1 Einleitung

Im Feld der Organisationstheorie ist Talcott Parsons’ Ansatz zwar aktuell kein besonders breit rezipierter, dennoch darf sein „nachhaltiger Einfluss auf die Entwicklung der Organisationssoziologie […] nicht unterschätzt werden“ (Matiaske 2015, S. 526; ähnlich Stern und Barley 1996, S. 151; Schreyögg und Geiger 2016, S. 481). So wird an vielen Stellen des nachfolgenden Beitrages deutlich, wie Elemente organisationstheoretischen Denkens im Allgemeinen sowie mit Bezug auf Schule im Besonderen bereits bei Parsons angelegt sind, zum Teil ohne dass sich die Literatur dessen bewusst ist (vgl. Lahusen und Stark 2010, S. 169, 172 f., 177). Vielversprechend scheint Parsons’ Organisationstheorie deshalb zu sein, weil es durch ihre Verknüpfung mit seiner allgemeineren System- und Handlungstheorie möglich wird, Organisationen in einem übergreifenden Analyserahmen im Zusammenhang mit anderen Phänomenen, etwa Professionen, zu diskutieren. Parsons’ Denken in Systemen verspricht ferner, den Zusammenhang von Organisation und Umwelt bzw. anderen Organisationen oder Systemen analysieren zu können, ebenso wie seine Unterscheidung von Persönlichkeits- und Sozialsystem für die Untersuchung des Verhältnisses von Akteur*innen und Organisation hilfreich sein könnte.

Anliegen des Beitrages ist es nun jedoch nicht, Parsons’ Organisationstheorie in Gänze zu entfalten. Ausgangspunkt ist stattdessen die Charakterisierung von Parsons’ Theorie als normativer Funktionalismus, die normativkulturellen Aspekten für die Analyse der sozialen Realität und sozialer Ordnung eine hohe Bedeutung zuschreibt. Somit wird aus Parsons’ gesamter Theorie und seiner Organisationstheorie bewusst selektiv eine zentrale Linie herausgegriffen und für die Analyse von Organisationen fruchtbar gemacht. Relevant ist dies, weil bisher vorliegende Beiträge zu Parsons’ Organisationstheorie (vgl. z. B. Heckscher 2009; Lahusen und Stark 2010) Fragen der normativen Kultur zwar vielfach aufgreifen, sie aber nicht zum Ankerpunkt von Parsons’ Organisationstheorie machen und genauer nach damit eröffneten Einsichten fragen. Diese Leerstelle füllt der vorliegende Beitrag.

Im zweiten und dritten Abschnitt werden zunächst die Grundzüge von Parsons’ Organisationstheorie vor dem Hintergrund seiner allgemeinen normativfunktionalistischen Handlungs- und Systemtheorie skizziert. Auf dieser Grundlage wird im vierten Abschnitt Parsons’ Zugriff auf Schule als Organisation erläutert. Im fünften Abschnitt werden diese Überlegungen mit Blick auf Inklusion konkretisiert, indem danach gefragt wird, wie Inklusion die Schule als Organisation in ihrer Umwelt verändert und welche Spannungen damit einhergehen. Die inklusive Schule fungiert demnach als Prüfstein für die Frage, welches Erkenntnispotenzial Parsons’ normativfunktionalistische Organisationstheorie bietet. Im letzten Abschnitt werden die Überlegungen, auch jenseits des konkreten Fokusses auf Inklusion und Schule, zusammengefasst und auf Folgerungen für die Praxis von Organisationen hin befragt.

2 Normativer Funktionalismus und normative Kultur

Talcott Parsons’ theoretisches Schaffen zentriert sich um eine Handlungs- und Systemtheorie, mithilfe derer er alle Phänomene sozialen Handelns konzeptualisieren wollte (vgl. Lidz 2011, S. 511). Durchgehend relevant ist dabei die Frage, wie soziale Ordnung möglich ist. Nicht weniger zentral in seinem Werk ist die Antwort hierauf, dass Werte und Norme, allgemeiner normative Kultur, für eine stabile soziale Ordnung unumgänglich sind (vgl. Parsons 1976, S. 179, 188; Heckscher 2009, S. 608; Lidz 2011, S. 518). Aufgrund dieser Bedeutung normativer Kultur lässt sich Parsons’ Theorie insgesamt als normativer Funktionalismus bezeichnen (vgl. Joas und Knöbl 2011, S. 95), wobei mit ‚Funktionalismus‘ das Programm formuliert ist, soziale Einheiten, Organisationen, (Sub‑)Systeme usw. in ihrer Relation zueinander oder Funktion füreinander zu untersuchen (vgl. Joas und Knöbl 2011, S. 90).

Normative Kultur ist in Parsons’ Theorie in unterschiedlicher Form und auf unterschiedlichen Ebenen relevant. Grundsätzlich bezeichnet der Begriff Standards, die als Selektionskriterien im Handeln fungieren (vgl. Parsons und Platt 1973, S. 36 f.; Parsons und White 2016, S. 261). Normative Kultur im Sinne solcher Standards findet sich dann bei einzelnen Akteur*innen (bzw. Persönlichkeitssystemen), in Interaktionen oder Sozialsystemen v. a. als Rollen sowie abstrahiert von konkreten Handlungen und Interaktionen im Kultursystem. Ferner unterscheidet Parsons normative Kultur nach dem Konkretionsgrad und grenzt darüber beispielsweise allgemeinere Werte von situationsspezifischen Normen ab (vgl. Parsons 1976, S. 179 ff.; Joas und Knöbl 2011, S. 64).

