseren Hauptbeitrag).

Im eigentlichen Coachingteil dienen systemische Fragen dazu, die Selbstreflexion der Studierenden anzuregen. Zur Zielsetzung werden lösungsorientierte Fragen eingesetzt (v. Schlippe und Schweitzer 2016), wie z. B. eine Abwandlung der klassischen Wunderfrage: „Woran würdest du merken, dass deine Prüfungsangst weg ist?“ Fragen wie „Hast du mit anderen Menschen über deine Prüfungsangst gesprochen?“ können auf den sozialen Kontext des Problems hinweisen (Wolf 2017). In der Situationsbeschreibung werden u. a. problemorientierte Fragen eingesetzt (v. Schlippe und Schweitzer 2016), um den Studierenden zu verdeutlichen, wie Probleme aktiv produziert und gepflegt werden, woraus im Umkehrschluss auch deutlich werden kann, was zu vermeiden ist, um das Problem loszuwerden (z. B. „Was müsstest du tun, um deine Prüfungsangst zu verschlimmern?“).

1.2 Faktoren, die die Beziehung im Chatbot-Coaching beeinflussen

Eine wichtige Grundvoraussetzung für ein erfolgreiches Coaching ist der Aufbau einer vertrauensvollen Arbeitsbeziehung. Zahlreiche theoretische und empirische Arbeiten der Coachingforschung zeigen, dass der Aufbau einer funktionierenden Arbeitsbeziehung ein zentraler Wirksamkeitsfaktor im Coaching ist (z. B. Graßmann und Schermuly 2020; Künzli 2019; Lippmann 2013).

Das Konzept geht auf die therapeutische Allianz von Bordin (1979) zurück, das die Beziehung zwischen Therapeut:in und Klient:in beschreibt und drei Aspekte umfasst: die Einigung über Ziele, die erreicht werden sollen (agreement on goals), die Festlegung der Aufgaben, die zur Zielerreichung erfüllt werden müssen (tasks), und der Aufbau einer Bindung (bond), die sich z. B. durch Vertrauen, Wertschätzung und Respekt auszeichnet. Der Faktor Bindung kann dabei als vergleichbar zum Konzept Rapport in der Mensch-Maschine-Interaktion gesehen werden (Sharpley 1997). Verschiedene Studien zeigen die Bedeutung des Aufbaus von Rapport in der Mensch-Maschine-Interaktion (hier insbesondere mit virtuellen Agenten, z. B. Gratch et al. 2007; Huang et al. 2011; Zhao et al. 2014).

Während im Mensch-zu-Mensch-Coaching bereits gut untersucht ist, welche Faktoren zur Beziehungsgestaltung im Coaching beitragen (z. B. Graßmann und Schermuly 2020), so gilt dies nur eingeschränkt für das Mensch-Maschine-Coaching (z. B. Graßmann und Schermuly 2021; Graßmann 2022). Ein Schwerpunkt der Forschung zum StudiCoachBot ist daher, Hinweise auf beziehungsbildende Faktoren zu finden. Folgende Elemente wurden bislang in den StudiCoachBot implementiert und in begleitenden Studien untersucht:

  • Akzeptanz durch technische Funktionalität (Mai et al. 2022b)

  • Disclosure-Verhalten des Chatbots (Mai et al. 2021)

  • Interaktionsmethode des Chatbots (Mai et al. 2022a)

