1 Einleitung

In Europa liegt Deutschland auf dem ersten Platz als Ziel für Migrierende (Bundesministerium des Innern und für Heimat 2022). Neben Arbeitsmigration zählt vor allem Fluchtzuwanderung zu den wichtigsten Migrationsformen (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge 2023). Für die Integration in alle gesellschaftlichen Lebensbereiche von Zugewanderten stellt insbesondere Bildungsintegration eine Grundvoraussetzung dar, weil gerade in Deutschland der Erwerb von Bildungszertifikaten eng mit späteren Erwerbschancen verknüpft ist. „Integration durch Bildung“ ist ein ausgewiesenes Ziel der deutschen Bildungspolitik (Kultusministerkonferenz 2016) und rückt damit besonders schulpflichtige Zugewanderte in den Fokus. Im Vergleich zu anderen Heranwachsenden der ersten Zuwanderergeneration bestehen jedoch spezifische Herausforderungen für die Integration schulpflichtiger GeflüchteterFootnote 1 ins Bildungssystem. Fluchtspezifische Merkmale, wie unfreiwillige Migration, Traumata, unterbrochene Schullaufbahnen, unvollständige Familien im Aufnahmeland und Unterbringungsbedingungen, können den Schulerfolg in besonderem Maß negativ beeinflussen (Sirin und Rogers-Sirin 2015; El-Mafaalani und Massumi 2019).

Zwar sind Bildungserfolge und -ungleichheiten für die erste Zuwanderergeneration in Deutschland relativ gut erforscht, jedoch ist die Bildungsintegration von geflüchteten Jugendlichen, die derzeit die größte Gruppe innerhalb der ersten Generation stellen, insbesondere anhand des Kompetenzerwerbs in verschiedenen Schulfächern bisher noch unzureichend betrachtet worden. Bisherige Studien konnten zeigen, dass Geflüchtete, die zwischen 2014 und 2018 nach Deutschland gekommen sind, nicht nur im Vergleich zur Mehrheitsbevölkerung geringere Kompetenzen in Mathematik und den Naturwissenschaften erreichen, sondern auch verglichen mit zugewanderten Jugendlichen der ersten Generation ohne Fluchterfahrung (Schipolowski et al. 2021). Der Erwerb mathematischer und naturwissenschaftlicher Kompetenzen als Teil der schulischen Grundbildung ist für die strukturelle Integration von Zugewanderten hoch bedeutsam. Rund 80 % der Arbeitsplätze in Deutschland setzen allgemein-mathematische Kenntnisse voraus, hohe mathematische Kompetenzen gehen mit höheren Einkommen einher und durch die fortschreitende Digitalisierung gewinnen Fächer der Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik (MINT) und damit der Besitz mathematischer und naturwissenschaftlicher Kompetenzen immer stärker an Bedeutung (Rammstedt 2013).

Der Erwerb mathematischer und naturwissenschaftlicher Kompetenzen hängt unter anderem von unterschiedlichen Lern- und Entwicklungsmilieus ab, z. B. durch die nach Schulformen differenzierten Curricula. Zu diesen Lern- und Entwicklungsmilieus gehören insbesondere die Lerngelegenheiten im schulischen Umfeld, die durch die Zusammensetzung der Schulklassen mitgeprägt sind (vgl. Baumert et al. 2006). Diese sogenannten Kompositionseffekte werden in der Forschung bereits seit den 1960er-Jahren untersucht (Coleman et al. 1966) und zeigen, auch für Deutschland, dass individuelle Unterschiede in den schulischen Kompetenzen zwischen Schülerinnen und SchülernFootnote 2 unter anderem abhängig sind von der sozioökonomischen und zuwanderungsbezogenen Zusammensetzung der Schulen und Schulklassen – losgelöst von persönlichen Hintergrundmerkmalen (Übersicht vgl. Dumont et al. 2013).Footnote 3

Die Betrachtung von Kompositionseffekten in Bezug auf die mathematisch-naturwissenschaftliche KompetenzFootnote 4 von (selbst-)zugewanderten Jugendlichen mit und ohne Fluchtbiografie im deutschen Bildungssystem stellt bisher ein Forschungsdesiderat dar. So ist zwar bekannt, dass geflüchtete Schüler häufiger in weniger anspruchsvollen Schulformen eingeschult werden und dort auch verbleiben (Will et al. 2022); wie die Schulklassen, die sie im Regelbetrieb besuchen, sozial zusammengesetzt sind und ob sich die soziale Zusammensetzung der Schulklassen von Zugewanderten ohne Fluchtbiografie substanziell unterscheidet, ist bisher jedoch nicht bekannt. Generell gelten für Geflüchtete ähnliche Integrationsprozesse wie für andere Zugewanderte (Fitzgerald und Arar 2018; Kogan und Kalter 2020), sodass für geflüchtete Jugendliche die gleichen allgemeinen Annahmen zum Zusammenhang zwischen Kompositionseffekten und Kompetenzerwerb wie bei Zugewanderten ohne Fluchtbiografie gebildet werden können. Geflüchtete Heranwachsende sind zugleich ein Sonderfall, weil sie durch die Fluchterfahrung und Asylprozessregularien in Deutschland eine besonders vulnerable Gruppe darstellen. Diese flucht- und asylprozessspezifischen Faktoren prägen die Rahmenbedingungen für die Lernkontexte geflüchteter Jugendlicher. Die mit dem Asylprozess einhergehenden Wohnort- und Schulzuweisungen sowie mit Flucht zusammenhängende individuelle Voraussetzungen können dazu führen, dass sich geflüchtete Schüler in Schulklassen wiederfinden, die sich ungünstig auf ihren Kompetenzerwerb auswirken können. Da bei zugewanderten Heranwachsenden ohne Fluchtbiografie flucht- und asylprozessspezifische Faktoren keinen Einfluss haben, ist von divergierenden Rahmenbedingungen und damit von Unterschieden in der Schulklassenzusammensetzung für zugewanderte Schüler mit und ohne Fluchtbiografie auszugehen, die mit ungleichen Kompetenzen in Mathematik und den Naturwissenschaften einhergehen können.

In unserer Untersuchung analysieren wir zugewanderte Jugendliche der ersten Generation mit und ohne Fluchtbiografie in der neunten Schulklasse. Zum einen betrachten wir Geflüchtete, die zwischen 2014 und 2017 insbesondere aus Herkunftsländern wie Syrien, Afghanistan, Irak, Iran, Eritrea und Somalia nach Deutschland zugewandert sind. Für die geflüchteten Heranwachsenden aus der Ukraine, die ab Februar 2022 nach Deutschland gekommen sind, sind derzeit noch keine Daten aus repräsentativen Schulleistungsstudien verfügbar. Zum anderen ziehen wir Schüler der ersten Generation ohne Fluchtbiografie heran. Wir prüfen erstens, ob die soziale Komposition in den Schulklassen der zugewanderten Schüler mit und ohne Fluchtbiografie mit ihren individuellen Kompetenzen in Mathematik und Naturwissenschaften zusammenhängt. Die erste Forschungsfrage lautet entsprechend:

  1. 1.

    Welchen Zusammenhang gibt es zwischen der sozioökonomischen und ethno-lingualen Komposition von Schulklassen und individuellen Kompetenzen in Mathematik und den Naturwissenschaften von zugewanderten Schülerinnen und Schülern?

Zweitens prüfen wir, ob ungleiche Kompetenzstände der beiden Zuwanderergruppen teilweise auf einer unterschiedlichen sozialen Zusammensetzung der Schulklassen beruhen, die die beiden Gruppen besuchen. Die zweite Forschungsfrage lautet:

  1. 2.

    Inwieweit sind Unterschiede in mathematisch-naturwissenschaftlichen Kompetenzen zwischen zugewanderten Jugendlichen mit und ohne Fluchtbiografie durch die unterschiedliche soziale Zusammensetzung der besuchten Schulklassen vermittelt?

Zunächst wird die besondere Bildungssituation von geflüchteten Jugendlichen im Unterschied zu Heranwachsenden der ersten Generation ohne Fluchterfahrung beschrieben. Dies soll die ungleichen Rahmenbedingungen für die Lernkontexte von zugewanderten Jugendlichen mit und ohne Fluchtbiografie abbilden, die zu einer differenziellen sozialen Komposition ihrer Schulklassen beitragen können. Anschließend wird der Zusammenhang der sozioökonomischen und ethno-lingualen Schulklassenkomposition mit den individuellen Kompetenzen in Mathematik und den Naturwissenschaften theoretisch erläutert. Im Anschluss werden die möglichen Assoziationen mit dem mathematisch-naturwissenschaftlichen Kompetenzerwerb zwischen den beiden zugewanderten Schülergruppen spezifiziert. Nach Vorstellung der Stichprobe, der verwendeten Variablen und der angewandten Methoden werden die Hypothesen mit Mehrebenenanalysen überprüft. Dazu verwenden wir die repräsentativen Sekundärdaten des IQB-Bildungstrends 2018, erhoben durch das Institut für Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB), die die Analyse zugewanderter Neuntklässler im deutschen Schulsystem erlaubt. In der Erhebung aus dem Jahr 2018 wurden Kompetenzmessungen in Mathematik und den Naturwissenschaften durchgeführt. Diese wurden differenziert und vertiefend gemessen, sodass sie sich als zu untersuchende Variable eignen. Die im Bildungstrend erhobenen Deutschkenntnisse hingegen sind nur als Kontrollvariable in die Analysen miteinzubeziehen, da die Erhebung nicht mit der profunden Testung der Kompetenzen, die im Bildungstrend durchgeführt werden, zu vergleichen sind. Abschließend findet eine kritische Auseinandersetzung mit den Befunden, deren Implikationen und den zugrundeliegenden Daten statt.