Eine stabile soziale Ordnung beruht nun nach Parsons darauf, dass es eine gemeinsam geteilte normative Kultur gibt, dass also beispielsweise die einzelnen Mitglieder einer Organisation und die Organisation als solche über einen gewissen Grundkonsens von Handlungsstandards verfügen. Normative Kultur kann folglich zwischen Systemen ‚übertragen‘ werden. Akteur*innen (bzw. Persönlichkeitssysteme) können normative Kultur im Prozess der Sozialisation aus einem Sozialsystem übernehmen und dabei modifizieren, Sozialsysteme können normative Kultur aus dem Kultursystem institutionalisieren (vgl. Parsons und Platt 1973, S. 36; Münch 2004, S. 59 ff.). Sozialisation und Institutionalisierung lassen sich dabei auch als Formen der Interpenetration, der wechselseitigen Durchdringung zweier Systeme (vgl. Parsons 1976, S. 166), verstehen. Einzelne Systeme sind demnach jeweils von einer bestimmten normativen Kultur gekennzeichnet, die sich zum Teil aus ihrer Umwelt ableitet bzw. bezüglich derer sie mit Teilen der Umwelt, also anderen (Sub‑)Systemen, interpenetrieren. Bei alldem ist jedoch nicht impliziert, dass normative Kultur oder eine auf gemeinsamer normativer Kultur basierende soziale Ordnung das Handeln der Akteur*innen oder ein untergeordnetes Subsystem vollends determiniert (vgl. Heckscher 2009, S. 608; Parsons und White 2016, S. 263; ähnlich Morrill 2008, S. 31).

Gerade wegen solcher Implikationen in Richtung einer kulturellen Determination des Handelns oder einer Über-Sozialisation der Individuen, wie sie etwa auch bei Parsons’ Modell der kybernetischen Kontrollhierarchie anklingen, insgesamt wegen der Überbetonung normativer Elemente ist Parsons’ Theorie kritisiert worden (vgl. Parsons 1976, S. 171 f.; Geißler 1979, S. 272 ff.). Im Folgenden wird der Versuch unternommen, Parsons’ Organisationstheorie mit einem Fokus auf normativkulturelle Aspekte zu entwerfen, ohne von solch einer Überbetonung normativer Elemente auszugehen. Stattdessen ist der handlungstheoretische Ursprung normativer Kultur zentraler Ausgangspunkt (vgl. Joas und Knöbl 2011, S. 65 f.). Demnach hat alles Handeln eine normativkulturelle Dimension, insofern sich fragen lässt, welche Rolle normative Kultur im Sinne von Selektionskriterien in einem konkreten Handlungsakt spielt, etwa für die Wahl der Mittel zur Erreichung eines Handlungsziels oder für die Wahl des Handlungsziels.

Im Anschluss lässt sich fragen, welche normative Kultur jenseits einzelner Handlungen für Akteur*innen, Organisationen oder andere Systeme relevant ist (das ist mit normativfunktionalistisch gemeint) und wie sich diese normativen Kulturen zueinander verhalten (das ist mit normativfunktionalistisch gemeint) – Prämissen in Richtung gemeinsam geteilter Kultur, die zu sozialer Ordnung führt, sind hierfür nicht notwendig, auch wenn die Analyse Entsprechendes herausarbeiten kann. Der Verknüpfung von ‚normativ‘ und ‚funktionalistisch‘ liegt demnach die für moderne, hoch vernetzte Gesellschaften triftige Annahme zugrunde, dass die normative Kultur einzelner Einheiten nie für sich steht, sondern mit den normativen Kulturen anderer Einheiten verwoben ist.

Eine normativfunktionalistische Analyse von Organisationen fragt also nach normativer Kultur im Zusammenhang zwischen Akteur*innen, Systemen bzw. Organisationen und UmweltFootnote 1. Dieser Analyserahmen wird im Folgenden zunächst für Organisationen allgemein entfaltet, dann speziell auf die Schule als Organisation und schließlich auf Inklusion als eine Veränderung, mit der die Schule konfrontiert ist, angewandt. Im Detail impliziert dies für die drei nächsten Abschnitte folgende Fragen: Welche Relevanz hat normative Kultur für Organisationen allgemein und wie gestaltet sich das normativkulturelle Verhältnis von Organisation, Akteur*innen der Organisation und Umwelt? Welche Relevanz hat welche normative Kultur für die Schule als Organisation und wie gestaltet sich das normativkulturelle Verhältnis von Schule, Akteur*innen und Umwelt? Was bedeutet Inklusion aus normativkultureller Perspektive und wie verändert Inklusion das normativkulturelle Verhältnis von Schule, Akteur*innen und Umwelt?

3 Organisationen als zielorientierte Sozialsysteme

Parallel zu seiner allgemeinen Handlungs- und Systemtheorie befasste Parsons sich mit einer Reihe konkreter Phänomene, die er auf dieser Grundlage analysierte (vgl. Heckscher 2009, S. 608; Lidz 2011, S. 543). Organisationen, Schulen, Hochschulen oder Professionen sind Beispiele für solche Anwendungsfelder (vgl. Lahusen und Stark 2010, S. 169). Allgemein bestimmt Parsons Organisationen als einen besonderen Typus von Sozialsystemen (so auch Apelt 2016, S. 15), womit für Organisationen die Merkmale von (Sozial‑)Systemen gelten (vgl. Parsons 1956a, S. 66, 1956b, S. 227). So sind Organisationen als Systeme von einer Umwelt abgegrenzt (so auch Hatch und Cunliffe 2013, S. 57 f.; Schreyögg und Geiger 2016, S. 10) und stehen zugleich mit ihr in Austauschbeziehungen (vgl. Parsons 1956a, S. 66 f., 1976, S. 166 f.); Letzteres impliziert, „that no organization is ever wholly ‚independent[]‘“ (Parsons 1958, S. 44). Diese Austauschbeziehungen zwischen Systemen bzw. Organisationen und ihrer Umwelt lassen sich auch mit dem bereits erwähnten Begriff der Interpenetration umschreiben, da Austauschbeziehungen wechselseitige Durchdringungen implizieren (vgl. Münch 2004, S. 91).