1.2.1 Akzeptanz

Die einschlägige Literatur zum Chatbot-Coaching gibt Hinweise auf Faktoren, die die Akzeptanz bei User:innen fördern. Im Framework Designing AI Coach (DAIC) stellt Terblanche (2020) z. B. konzeptionelle Empfehlungen für die Gestaltung von Coaching-Chatbots vor. Voraussetzungen sind u. a. ein user:innen-zentriertes Chatbot-Konzept, das eine klare Zielgruppenanalyse und die Entwicklung einer konsistenten Bot-Persona umfasst. Bei der Konzeption gilt es zunächst, den Anwendungskontext und -fall sowie die Aufgaben des Chatbots und den Mehrwert für die User:innen festzulegen. Im Fall des StudiCoachBots handelt es sich um einen Coaching-Chatbot für Studierende (Anwendungskontext) zum Thema Prüfungsangst (Anwendungsfall), der Reflexionsprozesse bei Studierenden anregen soll (Aufgabe des Chatbots), um sie dabei zu unterstützen, einen Umgang mit ihrer Prüfungsangst zu finden (Mehrwert für User:innen). Bei der Entwicklung einer Bot-Persona – also der Persönlichkeit des Chatbots – können folgende Fragen leitend sein: Wie viel Menschlichkeit soll der Bot zeigen? Welches Geschlecht hat er? Soll er als Experte oder als Peer auftreten? Soll er duzen oder siezen? Im Fall des StudiCoachBots handelt es sich um eine Maschine (also um einen Coaching Chatbot und nicht um einen menschlichen Coach), die damit auch geschlechtsneutral ist. Sie zeigt einige menschliche Eigenschaften und gibt Dinge über sich preis (s. Abschn. 2.2 für Beispiele). Der StudiCoachBot ist als Coaching-Experte konzipiert, der Nähe zu den User:innen z. B. durch duzen und einen lockeren Umgangston zeigt.

Zudem muss die technische Funktionalität gewährleistet sein, d. h. der Chatbot muss technisch einwandfrei „laufen“, die Eingaben der User:innen „verstehen“ und angemessen darauf antworten können (Brandtzaeg und Følstad 2017). Eine der wenigen Studien, die die Akzeptanz von Coaching-Chatbots untersucht, kommt u. a. zu dem Schluss, dass User:innen eher bereit sind, mit einem Coaching-Chatbot zu interagieren, wenn sie einen praktischen Nutzen aus der Chatbot-Interaktion ziehen (Terblanche und Cilliers 2020). D. h. sowohl das technische Design als auch das Chatbot-Konzept müssen einwandfrei und user:innen-zentriert sein.

Die begleitende Evaluation des StudiCoachBots zeigt, dass der Prototyp technisch robust entwickelt wurde und eine gute bis sehr gute technische Funktionalität zeigt. Er zeigt gute Werte in Akzeptanz und moderate Werte in der Arbeitsbeziehung, was Rückschlüsse auf ein klares Chatbot-Konzept zulässt. Die Ergebnisse der Studie stehen damit in Einklang mit anderen Studien, die zeigen, dass Chatbot-Coaching akzeptiert wird (Terblanche und Cilliers 2020) und eine Arbeitsbeziehung im Chatbot-Coaching (Hauser-Ulrich et al. 2020) bzw. Bonding mit virtuellen Agenten (Gratch et al. 2007) hergestellt werden kann. Man kann sagen, dass es eine Minimalanforderung im Chatbot-Coaching ist, einen technisch einwandfreien Chatbot sowie ein klares Chatbot-Konzept zu entwickeln. Es sind Grundvoraussetzungen, damit überhaupt so etwas wie eine Beziehung zwischen Chatbot und Coachee aufgebaut werden kann.

1.2.2 Disclosure-Verhaltens des Chatbots

Neben den technischen und konzeptionellen Faktoren, die zur Beziehungsgestaltung im Chatbot-Coaching beitragen, kann Beziehung auch über Gesprächsstrategien hergestellt werden. Im sogenannten Conversation Design werden die „Persona“ des Chatbots und Dialoge entwickelt. Dabei kommt es nicht nur auf Formulierungen an, sondern auch auf die Führung der User:innen im Prozess und auf die Reaktion des Chatbots auf unvorhergesehe Fragen (zum Flow von Chatbot-Dialogen, s. Teil 2 dieses Beitrags). Gibt es hierzu bislang wenig Praxisberichte, so gibt es noch weniger Forschung dazu, welche „Zutaten“ im Conversation Design wirksam sind für die Beziehungsgestaltung im Chatbot-Coaching.

