Vorwort

Die Notfallversorgung in deutschen Krankenhäusern hat in den letzten Jahren deutliche Veränderungen erfahren und ist auch weiterhin im Umbruch. Durch den Beschluss des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) zur gestuften Notfallversorgung wurden Eckpfeiler für Zentrale Notaufnahmen bzw. Kliniken/Zentren für Akut- und Notfallmedizin gesetzt, die in Zukunft weitreichende Konsequenzen haben werden [22]. Die Bundesärztekammer hat in der neuen Weiterbildungsordnung die Zusatzweiterbildung „Klinische Akut- und Notfallmedizin“ etabliert und damit einen weiteren Meilenstein in der innerklinischen Notfallversorgung gesetzt. Ebenso hat die Deutsche Krankenhausgesellschaft 2019 eine Empfehlung zur Fachweiterbildung „Notfallpflege“ veröffentlicht [15]. Zentrale Notaufnahmen bzw. Kliniken/Zentren für Akut- und Notfallmedizin werden dadurch als zentraler Dreh- und Angelpunkt der klinischen Akut- und Notfallmedizin etabliert. Für einzelne Krankheitsbilder bei kritisch kranken Patienten gibt es zwar etablierte Strukturen für die Versorgung, doch gelten diese nur für einen Teil der Gesamtheit der kritisch kranken Patienten, die einer spezifischen, schnellen und strukturierten Notfallversorgung bedürfen (z. B. Herzinfarkt, Schlaganfall). Häufig ist die zugrundeliegende Pathologie direkt bei Krankenhausaufnahme nicht bekannt, sondern muss erst durch eine umfassende Diagnostik unter Schockraumbedingungen identifiziert werden.

Angeregt durch das Weißbuch zur Schwerverletztenversorgung der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie und der Tatsache, dass die Krankenhausstrukturen in Deutschland sehr inhomogen bezüglich der primären klinischen Versorgung kritisch kranker Notfallpatienten sind, hat sich die Deutsche Gesellschaft für Interdisziplinäre Notfall- und Akutmedizin (DGINA) entschlossen, für die Versorgung kritisch kranker, nicht-traumatologischer Patienten in deutschen Zentralen Notaufnahmen bzw. Kliniken/Zentren für Akut- und Notfallmedizin ein Weißbuch zu entwickeln, um die Strukturen analog zur Traumaversorgung zu verbessern. Dieses Weißbuch soll als Anregung zur zukünftigen Mitwirkung aller beteiligten Fachgesellschaften dienen, um die Versorgung kritisch kranker, nicht-traumatologischer Patienten zu verbessern.

Zielsetzung des Weißbuches ist es, für die Versorgung kritisch kranker, nicht-traumatologischer Patienten in jeder Klinik in Deutschland eine vergleichbare Qualität zu erreichen und damit die Versorgung der Patienten zu verbessern.

Wir möchten uns bei einer Vielzahl interessierter Kolleginnen und Kollegen für die konstruktiven und wertvollen Hinweise und Beiträge bedanken.

Prof. Dr. Bernhard Kumle

(Sprecher AG Schockraum)

Prof. Dr. Michael Bernhard

(Sprecher AG Schockraum)

Martin Pin

(Präsident DGINA)

März 2022

Einleitung

„Komplexe Situationen brauchen Struktur!“

In Zentralen Notaufnahmen bzw. Kliniken/Zentren für Akut- und Notfallmedizin kommen neben schwerverletzten Patienten auch eine Vielzahl von kritisch kranken, nicht traumatologischen Patienten zur Aufnahme. Verschiedene nationale und internationale Untersuchung haben aufgezeigt, dass die zu versorgende Anzahl kritisch kranker, nicht-traumatologischer Patienten bis zu 4‑mal höher ist als die Anzahl der schwerverletzten Patienten [48, 57]. Insofern ist es verwunderlich, dass jenseits der strukturierten Versorgung traumatologischer Patienten in den letzten Jahren nur für bestimmte Erkrankungen (z. B. Schlaganfall, Herzinfarkt, Reanimation) spezifische Handlungsabfolgen beschrieben wurden, für andere kritisch kranke Patienten aber kaum strukturierte Vorgaben für die Diagnostik und Behandlung vorhanden sind. Eine optimale Versorgung dieser Patienten setzt eine definierte Struktur- und Prozessqualität voraus. Während verlässliche Zahlen zum Traumamanagement durch zahlreiche Studien und das TraumaRegister DGU® (www.traumaregister.de) der Deutschen Gesellschaft für Unfallchirurgie (DGU) fast flächendeckend zur Verfügung stehen, gibt es nur für spezifische Krankheitsbilder (z. B. Reanimation, ST-Hebungsinfarkt, Schlaganfall) entsprechende flächendeckende Versorgungsdaten und keine korrespondierenden Daten zur Versorgung kritisch kranker, nicht-traumatologischer Schockraumpatienten in Deutschland.