Als Sozialsysteme gründen Organisationen auf Interaktionen mehrerer Akteur*innen und sind dabei von normativer Kultur im obigen Sinne gekennzeichnet (vgl. Parsons 1976, S. 168; ähnlich Schreyögg und Geiger 2016, S. 10):

The main point of reference for analyzing the structure of any social system is its value pattern. This defines the basic orientation of the system (in the present case, the organization) to the situation in which it operates; hence it guides the activities of participant individuals. (Parsons 1956a, S. 67)

Die Spezifik von Organisationen gegenüber anderen Sozialsystemen sieht Parsons darin, dass sie von „primacy of orientation to the attainment of a specific goal“ (Parsons 1956a, S. 64, H. i. O.) gekennzeichnet sind (vgl. Heckscher 2009, S. 610; so auch Hatch und Cunliffe 2013, S. 15; Apelt 2016, S. 17 f.), wobei die Erreichung dieses Ziels einen konkreten Output impliziert, den die Organisation für die Umwelt hervorbringt (vgl. Parsons 1956a, S. 65, 1958, S. 44). Ziel und Output sind dabei mit der normativen Kultur der Organisation verschränkt bzw. durch sie legitimiert (vgl. Parsons 1956b, S. 225 f.). Ferner nimmt Parsons an, dass das Ziel, das Organisationen zu erreichen suchen, und der Output, den sie darüber hervorbringen, einen positiven Beitrag, eine Funktion für das übergeordnete System der Gesellschaft erfüllen (vgl. Parsons 1956a, S. 66, 1956b, S. 238; Aretz und Hansen 2003, S. 24).

Außerdem ist die normative Kultur einer Organisation mit der normativen Kultur der Gesellschaft verbunden (vgl. Parsons 1956a, S. 67 f., 84, 1958, S. 45; Aretz und Hansen 2003, S. 10 f.; institutionalistisch mit Bezug auf Selznick Morrill 2008, S. 21; Hatch und Cunliffe 2013, S. 74). Dies lässt sich wiederum mit dem Begriff der Interpenetration reformulieren, insofern bezüglich bestimmter normativer Kultur Organisation und Gesellschaft bzw. bestimmte Teile der Gesellschaft interpenetrieren. Diese Interpenetration verweist darauf, dass Parsons eine normativ integrierte Gesellschaft zum idealtypischen Ausgangspunkt seiner Analysen macht (vgl. Geißler 1979, S. 269). Anders gesagt trägt die Interpenetration und damit die Existenz gemeinsam geteilter normativer Kultur zwischen Organisation und gesellschaftlicher Umwelt zum Erhalt der sozialen Ordnung der Gesellschaft bei. Auch wenn dabei nicht von einer völlig identischen normativen Kultur zwischen Organisation und Gesellschaft ausgegangen wird (vgl. Parsons und White 2016, S. 137, 271), besteht doch die Annahme, dass diese soziale Ordnung bei zu großen Abweichungen gefährdet ist. Daher dürfte die Gesellschaft danach streben, entsprechende Organisationen und entsprechendes organisationales Handeln zu unterbinden.

Solch eine idealtypische Konzeption kann leicht dazu führen, Brüche und Widersprüche zu übersehen (vgl. Geißler 1979, S. 273). Aus diesem Grund sollte offener gefragt werden, in welchem Maße die normative Kultur einer Organisation mit der der Gesellschaft verschränkt ist, und nicht a priori von einer solchen Verschränkung ausgegangen werden.

Bis hierhin kann festgehalten werden, dass der zentrale Analysefokus einer Konzeption von Organisationen als Sozialsystemen in der normativen Kultur liegt. Dieser trägt einerseits für organisationsinterne bzw. mikrosoziologische Fragen nach der normativen Kultur, die die Organisation insgesamt kennzeichnet, und dem Verhältnis zwischen dieser und der normativen Kultur der beteiligten Akteur*innen (vgl. Lahusen und Stark 2010, S. 168 f.). Andererseits impliziert er makrosoziologische Fragen, wenn nach dem Verhältnis der normativen Kultur der Organisation zur normativen Kultur der Umwelt (z. B. der Gesellschaft) gefragt wird (vgl. Heckscher 2009, S. 625 f.; Lahusen und Stark 2010, S. 168, 183). Das normativkulturelle Verhältnis der drei Ebenen Akteur*innen, Organisation und Umwelt ist demnach Angelpunkt einer so konzipierten Parsons’schen organisationstheoretischen Analyse.

Die Frage, welchen Beitrag eine Organisation für die Gesellschaft leistet, worauf ihr Ziel und Output also bezogen sind, führt Parsons (1956b, S. 228 f.) zur Unterscheidung von vier Typen von Organisationen. Ausgangspunkt ist dabei das in seiner allgemeinen Theorie entwickelte AGIL-Schema, wonach ein System, so auch die Gesellschaft, vor vier funktionalen Erfordernissen steht – nämlich Adaptation in Bezug auf die Umwelt (A), Auswahl und Erreichung von Zielen (G), Integration zwischen den Systemeinheiten (I) und Reorganisation der das System kennzeichnenden latenten Systemmuster, v. a. der normativen Kultur (L) (vgl. Parsons und Platt 1973, S. 13 ff.; Lidz 2011, S. 527). Aus Sicht der Gesellschaft können Organisationen nun danach unterschieden werden, auf welche dieser vier funktionalen Erfordernisse das Ziel der Organisation bezogen ist. Die L‑Funktion ist Bezugspunkt für die Schule als Organisation und wird daher im Folgenden näher betrachtet.

4 Schulen als pattern-maintenance organizations

Schulen gelten Parsons neben Hochschulen (vgl. Parsons 1971), Unternehmen, Krankenhäusern, Kirchen oder Behörden als typische Beispiele für Organisationen (vgl. Parsons 1956a, S. 64). Dementsprechend treffen auf Schule die oben entfalteten Merkmale von Organisationen zu. In Schulen finden Interaktionen statt, bezüglich derer bestimmte Erwartungen bestehen, die in den Rollen des*der Schülers*in und des*der Lehrers*in kondensieren (so auch Drepper und Tacke 2012, S. 222). Weiterhin sind Schulen abgrenzbare Systeme, insofern sich Spezifika wie eine permanente Leistungsbewertung oder eine jahrelange Teilnahmepflicht in Form der Schulpflicht angeben lassen, die sich außerhalb der Schule nicht finden. Zugleich unterhalten Schulen Austauschbeziehungen mit ihrer Umwelt; dies zeigt sich an Erwartungen, die z. B. von Verbänden oder in der Bildungspolitik an Schule formuliert werden. Schulen verfolgen des Weiteren ein Ziel und bringen einen bestimmten Output hervor, nämlich „the change in the character, knowledge, and skill levels of individual pupils“ (Parsons 1958, S. 55, H. i. O.). Auf einer überindividuellen Ebene lässt sich dieser Output als „‚trained capacity‘“ (Parsons 1956a, S. 65) zusammenfassen. Schließlich bestätigt sich die Annahme, dass die an der Organisation beteiligten Akteur*innen nicht automatisch tun, was sie aus Sicht der Organisation tun sollen, in Schulen in besonderer Weise. Schüler*innen, die als Teil der Organisation Schule aufgefasst werden (vgl. Parsons 1968a, S. 9), müssen zur Zielerreichung kooperieren und dementsprechend motiviert werden (vgl. Parsons 1958, S. 50 ff.), was auch im heutigen Diskurs herausgestellt wird (vgl. Apelt 2016, S. 17).