2 Institutionelle Rahmenbedingungen und die Bildungssituation zugewanderter Jugendlicher mit und ohne Fluchtbiografie im deutschen Bildungssystem

Bereits vor der Zuwanderung ist ein Teil der jugendlichen Migrierenden mit Ereignissen konfrontiert, die Einfluss auf ihren Schulerfolg in Deutschland haben können. Geflüchtete gelten als unfreiwillig Migrierte, die aufgrund von Krieg, Verfolgung oder Misshandlungen ihr Herkunftsland häufig schnell verlassen müssen.Footnote 5 Entsprechend können geflüchtete Jugendliche sich weniger auf die Ankunft in Deutschland vorbereiten, weshalb sie in der Regel kaum Sprachkenntnisse in Deutsch aufweisen (Schipolowski et al. 2021). Dies ist ein wesentlicher Unterschied zu Jugendlichen der ersten Generation ohne Fluchtbiografie, die ihre Zuwanderung besser planen und so ggf. bei Ankunft in Deutschland schon erste Deutschkenntnisse aufweisen können. Geflüchtete Heranwachsende erwerben Deutschkompetenzen häufig erst in der Bundesrepublik, meist in speziellen Fördermaßnahmen, wie Sprachkursen oder besonderen Vorbereitungsklassen der Sekundarstufe. Insgesamt ist daher von geringeren Kenntnissen der deutschen Unterrichtssprache unter geflüchteten Schülern auszugehen (Schipolowski et al. 2021, S. 83), was ihnen erschweren kann, dem Unterricht zu folgen (Esser 2006). Hinzu kommt, dass geflüchtete Heranwachsende aus bestimmten Herkunftsländern aufgrund der dortigen instabilen politischen Situation und einer zum Teil zusammengebrochenen Bildungsinfrastruktur manchmal nur vereinzelt die Schule besuchen konnten (El-Mafaalani und Massumi 2019, S. 23 f.). Auch die häufig monatelange Flucht kann die Schulbildung unterbrochen haben. Zugewanderte Schüler ohne Fluchtbiografie stammen in der Regel aus Herkunftsländern, für die nicht anzunehmen ist, dass sich dortige Bildungssysteme in einer prekären Lage befinden (vgl. Statistisches Bundesamt 2023).

Mit der Zuweisung zu einer Kommune oder mit Beginn der Schulpflicht in Deutschland werden geflüchtete Jugendliche, je nach Bundesland oder Kommune (Emmerich et al. 2020), teilweise auch nach Kapazitäten in den Schulen, in sogenannten Neuzuwandererklassen unterrichtet. Als Seiteneinsteiger können auch Zugewanderte ohne Fluchtbiografie in diesen Klassen Deutschunterricht erhalten, wenn sie über geringere Deutschkenntnisse verfügen. Diese speziellen Schulklassen sollen insbesondere den Erwerb deutschsprachlicher Kenntnisse fördern und die neuzugewanderten Jugendlichen auf die Regelklassen, in welchen sie mit allen Schülern gemeinsam unterrichtet werden, vorbereiten. Die Jugendlichen in Neuzuwandererklassen werden, abhängig vom Bundesland, entweder ausschließlich oder zu Teilen in diesen Schulklassen beschult und gehen nach maximal zwei Jahren vollständig in Regelklassen über (Massumi und von Dewitz 2015). In der Sekundarstufe sind die Neuzuwandererklassen in vielen Bundesländern schulformabhängig und meist an weniger anspruchsvollen Schulformen angesiedelt (Will et al. 2022). Beim Wechsel von der Neuzuwanderer- in die Regelklasse ist für geflüchtete Jugendliche bekannt, dass sie eine erhöhte Wahrscheinlichkeit haben, an jenen Schulformen zu verbleiben (Emmerich et al. 2020). Auch beim Übergang von der Grundschule in die Sekundarstufe werden geflüchtete Jugendliche wahrscheinlicher Neuzuwanderer- oder Regelklassen an weniger anspruchsvollen als an anspruchsvolleren Schulformen zugewiesen (Emmerich et al. 2017; Karakayali et al. 2017).

Erwachsene Geflüchtete aus Syrien, Afghanistan und Irak sind bezogen auf ihren sozioökonomischen Status (SES) und Bildungsstand eine selektierte Gruppe (Spörlein und Kristen 65,66,a, b). Verglichen mit der Bevölkerung in ihrem Herkunftsland weisen sie eine durchschnittlich höhere Bildung auf, in Relation mit der Population in Deutschland sind sie diesbezüglich hingegen negativ selektiert. So ist der Anteil von Personen, der höchstens über eine Grundschulbildung verfügt, bei syrischen (erwachsenen) Geflüchteten neunmal und bei afghanischen neunzehnmal größer als bei der deutschen Referenzgruppe (Spörlein et al. 2020). Abhängig von ihrer Herkunftsregion können Zugewanderte, die im Kontext von Arbeitsmigration nach Deutschland gekommen sind, teilweise über höhere Bildungsstände verfügen, jedoch unterscheiden sich Geflüchtete und Arbeitsmigranten im Mittel kaum (Spörlein und Kristen 2019b). Da der Schulerfolg in Deutschland maßgeblich von der sozialen Herkunft abhängt (z. B. Wendt et al. 2020), kann es vor diesem Hintergrund generell zu Hürden für den Bildungserfolg bei zugewanderten Schülerinnen kommen.

Für geflüchtete Heranwachsende können die für sie geltenden institutionellen Regelungen bei der Unterbringung nach dem Kosten-der-Unterkunft-Prinzip (z. B. im SGB II oder Asylbewerberleistungsgesetz) Auswirkungen auf ihren Bildungserfolg haben. Geflüchtete werden vermehrt in Wohngebieten untergebracht, deren Anwohner durchschnittlich einen niedrigen SES aufweisen und/oder zugewandert sind. Die im Einzugsgebiet liegenden Schulen spiegeln entsprechend diesen durchschnittlich niedrigen SES oder die zuwanderungsbezogene Komposition der Nachbarschaft wider, sodass geflüchtete Jugendliche häufiger in Schulen und Schulklassen mit hohem Anteil Lernender aus zugewanderten Familien und niedriger sozioökonomischer Herkunft unterrichtet werden (vgl. Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2016). Zugewanderte ohne Fluchtbiografie unterliegen nicht den Asylprozessregularien und können ihren Wohnort frei wählen.

Ein Großteil der geflüchteten Jugendlichen, der zwischen 2014 und 2017 nach Deutschland zugewandert ist, wird bereits seit einiger Zeit im deutschen Bildungssystem unterrichtet. Die geflüchteten Schüler sind daher teilweise mit dem Schulsystem vertraut und verfügen über ein Grundniveau an Deutschkenntnissen. Jene geflüchteten Neuntklässler, die die Zielgruppe unserer Untersuchung darstellen, sind im Bildungssystem fortgeschritten und stehen, je nach besuchter Schulform, kurz vor ihrem ersten Schulabschluss. Insofern unterscheiden sich die schulischen Erfahrungen im Aufnahmeland dieser Heranwachsenden von den geflüchteten Schülern, die neu, z. B. infolge des Ukrainekriegs im Jahr 2022, im deutschen Bildungssystem angekommen sind. Für Schüler der ersten Generation ohne Fluchtbiografie kann jedoch angenommen werden, dass diese im Schnitt eine längere Aufenthaltsdauer aufweisen als geflüchtete Jugendliche. Der Eintrittszeitpunkt ins deutsche Bildungssystem (Kindergarten, Grundschule oder Sekundarstufe) kann entscheidenden Einfluss auf die sprachlichen Fähigkeiten und die Bildungsintegration haben, was bei Vergleichen von zugewanderten Schülern mit und ohne Fluchtbiografie mitbedacht werden muss. Der Anstieg der Fluchtzuwanderung in den Jahren 2015 und 2016 ist als Periodeneffekt zu verstehen, der spezifisch für geflüchtete Heranwachsende gilt, da diese vor allem zu diesem Zeitpunkt zugewandert sind. Zugewanderte der ersten Generation ohne Fluchtbiografie hingegen sind, z. B. im Kontext von Arbeits- oder Spätaussiedlermigration, über Jahre hinweg kontinuierlich nach Deutschland migriert, was als Erklärung für eine möglicherweise durchschnittlich längere Aufenthaltsdauer herangezogen werden kann.

Der Überblick zeigt, dass sich geflüchtete Lernende durch ihre Erfahrungen vor, während und nach der Flucht insgesamt in einer weniger günstigen Bildungssituation befinden als zugewanderte Heranwachsende ohne Fluchtbiografie. Schutzsuchende müssen im Gegensatz zu zugewanderten Jugendlichen ohne Fluchtbiografie Fluchterfahrungen verarbeiten und mit teilweise langen Wartezeiten bis zum Schulbeginn umgehen (Will et al. 2022). Außerdem stehen sie vor der großen Aufgabe, zügig Deutsch zu lernen, um Kompetenzen in den auf Deutsch unterrichteten Fächern erwerben zu können. Hinzu kommt, dass sie aufgrund von Unterbringungs- und Einschulungspraktiken der Kommunen oft Lernbedingungen vorfinden, die ihren Bildungserfolg zusätzlich erschweren können. Es ist anzunehmen, dass geflüchtete Jugendliche im Vergleich zu ihren zugewanderten Peers ohne Fluchtbiografie vermutlich häufiger in Schulklassen mit einer für den Bildungserfolg weniger förderlichen sozialen Komposition unterrichtet werden, weil sie in der Regel weniger anspruchsvollen Schulformen zugewiesen werden, die meist einen niedrigeren mittleren SES und hohen Anteil Jugendlicher mit nichtdeutscher Herkunftssprache aufweisen.