Bei der Konzeption des StudiCoachBots war es daher eine wichtige Aufgabe, Gesprächsstrategien zu entwickeln, die es schaffen, eine vertrauensvolle Atmosphäre herzustellen. Hinweise auf solche Gesprächsstrategien liefert die Forschung zur Mensch-Maschine-Interaktion (MMI). Hier wird insbesondere das Konzept der (reziproken) Self Disclosure untersucht, das die Tendenz beschreibt, dass Menschen eher geneigt sind, ihre Gedanken und Gefühle preiszugeben, wenn ihr Gegenüber das auch tut (Berninger-Schäfer 2018). Studien in der MMI konnten zeigen, dass z. B. die Self Disclosure von Chatbots (Lee et al. 2020) und virtuellen Agenten (Kang und Gratch 2011) zu mehr Self Disclosure auf Seiten der menschlichen Interaktionspartner führt. In den StudiCoachBot integriert, sieht Self Disclosure dann z. B. so aus, wie in Abb. 1 dargestellt.

Abb. 1
figure 1

Self Disclosure-Aussagen des StudiCoachBots. (Eigene Abbildung, V. Mai)

Eine andere Möglichkeit ist, Self Disclosure-Aussagen in Information Disclosure-Aussagen umzuformulieren. Dieselben Aussagen werden hier nicht in der Ich-Person des Chatbots formuliert, sondern in der dritten Person. Anstelle der in Abb. 1 aufgeführten Selbstoffenbarungsaussagen sagt der Chatbot dann stattdessen: „Bei einigen Studierenden verschlimmert sich die Prüfungsangst, wenn sie zu spät mit dem Lernen anfangen“ oder: „Oft wissen andere Personen (z. B. Eltern oder Dozenten) gar nicht, dass man Prüfungsangst hat. Es trauen sich nicht alle, es jemandem zu erzählen.“

Das ist ein Konzept, das im Rahmen der Forschung zum StudiCoachBot entwickelt wurde und das ermöglicht, Informationen des Bots in chat-gerechter Sprache zu präsentieren. Wenn man Self Disclosure und Information Disclosure-Aussagen abwechselt, kann es zudem dazu beitragen, dass die Sprache des Chatbots mehr Variation aufweist.

Erste Ergebnisse vergleichender Studien zu beiden Konzepten zeigen, dass sowohl Self Disclosure als auch Information Disclosure positive Auswirkungen auf die Arbeitsbeziehung im Chatbot-Coaching und auf dessen Akzeptanz bei den Studierenden haben.

1.2.3 Interaktionsmethode

Eine weitere Möglichkeit, Einfluss auf die Beziehung im Chatbot-Coaching zu nehmen, ist die Interaktionsmethode. Hat es einen Einfluss auf Akzeptanz und Wirksamkeit, ob User:innen mit dem Chatbot schreiben oder ob sie Buttons anklicken? Für eine explorative Studie wurden zwei verschiedene Versionen des StudiCoachBot programmiert: In einer Version konnten Studierende auf die offenen systemischen Coachingfragen in einem Freitextfeld antworten. In einer zweiten Version wurden vorab aus der Literatur heraus mögliche Antwortkomplexe auf die Coaching-Fragen herauskristallisiert und über Buttons den User:innen zur Verfügung gestellt. Wie in anderen Studien zum StudiCoachBot wurde die Wirksamkeit über die Arbeitsbeziehung (bzw. hier: das Bonding) abgefragt.

Die Ergebnisse zeigen, dass beide Interaktionsmethoden wirksam sind. Die gefühlte Bindung der Studierenden scheint etwas höher im schreib-basierten Chatbot. Die klick-basierte Version jedoch scheint hilfreicher zu sein, da sie als niederschwelliger wahrgenommen wird. Studierende fühlen sich durch die vorgegebenen Antworten in der klick-basierten Version besser durch den Coachingprozess geführt.