In Bezug auf Parsons’ Unterscheidung von Organisationen nach dem AGIL-Schema gelten Schulen als „[p]attern-maintenance organizations“ (Parsons 1956b, S. 229, H. i. O.; allgemeiner Lahusen und Stark 2010, S. 168, 183). Ziel und Output der Organisation sind demnach darauf ausgerichtet, kulturelle, v. a. normativkulturelle, Muster der Gesellschaft – also solche (normativ)kulturellen Aspekte, die die Identität der Gesellschaft im Verhältnis zur Umwelt kennzeichnen – zu reorganisieren (vgl. Lidz 2011, S. 528 f.).Footnote 2 Dies umfasst sowohl einen Erhalt der Muster, sodass Schule z. B. einen ‚feststehenden‘ Komplex gesellschaftlicher Werte an die Schüler*innen weiterzugeben beabsichtigt, als auch Veränderung und Innovation dieser Muster.

Während also normative Kultur aus Sicht von Parsons für alle Organisationen als Sozialsysteme einen wichtigen Bezugspunkt für deren Analyse darstellt, steigert sich ihre Relevanz bei Schule, weil normative Kultur zugleich Ziel, Funktion und Output der Organisation kennzeichnet, was bei anderen Organisationen nicht der Fall ist (ähnlich Morrill 2008, S. 26; Lahusen und Stark 2010, S. 182 ff.; Walgenbach 2019, S. 307 ff.). Dies unterstreicht das Anliegen des Beitrages, gerade den normativkulturellen Strang von Parsons’ Organisationstheorie in den Fokus zu rücken. Analog dazu ist die Verknüpfung zwischen Schule und Gesellschaft, die Parsons für Organisationen allgemein formuliert hatte, im Fall der Schule enger; Drepper und Tacke (2012, S. 207) sprechen analog von einer „Souveränitätsabhängigkeit“ (H. i. O.) der Schule.

Es deutete sich bereits an, dass die Kultur einer Gesellschaft, mit der die Organisation Schule befasst ist, verschiedene Aspekte beinhaltet. Neben normativer Kultur umfasst die Kultur einer Gesellschaft z. B. bestimmte Wissensbestände bzw. Wissenschaften oder Sinnsysteme wie Religion (vgl. Münch 2004, S. 58 f.; Parsons und White 2016, S. 260). Die in der Organisation Schule stattfindende Auseinandersetzung mit gesellschaftlicher Kultur ist demnach eine doppelte (vgl. Parsons 1959, S. 303, 1976, S. 215; Parsons und Platt 1973, S. 165; Drepper und Tacke 2012, S. 222; Parsons und White 2016, S. 166): Einerseits findet eine Auseinandersetzung mit normativer Kultur statt, was sich mit Parsons und Platt (1970, S. 32) als Sozialisation bezeichnen lässt (vgl. auch Münch 2004, S. 61), andererseits mit der skizzierten nicht-normativen Kultur, was mit Parsons (1970, S. 201) als Bildung („education“; zum Teil auch „cognitive learning“ (Parsons und Platt 1973, S. 149, 165)) bezeichnet werden kann. Da Sozialisation jedoch eine klare Vorrangstellung in Bezug auf die gesellschaftliche Ordnung hat, müsste konsequenterweise von Schule als Sozialisations- und nicht als Bildungsorganisation gesprochen werden.Footnote 3

Für die gegenwärtige deutsche, etwas allgemeiner die moderne westliche Schule lassen sich aufbauend auf Parsons zwei konkrete Werte nennen,Footnote 4 auf die Schule als pattern-maintenance organization ausgerichtet ist: universalistisch bewertete Leistung (vgl. Parsons 1959, S. 308 ff.) und kognitive Rationalität (vgl. Parsons und Platt 1970, S. 14). Beide Werte sind Teil der normativen Kultur der Gesellschaft (man denke an Meritokratie (vgl. Nerowski 2015, S. 238) oder das Schlagwort der Wissensgesellschaft) und zugleich der Organisation Schule (man denke an Zensuren, Prüfungen oder Abschlüsse sowie an die Fachinhalte).

Sowohl für die Schule als auch ihre Umwelt lässt sich die Relevanz der beiden Werte hier nur verkürzt skizzieren. Beide Werte sind weder in allen Teilen der gesellschaftlichen Umwelt noch in allen Teilen der Schule gleichförmig institutionalisiert. Vielmehr ist von einer heterogenen Institutionalisierung auszugehen. So sind beide Werte in der Gesellschaft – die sich als ein Netz an Sub(sub…)systemen, Kollektiven, Rollen und Organisationen, an differenzierten wie segmentierten gesellschaftlichen Einheiten verstehen lässt, die jeweils von aufeinander bezogener, aber auch spezifischer normativer Kultur gekennzeichnet sind (vgl. Parsons 1976, S. 184 ff., 210 f.; ähnlich Hatch und Cunliffe 2013, S. 61 ff.) – in bestimmten Subsystemen oder Organisationen relevanter als in anderen. Beispielsweise spielen Leistung(sbewertung) und Universalismus in der Familie kaum eine Rolle; im politischen System steht kognitive Rationalität in Spannung mit anderen Werten.

In der Schule – ebenfalls ein komplexes Gebilde, das aus verschiedenen Subsystemen, Akteursgruppen und Rollen besteht – unterscheidet sich die Relevanz beider Werte in analoger Weise, etwa nach Schulstufe, nach Fach oder nach konkreter Einzelschule, sodass einzelne Aspekte der normativen Kultur der Schule in den verschiedenen Teilen der Schule je spezifisch institutionalisiert sind. Die Orientierung der Schule an diesen beiden Werten eröffnet vielfältige Anschlussfragen, etwa ob Unterricht den Anspruch an kognitiv rational ausgerichteter Interaktion einlösen kann, wenn man an die strukturelle Asymmetrie zwischen Schüler*innen und Lehrpersonen denkt, die einem offenen argumentativen Diskurs entgegenstehen kann. Es stellen sich in diesem Sinne auch Fragen nach Widersprüchen zwischen beiden Werten, etwa wie sich die permanente Leistungsbewertung auf die Auseinandersetzung mit Gegenständen auswirkt.