3 Allgemeine theoretische Annahmen zum Zusammenhang zwischen Schulklassenkomposition und individuellem Kompetenzerwerb

Individuelle Lernprozesse und Kompetenzen in Schulfächern können mit der Zusammensetzung der Schulklasse variieren (Rjosk et al. 2017). Merkmale auf Schulklassenebene sind demnach Ergebnis der Aggregation individueller Variablen der Schüler. Von Kompositionseffekten ist dann die Rede, wenn ein Merkmal auf Ebene der Schulklasse die individuellen Kompetenzen der Lernenden beeinflusst und dieser Einfluss über den Effekt desselben Merkmals auf individueller Ebene hinausgeht (Baumert et al. 2006; Harker und Tymms 2004; Raudenbush und Bryk 2002). Kompositionseffekte werden meist von Kontexteffekten unterschieden (Dryler 1999; Helbig 2010). Die soziale Zusammensetzung von Institutionen, wie z. B. Schulen oder Schulklassen, hängt von ihrer räumlich-sozialen Umgebung, z. B. der Nachbarschaft der Institutionen, ab (Friedrichs et al. 2003). Kompositionseffekte werden als kumulierte Individualmerkmale (z. B. SES) verstanden, bei denen Variationen in der abhängigen Variable (z. B. schulische Kompetenzen) allein auf die Rekrutierung von Individuen in eine Institution zurückgehen (Esser 1988). Kompetenzen würden demnach mit aggregierten Individualmerkmalen korrelieren, weil sich Jugendliche im sozioökonomischen Status zwischen Schulklassen systematisch unterscheiden, d. h., der Kompositionseffekt wäre Selektionseffekten geschuldet (Friedrichs und Nonnenmacher 2014). Kompositionseffekte sind „echte“ Kontexteffekte (Esser 1988, S. 46), wenn der Kompositionseffekt unter Kontrolle der Individualmerkmale stabil bleibt. In diesem Fall sind die Kompetenzen von Schülern nicht nur von ihren eigenen individuellen Voraussetzungen (Schülerebene) abhängig, sondern zusätzlich von der Zusammensetzung ihrer Schulklasse (Schulklassenebene), von der eigene und spezifische Wirkmechanismen ausgehen (z. B. Coleman et al. 1966; Dreeben und Barr 1988; Stanat et al. 2010). Dass mit der sozialen Komposition der Schulklasse eigene strukturelle Effekte verbunden sein können, die über die individuellen Merkmale hinausgehen und zusätzlichen Einfluss auf den individuellen Kompetenzstand haben können, ist darauf zurückzuführen, dass Schulklassenkontexte differenzielle Lern- und Entwicklungsmilieus darstellen (Baumert et al. 2006, S. 98). Kompositionseffekte können dadurch erklären, weshalb Jugendliche mit vergleichbaren individuellen Voraussetzungen (z. B. SES, Zuwanderungserfahrung oder kognitive Fähigkeiten) in verschiedenen Schulklassen unterschiedliche Kompetenzen aufweisen, selbst wenn auf der Schülerebene für diese individuellen Merkmale kontrolliert wird.

Die internationale Studienlage zu zuwanderungsbezogenen Kompositionseffekten in Schulklassen oder Schulen auf die individuellen Kompetenzen ist heterogen. Für Mathematikkompetenzen weist ein Teil der (Meta‑)Analysen auf eine kleine, signifikant negative Assoziation des Anteils Jugendlicher aus zugewanderten Familien hin (Mickelson et al. 2013; Rjosk et al. 2017). Andere wiederum finden für die mathematisch-naturwissenschaftlichen Kompetenzen keinen Zusammenhang mit der zuwanderungsbezogenen Schulklassenkomposition (Walter 2009). Für zugewanderte Schüler der ersten Generation deutet der Forschungsstand eher auf einen negativen Zusammenhang zwischen der zuwanderungsbezogenen Komposition der Schulklasse und den individuellen Kompetenzen oder dem allgemeinen Notenschnitt hin (Brandén et al. 2019; Fekjaer und Birkelund 2007; Szulkin und Jonsson 2007), auch unter Kontrolle der sozioökonomischen Zusammensetzung.

In Studien, die andere Merkmale der Schulklassenebene miteinbeziehen, bestätigt sich, dass es vor allem der Anteil Lernender nichtdeutscher Herkunftssprache ist, der den Zusammenhang zwischen dem Anteil Jugendlicher aus zugewanderten Familien und individuellen Kompetenzen erklärt (Seuring et al. 2020; Stanat et al. 2010). D. h., dass nicht die Zuwanderungserfahrung, sondern die nichtdeutsche Herkunftssprache ausschlaggebend für die negative Assoziation zwischen Komposition und individuellen (Lese‑)Kompetenzen ist. Andere Studien hingegen sehen den Zusammenhang durch die sozioökonomische Zusammensetzung der Schulklasse begründet (Walter 2009).

Der Forschungsstand zu Kompositionseffekten zeichnet insgesamt ein uneinheitliches Bild. Der Zusammenhang der sozioökonomischen und zuwanderungsbezogenen Zusammensetzung der Schulen/Klassen mit individuellen Kompetenzen unterscheidet sich je nach Studie. Als Gründe für divergierende Ergebnisse können Unterschiede in den untersuchten Kompetenzbereichen und in den verwendeten Kompositionsmerkmalen oder die unterschiedliche Konzeptualisierung zuwanderungsbezogener Komposition angeführt werden (vgl. Dumont et al. 2013, S. 164; Eksner und Stanat 2012, S. 319).

Im Folgenden werden die sozioökonomische sowie die ethno-linguale Komposition näher erläutert. Die sozioökonomische Komposition ist bedeutsam, da individuelle Kompetenzen maßgeblich vom familialen, sozioökonomischen Status abhängig sind (Boudon 1974) und aggregiert auf Schulklassenebene die kognitive Anregung im Unterricht beeinflussen können. Die ethno-linguale Komposition ist insbesondere für die untersuchte Gruppe geflüchteter Jugendlicher relevant, da sich diese noch im Prozess des Deutschlernens befinden. Die ethno-linguale Schulklassenkomposition kann diesen Prozess durch die Opportunitäten, (Esser 2006) Deutsch zu sprechen, beeinflussen, was ebenfalls mit dem Kompetenzerwerb assoziiert sein kann.

3.1 Sozioökonomische Komposition

In Schulklassen, in denen die Komposition im sozioökonomischen Status durchschnittlich niedriger ist, ist davon auszugehen, dass auch die mittleren kognitiven Fähigkeiten der Schüler niedriger ausfallen. Dies hängt mit der geringeren Ressourcenausstattung zusammen, die Jugendliche aus Familien mit niedriger sozialer Herkunft (SES und Bildungsstand der Herkunftsfamilie) durchschnittlich aufweisen. Eine niedrige soziale Herkunft ist mit geringeren finanziellen Mitteln und kulturellen Ressourcen assoziiert (vgl. Boudon 1974). So können Eltern mit geringer Bildung ihren Kindern meist weniger schulische Unterstützung bieten als Familien mit hoher Bildung. Auch zusätzliche kostenpflichtige Lernmaterialien oder Nachhilfe sind aufgrund des geringeren finanziellen Kapitals oft nicht möglich. Eine weniger günstige soziale Herkunft kann sich wiederum negativ auf die individuellen Kompetenzen der Kinder und Jugendlichen auswirken. Unter Kontrolle der individuellen Leistungen und sozialen Herkunft sollte die sozioökonomische Komposition jedoch einen zusätzlichen strukturellen Effekt entfalten: Wir nehmen an, dass die Lehrkraft auf die Voraussetzungen bzgl. der familialen Ressourcen ihrer Schülerschaft reagiert (vgl. Barr und Dreeben 1983), indem sie ihren Unterricht entsprechend didaktisch, organisatorisch und curricular anpasst (Esser 2021, S. 261 f.). Bei einem niedrigen mittleren SES in der Schulklasse ist zu erwarten, dass die Lehrkraft von niedrigeren Kompetenzen ihrer Schüler ausgeht, was sich auf das Verhalten der Lehrpersonen (z. B. Unterrichtsstil, Aufgabengestaltung) auswirken kann. Ein solch angepasster Unterricht kann ein weniger kognitiv anregendes Lernumfeld darstellen und einen negativen Einfluss auf die Kompetenzen der Lernenden in dieser Schulklasse haben. Die sozioökonomische Schulklassenkomposition kann somit, vermittelt über die mittleren Leistungen oder kognitiven Fähigkeiten der Schulklasse, zu einer Anpassung der Unterrichtsqualität durch die Lehrperson führen, was wiederum den individuellen Kompetenzerwerb in Mathematik und den Naturwissenschaften beeinflussen kann.

3.2 Ethno-linguale Komposition

Die empirische Forschung zeigt, dass neben der sozioökonomischen Zusammensetzung der Schulklasse auch die ethno-linguale Komposition Einfluss auf individuelle Kompetenzen haben kann (Seuring et al. 2020; Stanat et al. 2010). Unter ethno-lingualer Komposition verstehen wir die Zusammensetzung der Schülerschaft in einer Schulklasse, die auf der Herkunftssprache der Heranwachsenden beruht (vgl. Esser 2006, S. 295). Diese betrachten wir als zentral für den Kompetenzerwerb, da sie die deutschsprachlichen Fähigkeiten beeinflussen kann. Höhere Deutschkenntnisse haben einen positiven Einfluss auf den Kompetenzerwerb in allen auf Deutsch unterrichteten Schulfächern, unter anderem Mathematik und den naturwissenschaftlichen Fächern. Der konstruktivistischen Lerntheorie zufolge wird Wissen über die Kommunikation mit anderen Lernenden sowie über die Partizipation am Unterrichtsgeschehen erworben (Reusser 2001). Individuelle Sprachkenntnisse in der Unterrichtssprache sind demnach Voraussetzung für den Kompetenzerwerb in der jeweiligen Disziplin (Michalak et al. 2014, S. 5). Für Mathematik bspw. ist Kommunikation über die Lerninhalte daher nicht nur Teil der Mathematikdidaktik, sondern auch von der Kultusministerkonferenz (KMK) als Lernziel zur Erreichung des Bildungsstandards in den jeweiligen Schulklassenstufen festgelegt (Kultusministerkonferenz 2004).