Die Etablierung einer geeigneten Behandlungseinrichtung unter Beachtung von baulichen Grundvoraussetzungen und Ausstattungsmerkmalen, die Verfügbarkeit bildgebender Diagnostik, die Etablierung von Algorithmen und Behandlungspfaden in Abstimmung mit den Fachdisziplinen des Krankenhauses sowie die Koordination und Abstimmung der Übergabe vom Rettungs- und Notarztdienst an die Zentrale Notaufnahme bzw. Klinik/Zentren für Akut- und Notfallmedizin und von der Zentrale Notaufnahme bzw. Klinik/Zentrum für Akut- und Notfallmedizin an die weiterversorgenden Behandlungseinheiten der Klinik sind unabdingbare Bestandteile für eine qualitativ hochwertige Versorgung von kritisch kranken Patienten. Sie stellen somit eine wesentliche Voraussetzung für die Gewährleistung einer hohen Patientensicherheit und Versorgungsqualität dar. Des Weiteren muss eine adäquate Qualifikation sowohl des ärztlichen als auch des pflegerischen Personals für die Behandlung kritisch kranker bzw. schwerverletzter Patienten gewährleistet werden. Neben der medizinischen Qualifikation beinhaltet dies auch Kompetenzen im Crisis Ressource Management (CRM) und der Team-Kommunikation.

Das vorliegende Weißbuch „Versorgung kritisch kranker, nicht-traumatologischer Patienten im Schockraum“ gibt Empfehlungen zur Strukturierung, Organisation, Dokumentation und Ausstattung und stellt somit Qualitätsanforderungen zur sicheren Versorgung dieser Patienten in der Bundesrepublik Deutschland vor.

Bestandsaufnahme

Versorgungsstrukturen in der Behandlung von kritisch kranken Patienten

Grundlegend fehlt für die Versorgung dieser Patienten eine standardisierte und systemweite Dokumentation der frühen innerklinischen Versorgungphase im Schockraum. Die Erhebung und wissenschaftliche Auswertung der Daten der frühen innerklinischen Versorgungsphase und des innerklinischen Verlaufes bis hin zur Entlassung der Patienten, sind wesentliche Voraussetzungen für die Entwicklung von Leitlinien, Empfehlungen und Standards. Im Eckpunktepapier zur Bevölkerungsversorgung werden die prähospitalen Versorgungsaspekte wesentlicher Tracerdiagnosen (z. B. Polytrauma, Schädel-Hirntrauma, Schlaganfall, akutes Koronarsyndrom, kardiopulmonale Reanimation, Sepsis) aufgeführt und für diese Erkrankungen auch klare Versorgungsintervalle vorgegeben [21]. Folglich ist für die Versorgung kritisch kranker Patienten im Schockraum eine standardisierte Dokumentation und systemweite Datenerfassung im Sinne eines „Schockraum-Registers“ zu fordern und zu etablieren.

Status-quo des Schockraummanagements von kritisch kranken, nicht-traumatologischen Patienten

Eine aktuelle IST-Analyse der DGINA zur Situation des Schockraummanagements von kritisch kranken, nicht-traumatologischen Patienten in Deutschland zeigt, dass es bereits relevante strukturelle, organisatorische und ausstattungstechnische Vorhaltungen für die Versorgung dieser Patienten gibt und diese in allen Versorgungsstufen schon vorhanden sind [46]. Dieses sehr positive Ergebnis ist insofern eingeschränkt zu bewerten, als dass die Umfrage an in der DGINA organisierten Notaufnahmeleitern*Innen durchgeführt wurden und größere Zentrale Notaufnahmen bzw. Kliniken/Zentren für Akut- und Notfallmedizin überrepräsentiert sind. Dennoch ist sie die größte vorliegende Untersuchung zu diesem Thema in Deutschland. Die Studie weist aber auch auf noch vorhandene Mängel hin:

  • keine durchgehende fach- oder oberärztliche Präsenz von Notfallmedizinern in Spät- und Nachtdiensten

  • keine personellen Vorgaben zur Besetzung des Schockraumteams

  • keine einheitlichen Alarmierungskriterien

  • für einzelne Ausstattungsmerkmale (z. B. Videolaryngoskopie, Bronchoskopie, intraossäres Punktionssystem, POCT-INR-Messgeräte) scheint es noch Anschaffungsbedarf zu geben

Wichtig ist, dass die Befragten ein angepasstes Ausbildungskonzept zur Versorgung kritisch kranker, nicht-traumatologischer Patienten als dringend erforderlich ansehen.

In Deutschland gab es bis vor kurzem keine prospektiven Daten im Zusammenhang mit der Versorgung unselektierter kritisch kranker Patienten im Schockraum. Erstmals wurde 2018 in einer prospektiven monozentrischen Studie die Schockraumversorgung kritisch kranker Patienten standardisiert untersucht mit dem Ziel, Versorgungsdaten zu ermitteln und zu evaluieren. Dabei wurden grundlegende Merkmale zur Epidemiologie, prähospitalen und innerklinischen Versorgung, aber auch innerklinische Versorgungszeiten und deren Auswirkungen auf das Behandlungsergebnis erfasst. Die prospektive monozentrische Beobachtungsstudie OBSERvE (Observation of critically ill patients in the resuscitation room of the Emergency Department) wurde in einer universitären Zentralen Notaufnahme durchgeführt [10]. Eingeschlossen wurden in die OBSERvE-Studie Patienten im Alter ≥ 18 Jahre, die kein Trauma erlitten hatten und definierte Kriterien für eine Schockraumversorgung erfüllten.

Das Schockraumteam bestand aus zwei Pflegekräften und einem Assistenz- sowie einem Oberarzt der Zentralen Notaufnahme. Für bestimmte Patienten mit stabilen Vitalfunktionen und zeitkritischem Behandlungsbedarf wurde unter Berücksichtigung eines institutionell vereinbarten Vorgehens (z. B. ST-Streckenhebungsinfarkt, Schlaganfall im Zeitfenster) ein Bypass der Zentralen Notaufnahme organisiert und diese Patienten wurden somit nicht in der Studie erfasst.