Die Studie gibt damit Hinweise auf ein sowohl-als-auch bei der Wahl der Interaktionsmethode im Chatbot-Coaching. Verschiedene Szenarien sind hier denkbar: Als niederschwelliger Einstieg in ein Coachinggespräch können vorgegebene Antworten gerade zu Beginn der Konversation hilfreich sein, um den User:innen Sicherheit und Orientierung im Prozess zu geben. Im Laufe des Coachings kann der Chatbot dann zu offeneren Coachingfragen übergehen, die freie Texteingaben der User:innen erlauben. Die Idee des sowohl-als-auch in der Wahl der Interaktionsmethode passt gut zum systemischen Coachingansatz, dessen Ziel es ist, Möglichkeitsräume zu eröffnen und Handlungsspielräume sichtbar zu machen. Dies wird z. B. in der systemischen Strukturaufstellung beim Ansatz des Tetralemmas von Sparrer und Varga von Kibéd (2009) deutlich, bei denen es die Entscheidungsmöglichkeit des „beides“ gibt.

1.3 Ausblick, Diskussion und Einordnung in den Forschungskontext

Die Studien an der TH Köln zeigen: Die Studierenden scheinen den StudiCoachBot als hilfreich wahrzunehmen, auch wenn er einen frühen CoachBot Prototypen darstellt. Das Feedback zeigt aber auch, dass die Studierenden sich mehr Flexibilität im Gespräch wünschen. Für die nächste Version des StudiCoachBot sind daher folgende Veränderungen geplant:

  • Zusätzlich zu einem reinen Coachinggespräch, in dem über offene Fragen die Selbstreflexion der Studierenden angeregt wird, ist derzeit ein sogenanntes Einschätzungsgespräch geplant. In diesem führt der StudiCoachBot durch verschiedene Fragenkomplexe zu den Themen Angstausmaß, Symptome und Methoden und stellt diesbezüglich Informationen zur Verfügung, damit Studierende besser einschätzen und reflektieren können, wann und wie sich ihre Prüfungsangst äußert und welche Methoden hilfreich sein können.

  • Neben einer rein textbasierten Interaktion wird der StudiCoachBot zunehmend mit Materialien in Form von Bildern, Videos und Reflexionstools wie Selbsteinschätzungstest und -skalen arbeiten, um die schriftliche Interaktion abwechslungsreicher zu gestalten.

  • Schließlich soll der StudiCoachBot mehr Flexibilität im Gespräch nicht nur über das Conversation Design, sondern auch über das Contextual Design ermöglichen. Damit ist gemeint, dass der Chatbot innerhalb einer Coaching-Interaktion kontextuelle Bezüge herstellt. Im Mensch-zu-Mensch-Coaching ist dies eine wesentliche Interventionstechnik, um z. B. Perspektivwechsel zu ermöglichen oder Ressourcen des Coachees zu aktivieren. Dies kann durch aktives Zuhören und Verstehen gelingen (Berninger-Schäfer 2018; v. Schlippe und Schweitzer 2016). Beim Chatbot-Coaching könnte dies so aussehen: „Du hast vorhin gesagt, dass du Schwierigkeiten mit mündlichen Prüfungen hast. Jetzt sagst du, dass du auch Angst vor schriftlichen Prüfungen hast. Welches der beiden Themen hat im Moment Priorität für dich, worüber sollen wir zuerst sprechen?“

Hilfreich hierbei ist, dass der StudiCoachBot in einer KI-basierten Entwicklungsumgebung (hier: die Conversationa AI Rasa) entwickelt wird und daher trainiert werden kann (zu KI-basierten Chatbots s. unseren Hauptbeitrag in diesem Heft). Ein Vorteil der Arbeit mit Rasa ist, dass die Sicherheit der User:innen-Daten höchste Priorität hat. Rasa schützt die Daten dadurch, dass sie nicht an einen Drittanbieter zur Nachrichtenverarbeitung geschickt werden müssen. Die Daten können vor Ort auf privaten Servern gespeichert werden – im Falle des StudiCoachBots auf eigens eingerichteten Servern an der TH Köln.