Insgesamt interpenetrieren somit Schule bzw. bestimmte Teile von Schule mit der Gesellschaft bzw. bestimmten Teilen der Gesellschaft im Hinblick auf diese beiden Werte. Beispielsweise interpenetrieren Schule und Hochschule hinsichtlich des Wertes der kognitiven Rationalität, Schule und Beschäftigungssystem mit Blick auf Leistung bzw. Meritokratie oder Schule und Rechtssystem in Bezug auf Universalismus. Auch hier sind Anschlussfragen denkbar, etwa inwiefern kognitive Rationalität in Schule und Universität in unterschiedlicher Art und unterschiedlichem Maße zur Geltung kommt.

Die Interpenetration zwischen Schule und gesellschaftlicher Umwelt ist Grundlage dafür, dass Schule ihre Funktion der Sozialisation mit Blick auf diese beiden Werte erfüllen kann, bei der Schüler*innen v. a. implizit mit diesen Werten konfrontiert werden. Denn wären andere Werte Gegenstand schulischer Sozialisation, also solche, die in bestimmten Teilen der Gesellschaft weniger relevant sind, könnte nicht von einer Funktion für die Gesellschaft gesprochen werden.

Wie einleitend angedeutet lässt sich mit Parsons’ normativem Funktionalismus auch das Verhältnis von Organisation zur Profession analysieren, im Fall der Schule zur Lehrer*innenprofession (vgl. Drepper und Tacke 2012, S. 214). Professionen zeichnen sich bei Parsons u. a. durch eine Verpflichtung auf den Wert der kognitiven Rationalität aus (vgl. Parsons 1968b, S. 536). Das Wissen von Professionellen ist breiter, tiefer oder fundierter als bei anderen Berufsgruppen. Somit ergibt es sich, dass sowohl die Schule als Organisation als auch die sie tragende Profession an kognitive Rationalität gebunden ist, sodass sie – wie die Universität, die u. a. Ort der Bildung von Professionellen ist (vgl. Parsons 1971, S. 489 f.; Parsons und Platt 1973, S. 26, 225 ff.) – als „Treuhänder kognitiver Rationalität“ (Wenzel 2005, S. 52) verstanden werden können. Diese Parallelität untermauert den Beitrag der Organisation Schule zur Reorganisation des Wertes der kognitiven Rationalität in der Gesellschaft. Anders ausgedrückt stünde es zu vermuten, dass dieser Output der Schule schwieriger zu erzielen wäre, wenn die zentralen Akteur*innen der Organisation Schule keine Professionellen wären, weil dann das Verhältnis von normativer Kultur der Profession und der Organisation brüchiger würde.

5 Schulische Inklusion, Leistungsuniversalismus und kognitive Rationalität

Am Beispiel von Inklusion soll im Folgenden der Erkenntnisgehalt von Parsons’ normativfunktionalistischer Theorie der Schule als Bildungs- bzw. Sozialisationsorganisation näher diskutiert werden. Eine Klärung, was der vielschichtige und unterschiedlich gebrauchte Begriff der Inklusion meint (vgl. z. B. Grosche 2015; Tervooren 2017, S. 16), kann zu diesem Zweck sehr knapp und selektiv ausfallen. Es genügt, die zentrale juristische bzw. bildungspolitische Bedeutung des Begriffs zum Ausgangspunkt zu nehmen, wie sie in der UN-Behindertenrechtskonvention, den Schulgesetzen und weiteren Rechtsnormen zum Ausdruck kommt. Einerseits (vgl. z. B. Art. 24 UN-BRK 2018; § 2 (5) SchulG NRW 2021) bezieht sich Inklusion in einem engen Sinne (zum Teil als Integration bezeichnet) auf gemeinsame Schulen und gemeinsamen Unterricht von Schüler*innen mit und ohne Förderbedarf bzw. Behinderungen und andererseits (vgl. § 1 (1) und § 2 (4) SchulG NRW 2021) im weiten Sinne auf die individuelle Förderung aller Schüler*innen (vgl. Grosche 2015, S. 23 f.; Tervooren 2017, S. 11; Heimlich 2019, S. 15 f.).

Inklusion ist so betrachtet zunächst eine politisch-juristische Normierung, die an Schulen als Organisationen ‚von außen‘ herangetragen wird; dies ließe sich neoinstitutionalistisch (vgl. Schreyögg und Geiger 2016, S. 476 ff.) als (neue) institutionalisierte Erwartung bezeichnen. Anders formuliert sollen die normativkulturellen Dimensionen von Inklusion zum Gegenstand von Interpenetration werden. Das heißt, Schule soll den entsprechenden normativkulturellen Gehalt von Inklusion institutionalisieren, sie soll mit bestimmten Teilen der gesellschaftlichen Umwelt – formal gesehen vor allem mit dem Rechtssystem, inhaltlich gesehen z. B. mit (pädagogischen) Interessenverbänden – interpenetrieren.