Im einjährigen Untersuchungszeitraum wurden insgesamt 34.303 Patienten in der Zentralen Notaufnahme behandelt. Von diesen wurden 532 (1,6 %) kritisch kranke, nicht-traumatologische Patienten einer Schockraumversorgung zugeführt (männliches Geschlecht: 58 %, Durchschnittsalter: 67 Jahre).

Führende Problem anhand des ABCDE-Schemas betrafen die Kreislaufsituation (C-Problem: 36 %), die Neurologie (D-Problem: 33 %) und die respiratorische Funktion (B: 27 %). Atemwegs- (4 %) sowie E‑Probleme (z. B. Hypothermie) waren mit je 0,9 % eher seltener. Das Patientenkollektiv wies insbesondere kardiovaskuläre (32 %) und zentralnervöse Erkrankungen (31 %) als Hauptkrankheitsentität auf. Seltener waren pulmonale (18 %) und abdominelle (4 %) Erkrankungen. Eine septische Konstellation fand sich in 10 % der Fälle.

Von allen Schockraumpatienten hatten 99 (19 %) Patienten einen prähospitalen Herzkreislaufstillstand erlitten. Von diesen wurden 36 % mit einem Spontankreislauf (Return of Spontaneous Circulation, ROSC) und 64 % noch unter laufenden Reanimationsmaßnahmen der Schockraumversorgung zugeführt. Weitere 13 Patienten erlitten im Schockraum einen Herzkreislaufstillstand.

Von den 532 Schockraumpatienten verstarben 22 (4 %) noch während der Schockraumphase. Eine weiterführende Versorgung auf einer Intensivstation bedurften 450 (85 %) der Patienten und 71 (13 %) Patienten wurden einer Intervention (z. B. Operation, Herzkatheteruntersuchung) zugeführt.

Anhand der Surrogatparameter Blutdruck, Herzfrequenz und pulsoxymetrische Sauerstoffsättigung konnte in der OBSERvE-Studie erstmals aufgezeigt werden, dass die Vitalfunktionen durch die Maßnahmen während der Schockraumbehandlung hochsignifikant normalisiert werden konnten.

Wesentliche diagnostische Maßnahmen während der Schockraumversorgung waren die Anfertigung eines 12-Kanal-EKGs (87 %), die Laborabnahme (93 %), die fokussierte Echokardiographie (28 %), die Anfertigung eines Röntgenthorax (43 %) und eine Großgerätebildgebung (CT/MRT: 63 %).

28 % der Patienten benötigten eine Atemwegssicherung. Insgesamt 57 % aller Patienten mussten mechanisch beatmet werden, 16 % davon nicht-invasiv. Eine Kreislaufunterstützung mittels Katecholaminen war in 24 % der Fälle erforderlich.

Die in die OBSERvE-Studie eingeschlossenen Patienten wiesen eine hohe 30-Tagesletalität von 34 % auf. Patienten mit einem prähospitalen oder innerklinischen Herzkreislaufstillstand wiesen sogar eine 30-Tagesletalität von 72 % auf. Die mittlere Liegedauer im Krankenhaus betrug 11 Tage, davon 6 Tage auf einer Intensivstation.

56 % der Patienten trafen außerhalb der Kernarbeitszeit (16.00–7.59 Uhr) im Schockraum ein. Davon waren 82 % durch den Rettungsdienst vorangemeldet worden.

Die durchschnittliche Verweildauer im Schockraum betrug 34 ± 24 min. In rund 20 % der Fälle kam es zu Verzögerungen aufgrund der Nicht-Verfügbarkeit innerklinischer Ressourcen. Diese Patienten verbrachten 53 ± 34 min im Schockraum der Zentralen Notaufnahme. Das Fehlen einer sofortigen Verfügbarkeit von Intensivbetten war der Hauptgrund für Zeitverzögerung (n = 70, 69 %) und führte zu einem zusätzlichen Versorgungsintervall im Schockraum von 56 ± 50 min.

In einer Folgestudie derselben Arbeitsgruppe wurden die Daten in einem der Folgejahre nochmals analysiert. Der Vergleich der beiden Vergleichszeiträume sollte untersuchen, ob die Auswertung der ersten Daten einen Einfluss auf die Abläufe in der Präklinik und Klinik ergeben haben [25]. Die Daten zeigten, dass sich in den Abläufen innerhalb der Klinik eindeutig Verbesserungen ergeben haben. So konnte die Zeitdauer der Notfallbehandlung und die Zeit bis zur Verlegung aus dem Schockraum zu einer Intervention oder der weiteren Intensivbehandlung deutlich verkürzt werden. Der prähospitale Einsatz von invasiver und nichtinvasiver Beatmung stieg, so dass innerhalb der Klinik diese Maßnahmen als neue Maßnahme in geringerem Maße begonnen wurden. Die Anwendung einer mechanischen Reanimationshilfe hat sich verdreifacht. Die Studien zeigen somit, wie wichtig es ist, Daten in der Versorgung kritisch kranker, nicht-traumatologischer Patienten zu erheben, um die Abläufe innerhalb der Klinik und im Austausch mit der Präklinik zu verbessern.