Im schulischen Kontext wird der Erwerb der deutschen Sprache maßgeblich durch zwei Kanäle bestimmt. Zum einen im Deutschunterricht, wo die Sprachförderung aktiv geschieht, z. B. durch das Schreiben von Texten und Unterricht zur deutschen Grammatik, und strukturiert nach didaktischen und curricularen Vorgaben abläuft. Zum anderen lernen Jugendliche nichtdeutscher Herkunftssprache Deutsch durch die Interaktion mit Peers, wodurch insbesondere ihre Kommunikationsfähigkeit auf Deutsch geschult wird.Footnote 6

In Lernkontexten mit wenigen Peers deutscher Herkunftssprache haben Jugendliche, deren Herkunftssprache nicht Deutsch ist, vermutlich weniger Gelegenheiten, sich auf Deutsch mit ihren Mitschülern zu unterhalten. Es kann angenommen werden, dass dies vor allem dann auftritt, wenn eine homogene nichtdeutsche Herkunftssprachenverteilung vorliegt, d. h., viele Jugendliche in einer Schulklasse die gleiche nichtdeutsche Herkunftssprache sprechen. Dadurch werden Anreize, sich auf Deutsch zu unterhalten und entsprechend persönliche Deutschkompetenzen zu erweitern, reduziert, da die Netzwerkbildung in der Schulklasse auch ohne deutsche Sprachkenntnisse möglich ist (vgl. Esser 2006, S. 20 f.). Entsprechend sollten die individuellen Deutschkenntnisse von Jugendlichen, deren Herkunftssprache nicht Deutsch ist, in Schulklassen mit einem hohen Anteil von Schülern gleicher, nichtdeutscher Herkunftssprache vermindert sein. Dies kann sich schließlich negativ auf die mathematisch-naturwissenschaftlichen Kompetenzen auswirken.

3.3 Spezifische Annahmen für geflüchtete Jugendliche im Vergleich zu gleichaltrigen Zugewanderten der ersten Generation ohne Fluchtbiografie

Geflüchtete Heranwachsende verfügen über direkte Migrationserfahrung und weisen bei der Ankunft in Deutschland in der Regel keine oder geringe Kenntnisse der deutschen Sprache auf. Sprachkenntnisse in Deutsch erwerben sie als schulpflichtige Personen vor allem in der Schule. In Neuzuwandererklassen geschieht dies im Rahmen des formalen Unterrichts, in den Regelklassen zusätzlich über Interaktionen mit Peers, deren Herkunftssprache Deutsch ist. Außerdem haben insbesondere Jugendliche aus den Herkunftsländern Syrien, Afghanistan und Irak in Deutschland einen durchschnittlich niedrigeren familialen SES. Durch asylprozessbedingte institutionelle Regelungen bzgl. der Wohnortzuweisung und Einschulungspraktiken lernen geflüchtete Jugendliche außerdem häufiger an weniger anspruchsvollen Schulformen. Daher ist im Vergleich zu zugewanderten, nichtgeflüchteten Schülern für diese Gruppe anzunehmen, dass sie häufiger in Schulklassen mit niedrigem mittleren SES und hohem Anteil Jugendlicher nichtdeutscher Herkunftssprache lernen. Als allgemeine Prozesse sollte die sozioökonomische und ethno-linguale Schulklassenkomposition generell die mathematisch-naturwissenschaftlichen Kompetenzen beider Zuwanderergruppen beeinflussen. Geflüchtete Schüler unterscheiden sich jedoch von zugewanderten Jugendlichen ohne Fluchtbiografie hinsichtlich ihrer Fluchterfahrung und bzgl. der Asylprozessregularien, denen sie unterliegen. Da zugewanderte Heranwachsende ohne Fluchtbiografie diesen Faktoren nicht ausgesetzt sind, liegen für die betrachteten Gruppen divergierende Rahmenbedingungen vor. Diese wiederum können in unterschiedlichen sozialen Schulklassenzusammensetzungen resultieren, was sich auf die Kompetenzen auswirken kann.

Durch die höhere mittlere kognitive Grundfähigkeit in Schulklassen mit höherem SES ist von einer kognitiv stärker anregenden Lernumgebung in diesen Schulklassen auszugehen, die den Kompetenzerwerb in Mathematik und den Naturwissenschaften beider Zuwanderergruppen fördern kann. Wir nehmen daher einen positiven Zusammenhang zwischen dem mittleren SES in der Schulklasse und den mathematisch-naturwissenschaftlichen Kompetenzen der Jugendlichen an (Hypothese H 1a). Dieser angenommene Zusammenhang sollte zumindest teilweise durch die mittlere kognitive Grundfähigkeit vermittelt sein (Hypothese H 1b). Sollte H 1b bestätigt sein, ist anzunehmen, dass der Zusammenhang zwischen den mittleren kognitiven Grundfähigkeiten und den untersuchten Kompetenzbereichen auf die mittlere kognitive Aktivierung im Unterricht zurückgeführt werden kann (Hypothese H 1c).

Außerdem gehen wir davon aus, dass die ethno-linguale Komposition der Schulklasse bei der Erklärung mathematisch-naturwissenschaftlicher Kompetenzen von Geflüchteten und gleichaltrigen Zugewanderten ohne Fluchtbiografie bedeutsam ist. Diese hat Einfluss auf die Sprachlerngelegenheiten auf Deutsch, was wiederum die individuellen Sprachkenntnisse in Deutsch der beiden Gruppen beeinflussen kann. Niedrige individuelle deutschsprachliche Fähigkeiten sind mit niedrigen mathematisch-naturwissenschaftlichen Kompetenzen verknüpft. Daher kommen wir zu der Annahme, dass ein höherer Anteil von Schülern mit gleicher, nichtdeutscher Herkunftssprache in einer Schulklasse negativ mit den mathematisch-naturwissenschaftlichen Kompetenzen zugewanderter Heranwachsender mit und ohne Fluchtbiografie assoziiert ist (Hypothese H 2a) und dieser Zusammenhang durch ihre individuellen deutschsprachlichen Fähigkeiten vermittelt wird (Hypothese H 2b).

Für die Bildungssituation und Rahmenbedingungen von zugewanderten Jugendlichen mit und ohne Fluchtbiografie werden Unterschiede angenommen, die aus flucht- und asylprozessspezifischen Faktoren resultieren. Diese können dazu führen, dass geflüchtete Heranwachsende häufiger in Schulklassen unterrichtet werden, die sich durch einen niedrigen mittleren sozioökonomischen Status und einen hohen Anteil Jugendlicher nichtdeutscher Herkunftssprache auszeichnen. Unterschiede in den mathematisch-naturwissenschaftlichen Kompetenzen zwischen zugewanderten Jugendlichen mit und ohne Fluchtbiografie sollten entsprechend auf die verschiedenen Zusammensetzungen der Schulklassen zurückgeführt werden können, in welchen die Jugendlichen jeweils unterrichtet werden (Hypothese H 3).

4 Daten und Methode

4.1 Datengrundlage

Für die empirischen Analysen verwenden wir Daten des IQB-Bildungstrends 2018. Es handelt sich um eine repräsentative Schulleistungsstudie von Neuntklässlern aller Schulformen in Deutschland, die für die Sekundarstufe alle vier Jahre vom Institut zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB) erhoben wird (Mahler et al. 2019). Der IQB-Bildungstrend ist Teil der Gesamtstrategie zum Bildungsmonitoring der KMK und dient der regelmäßigen Überprüfung des Erreichens nationaler Bildungsstandards in den Bundesländern. Bei dem zweistufigen Ziehungsverfahren in 2018 wurden 44.882 Schüler in 2253 Schulklassen ausgewählt und ihre Kompetenzen in Mathematik (verschiedene Teilbereiche) und den Naturwissenschaften Biologie, Chemie und Physik (Fachwissen und Erkenntnisgewinn) erhoben (vgl. Mahler et al. 2019). Für die Erhebung individueller Hintergrundmerkmale der Jugendlichen wurden die Fragebögen der Schüler herangezogen, die der Eltern kompensieren lediglich fehlende Angaben.

4.2 Untersuchungspopulation

Da uns der Zusammenhang von sozioökonomischen sowie ethno-lingualen Kompositionseffekten und mathematisch-naturwissenschaftlichen Kompetenzen von zugewanderten Schülern mit und ohne Fluchtbiografie interessiert, reduzieren wir das Sample auf diese Gruppen.Footnote 7 Die Kategorisierung von geflüchteten Jugendlichen ergibt sich aus den diesbezüglichen Angaben der Schulen, die im IQB-Bildungstrend erfasst sind, was auf 97 % der Fälle zutrifft. Für die restlichen 3 % wurden die Angaben zum Herkunftsland und Zuwanderungszeitpunkt aus dem Schüler- oder Elternfragebogen herangezogen und ergänzen die Informationen zum Geflüchtetenstatus (Becker et al. 2022, S. 142). Angelehnt an Henschel et al. (2019a) werden nur geflüchtete Schüler im engeren Sinne in die Analysen miteinbezogen, d. h. nur diejenigen, die nicht in einem der EU- oder dem Schengenraum zugehörigen Land geboren wurden. Sie wurden außerdem bereits mindestens ein Jahr im deutschen Schulsystem unterrichtet. Unter Berücksichtigung der genannten Kriterien reduziert sich die Stichprobe auf n = 1289 geflüchtete Schüler. Für unsere Analysen wurden nur diejenigen miteinbezogen, die an den Kompetenztests teilgenommen haben, wodurch das finale Sample n = 520 Schüler in n = 353 Schulklassen im Kompetenzbereich Mathematik und n = 510 Schüler in n = 356 Schulklassen für die Naturwissenschaften umfasst. Die reduzierte Zahl ergibt sich aus dem Erhebungsdesign des IQB-Bildungstrends: Teilnehmende Schüler erhielten durch ein randomisiertes Verfahren jeweils ein Testheft, welches nur eine Teilmenge aller Aufgaben und Kompetenzbereiche beinhaltet (Becker et al. 2019).