Mit Parsons’ Theorie rückt nun die Frage in den Vordergrund, wie sich Inklusion zur normativen Kultur von Schule verhält, für die, wie in Abschn. 4 erläutert wurde, kognitive Rationalität sowie Leistung und Universalismus zentral sind. Besonders virulent ist hierbei der letztgenannte Wert. Inklusion ist einerseits eine Verstärkung des schulischen Universalismus, insofern die gleichen Schulen bzw. der gleiche Unterricht für alle offenstehen. Umfassende Teilhabe und gleichberechtigte Partizipation, wie sie im Inklusionsdiskurs gefordert werden (vgl. Heimlich 2019, S. 17, 24 f.; ähnlich Aretz und Hansen 2003, S. 10), lassen sich in diesem Sinne als Forderung nach einer Ausweitung von Universalismus verstehen, der in der Schule bereits angelegt ist. Andererseits steht der schulische Universalismus in Spannung mit Inklusion (vgl. Schuck 2014, S. 172; Bender und Dietrich 2019, S. 28), wenn bestimmten Schüler*innen eine besondere Unterstützung zugesprochen wird (vgl. Art. 24 (2) d und e UN-BRK 2018) und bestimmte Schüler*innen Nachteilsausgleiche in der Leistungsbewertung erhalten (vgl. § 6 (9) APO-S I NRW 2021). In Verbindung damit ist ferner von einer Spannung zwischen Leistung und Inklusion auszugehen. Zwar muss Leistung an sich je nach Begriffsverständnis nicht in Spannung zu Inklusion stehen – Anstrengung oder Aktivität in der Auseinandersetzung mit Gegenständen sind auch im inklusiven Unterricht angestrebt (vgl. Schuck 2014, S. 170) –, eine Spannung liegt jedoch dann vor, wenn die Bewertung von Leistung auf Basis gleicher Standards erfolgt und eine Sortierung, Klassifizierung, Selektion usw. der Schüler*innen impliziert (vgl. Wischer und Trautmann 2013, S. 28; Nerowski 2015, S. 239).

Mit Parsons’ Theorie lassen sich diese Spannungen, die hier analytisch und wertfrei formuliert werden, noch differenzierter betrachten. Instruktiv ist dabei zunächst, die gesellschaftliche Umwelt der Schule, wie bereits in Abschn. 4 geschehen, nicht als monolithischen Block anzusehen, sondern als differenzierten Komplex, der aus verschiedenen Organisationen und Subsystemen besteht. Neben dem bereits angedeuteten Rechtssystem beinhaltet diese z. B. das wirtschaftliche Beschäftigungssystem. Besonders für dieses, aber auch für die Gesellschaft insgesamt haben Universalismus und Leistung im Sinne von Meritokratie eine zentrale Bedeutung, weil Positionen, Einkommen usw. von Leistung (z. B. der erworbenen Bildung) abhängen sollen – wie im Fall der schulischen Meritokratie ist dies jedoch ebenfalls eher ein Ideal als eine Realbeschreibung (vgl. Becker und Hadjar 2017, S. 44 ff.). Inklusion bringt daher nicht nur für die Schule eine Spannung zu Universalismus bzw. Leistung mit sich, sondern auch für das Beschäftigungssystem und andere Teile der schulischen Umwelt. Für den Umgang der Schule mit dieser Spannung ist dies höchst relevant. Wenn die auf Meritokratie zielende Sozialisation der Schule auf einer Interpenetration zwischen Schule und Umwelt, v. a. Beschäftigungssystem, fußt, die sich auf diesen Wert bezieht, kann Schule Universalismus und Leistung als Teil ihrer normativen Kultur nicht ohne Weiteres so reorganisieren, dass es nicht mehr zu einer Spannung mit Inklusion kommt, weil dies dann in Konflikt mit der Sozialisation bzw. der außerschulischen Meritokratie gerät. Daher müsste in- und außerhalb der Schule eine gleichartige Reorganisation der normativen Kultur stattfinden.

Dieser Gedanke lässt sich verallgemeinern. Da Inklusion eine Veränderung ist, die die gesamte Gesellschaft betrifft (vgl. Heimlich 2019, S. 13 ff.), kann Schule, auch wenn sie selbst inklusiv operiert, nicht allein „die notwendigen inklusiven Haltungen befördern“ (Tervooren 2017, S. 11). Inklusion muss in der Schule und ihrer Umwelt ‚parallel‘ institutionalisiert sein, weil nur so eine entsprechende Sozialisation möglich ist. Dies führt letztlich zurück zu Parsons’ Frage nach sozialer Ordnung, die aus seiner Sicht von gemeinsam geteilter normativer Kultur abhängt, also von einer gewissen normativkulturellen Interpenetration aller Teile der Gesellschaft. Inklusion wäre aus dieser Perspektive ein Beispiel für einen Wert, der noch kein gemeinsam geteilter Wert ist.

Bezüglich des zweiten aus Parsons’ Sicht zentralen Wert, kognitive Rationalität, scheint Inklusion keine Spannungen zu induzieren, solange inklusiver Unterricht bedeutet, dass sich Schüler*innen, wenn auch in individualisierter Weise, so mit bestimmten Gegenständen befassen, dass in den Gegenständen wie der Auseinandersetzung ein Bezug zu einer Orientierung an Objektivität, Wahrheit, Logik usw. erkennbar ist. Inhalte, Lerngegenstände und Stoffe sind in jedem Fall weiterhin relevant (vgl. Schuck 2014, S. 170).

Es ließe sich nun analysieren, welche weiteren Aspekte die normative Kultur der Organisation Schule beinhaltet und wie sich diese zu Inklusion verhalten. Aus einer bildungspolitischen oder gestaltungsorientierten Perspektive ergibt sich sodann die Möglichkeit oder Notwendigkeit zu klären, worin aus Sicht der Gesellschaft das Ziel und der Output der Organisation Schule bestehen sollte. Je nachdem, wie die Antwort ausfällt, ob Schule also einen Ort der kognitiv rationalen Auseinandersetzung mit der Welt oder einen Ort des Erlernens universalistischer Regeln oder … darstellen soll, ergeben sich Möglichkeiten zur expliziten Neujustierung der normativen Kultur von Schule und des Verhältnisses zu Inklusion, wiewohl dies nicht automatisch mit einer realen Veränderung der normativen Kultur von Schule und der schulischen Praxis einhergeht.

Bisher stand bei der auf Parsons’ Konzept der normativen Kultur gründenden Analyse von Inklusion das Verhältnis der Organisation Schule zu ihrer Umwelt im Fokus. Doch auch für das Verhältnis von Organisation und Akteur*innen ist Parsons’ Ansatz instruktiv. Wie einleitend umrissen sind einzelne Akteur*innen von individueller, internalisierter normativer Kultur gekennzeichnet. So wie daher allgemein danach gefragt werden kann, wie sich die normative Kultur der Akteur*innen oder von Akteursgruppen zur normativen Kultur einer Organisation verhält, ist dies in Bezug auf Inklusion möglich. Anschlussfähig daran sind Befunde, dass inklusive Haltungen der Professionellen bedeutsam sind, aber nicht einfach verordnet werden können (vgl. Wischer und Trautmann 2013, S. 30 f.; Heimlich 2019, S. 48, 256).