Eine weitere Arbeitsgruppe hat aktuell die ersten Daten aus einem nicht-universitären Schwerpunktversorger publiziert [35]. Diese Daten sind insofern interessant, als dass sie aufzeigen, dass es sehr wohl Unterschiede im Patientenkollektiv der einzelnen Krankhäuser gibt und die Schockraumabläufe dementsprechend angepasst werden müssen. Es zeigt aber auch wie wichtig verschiedene Kenntnisse im Bereich Beatmung (invasiv/nichtinvasiv), Atemwegsmanagement, Sedierung, Katecholamintherapie in der Versorgung kritisch kranker Patienten sind, um nur einige wichtige Elemente aufzuzeigen. Die Studie hat weiter herausgearbeitet, dass die primäre Diagnose und die Entlassdiagnose eine Übereinstimmung von 78 % aufwies, so dass jetzt schon eine hohe Versorgungsqualität erreicht wird. Die Behandlungsdauer in der Notaufnahme unterschied sich deutlich von denen der Daten aus den OBSERvE-Studien (OBSERvE 1: 53 ± 33 min, OBSERvE 2: 41 ± 24 min, Kreß et al.: 148 ± 203 min) [10, 35]. Dies ist sicher den unterschiedlichen Prozessen innerhalb der verschiedener Versorgungsstrukturen geschuldet, bedarf aber weiterer Analysen, um dies genauer zu betrachten, zumal die Vorgaben des GBA eine Verlegung dieser Patienten innerhalb 60 min vorsehen.

Die Aufnahmeparameter von Überlebenden und Nichtüberlebenden unterschieden sich signifikant mit Ausnahme von Atemfrequenz und Schmerzskala. Auch in nicht-universitären Krankenhäusern zeigt sich eine hohe Sterblichkeit von 29 % bei den kritisch kranken, nicht-traumatologischen Patienten.

Vergleich zur traumatologischen Schockraumversorgung

Im Gegensatz zu traumatologischen Patienten, bei denen gemäß des „Ursache-Wirkung“-Prinzips häufig bestimmte Verletzungsmuster im Zusammenhang mit bestimmten Unfallkonstellationen antizipiert werden können, zeichnet sich der nicht-traumatologische Patient oftmals durch eine komplexe Symptomkonstellation aus, die aufgrund der multiplen Vorerkrankungen, nicht eindeutig zuzuordnen ist. Ebenfalls muss berücksichtigt werden, dass Traumapatienten durch eine direkte Ursache verletzt werden und diese Verletzungen meist durch eine operative Versorgung zu behandeln sind. Kritisch kranke Patienten ähneln häufig einer „Blackbox“. So kann beispielgebend das Leitsymptom „Bewusstseinsstörung“ diverse Ursachen von der Intoxikation, metabolische Entgleisungen bis zur intrazerebralen Blutung haben [52]. Umso wichtiger ist es, auch bei der Versorgung dieser Patienten einen standardisierten Diagnostik- und Behandlungsalgorithmus zu haben.

Voraussetzungen Schockraummanagement

Schockraumalarmierungskriterien

Während für die Versorgung von schwerverletzten Patienten über eine Initiative der DGU einerseits durch die S3-Leitlinie „Polytrauma/Schwerverletzten-Behandlung“ [13], andererseits durch die Etablierung des DGU-Traumanetzwerks (http://www.dgu-traumanetzwerk.de) Anmelde- und Aufnahmekriterien detailliert beschrieben sind, finden sich diese für kritisch kranke, nicht-traumatologische Patienten nicht in vergleichbarer Art und Weise. Welcher kritisch-kranke, nicht-traumatologische Patient gehört in den Schockraum einer Zentralen Notaufnahme bzw. Klinik/Zentrum für Akut- und Notfallmedizin? Hier hat wiederum die DGU durch die S3-Leitlinie „Polytrauma/Schwerverletzten-Behandlung“ und das Weißbuch Schwerverletztenversorgung gute Vorgaben für Traumapatienten vorgelegt [13, 14]. In Anlehnung hieran lassen sich Aufnahmekriterien für kritisch kranke, nicht-traumatologischer Patienten aufführen (Tab. 1). Die Grundlage bildet dafür die Kriterien der OBSERvE-Studie.

Tab. 1 Alarmierungskriterien und Aufnahmeindikationen kritisch kranker, nicht-traumatologischer Patienten in den Akutversorgungsbereich einer Zentralen Notaufnahme bzw. Klinik/Zentrum für Akut- und Notfallmedizin. (Modifiziert nach [7])

Insbesondere Patienten mit Störungen des Atemwegs (z. B. starke Zungenschwellung), der Atmung (z. B. respiratorische/ventilatorische Insuffizienz), des Kreislaufs (z. B. kardiogener Schock, kreislaufrelevante gastrointestinale Blutung) oder des Bewusstseins (z. B. Intoxikationen, metabolische Störungen), die unmittelbar eine gezielte notfall- und intensivmedizinische Versorgung notwendig machen, sollten in den Schockraum aufgenommen werden. Hieraus lässt sich ableiten, dass auch kritisch kranke, nicht-traumatologische Patienten nicht unmittelbar einer Intensivstation zugewiesen werden sollten, sondern zunächst in der Zentralen Notaufnahme bzw. Klinik/Zentrum für Akut- und Notfallmedizin diagnostiziert, therapiert und erst nach Diagnosesicherung oder Erstellen einer tragfähigen Arbeitsdiagnose weiterverlegt werden sollten. Es hat sich gezeigt, dass 25 % der Zuweisungen auf die Intensivstation durch den Notarzt unnötig waren [9] als auch dass 2/3 der Patienten die primär intensivmedizinisch in der Notaufnahme bzw. Klinik/Zentrum für Akut- und Notfallmedizin versorgt wurden, nicht auf einer Intensivstation weiter versorgt werden mussten [3].