Zugewanderte Schüler der ersten Generation ohne Fluchterfahrung wurden anhand der Variable der Zuwanderungsgeneration zugeordnet, die im Bildungstrend vorhanden ist. Zusätzlich wurden all jene ausgeschlossen, die bereits als Geflüchtete identifiziert wurden. Jugendliche der ersten Generation sind in unseren Analysen daher all jene, deren Eltern und sie selbst nicht in Deutschland geboren sind und keine Fluchtbiografie ausweisen (n = 1637). Unter Berücksichtigung der Teilnahme an den Kompetenztests konnten für Mathematik auf Schülerebene n = 886 Jugendliche in n = 598 Schulklassen miteinbezogen werden, für die Naturwissenschaften n = 862 Jugendliche in n = 585 Schulklassen.

Für die betrachteten Gruppen wurde eine dichotome Variable gebildet, die zwischen geflüchteten Schülern und zugewanderten Jugendlichen ohne Fluchterfahrung (Referenz) differenziert. Für Mathematik beläuft sich die Größe unseres Samples damit auf N = 1406 zugewanderte Jugendliche mit und ohne Fluchterfahrung in N = 951 Schulklassen, für die Naturwissenschaften auf N = 1372 Heranwachsende in N = 941 Schulklassen.

4.3 Operationalisierung

4.3.1 Abhängige Variablen

Wir verwenden die Kompetenztests in Mathematik (Globalskala, d. h. alle untersuchten Teilbereiche zusammengefasst) und in den Naturwissenschaften (Fachwissen in Biologie, Chemie und Physik). Angelehnt an den IQB-Ländervergleich aus dem Jahr 2012 wird für die Kompetenzmessungen ein Mittelwert MW = 500 Punkte und eine Streuung von SD = 100 Punkte für die Population der Neuntklässler in Deutschland herangezogen (vgl. Roppelt et al. 2013). Die Ergebnisse der Kompetenztests werden in Kompetenzstufen kategorisiert und bilden den Mindest‑, Regel- und Optimalstandard für die verschiedenen Schulformen ab (vgl. Blum et al. 2019; Mayer et al. 2019; Walpuski et al. 2019; Kauertz et al. 2019). Für Schüler, die einen mittleren Schulabschluss anstreben, ist in Mathematik von einem Lernzuwachs von 50 Punkten von der neunten zur zehnten Schulklasse auszugehen (Mahler und Kölm 2019, S. 202).Footnote 8

Die Kompetenzmessungen liegen als „Plausible Values“ (PVs) vor. PVs sind mehrfache Ziehungen aus einer Wahrscheinlichkeitsverteilung der Testergebnisse und sollen einen plausiblen Schätzwert latenter Kompetenzen von Schülern abbilden (Adams et al. 2007). Die individuelle Kompetenzmessung ist dementsprechend kein einzelner Wert, sondern die individuelle Wahrscheinlichkeitsverteilung der Kompetenzen der Befragten. In statistischen Analysen müssen sie wie multiple Imputationen verwendet werden (Lüdtke und Robitzsch 2017). Insgesamt wurden für jede Person 15 PVs generiert.

4.3.2 Unabhängige Variablen

Die unabhängigen Variablen werden im Mehrebenenmodell auf der Ebene der Schulklassen (Schulklassenebene) und auf der Ebene der Individuen (Schülerebene) betrachtet.Footnote 9

Schulklassenebene.

Für Hypothese H 1a betrachten wir die mittlere sozioökonomische Zusammensetzung der Schulklasse. Wir operationalisieren den SES durch den „International Socio-Economic Index of Occupational Status“ (ISEI; Ganzeboom 2010) und verwenden den höchsten ISEI (HISEI) pro Familie, der dann auf Schulklassenebene aggregiert und gemittelt wird.

Weiter gehen wir für Hypothese H 1b davon aus, dass die Assoziation zwischen mittlerem SES und mathematisch-naturwissenschaftlichen Kompetenzen durch die mittlere kognitive Grundfähigkeit vermittelt ist, die durch den „Berliner Test zur Erfassung fluider und kristalliner Intelligenz“ (BEFKI, Wilhelm et al. 2014)Footnote 10 operationalisiert wird. Die individuellen Werte wurden dafür auf Schulklassenebene aggregiert und gemittelt. Zur Testung von Hypothese H 1c wird die kognitive Aktivierung im Mathematikunterricht miteinbezogen. Den Schülern wurde folgende Frage gestellt (vgl. Baumert et al. 2009): „Wie geht eure Mathematiklehrerin/euer Mathematiklehrer im Unterricht vor?“ Diese sollten sie anhand einer vierstufigen Skala (trifft gar nicht zu bis trifft völlig zu) beantworten. Folgende Items wurden erfasst: a) zum Nachdenken zwingen, b) verschiedene Lösungen, c) Zeit zum Nachdenken, d) unterschiedliche Aufgaben zu einem Thema, e) Veränderung von Aufgaben, f) richtiger Ansatz, g) Anwendung auf andere Dinge und h) Erkennen des Verständnisses. Da die Fragen nur für den Mathematikunterricht erhoben wurden, beschränkt sich die Testung dieser Hypothese auf den Kompetenzbereich Mathematik.Footnote 11

Für die Operationalisierung der ethno-lingualen Komposition zur Überprüfung von Hypothese H 2a wurde der Anteil der Schüler gleicher, nichtdeutscher Herkunftssprache in einer Schulklasse herangezogen. Die Variable gibt prozentual an, wie viele Jugendliche in einer Klasse eine nichtdeutsche Herkunftssprache teilen. Dadurch wird die Opportunitätsstruktur innerhalb der Schulklasse, in einer anderen Sprache als Deutsch zu kommunizieren, abgebildet.

Auf Schulklassenebene kontrollieren wir zusätzlich die Schulformen, wobei wir nach Hauptschule (Referenz), Schulen mit mehreren Bildungsgängen, Realschule, Integrierte Gesamtschule und Gymnasium differenzieren. Dadurch werden die unterschiedlichen Curricula an den verschiedenen Schulformen berücksichtigt. Betrachtet werden nur Schüler an Regelschulen.Footnote 12 Die Datengrundlage erlaubt es nicht, die Schulformen „Schulen mit mehreren Bildungsgängen“ und „Integrierte Gesamtschulen“ weiter nach Bildungsgängen zu differenzieren.

Schülerebene.

Zusätzlich zu Variablen auf Schulklassenebene beziehen wir individuelle Merkmale der Heranwachsenden in die Analysen zur Kontrolle mit ein. Dadurch wird ersichtlich, ob die Variablen auf Schulklassenebene einen über ihren individuellen Effekt hinausgehenden erklärenden Beitrag leisten.

Durch den C‑Test (Klein-Braley und Raatz 1982) bilden wir die individuellen deutschsprachlichen Kenntnisse der geflüchteten Schüler ab, die den Zusammenhang zwischen ethno-lingualer Komposition und mathematisch-naturwissenschaftlichen Kompetenzen vermitteln sollten (Hypothese H 2b). Beim C‑Test fehlen in einem kurzen Text die Hälften mancher Wörter und es gilt, diese Lücken zu ergänzen; der C‑Test dient daher vor allem der Operationalisierung schriftlicher deutschsprachlicher Fähigkeiten. Die durch den C‑Test operationalisierten deutschsprachlichen Kenntnisse, die wir in unseren Analysen mitaufnehmen, sind nicht gleichzusetzen mit den Kompetenztests, die im Bildungstrend durchgeführt werden. Der C‑Test kann nur die allgemeine Sprachfähigkeit einer Person messen und dauert in der Regel nicht länger als 25 min (Grotjahn 2002). Die Kompetenztests hingegen umfassen verschiedene Bereiche der untersuchten Fächer (z. B. für Mathematik: Zahl, Messen, Raum und Form, funktionaler Zusammenhang und Daten und Zufall) und operationalisieren die zentralen Bildungsstandards (Becker et al. 2019). Sie sind daher als profunde Testung individueller Kompetenzen zu verstehen. Der C‑Test kann demnach nicht als Ersatz für die nicht untersuchten Deutschkompetenzen im IQB-Bildungstrend 2018 herangezogen werden.

Als Kontrollvariablen auf Schülerebene nutzen wir den HISEI der Familie, die Bildungsjahre der Eltern, das Geschlecht (Referenz: männlich) sowie das Alter der Befragten zum Interviewzeitpunkt (in Jahren). Kognitive Grundfähigkeiten werden ebenfalls miteinbezogen, da sie als adäquater Proxy für frühere Kompetenzen der Lernenden gelten (Baumert et al. 2006), operationalisiert durch den „Berliner Test zur Erfassung fluider und kristalliner Intelligenz“ (BEFKI, Wilhelm et al. 2014). Zudem wird nach der Beschulungsdauer der Jugendlichen in Deutschland und im Herkunftsland (in Monaten) kontrolliert.