Insgesamt möchte die Forschung zum Beziehungsaufbau im Chatbot-Coaching an der TH Köln einen Beitrag dazu leisten, dass der Einsatz von Coaching-Chatbots als hilfreich und wirksam für Coachees wahrgenommen wird. Die Ergebnisse liefern wichtige Impulse für Chatbot-Praktiker:innen und Coaching-Expert:innen.

Perspektivisch soll der StudiCoachBot zu einem virtuellen Coaching-Agenten weiterentwickelt werden (zur Zukunft des Chatbot Coachings, s. unseren Hauptbeitrag in diesem Heft), der nicht nur text-, sondern auch sprachbasiert mit User:innen interagieren kann. Gestik und Mimik sollen über einen Avatar zugänglich gemacht werden. Es ist zudem geplant, mit verschiedenen Front-Ends zu arbeiten, d. h. die Interaktion mit dem Chatbot über verschiedene Benutzeroberflächen zugänglich zu machen (dazu gehören neben grafischen Benutzeroberflächen wie einem Chatfenster oder der Interaktion mit einem Avatar auch humanoide, soziale Roboter). Es soll z. B. untersucht werden, welchen Einfluss die Implementierung des StudiCoachBots in einen Roboter auf Akzeptanz und Wirksamkeit hat (am Cologne Cobots Lab der TH Köln stehen verschiedene Arten von Robotern zur Verfügung, z. B. Pepper oder Furhat). Schließlich ist denkbar, das Konzept des sensor-basierten Lernens für KI-basiertes Coaching zu übernehmen und User:innen-Daten wie Pulsfrequenz und Blickrichtung in den Coachingprozess zu integrieren, um den StudiCoachBot darauf reagieren zu lassen. Erste Ansätze dazu finden sich bei Morency et al. (2015). Besonderes Augenmerk muss hier auf ethische Aspekte sowie Datenschutz und -sicherheit gelegt werden.

2 Teil 2: Hybrid Coaching – Symbiose zwischen Coach und Chatbot

Rebecca Rutschmann

2.1 Evoach Coaching Chatbots für Coaches

Im Herbst 2019 ging der erste regelbasierte evoach Coaching-Chatbot zum Thema „Konflikte lösen“ an den Start – pünktlich zum Websummit, der größten Technologie-Konferenz weltweit in Lissabon. Dieser wurde kurz darauf durch weitere Chatbots zu typischen Coaching-Themen wie „Feedback geben und Stress bewältigen“ ergänzt. Unser Ziel war es von Anfang an, einen niederschwelligen Einstieg in Coaching zu bieten und Coaching in der Breite zugänglich zu machen. Mit dieser Idee konnten wir Ende 2019 in den IT-Accelerator CyberLab einziehen, um dort, gefördert vom Land Baden-Württemberg, an unserem neu gegründeten Startup zu arbeiten.

2.2 User-Testings und Proof of Concept durch klickbare Prototypen

Anhand von klickbaren Prototypen führten wir am Anfang mehr als 100 Usertests durch und konnten dadurch den Flow unserer Chatbot-Module iterativ verbessern und weiter ausbauen. Wir wollten in einem sogenannten Proof of Concept beweisen, dass Coaching durch Chatbots gute und nachhaltige Ergebnisse für die Coachees erzielen kann, bevor wir mit technischen Entwicklungen starten. Die User mussten am Ende der Tests standardisierte Fragebögen aus User Experience-Sicht beantworten, die wir dann auswerteten und deren Ergebnisse wir in die weitere Entwicklung der Chatbots einfließen lassen konnten.

Dies half uns auch, besser zu verstehen, welche Erwartungshaltung Coachees an Coaching-Chatbots hatten. Es wurde relativ schnell klar, dass die meisten Test-User kaum Wissen über Coaching hatten und wir hier ein zusätzliches Onboarding benötigten. Die Arbeit mit unseren Chatbot-Modulen brachte laut den Umfrageergebnissen Coachees eine erste große Erleichterung hinsichtlich ihrer Themen und vor allem mehr Klarheit, was sie als Nächstes tun wollten. Für viele war ein Aha-Effekt zu erkennen, Coaching live zu erleben und die Potenziale einer Unterstützung durch Coaching zu erkennen.