Mit einer adäquaten Versorgungsstruktur in einem Schockraum können intensivmedizinische Kapazitäten geschont werden. Die Versorgungsstruktur ist aber abhängig von der Versorgungsstufe eines Krankenhauses und den individuellen Prozessen innerhalb des Krankenhauses. Die Zentrale Notaufnahme bzw. Klinik/Zentrum für Akut- und Notfallmedizin hat deshalb einen relevanten Anteil in der Gesamtversorgung als Nahtstelle zwischen der prähospitalen Versorgung und der Klinik.

Um zeitgerecht diesen spezialisiert ausgestatteten Akutversorgungsbereich in einer Zentralen Notaufnahme bzw. Klinik/Zentrum für Akut- und Notfallmedizin noch vor Ankunft des Patienten einsatzbereit zu halten, müssen Anmelde- und Übergabekonzepte definiert sein. Vorteile bieten hierbei eine strukturierte und standardisierte Anmeldung im Sinne einer kurzen Abfrage unter Zuhilfenahme von Checklisten. Es gibt die ersten Hinweise, dass auch der Gesetzgeber dies zukünftig fordern und fördern wird [12, 34]. Hierbei erfolgt die kurze telefonische Anmeldung durch den Rettungs- und Notarztdienst z. B. bei einem sogenannten Notfallkoordinator der Zentralen Notaufnahme bzw. Klinik/Zentrum für Akut- und Notfallmedizin, der die wesentlichen pathologischen Befunde/Störungen und die notärztlich oder rettungsdienstliche Verdachtsdiagnose erfasst. Diese Funktion ist für große Zentrale Notaufnahmen bzw. Kliniken/Zentren für Akut- und Notfallmedizin zu fordern. Ein Arzt-Notarzt-Gespräch kann bei Bedarf vermittelt werden. Stellt sich bei der Anmeldung die Notwendigkeit der Aufnahme in den Schockraum heraus, wird der Schockraum nach Standard vorbereitet und das notwendige pflegerische sowie ärztliche Personal informiert. Alternativ sind digitale Anmeldungen mit einer automatisierten elektronischen Vorabanmeldung nach den Schockraumkriterien (s. unten) möglich [36]. Hier können inzwischen auch die Vitaldaten, EKG, eine Fotodokumentation von z. B. Auffindesituation, Medikamentenschachteln, -plänen, Behältnisse von ingestierten Substanzen, Patienten mit neurologischen Symptomen und Einsatzprotokolle vorab übermittelt werden. Ein entsprechendes Vorgehen ermöglicht es, die strukturellen, organisatorischen und personellen Ressourcen einer Zentralen Notaufnahme bzw. Klinik/Zentrum für Akut- und Notfallmedizin und eines Klinikums optimal einzusetzen. Inzwischen stehen auch die ersten Systeme zur Verfügung, die es ermöglichen, sowohl die personenbezogenen Daten als auch EKG und Fotos vom Rettungsdienst direkt an das Krankenhausinformationssystem zu übergeben. Hier wäre zu fordern, dass bundesweit eine einheitliche strukturierte Datenübergabe definiert wäre.

Übergabe

Die Übergabe in der Medizin ist definiert als die Übertragung der Verantwortlichkeit und Zuständigkeit für einige oder alle Aspekte der Versorgung eines oder mehrerer Patienten an eine andere Person oder Berufsgruppe für vorübergehende oder längere Zeit [1, 2]. Der Übergabeprozess bezieht sich hier ausschließlich auf die direkte Übergabe und nicht auf den Anmeldeprozess.

Als Bestandteil eines Gesamtbehandlungsprozesses schließt die Übergabe einerseits die prähospitale Versorgung ab und muss andererseits an der Transferstelle zur Zentralen Notaufnahme bzw. Klinik/Zentrum für Akut- und Notfallmedizin durch die Weitergabe der bisherigen Behandlungs- und Patienteninformationen die Kontinuität und Sicherheit im Gesamtbehandlungsprozess gewährleisten. Nach der Übergabe beginnt der innerklinische Behandlungsprozess.

In der Regel existiert für die mündliche/schriftliche Übergabe und die Übermittlung patientenrelevanter Informationen nur eine einmalige Möglichkeit [31]. Der Übergabe kommt somit eine immense Bedeutung zu.

Speziell in Zentralen Notaufnahmen bzw. Kliniken/Zentren für Akut- und Notfallmedizin werden Übergaben als komplex beschrieben und sind mit einem erhöhten Fehlerrisiko aufgrund des hohen Stress- und Zeitdrucks bei der Versorgung der Patienten behaftet [19, 20]. Gleichzeitig kommt erschwerend das differente Kompetenzspektrum der beteiligten Berufsgruppen hinzu.

Im Jahr 2007 hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) die Entwicklung von Standard Operating Procedures (SOP) in der Kommunikation als eine der fünf Prioritäten im Bereich Patientensicherheit für Länder der ersten Welt formuliert [60]. Kernbestandteil und somit essentieller Baustein zur Standardisierung ist die verwendete Merkhilfe (Mnemonic). In der Literatur ist inzwischen eine Vielzahl von Merkhilfen zur Standardisierung der mündlichen Übergabe publiziert worden [50, 51].