6 Fazit und Implikationen für die Praxis

Der vorliegende Beitrag greift sowohl aus Parsons’ allgemeiner Theorie und seiner Organisationstheorie als auch aus dem Diskurs über Inklusion und die mit ihr einhergehenden Spannungen selektiv den Aspekt der normativen Kultur heraus. Er entfaltet erstmals systematisch und explizit die normativfunktionalistische Analyse von Organisationen nach Parsons, die danach fragt, von welcher normativer Kultur Organisationen geprägt sind und wie sich die normative Kultur der Organisation, von einzelnen Akteur*innen, Gruppen von Akteur*innen oder Teilen der Organisation zueinander und zur Umwelt bzw. verschiedenen Teilen der Umwelt verhalten. Damit bietet Parsons einen mehrebenenanalytischen Zugang zur Analyse von Organisationen an, der offen nach normativkulturellen Zusammenhängen zwischen Akteur*innen, Organisation und Umwelt fragt, ohne von einer Determination individuellen oder organisationalen Handelns auszugehen, wie es Parsons z. T. vorgeworfen wird.

Dieser normativfunktionalistische Blick auf Organisationen ist für die Analyse des Verhältnisses zwischen Akteur*innen, Organisation und Umwelt erkenntnisreich, weil er, wie das Beispiel Inklusion zeigt, (implizite) Spannungen und Probleme im Umgang mit oder in der Umsetzung von Inklusion aufdeckt. Demzufolge ist eine Veränderung der schulischen Realität in Richtung einer inklusiven Schule nicht durch die Schule allein möglich, sondern hängt von einer Veränderung der schulischen Umwelt ab (ähnlich Aretz und Hansen 2003, S. 33) – ebenso wie von den an der Organisation Schule beteiligten Akteur*innen. Schärft der selektive Fokus auf die normative Kultur bestimmte Aspekte in der Analyse, bleiben andere Aspekte außen vor. Fragen der Ressourcen etwa, die im Kontext von Inklusion angesprochen werden (vgl. Heimlich 2019, S. 48), können mit Parsons’ normativfunktionalistischer Perspektive nicht eingefangen werden.

Die Erkenntnisse, die diese Perspektive für die Organisationstheorie und die Praxis in Organisationen, auch unabhängig von Inklusion und Schule, liefert, lassen sich gut vor dem Hintergrund des Konzepts der Organisations- bzw. Unternehmenskultur zusammenfassen. Parsons’ normative Kultur bietet gegenüber der Organisationskultur den Vorteil, das, was normative Kultur und Organisationskultur im Kern sind (vgl. Morrill 2008, S. 24; Hatch und Cunliffe 2013, S. 160) – Handlungsstandards – nicht als rein organisationsinternes Phänomen zu fassen (vgl. Schreyögg und Geiger 2016, S. 317 f.). Stattdessen wird dies generalisiert auf Organisation, Umwelt und Akteur*innen bezogen, wobei letzteres auch bedeutet, dass nicht von einem rein kollektiven Phänomen ausgegangen wird (vgl. Schreyögg und Geiger 2016, S. 319). Damit gerät die normativkulturelle Verwobenheit von Organisationen und ihrer Umwelt sowie die Notwendigkeit, diese Verwobenheit mitzubedenken (vgl. Wischer und Trautmann 2013, S. 26 ff.), stärker in den Blick, obgleich diese im Konzept der Organisationskultur ebenfalls angesprochen wird (vgl. Hatch und Cunliffe 2013, S. 163; Schreyögg und Geiger 2016, S. 337 ff.). Für die Praxis von Organisationen führt dies zu der allgemeinen Frage, welche Handlungsstandards in welcher Weise von der Umwelt mitbestimmt und damit (nicht) veränderbar sind. Im Fall der schulischen Inklusion zeigt sich etwa, dass Universalismus und Leistung von bestimmten Teilen der gesellschaftlichen Umwelt mitbestimmt sowie z. T. juristisch normiert sind und Schule diese nicht ohne Weiteres verändern kann. Auf der anderen Seite wird damit der Blick für realistische Gestaltungsspielräume geschärft, etwa hinsichtlich der Fragen, welchen Raum Leistungssituationen überhaupt einnehmen und wie (universalistische) Bewertungsstandards kommuniziert, expliziert und inszeniert werden.

Ein damit verbundener weiterer Vorzug im Vergleich zum Konzept der Organisationskultur kann darin gesehen werden, dass die Bestandteile der Kultur weniger auf organisationsinterne Fragen beschränkt sind (Hierarchien, Autonomie, Fehlerkultur u. Ä.; vgl. Hatch und Cunliffe 2013, S. 164 ff.; Schreyögg und Geiger 2016, S. 327 ff.). Man könnte dies als eine Akzentverschiebung von Handlungsstandards des Wie? (Wie wird in Organisationen gehandelt?) zu Handlungsstandards des Was? (Was ist Ziel, Kern, Inhalt oder Identität des organisationalen Handelns?) beschreiben, mit der andere Bestandteile von Kultur in den Blick kommen. Die Werte der kognitiven Rationalität und der universalistischen Leistungsbewertung sind hierfür ein Beispiel.

Parallel zur Organisationskultur rückt Parsons’ Organisationstheorie mit den Konzepten der normativen Kultur und der Sozialisation implizite Strukturen und Prozesse in den Fokus, also solche, die den beteiligten Akteur*innen eher verborgen sind (vgl. Schreyögg und Geiger 2016, S. 319). Beobachter*innen wie beteiligte Akteur*innen erhalten demnach ein Suchschema in der Analyse und Reflexion einer Organisation, sich das Implizite von Organisationen explizit bewusst zu machen. Dies bietet z. B. Potenziale für die Erklärung von Konflikten zwischen Einzel-Akteur*innen oder verschiedenen Bereichen einer Organisation, wie es in ähnlicher Weise mit dem Konzept der Subkultur möglich ist (vgl. Hatch und Cunliffe 2013, S. 159; Schreyögg und Geiger 2016, S. 333 ff.). Hinsichtlich Inklusion lässt sich zum Beispiel nach impliziten Vorstellungen von Gleichheit und Ungleichheit fragen, die sich zwischen Einzel-Akteur*innen, zwischen Akteursgruppen wie Lehrpersonen und Eltern oder zwischen den verschiedenen Professionen unterscheiden können.