4.4 Methode

Aufgrund der zweistufigen Struktur der Daten (Schüler- und Schulklassenebene) schätzen wir eine Mehrebenenanalyse (Random-Intercept-Modell).Footnote 13 Um die Effekte individueller sowie aggregierter Merkmale vergleichen zu können, wurden alle (quasi-)metrischen Variablen mithilfe des „Grand Mean Centering“, d. h. durch Zentrierung am Mittelwert des gesamten Samples (vgl. Enders und Tofighi 2007, S. 129), standardisiert (MW = 0, SD = 1). Wir verwenden Fallgewichte auf Schülerebene für Mathematik und die Naturwissenschaften. Um fehlende Werte zu reduzieren, wurden Parameter auf Grundlage der Full-Information-Maximum-Likelihood-Methode (FIML, vgl. Schafer und Graham 2002) geschätzt. Fehlende Werte werden dabei durch Miteinbeziehung von Hilfsvariablen, die nicht im tatsächlichen Analysemodell sind, ersetzt, was einen vollständigen Datensatz garantiert. Die Standardfehler sind clusterrobust geschätzt. Für die Aufbereitung der Daten haben wir Stata 17 verwendet, die Analysen wurden mithilfe von MPlus (Version 8.7; Muthén und Muthén 2021) durchgeführt.

4.4.1 Modellaufbau

Tabelle 2 (sowie für die Naturwissenschaften Tab. 8–10 im Online-Anhang) enthält multivariate Mehrebenenanalysen, die die Hypothesen H 1a bis H 1c, H 2a, H 2b und H 3 untersuchen. Im Nullmodell (Modell 0) wird lediglich die abhängige Variable aufgenommen und die Intraklassenkorrelation (ICC) geschätzt. In Modell 1 wird der mittlere HISEI auf Schulklassenebene hinzugefügt, um Hypothese H 1a zu testen. Da dieser mit den jeweiligen Schulformen assoziiert ist, wird zusätzlich die besuchte Schulform kontrolliert; gleichzeitig werden die individuellen Variablen zur Kontrolle mitaufgenommen. Gemäß Hypothese H 1a gehen wir von einer signifikant positiven Assoziation des mittleren SES und der individuellen mathematischen und naturwissenschaftlichen Kompetenzen der zugewanderten Jugendlichen aus. Um die vermittelnden Variablen, die den Zusammenhang zwischen sozioökonomischer Komposition und mathematisch-naturwissenschaftlichen Kompetenzen erzeugen sollten, zu testen, wird in Modell 2 die mittlere kognitive Grundfähigkeit (Hypothese H 1b) hinzugefügt. Der vermutete Zusammenhang von mittlerem HISEI und abhängiger Variable sollte dadurch wenigstens teilweise vermittelt werden. In Modell 3 (nur für den Kompetenzbereich Mathematik) wird zusätzlich die mittlere kognitive Aktivierung (Hypothese H 1c) miteinbezogen, welche die Assoziation zwischen den mittleren kognitiven Fähigkeiten und den individuellen Kompetenzen (teilweise) vermitteln sollte. Im nächsten Schritt (Modell 4 für Mathematik, Modell 3 für Naturwissenschaften) wird Hypothese H 2a getestet, wonach sich eine signifikante Assoziation zwischen der ethno-lingualen Komposition und der abhängigen Variable zeigen sollte. Hierzu ziehen wir zusätzlich zu den Variablen aus Modell 3 den Anteil der Schüler gleicher, nichtdeutscher Herkunftssprache heran. Da angenommen wird, dass die in H 2a getestete Beziehung durch die individuellen deutschsprachlichen Kenntnisse vermittelt wird, wird in Modell 5 (Mathematik) oder 4 (Naturwissenschaften) zusätzlich der C‑Test auf Schülerebene miteinbezogen, der den Zusammenhang mindestens partiell vermitteln sollte (Hypothese H 2b).

Um Hypothese H 3 zu überprüfen, wird die dichotome Gruppenvariable, die geflüchtete Jugendliche mit zugewanderten Schülern ohne Fluchterfahrung (Referenz) vergleicht, in den Modellen 1 bis 5 analysiert. Die erwarteten ungleichen mathematisch-naturwissenschaftlichen Kompetenzen zwischen zugewanderten Jugendlichen mit und ohne Fluchtbiografie sollten durch Hinzunahme der Kompositionsmerkmale teilweise vermittelt werden.

5 Ergebnisse

In Tab. 1 ist die Verteilung der Variablen auf Schüler- und Schulklassenebene für die geflüchteten Heranwachsenden im Vergleich zu Schülern der ersten Generation ohne Fluchtbiografie im Kompetenzbereich Mathematik ausgewiesen.Footnote 14 Auf Schülerebene zeigt sich, dass die durchschnittlichen Mathematikkompetenzen von geflüchteten Schülern bei 368,58 Punkten liegen. Dies entspricht einem Kompetenzrückstand in Mathematik von −87,85 Punkten oder knapp zwei Schuljahren zu Jugendlichen der ersten Generation ohne Fluchtbiographie, deren durchschnittliche Mathematikkompetenz 456,43 Punkte beträgt.Footnote 15 Der durchschnittliche Wert geflüchteter Heranwachsender liegt in der zweitletzten Kompetenzstufe und erfüllt damit maximal den Mindeststandard der Hauptschule. Auch die Kompetenzen in Biologie, Chemie und Physik verfehlen die Mindeststandards und sind in jeder Disziplin der Kompetenzstufe I zuzuordnen (Tab. 4, s. Online-Anhang).

Der durchschnittliche SES unterscheidet sich mit 45,94 Punkten bei geflüchteten Schülern und 45,37 Punkten bei zugewanderten Jugendlichen ohne Fluchtbiografie kaum. Auch die Bildungsjahre der Eltern variieren mit 10,84 und 11,64 Jahren erwartungsgemäß in geringem Maße. Geflüchtete Schüler haben den Großteil ihres Schulbesuches im Herkunftsland absolviert. Wie angenommen, unterscheidet sich die Beschulungsdauer in Deutschland maßgeblich zwischen den zwei betrachteten Gruppen: Geflüchtete Schüler lernen durchschnittlich seit fast drei Jahren im deutschen Schulsystem, während zugewanderte Jugendliche ohne Fluchtbiografie durchschnittlich mehr als doppelt so lange in Deutschland unterrichtet wurden (6,6 Jahre) und somit in der Grundschule ins deutsche Bildungssystem eingetreten sind.

Auf Schulklassenebene zeigt sich, dass geflüchtete Jugendliche häufiger an weniger anspruchsvollen Schulformen unterrichtet werden und vor allem an Schulen mit mehreren Bildungsgängen und Integrierten Gesamtschulen lernen. Fast ein Viertel der Jugendlichen erster Generation ohne Fluchtbiografie besucht hingegen das Gymnasium. Trotz dieser erheblichen Unterschiede im Schulformbesuch ist der mittlere SES der Schulklassen, die Geflüchtete besuchen (43,8 Punkten), vergleichbar mit dem mittleren HISEI der Schulklassen, in denen Jugendliche erster Generation ohne Fluchtbiografie lernen (47,65 Punkte). Durchschnittlich sprechen in den Schulklassen geflüchteter Jugendlicher rund 16 % der Jugendlichen die gleiche, nichtdeutsche Herkunftssprache, in Schulklassen von Schülern erster Generation ohne Fluchterfahrung sind es rund 19 %.

Insgesamt zeigen die deskriptiven Befunde, dass die Schulklassenzusammensetzung zwischen zugewanderten Jugendlichen mit und ohne Fluchterfahrung trotz verschiedener Rahmenbedingungen weniger stark differiert als angenommen. Unterschiede zeigen sich vor allem in der Beschulungsdauer in Deutschland, den deutschsprachlichen Kenntnissen und beim Gymnasialbesuch.Footnote 16

Tab. 1 Deskription. Individuelle Kompetenzen in Mathematik

Nachfolgend werden die Ergebnisse der multivariaten Mehrebenenanalysen für die Mathematikkompetenzen dargestellt (Tab. 2). Aus dem Ausgangsmodell (Modell 0) wird deutlich, dass die ICC 44,0 % beträgt: Die Unterschiede zwischen den Schulklassen klären fast die Hälfte der Varianz der individuellen Mathematikkompetenzen von Zugewanderten in der neunten Schulklasse auf.

Tab. 2 Mehrebenenmodell. Individuelle Mathematikkompetenzen

In Modell 1 werden die Kontrollvariablen auf Schülerebene sowie die Schulformen und der mittlere HISEI auf Schulklassenebene in die Analysen mitaufgenommen.Footnote 17 Es zeigt sich, dass ein höherer mittlerer HISEI der Schulklasse erwartungsgemäß positiv mit den individuellen Mathematikkompetenzen von zugewanderten Schülern assoziiert ist, was Hypothese H 1a für Mathematik bestätigt. Um den dahinterliegenden Mechanismus zu untersuchen, werden in Modell 2 und 3 die vermittelnden Variablen miteinbezogen. In Modell 2 bestätigt sich, dass die mittleren kognitiven Grundfähigkeiten den gezeigten Zusammenhang in Modell 1 teilweise vermitteln: die mittleren kognitiven Grundfähigkeiten sind signifikant mit den mathematischen Kompetenzen assoziiert und der Koeffizient des mittleren HISEI halbiert sich, was Hypothese H 1b bestätigt. Der mittlere HISEI und die mittlere kognitive Fähigkeit bleiben auch unter Kontrolle der mittleren kognitiven Anregung (Modell 3) signifikant. Die mittlere kognitive Aktivierung selbst hängt jedoch nicht signifikant mit den mathematischen Kompetenzen von zugewanderten Schülern zusammen. Dieses Ergebnis ist der insgesamt eher schwachen Korrelation von mittlerer kognitiver Aktivierung und mathematischen Kompetenzen geschuldet (vgl. Tab. 7, s. Online-Anhang). Für zugewanderte Jugendliche mit und ohne Fluchtbiografie zeigt sich im Hinblick auf Hypothese H 1c, dass die mittlere kognitive Aktivierung bzw. die Anpassung der Unterrichtsqualität die Beziehung aus mittleren kognitiven Grundfähigkeiten in der Schulklasse und den individuellen Mathematikkompetenzen nicht vermittelt.