Mnemonics sind Gedächtnishilfen, die eingängig sein sollen und ein Akronym mit einem Prozess verknüpfen. Merkhilfen sollten möglichst umfassend, sicher, einfach zu merken sein und robust gegenüber äußeren Einflüssen sein. Sie sind somit als „Skelett“ für eine umfassende, zeitlich begrenzte Übergabe anzusehen.

Gibson et al. [23] beschreiben die Übergabe als Prozess mit insgesamt 4 Phasen:

  • Vorbereitung

  • Zusammenkommen – hier die bewusste Unterbrechung der Arbeitsabläufe!

  • Dialog – Austausch

  • Zusammenfassung

In einem Konsensuspapier wurden für die Übergabe von kritisch kranken, nicht-traumatologischen Schockraumpatienten folgende Empfehlungen ausgesprochen [26]:

  • Ansprechpartner: Die Anmeldung eines Notfallpatienten durch den Rettungsdienst soll standardisiert an einen definierten, geschulten Ansprechpartner in der Zentralen Notaufnahme bzw. Klinik/Zentrum für Akut- und Notfallmedizin erfolgen.

  • Teambriefing: Vor Ankunft von kritisch kranken Notfallpatienten soll ein Teambriefing mit allen Beteiligten der Notfallversorgung stattfinden.

  • Wertschätzende Übergabeatmosphäre: Die Übergabe soll interaktiv zwischen „Sender“ und „Empfänger“ ausgerichtet sein und in einer freundlichen wertschätzenden Atmosphäre stattfinden.

  • „5-second-round“: Vor Beginn der Übergabe sollte unbedingt eine kurze klinische Prüfung stattfinden („5-second-round“), um zu gewährleisten, dass der Patient durch die Phase der Übergabe nicht zusätzlich gefährdet wird.

  • Teampräsenz: Die Übergabe soll bei Anwesenheit aller an der Versorgung beteiligten Teammitglieder erfolgen.

  • Übergabehygiene: Die Übergabe soll bei minimaler Geräuschkulisse stattfinden. Manipulationen während der Übergabe sollten unterlassen werden.

  • Zusammenfassung/Fragen: Am Ende der Übergabe sollten die Informationen kurz laut und verständlich zusammengefasst und dem aufnehmenden Team die Möglichkeit für Fragen eingeräumt werden.

Ausstattungsmerkmale

Die strukturelle und technische Ausstattung zur Versorgung kritisch kranker, nicht-traumatologischer Schockraumpatienten muss standardisiert werden. Teilweise können hierzu Vorgaben der Fachgesellschaften hinsichtlich der Arbeitsplatzbeschreibung (z. B. Deutsche Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin) und der Vorgaben des DGU-Weißbuchs zur Schwerverletztenversorgung mit herangezogen werden, so dass eine entsprechende Kompatibilität der Ausstattung erreicht wird [8]. So sollten Schockräume Zentraler Notaufnahmen bzw. Kliniken/Zentren für Akut- und Notfallmedizin, in denen kritisch kranke Patienten zur Aufnahme kommen, die in Tab. 2 aufgeführten Ausstattungsmerkmale aufweisen.

Tab. 2 Obligate Ausstattungsmerkmale für den Akutversorgungsbereich kritisch kranker Patienten im Schockraum. (Modifiziert nach [13])

Raumkonzept

Neben definierten Schockräumen einer Zentralen Notaufnahme bzw. Klinik/Zentrum für Akut- und Notfallmedizin sollte ein räumlich nahegelegene, zur Notaufnahme gehörige, Beobachtungsstation für kritisch kranke Patienten etabliert sein. In dieser Beobachtungsstation werden die kritisch kranken, nicht-traumatologischen Patienten nach erfolgter Schockraumversorgung und Stabilisierung weiterversorgt, bis ein Intensivstationsbett im Haus zur Verfügung steht. Durch dieses Konzept werden die Schockraumversorgungskapazitäten nicht reduziert oder blockiert. Teilweise können sogar initial zunächst intensivpflichtige Patienten so stabilisiert werden, dass nachfolgend die Behandlung auf einer Normalstation möglich ist [3,4,5]. Diese Vorgabe gilt insbesondere für die erweiterte und umfassende Versorgungsstufe. Durch Umsetzung entsprechender Konzepte können Transportrisiken reduziert und unnötige Übergaben vermieden werden. Die Reduktion von innerklinischen Transporten und die Vermeidung von Informationsverlusten bei unnötigen Übergaben tragen wesentlich zu einer hohen Patientensicherheit bei. Diese „Pufferfunktion“ des Überwachungsbereichs einer Zentralen Notaufnahme bzw. Klinik/Zentrum für Akut- und Notfallmedizin hat darüber hinaus auch organisatorische Vorteile für die Intensivstation und das Belegungsmanagement des gesamten Krankenhauses: Die Indikation zur Aufnahme auf die Intensivstation wird nach erfolgter Diagnostik in der Zentralen Notaufnahme bzw. Klinik/Zentrum für Akut- und Notfallmedizin gestellt, sodass die Basisdiagnostik und notwendige erweiterte Diagnostik nicht auf der Intensivstation erfolgen muss. Somit können unter Umständen unnötige Intensivaufnahmen vermieden werden, was zu einer planbareren und effizienten Auslastung der Intensivstation führt. Darüber hinaus könnten nächtliche oder „ad hoc“ Verlegungen von der Intensivstation auf eine Normalstation zur Schaffung freier Intensivkapazität reduziert werden. Diese Verlegungen sind mit einer erhöhten Wiederaufnahmerate und einer längeren Krankenhausverweildauer assoziiert [30] und einer erhöhten Mortalität einhergehend [17, 24].