Der Wunsch, nach einem Chatbot-Coaching mit einem persönlichen Coach weiterzuarbeiten, kam immer wieder auf und veranlasste uns, unser Produkt weiter zu öffnen und Coachees zu ermöglichen, ihre erarbeiteten Inhalte mit ihren Coaches zu teilen. Dies führte nach und nach zu unserem heutigen Chatbot-Creator, mit dessen Hilfe nicht nur wir selbst, sondern auch Coaches ohne Programmierkenntnisse und extrem einfach und nutzerfreundlich eigene Coaching-Chatbots anhand von Vorlagen, Modulanpassungen und einer großen Auswahl spielerischer coaching-spezifischer Elemente erstellen können. Diese können über unsere Web-App oder zur Lead-Generierung, also die Generierung von Kontaktdaten neuer Coachingklienten, auch direkt über eine Webseiten-Integration genutzt werden. Dabei unterstützen wir heute Coaches auch bei der Erstellung eigener Module, und seit September 2022 können diese auch persönliche Coaching-Programme in evoach erstellen und mit Chatbot-Reflexionen unterstützen.

2.3 Use Cases von Chatbots für Coaches in Kombination mit persönlichen Coachings

  1. (1)

    Chatbots als Orientierungshilfe auf der Webseite von Coaches: Die Integration von Chatbots auf der Webseite von Coaches oder Coaching-Instituten können als erste Anlaufstelle schnell Klarheit und Transparenz schaffen und Interessent:innen durch für sie wichtige Fragen und Reflexionen führen. Sie bieten einen idealen Einstieg ins Coaching. Was sucht der oder die Interessent:in auf der Webseite, gibt es schon konkrete Coaching-Themen für ein erstes Coaching? Das hilft dem Coach, möglichen Klient:innen hier schon früh Informationen bereit zu stellen und die Erwartungshaltung zu klären. Erste Hürden bei der Kontaktaufnahme können so schnell überwunden und Mehrwerte geschaffen werden.

  2. (2)

    Chatbots zur Vorreflexion vor Coaching-Sessions: In der Regel bieten Coaches ein kostenloses erstes Vorgespräch zum persönlichen Kennenlernen an. Im Anschluss erfolgt die Auftragsklärung, und es kommt zu einem Coaching-Agreement. Viele Coaches stellen ihren Coachees dabei auch schon erste Worksheets zur Selbsteinschätzung zur Verfügung, um sie bei der Fokussierung auf relevante Themengebiete zu unterstützten. Das sind oft Tools wie z. B. verschiedene Skalierungsfragen, das Lebensrad oder auch Werte- oder Motivatoren-Analysen. Viele dieser Prozesse und Tools sind schon heute standardisiert und können eleganter als in Emails und PDF-Dokumenten durch Chatbots und in einem sympathischen Dialog mit einem digitalen Begleiter abgebildet werden. Zum Beispiel kann der Chatbot hier durch kurze Skalenfragen und visuelle Skalenregler Dimensionen eines Lebensrades abbilden und dieses dann visuell schön am Ende ausgeben; oder er kann in einem virtuellen Aufstellungsboard passende Fantasyfiguren, z. B. für Konfliktparteien, auswählen und beschreiben lassen und diese dann auf dem Board positionieren, vergrößern, drehen, sich einander zuwenden oder abwenden lassen.

    Dafür gibt es in evoach diverse Selbsteinschätzungs-Module zu Themen wie Werte, Motivatoren, Saboteure, aber auch Elemente zur Reflexion von eigenen Bedürfnissen und Emotionen je nach Wunsch, basierend auf verschiedenen wissenschaftlich fundierten Coaching-Ansätzen. Zudem können Coaches auch eigene Worksheets ganz einfach mit Hilfe einer speziellen Automatisierung direkt im Chatbot-Creator digitalisieren und als Dialog direkt in ein Chatbot-Modul integrieren.