In den Modellen 4 und 5 testen wir Hypothese H 2a und H 2b: Aufbauend auf Modell 3 wird zusätzlich der Anteil der Schüler gleicher, nichtdeutscher Herkunftssprache miteinbezogen. Dieser zeigt entgegen unserer Annahmen in H 2a keinen signifikanten Zusammenhang mit den mathematischen Kompetenzen zugewanderter Heranwachsender mit und ohne Fluchtbiografie. In Modell 5 wird dann die vermittelnde Variable, individuelle deutschsprachliche Kenntnisse, auf Schülerebene mitaufgenommen, welche mit den mathematischen Kompetenzen der zugewanderten Schüler assoziiert ist. Mit steigenden deutschsprachlichen Fähigkeiten steigen demnach auch die mathematischen Kompetenzen. Zwar kann Hypothese H 2b für den interessierenden Zusammenhang insgesamt nicht bestätigt werden, jedoch wird die Relevanz (schriftlicher) deutschsprachlicher Fähigkeiten für mathematische Kompetenzen ersichtlich: Durch Aufnahme der Variable der deutschsprachlichen Kompetenzen steigt das R2 auf Schülerebene von 38,5 % (Modell 4) auf 42,5 % (Modell 5).

Für die naturwissenschaftlichen Fächer (Tab. 8–10, s. Online-Anhang) kann Hypothese H 1a (Modell 1) bestätigt werden, da der mittlere sozioökonomische Status positiv mit den Kompetenzen der jeweiligen Fächer assoziiert ist. Die mittleren kognitiven Grundfähigkeiten vermitteln die Beziehung aus sozioökonomischer Komposition und den Kompetenzen in Biologie und Chemie teilweise, da die Variable zur Messung der sozioökonomischen Komposition insignifikant oder der entsprechende Koeffizient für Physik reduziert wird (Modell 2), was Hypothese H 1b für alle Fächer bestätigt. Wie auch für den Kompetenzbereich Mathematik kann für die naturwissenschaftlichen Bereiche keine signifikante Assoziation zwischen der ethno-lingualen Komposition und den Kompetenzen beobachtet werden, die Relevanz der individuellen deutschsprachlichen Kenntnisse für die Kompetenzen zugewanderter Jugendlicher wird jedoch auch hier ersichtlich. Grundsätzlich fällt auf, dass die Erklärungskraft der Kompositionsmerkmale auf Schulklassenebene in allen naturwissenschaftlichen Fächern geringer ist als in Mathematik (vgl. R2 auf Schulklassenebene), was annehmen lässt, dass für die Naturwissenschaften zusätzlich andere Merkmale zur Erklärung der Kompetenzen herangezogen werden müssen.

Um für die Analysen in Mathematik zu überprüfen, ob die Ergebnisse robust sind, haben wir die Modelle variiert (Tab. 11, Online-Anhang). Die Verwendung einer alternativen Operationalisierung der ethno-lingualen Komposition durch den Anteil von Jugendlichen nichtdeutscher Herkunftssprache in einer Schulklasse zeigt ebenfalls keinen signifikanten Zusammenhang mit den mathematischen Kompetenzen geflüchteter Jugendlicher. Des Weiteren haben wir die Analysen in einem weiteren Test nur für die Gruppe der Geflüchteten berechnet, um zu bestätigen, dass es sich um allgemeine Prozesse handelt, die auch in den einzelnen Gruppen gefunden werden können. Analog findet sich in Tab. 12 (Online-Anhang) ebenfalls ein signifikanter Koeffizient für den mittleren sozioökonomischen Status der Schulklasse, der unter Kontrolle der mittleren kognitiven Fähigkeiten vermittelt wird. Die mittlere kognitive Aktivierung im Unterricht und der Anteil von Jugendlichen mit gleicher, nichtdeutscher Herkunftssprache liefern erneut keine signifikanten Ergebnisse.

Zur Überprüfung von Hypothese H 3 wird untersucht, ob der Unterschied zwischen zugewanderten Jugendlichen mit und ohne Fluchtbiografie auch durch die Kompositionsmerkmale zumindest teiLweise vermittelt wird (Tab. 2). Unter Berücksichtigung der Individualmerkmale sowie der besuchten Schulform und des mittleren HISEI der Schulklasse (Modell 1) liegt die Differenz noch bei ca. 42,0 Punkten. In Tab. 1 ist deskriptiv noch ein Abstand von ca. −87,85 Punkten gemessen worden, jedoch ergeben zusätzliche Analysen (Tab. 13, s. Online-Anhang), dass die Reduktion vor allem den Unterschieden in den Individualmerkmalen geschuldet ist und nicht dem mittleren HISEI oder der besuchten Schulform. Werden zusätzlich mittlere kognitive Fähigkeiten der Schulklasse und die mittlere kognitive Aktivierung im Unterricht (Modell 2 und 3) sowie der Anteil von Schülern mit gleicher, nichtdeutscher Herkunftssprache (Modell 4) kontrolliert, verändert sich die Diskrepanz in der Mathematikkompetenz kaum. Hypothese H 3 kann insgesamt nicht bestätigt werden. Der Unterschied in den mathematischen Kompetenzen zwischen geflüchteten Jugendlichen und Heranwachsenden der ersten Generation ohne Fluchterfahrung wird vielmehr durch die unterschiedlichen deutschen Sprachkenntnisse der beiden Gruppen (teilweise) vermittelt (Modell 5). Ähnlich gelagerte Zusammenhänge lassen sich auch für die naturwissenschaftlichen Fächer feststellen.

6 Zusammenfassung und Diskussion

Die Studie untersuchte den Einfluss der sozioökonomischen und ethno-lingualen Komposition von Schulklassen auf die mathematisch-naturwissenschaftlichen Kompetenzen zugewanderter Neuntklässler mit und ohne Fluchtbiografie. In der Forschung zu Kompositionseffekten wurden diese Schüler bisher noch nicht genauer untersucht. Die Studienlage zeigt, dass die Zusammensetzung der Schülerschaft von Schulklassen mit den individuellen Kompetenzen von Jugendlichen zusammenhängt und somit Einfluss auf deren Bildungserfolg haben kann. Der Erwerb von Kompetenzen in den mathematisch-naturwissenschaftlichen Schulfächern und den damit verbundenen Bildungs- und Erwerbschancen im Aufnahmeland ist eine wichtige Voraussetzung für die Sozialintegration von zugewanderten Heranwachsenden. Theoretisch gingen wir davon aus, dass die sozioökonomische Komposition, vermittelt über die mittleren kognitiven Grundfähigkeiten sowie eine kognitiv stärker anregende Unterrichtsqualität, mit den mathematisch-naturwissenschaftlichen Kompetenzen aller zugewanderter Heranwachsender assoziiert ist. Für die ethno-linguale Komposition wurde angenommen, dass sie die Gelegenheiten in der Schulklasse Deutsch zu sprechen bedingt, wodurch, vermittelt durch individuelle deutschsprachliche Kenntnisse, Kompetenzen in Mathematik und den Naturwissenschaften beeinflusst werden können. Außerdem wurde für zugewanderte Jugendliche mit und ohne Fluchtgeschichte eine Ungleichheit in den Kompetenzständen erwartet und dass Kompositionseffekte der Schulklasse diese Unterschiede teilweise vermitteln, da die beiden Zuwanderergruppen womöglich unterschiedlich sozial zusammengesetzte Schulklassen besuchen. Mit Daten des Bildungstrends 2018 wurde für zugewanderte Jugendliche in Mathematik, Biologie, Chemie und Physik bestätigt, dass es einen Zusammenhang zwischen der sozioökonomischen Komposition und den erreichten Kompetenzen gibt (Hypothese H 1a). Dieser wird für alle Kompetenzbereiche durch die mittleren kognitiven Grundfähigkeiten (partiell) vermittelt, was Hypothese H 1b bestätigt. Die Annahme, dass die kognitive Aktivierung im Mathematikunterricht die erwartete Beziehung zwischen mittleren kognitiven Grundfähigkeiten und Mathematikkompetenzen zumindest partiell vermittelt, kann nicht bestätigt werden (Hypothese H 1c). Die Untersuchung des Zusammenhangs zwischen ethno-lingualer Komposition der Schulklasse und mathematisch-naturwissenschaftlichen Kompetenzen zeigt für keinen der untersuchten Kompetenzbereiche signifikante Ergebnisse (Hypothese H 2a), sodass auch keine vermittelnden Effekte der deutschsprachlichen Kenntnisse vorliegen (Hypothese H 2b). Der direkte Effekt deutschsprachlicher Kenntnisse auf alle untersuchten Kompetenzbereiche ist jedoch signifikant, was die Bedeutung der (schriftlichen) Deutschkenntnisse für alle auf Deutsch unterrichteten Fächer verdeutlicht. Insbesondere geflüchtete Jugendliche zeichnen sich durch besonders niedrige Deutschkenntnisse aus: Sie liegen unterhalb der Kenntnisse ihrer Peers, die ebenfalls zugewandert, aber keine Geflüchteten sind. Für geflüchtete Heranwachsende wurde bestätigt, dass sie häufiger an weniger anspruchsvollen Schulen lernen, die meist durch eine weniger günstige soziale Zusammensetzung charakterisiert sind. Dies ist meist institutionellen Beschulungsstrategien und kommunalen Verteilungsmechanismen geschuldet. Ferner ist auch die sozioökonomische Herkunft beider Gruppen ähnlich und relativ zu ihren Peers ohne Migrationserfahrung weniger privilegiert. Insgesamt konnte jedoch nicht bestätigt werden, dass sich die durchschnittliche soziale Zusammensetzung der Schulklassen, die geflüchtete und zugewanderte Jugendliche ohne Fluchtbiografie besuchen, voneinander unterscheiden. Die Unterschiede in den mathematisch-naturwissenschaftlichen Kompetenzen zwischen geflüchteten Jugendlichen und denen erster Generation ohne Fluchterfahrung (Hypothese H 3) sind daher nicht durch die miteinbezogenen Kompositionsmerkmale vermittelt. Zum Teil können die geringeren Kompetenzstände von geflüchteten Jugendlichen im Vergleich zu jenen der Zugewanderten ohne Fluchtbiografie jedoch auf die Unterschiede in den deutschen Sprachkenntnissen zurückgeführt werden. Wir gelangen zu drei Schlussfolgerungen:

  1. 1.