Im Vergleich zum Konzept der Unternehmens- oder Organisationskultur eröffnet Parsons’ normativfunktionalistische Organisationstheorie somit einige Akzentverschiebungen, obgleich ebenfalls deutliche Parallelen bestehen (vgl. Morrill 2008, S. 21; Lahusen und Stark 2010, S. 171, 178 f.). Ähnlich verhält es sich mit Blick auf neoinstitutionalistische Organisationstheorien (vgl. Drepper und Tacke 2012, S. 211; Powell 2016, S. 681 ff.). Während beide Organisationstheorien Normen, Ideale oder Werte zentral setzen, lassen sich mit der normativfunktionalistischen Perspektive die Spezifik von Organisationen wie der Schule, in denen auch Ziel und Funktion der Organisation auf Normen, Ideale usw. gerichtet sind, und damit auch die von Inklusion induzierten Spannungen detaillierter herausarbeiten. Powell (2016, S. 683) etwa erklärt Schwierigkeiten in der Realisierung von Inklusion in Folge bestimmter normativer Ideen wie „Behinderungsparadigmen“, „kulturelle[n] Leitideen […] in Bezug auf Bildung“ oder „Gleichheitsprinzipien“, die Bildungssysteme prägen. Die Funktion der Sozialisation, die Schule für die Gesellschaft erfüllt, droht dabei jedoch vernachlässigt zu werden. Aus dieser Perspektive wäre zu präzisieren, dass die bei Powell genannten Aspekte in der Weise eine Veränderung in Richtung Inklusion erfahren müssten, dass zwischen Schule selbst, entsprechenden Teilen der Umwelt und der Funktion der Sozialisation eine Konsistenz in Bezug auf die normative Kultur besteht. Parsons’ Organisationstheorie geht demnach stärker als neoinstitutionalistische Ansätze (vgl. Walgenbach 2019, S. 332, 334) von einem Wechselspiel zwischen Organisation und gesellschaftlicher Umwelt aus. Zwar ist die Organisation von der gesellschaftlichen normativen Kultur geprägt, doch bestimmte Organisationen reorganisieren auch die gesellschaftliche normative Kultur, was zur eher vernachlässigten Frage führt, inwiefern Organisationen ihre Umwelt verändern (vgl. Stern und Barley 1996, S. 149, 152).

Selbst wenn mit diesen Akzentverschiebungen noch kein exklusiver inhaltlicher Mehrwert von Parsons’ Organisationstheorie gegenüber anderen Organisationstheorien herausgestellt sein sollte, so bringt der vorliegende Beitrag einen Mehrwert in der Diskussion um Parsons zum Ausdruck. Denn er verweist auf bestimmte Parallelen zu anderen Organisationstheorien, die Anlass sein sollten, die eingangs festgestellte Vernachlässigung von Parsons zu überdenken und die aktuelle Anschlussfähigkeit von Parsons’ Organisationstheorie sowie seine inhaltlichen Potenziale genauer auszuloten. Ferner ist solch eine Aufarbeitung der Parallelen zu Parsons relevant, wenn damit Kritik an Parsons neu sondiert werden kann. So wird Parsons’ Theorie vorgeworfen, dass sie Spannungen und Widersprüche nicht zu analysieren vermag (vgl. Joas und Knöbl 2011, S. 140). Am Beispiel Inklusion zeigt sich, dass dies nicht zutrifft.

Inklusion berührt nicht nur die Organisation Schule, sondern auch andere Organisationen und andere Teile der Gesellschaft. Parallel zu den bisherigen Ausführungen kann hier gefragt werden, ob bei der Realisierung von Inklusion, beispielsweise bei der Frage, wie Einstellungen oder Beförderungen in einem Unternehmen geregelt sind, Spannungen zu bestehenden Handlungsstandards der Organisation auftreten, was eventuelle Realisierungsprobleme erklären kann. Dies kann eine Entlastung für Akteur*innen darstellen, weil bestimmte Probleme nicht im Handeln einzelner Akteur*innen zu verorten sind und damit entindividualisiert werden. Weiterhin lässt sich analog fragen, ob Realisierungsprobleme dadurch zu erklären sind, dass eine Spannung zu normativen Kulturen anderer Teile der Umwelt bestehen. Wie im Fall der Schule dürfte es z. B. schwierig sein, Inklusion in einem Unternehmen zu realisieren, wenn andere Unternehmen und Organisationen an universalistischen Leistungsstandards orientiert sind oder Heterogenität in Fähigkeiten und Leistungserbringung nicht wertschätzen.

Inklusion ist bei alldem ein Beispiel für die allgemeinere Frage nach dem Verhältnis von Organisation und (veränderten) Umweltanforderungen. Hierbei können sich Organisationen fragen, inwiefern bestimmte Anforderungen von ihnen alleine nicht realisierbar sind, demnach zurückgewiesen werden müssen. In der Folge können sie darauf hinwirken, die Anforderungen zusammen mit bestimmten Teilen ihrer Umwelt, von denen die Realisierung der Anforderungen abhängt, zu erfüllen. Für die Veränderung bestimmter organisationaler wie individueller Normen und Werte in Bezug auf Inklusion, Heterogenität und (Un‑)Gleichheit könnte beispielsweise ihre explizite Thematisierung auf einer übergeordneten Ebene, über mehrere Organisationen hinweg, etwa in Berufsverbänden, hilfreich sein, um normativkulturelle Brüche zwischen einer inklusiv orientierten Organisation und ihrer Umwelt zu bearbeiten.

Insgesamt zeigt sich, dass es lohnenswert ist, einen normativfunktionalistischen Blick auf Organisationen und auf aktuelle Herausforderungen und Veränderungen, mit denen Organisationen konfrontiert sind, einzunehmen. Für die Praxis in Organisationen eröffnet diese Perspektive eine Reihe von Reflexionsfragen. Für die Analyse von Organisationen, besonders solcher wie der Schule, die stark mit der gesellschaftlichen normativen Kultur verbunden sind, deckt sie Spannungen auf und erklärt bestimmte Probleme.