    Mit Hilfe von Vorreflexions-Modulen können Coaches viel tiefer in die darauffolgenden persönlichen Coaching-Sessions einsteigen und nicht nur ressourcenschonend, sondern auch wesentlich effektiver mit ihren Coachees arbeiten. Dadurch erreicht das persönliche Coaching-Erlebnis eine wesentlich bessere Qualität und kann sich auf das konzentrieren, was die Coachees wirklich weiterbringt.

  3. (3)

    Chatbots als Follow-Up von Coaching-Sessions: Follow-Ups von Coaching-Sessions sind leider aktuell noch kein Standard im persönlichen Coaching. Durch den Boom der digitalen Coaching Provider erhält dieses mächtige Tool aber langsam etwas mehr Aufmerksamkeit, die es mehr als verdient hat. Durch Follow-Ups können erarbeitete nächste Schritte aus dem persönlichen Coaching nachhaltig begleitet, Themen vertieft, Störfaktoren erkannt und weitere Coaching-Anlässe identifiziert werden. Es bietet somit den Coachees die Möglichkeit, an ihren Themen wirksam weiterzuarbeiten, und Coaches halten den Kontakt zu ihren Klient:innen, um deren erfolgreiche Umsetzung weiterhin zu begleiten. Follow-Ups können zusätzlich als perfekte Erfolgskontrolle dienen und können, richtig eingesetzt, auch ein frühes Erkennen von Störfaktoren in der Coach-Klient:in-Beziehung unterstützen.

  4. (4)

    Chatbots zum Selbstcoaching und zur Selbstreflexion: Als Hilfe zur Selbsthilfe bei dringenden Themen, bei denen eine erste Selbstreflexion Erleichterung bringt, oder einfach zur persönlichen Selbstreflexion können Chatbots auch eine persönliche Coaching-Session ersetzen. Mit standardisierten Coaching-Modellen und Tools können typische Coaching-Themen sinnvoll reflektiert und erste Lösungsansätze entwickelt werden. Dabei werden bewährte Tools und Techniken wie Skalierungsfragen, Perspektivwechsel, Ressourcenaktivierungen, Gedankenreisen, Aufstellungsboards und ähnliches in den Chatbot-Flow einfließen, der sich an gängigen Prozessen etablierter Coaching-Modelle, wie z. B. dem GROW-Modell, orientiert. Wir alle wissen, wie erleichtert man allein dadurch ist, mal einen ersten Schritt in eine Richtung zu machen, die einen aus der aktuellen Situation herausführt. Oft reicht das schon aus, eine weitere schlaflose Nacht zu vermeiden.

  5. (5)

    Chatbots zur Unterstützung von persönlichen Coaching-Sessions und Coaching-Programmen: Coaching-Programme sind aktuell eines der Themen, mit denen Coaches erfolgreich ihre Expertise als Trainer:in und Coach an Unternehmen oder Einzelpersonen verkaufen und sich selbst dabei hervorragend skalieren können. Team- und Gruppencoachings ersetzen dabei immer mehr Einzel-Coaching-Stunden, die dann zusätzlich auf Bedarf dazu gebucht werden können. Der Vorteil für den Coach ist dabei vor allem die bessere Planbarkeit, das Arbeiten an konkreten Themen (Digital Leadership, Empowerment, Zusammenarbeit etc.). Gerade hierbei haben zusätzliche Chatbot-Module einen großen Mehrwert. Wer sich vor Gruppenterminen selbst schon klar darüber ist, was für ihn wichtig ist, und seinen Standpunkt reflektiert hat, kann wesentlich zum gemeinsamen Erfolg eines Gruppen-Coachings beitragen. Wir wissen, wie wichtig Selbstreflexion für Führungskräfte ist; genauso verhält es sich auch bei der Team- oder Gruppenarbeit. Das Ich kommt vor dem Wir. Zusätzlich können Themen mit Chatbot-Modulen im Nachhinein durch Selbstreflexionen noch einmal tiefer verankert werden; außerdem kann ein eigenes Chatbot-Tagebuch zur Selbstreflexion während des Programms geführt werden mit regelmäßigen automatisierten Erinnerungsfunktionen.