    Das Ergebnis, dass die sozioökonomische Zusammensetzung der Schulklasse gemäß des ersten Hauptbefundes für die untersuchten Kompetenzstände bedeutsamer ist als die ethno-linguale Komposition, deckt sich mit den Ergebnissen anderer Studien. Dass sich der mittlere sozioökonomische Status der Schulklasse zwischen zugewanderten Jugendlichen mit und ohne Fluchtbiografie kaum unterscheidet, war jedoch unerwartet. Das deutet an, dass die soziale Zusammensetzung von Nachbarschaften oder Stadtteilen für erfolgreiche Bildungsintegration bedeutsam sein kann. Geflüchtete Schüler werden nach dem Kosten-der-Unterkunft-Prinzip Wohngebieten zugewiesen. Sie leben dadurch häufiger in Nachbarschaften mit niedrigem SES, was wiederum die Komposition der Schule oder Schulklasse dahingehend beeinflussen und somit den Bildungserfolg geflüchteter Schüler erschweren kann. Inwieweit die vergleichbare sozioökonomische Zusammensetzung der Schulklassen von zugewanderten Jugendlichen mit und ohne Fluchtbiografie insgesamt mit sozialräumlicher Segregation zusammenhängt, sollte zukünftig näher untersucht werden.

  2. 2.

    Die mittleren kognitiven Fähigkeiten der Schulklasse vermitteln den Zusammenhang aus dem mittleren sozioökonomischen Status und allen mathematisch-naturwissenschaftlichen Kompetenzen mindestens teilweise (für Mathematik und Physik blieb der Zusammenhang signifikant). Dies gibt insgesamt einen Hinweis darauf, dass Lehrkräfte in Schulklassen, die sich durch eine weniger günstige Zusammensetzung im Hinblick auf den sozioökonomischen Status auszeichnen, womöglich von durchschnittlich geringeren Leistungen der Schüler ausgehen, was das Unterrichtverhalten der Lehrpersonen negativ beeinflussen kann. Die Ergebnisse unserer Analysen können abschließend jedoch nicht vollständig klären, ob der Unterricht in dieser Schulklassenzusammensetzung auch tatsächlich weniger kognitiv anregend gestaltet ist. Die Untersuchung der kognitiven Aktivierung ist lohnend, da Unterrichtsstile und Aufgabenanpassungen potenziell veränderbare Faktoren sind. In zukünftigen Studien sollte diese Frage mit einer detaillierteren Untersuchungsanlage analysiert werden. Die vorliegende Studie ist in dieser Hinsicht limitiert, denn die verwendete Variable zur kognitiven Aktivierung im Mathematikunterricht stammt aus der Befragung der Schüler und ist nur bedingt geeignet, weil die Anpassung des Unterrichts von der Lehrkraft ausgeht. Die Selbsteinschätzung der Lehrpersonen konnte im Rahmen dieser Untersuchung nicht verwendet werden, weil die Erhebung der Einschätzung der Lehrkräfte pro Lerngruppe erfolgt. Lerngruppen können im Bildungstrend aber nicht mit Testgruppen, die in unseren Analysen miteinbezogen wurden, gleichgesetzt werden (Henschel et al. 2019b, S. 358). Sie stellen eine weitere Ebene dar und erfordern tiefergehende Analysen.

  3. 3.

    Die Gelegenheiten, mit Peers innerhalb der Schulklasse Deutsch zu sprechen, was eher die mündlichen deutschsprachlichen Fähigkeiten und die Sprachpraxis verbessert, sind für den Kompetenzerwerb in Mathematik und den Naturwissenschaften womöglich etwas weniger bedeutsam als die formalen schriftsprachlichen Deutschkenntnisse (C-Test). Diese Kenntnisse, die die zugewanderten Jugendlichen vor allem im Deutschunterricht erwerben, scheinen hier relevanter. Für das Verständnis mathematischer Textaufgaben – so wie sie auch im IQB-Bildungstrend erhoben werden – sind vor allem schriftliche Kenntnisse und das Leseverständnis in Deutsch nötig. Dies untermauert die Bedeutung des formalen Deutschunterrichts für geflüchtete Lernende für Mathematik und naturwissenschaftliche Fächer, die häufig geringere Deutschkenntnisse aufweisen. Hierauf wurde auch schon in früheren Studien hingewiesen (z. B. Schipolowski et al. 2021). Die spezifische Förderung der Deutschkenntnisse von geflüchteten Lernenden, z. B. durch zusätzlichen, auf die Bedürfnisse von geflüchteten Jugendlichen zugeschnittenen Deutschunterricht, kann sich dann ggf. vorteilhaft auf den Kompetenzerwerb in den hier untersuchten Schulfächern auswirken.

Im Theorieteil wurde bereits kurz auf Peer-Effekte eingegangen und wie diese den Zusammenhang zwischen zuwanderungsbezogener Schulklassenkomposition und individuellen mathematisch-naturwissenschaftlichen Kompetenzen erklären können. Die dargelegte Studie kann es nicht leisten, näher auf diesen Aspekt einzugehen, da die Operationalisierung der Peer-Effekte durch die zugrundeliegenden Daten nur unzureichend gelingt. In zukünftiger Forschung sollte aber näher auf die Rolle von Peer-Effekten für den Kompetenzerwerb von zugewanderten Schülern eingegangen werden.

Die dargelegte Studie beschränkt sich auf die Ebenen der Schüler und der Schulklassen. Die dem Föderalismus unterliegenden Bildungssysteme unterscheiden sich aber bzgl. ihrer Schulformen und Fördermaßnahmen für zugewanderte Jugendliche je nach Bundesland (Übersicht vgl. Massumi und von Dewitz 2015). Individuelle Kompetenzen von Schülern divergieren signifikant zwischen den verschiedenen Schulsystemen (vgl. Kölm und Mahler 2019), sodass die Bildungssysteme auch einen Kontexteffekt darstellen, der mit den mathematisch-naturwissenschaftlichen Kompetenzen geflüchteter Lernender assoziiert sein sollte. Systematische Unterschiede zwischen Schulsystemen der Bundesländer sollten daher zukünftig genauer bei der Untersuchung von Kompetenzen geflüchteter Heranwachsender betrachtet werden.

Der Schwerpunkt der Studie lag auf den mathematisch-naturwissenschaftlichen Kompetenzen von zugewanderten Schülern. Empirisch konnten wir keinen Einfluss der ethno-lingualen Zusammensetzung der Schulklasse auf ihre individuellen Kompetenzen feststellen. Für den Kompetenzbereich Deutsch, für den bisher keine Messungen vorhanden sind, ist hingegen von einem Zusammenhang zwischen der Schulklassenzusammensetzung und den individuellen Kompetenzen auszugehen, da diese durch die Sprachlerngelegenheiten in der Schulklasse direkt beeinflusst werden können. Bei den Kompetenzen der beiden Zuwanderergruppen in Mathematik und den Naturwissenschaften wiederum wird der Zusammenhang von ethno-lingualer Komposition und Kompetenzen durch die individuellen Deutschkenntnisse vermittelt und ist somit indirekt. Da bisher keine Kompetenzmessungen im Fachbereich Deutsch vorliegen, war es uns in der gezeigten Untersuchung nur möglich, mathematisch-naturwissenschaftliche Kompetenzen zu untersuchen. Es scheint aber sinnvoll, die Analysen auf die Deutschkompetenzen geflüchteter Jugendlicher zu erweitern, sobald die entsprechenden Messungen dazu vorliegen.

Die Ergebnisse sind nicht nur für die in der Studie untersuchten geflüchteten Heranwachsenden, die ab 2014 nach Deutschland zugewandert sind, relevant, sondern vor allem auch im Hinblick auf die neue Fluchtbewegung aus der Ukraine seit Februar 2022, infolge derer bereits über eine Million Menschen in der Bundesrepublik Zuflucht gefunden haben (Bundesministerium des Innern und für Heimat 2023). Ob die schulpflichtigen Geflüchteten aus der Ukraine in Regel- oder Neuzuwandererklassen aufgenommen werden sollen, wird vor dem Hintergrund der Erfahrungen mit vorhergehenden Geflüchtetenkohorten wieder verstärkt diskutiert und adressiert die Problematik der Schulklassenkomposition für den individuellen Kompetenzerwerb. Ein überwiegender Einsatz von separierenden Neuzuwandererklassen wird kritisch gesehen (Ständige Wissenschaftliche Kommission der Kultusministerkonferenz 2022). In Bezug darauf liefert unsere Studie Hinweise, dass individuelle deutschsprachliche Kenntnisse zentral für den Kompetenzerwerb in Mathematik und naturwissenschaftlichen Fächern sind und daher die deutsche Sprachfähigkeit von geflüchteten Heranwachsenden gefördert werden sollte, z. B. durch zusätzlichen Deutschunterricht.