Bezüglich der baulichen Ausstattung hat die Corona-Pandemie gezeigt, dass zukünftig Hygienekonzepte und Raumluftanlagen nach pandemiespezifischen Kriterien geplant werden müssen.

Versorgungsstrukturen

In der Regelungen des Gemeinsamen Bundesausschusses zu einem gestuften System von Notfallstrukturen in Krankenhäusern wurden die Stufen – Basis-, erweiterte und umfassende Notfallversorgung etabliert [22]. In Abhängigkeit von der Zugehörigkeit eines Krankenhauses zu einer Stufe sollten diese im Rahmen des Schockraummanagements kritisch kranker, nicht traumatologischer Patienten unterschiedliche Schwerpunkte und Kompetenzen aufweisen. Während eine Zentrale Notaufnahme bzw. Klinik/Zentrum für Akut- und Notfallmedizin eines Krankenhauses der Basisversorgung einen Patienten versorgen kann, sollte ein Krankenhaus der erweiterten bzw. umfassenden Notfallversorgung mindestens zwei Schockraumpatienten zeitgleich versorgen können, sofern auch eine überregionale Traumaversorgung gewährleistet sein muss, dann muss die gleichzeitige Versorgung von mindestens 3 Schockräumen gleich welcher Entität möglich sein. Die hierfür jeweils benötigte Personalvorhaltung, räumliche Kapazität und Infrastruktur sind zu schaffen. Während apparatetechnisch für die unmittelbare „Vitalfunktionsmedizin“ eine in Abschnitt Ausstattungsmerkmale aufgezeigte Vorhaltung für ABCDE-Notfälle relevant ist, steigt auch mit höherer Versorgungstufe entsprechend der vorzuhaltenden Fachabteilungen die entsprechende Infrastruktur und die technischen Voraussetzungen an. Spezielle Vorhaltungen sind darüber hinaus noch für Spezialfunktionen (z. B. Cardiac Arrest Center) vorzuhalten (z. B. Extracorporaler Life Support, ECLS).

Schockraumteam

Das „Basisschockraumteam“ für kritisch kranke nicht-traumatologische Patienten setzt sich aus mindestens einem Assistenz- und einem Fach‑/Oberarzt der Zentralen Notaufnahme bzw. Klinik/Zentrum für Akut- und Notfallmedizin mit der Zusatzbezeichnung „Klinische Akut- und Notfallmedizin“ und mindestens zwei Pflegekräften der Zentralen Notaufnahme bzw. Klinik/Zentrum für Akut- und Notfallmedizin zusammen. Mindestens ein Arzt sollte aufgrund der Zusatzbezeichnung „Klinische Akut- und Notfallmedizin“ über fundierte Kenntnisse der notfall- und intensivmedizinischen Methoden zur Versorgung nicht-traumatologischer lebensbedrohlicher Notfälle verfügen. Prinzipiell ist eine notfall- sowie intensivmedizinische Fort- und Weiterbildung sowohl des ärztlichen als auch des Pflegepersonals (inkl. Fachweiterbildung Notfallpflege) erforderlich (mind. 1 pro Schicht). Dabei sind Kenntnisse zur Behandlung von Störungen des Atemwegs (z. B. Atemwegsmanagement [15]) der Atmung/Beatmung (z. B. Beatmung mithilfe des Notfall- und Intensivrespirators) und des Kreislaufs (z. B. Katecholamintherapie und Therapie von Herzrhythmusstörungen) notwendig. Gerade vor dem Hintergrund, dass nach der Stabilisierung der Vitalfunktionen eine weiterführende Diagnostik (z. B. Sonographie, Echokardiographie, kraniale Computertomographie (CCT), Thorax- oder Abdomen-CT) bei einer Vielzahl der kritisch kranken Patienten stattfindet oder aber ein (längeres) Zeitintervall bis zur Verfügbarkeit eines freien Intensivstationsbetts zu überbrücken ist, muss entsprechende akut- und notfallmedizinische Erfahrung vorgehalten werden [10, 36].

Im Rahmen des Schockraummanagements, kritisch kranker, nicht-traumatologischer Patienten ist es wichtig, wesentliche Hinweise auf die richtige Diagnose nicht zu übersehen [7, 37]. Darüber hinaus sollte das Schockraumteam über Kenntnisse und Fertigkeiten in den Bereichen Team-Ressource-Management (TRM) und Risikomanagement besitzen, um beispielsweise im initialen Schockraummanagement Fixierungsfehler, die sich aus der prähospitalen Situation ergeben können nicht in das innerklinische Setting zu übernehmen. Daher sind zu den ärztlichen und pflegerischen Qualifikationen der Teamführung in der Zentralen Notaufnahme bzw. Klinik/Zentrum für Akut- und Notfallmedizin im Umgang mit Schwerverletzten und kritisch kranken, nicht-traumatologischen Patienten auch Kenntnisse des TRM/CRM unabdingbar.