2.4 Konzeption und Flow der Chatbot-Dialoge

Für die Nutzung von evoach brauchen Coaches keine Programmierkenntnisse und werden durch unsere erfahrenen Coaches und Entwickler:innen bei der Konzeption des Chatbot-Flows für ihre Themen, Modelle oder Tools professionell unterstützt. Der digitale Transfer bestehender analoger Coaching-Tools und Modelle verlangt eine gute konzeptionelle Digital-Expertise und ein weitreichendes Knowhow, was technisch machbar ist und was nicht. Coaches müssen für die Zukunft lernen, ihre Methoden und Tools auch digital zu denken, was einer anderen Herangehensweise und Userführung bedarf.

Der Dialog in einem Chatbot muss anders gestaltet werden als in einer persönlichen Konversation, in der man bei Fragezeichen im Gesicht noch etwas ergänzen oder umformulieren kann. Auch kann man im Chatbot-Dialog nicht mehrere Fragen hintereinanderstellen, wie es oft auf Worksheets zu finden ist. Das überfordert die User:innen und führt zu einem frühen Dialog-Abbruch. Ähnlich ist es mit anderen Störfaktoren wie der Persönlichkeit, Sprache und Tonalität des Chatbots. Kommt der Chatbot zu flapsig daher, z. B. durch Verwendung von zu junger Sprache bei älterem Publikum, hat der Coachee das Gefühl, nicht ernst genommen zu werden; ist er zu sachlich, fehlt die persönliche Bindung und Offenheit gegenüber dem Chatbot-Avatar. Ein guter Sprach- und Kommunikationsstil ist daher ebenfalls essenziell für den Flow und die Akzeptanz des Chatbots. Bei der Entwicklung von Chatbots übernehmen sogenannte Conversational Designer:innen, also die Gestalter:innen dieser Entscheidungspfade inklusive Fragen und spielerischen Tools, die Konzeption des Chatbot-Flows. Für Coaching-Chatbots sollten diese idealerweise auch ein solides Coaching-Wissen mitbringen – was zukünftig auch für Coaches ein ganz neues Berufsbild des Conversational Coaching Designers mit sich bringen könnte.

Bei Nutzung der evoach Plattform profitieren Coachees von der Expertise unserer Coaches und Konversationsexperten, die bei der Konzeption und Entwicklung von Coaching-Chatbots helfen. Die Plattform wurde auf Basis bewährter Coaching-Modelle, Tools und Techniken aufgebaut und wird konstant weiterentwickelt und wächst durch User-Feedback wöchentlich um weitere Features.

2.5 Datentransparenz und KI

Transparenz und Offenheit sind wichtig für den Bindungsaufbau auch in einer digitalen Welt. Was passiert mit dem, was ich hier hineinschreibe, wo werden die Daten gespeichert, wer hat darauf Zugriff und wie kann ich diese bei Bedarf einsehen, teilen oder auch löschen? Eine gute Chatbot-Experience integriert das Thema schon beim Onboarding oder am Anfang des Dialogs mit den User:innen und macht diese bei Bedarf an anderer präsenter Stelle jederzeit zugänglich. Bei evoach haben wir von Anfang an auf DSGVO-Konformität und Datensicherheit und -transparenz gesetzt. Gerade beim zukünftigen Einsatz von Künstlicher Intelligenz, bei der große Datensätze analysiert und für eine Weiterentwicklung der Technologie verwendet werden, fordert der Code of Ethics, dem sich Entwickler für künstliche Intelligenz verpflichten (z. B. Ethikleitlinien für eine Vertrauenswürdige KI der Europäischen Kommission), eine klare Kommunikation darüber, wie persönliche Daten anonymisiert und verarbeitet werden. Sonst wird der User in seiner Offenheit gegenüber der Mensch-Maschine-Interaktion gehemmt.