Neben der Behandlung der Vitalbedrohung ist es Aufgabe des Teams einer Zentralen Notaufnahme bzw. Klinik/Zentrum für Akut- und Notfallmedizin, die weiterbehandelnden Fachabteilungen frühzeitig in ein interdisziplinäres Team zu involvieren, um das weitere Vorgehen abzustimmen. Auch hier kann eine Parallele zur S3-Leitlinie „Polytrauma/Schwerverletzten-Behandlung“ [13] gezogen werden. Jede Klinik ist verpflichtet, im „erweiterten Schockraumteam“ die spezielle Fachexpertise bei Bedarf in die Schockraumversorgung zu integrieren (z. B. Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie, Neurochirurgie). Aus Sicht der Autoren gehören zum „erweiterten Schockraumteam“ bei kritisch kranken nicht-traumatologischen Patienten – je nach Krankenhausstruktur bzw. Versorgungsstufe – Kardiologie/Angiologie, Pneumologie, Hämatoonkologie, Nephrologie, Gastroenterologie, Neurologie, Allgemein- und Gefäßchirurgie und Neurochirurgie. In Krankenhäusern, in denen die entsprechenden Fachrichtungen nicht vorgehalten werden, bzw. in interdisziplinärer Absprache mit den vorhandenen Fachabteilungen kann die Zentrale Notaufnahme bzw. Klinik/Zentrum für Akut- und Notfallmedizin verschiedene Versorgungsaufgaben auch bei bestehender Kompetenz im eigenen Team mit übernehmen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass bestimmte Interventionen fachspezifisch erfolgen müssen und dass bereits bei Zuführung von Notfallpatienten durch den Rettungsdienst die tatsächlich vorgehaltenen Interventionsmöglichkeiten darüber entscheiden, ob eine mögliche Zielklinik geeignet ist.

Beim Schockraummanagement von kritisch kranken, nicht-traumatologischen Patienten steht zunächst die Behandlung von vital bedrohlichen Zuständen im Vordergrund. Gerade vor dem Hintergrund, dass nach bzw. während der Stabilisierung der Vitalfunktionen eine weiterführende Diagnostik (z. B. Sonographie, Echokardiographie, kraniale Computertomographie (CCT), Thorax- oder Abdomen-CT) bei einer Vielzahl der kritisch kranken Patienten stattfindet, bedarf es weitreichender Kompetenzen und Kenntnisse der beteiligten Personen.

Das „Basisschockraumteam“ (Tab. 3) für kritisch kranke, nicht-traumatologische Patienten setzt sich daher aus mindestens

  • einem Fach‑/Oberarzt der Zentralen Notaufnahme bzw. Klinik/Zentrum für Akut- und Notfallmedizin mit der Zusatzbezeichnung „Klinische Akut- und Notfallmedizin“ und mit gültigem ACiLS-Zertifikat (ab 2022 oder ein anderes ACiLS-Anforderungen äquivalentes Kurssystem, siehe Abschnitt ACiLS-Kurs)

  • einem Assistenzarzt (bis 2025 noch ohne gültiges ACiLS-Zertifikat, ab 2025 mit gültigem ACiLS-Zertifkat oder ein anderes ACiLS-Anforderungen äquivalentes Kurssystem)

  • zwei Fachpflegekräften der Zentralen Notaufnahme bzw. Klinik/Zentrum für Akut- und Notfallmedizin (eine Pflegekraft mit gültigem ACiLS-Zertifikat sobald verfügbar oder ein anderes ACiLS-Anforderungen äquivalentes Kurssystem; als Übergangslösung Fachweiterbildung Notfallpflege oder Intensivpflege oder vergleichbares anderes Zertifikat).

  • Mindestens 50 % der Ärzte und Pflegekräfte im Schockraumteam sollten ein ACiLS-Zertifikat (oder ein anderes ACiLS-Anforderungen äquivalentes Kurssystem) vorweisen

Tab. 3 Teambesetzung im Schockraummanagement kritisch kranker, nicht traumtologischer Patienten

Zum „Erweiterten Schockraumteam“ (Tab. 3) gehört neben dem Basisschockraumteam je nach hausinternen Strukturen und vermutetem Krankheitsbild zusätzliches pflegerisches Personal und spezielle Facharztexpertise (z. B. Facharztstandard für Kardiologie, Gastroenterologie, Neurologie, Neurochirurgie, Chirurgie, Gynäkologie; je nach Vorhaltung und Versorgungsstufe). Diese Mitglieder können als erweitertes Team auf Anforderung des Basisschockraumteams hinzugezogen werden und sollen dann innerhalb von 30 min im Schockraum verfügbar sein. Bei adäquater Voranmeldung kann eine Komplettierung auf das erweiterte Schockraumteam bereits vor Ankunft erfolgen.

Versorgungskonzepte

Die Etablierung von Schockraumalgorithmen (für die Versorgung von schwerverletzten Patienten) führt zu einer Zeitersparnis in der Versorgung und kann insbesondere bei den besonders schwer traumatisierten Patienten die Letalität reduzieren [6]. Hier sind Parallelen zu kritisch kranken, nicht-traumatologisch Patienten zu vermuten – aufgrund der eingeschränkten Datenlage bislang aber nur für ausgewählte Krankheitsbilder (z. B. Sepsis [53, 56], Schlaganfall [54], ST-Strecken-Hebungsinfarkt und kardiogener Schock [32, 55]) nachgewiesen.

Nach initialer Stabilisierung gemäß dem „ABCDE“-Schema ist eine leitsymptomorientierte, jedoch ganzheitliche Versorgungsstrategie erforderlich, die der häufig zugrundeliegenden Multimorbidität kritisch kranker, nicht-traumatologischer Patienten gerecht wird. Hierin liegt nach Sicht der Autoren die besondere Herausforderung des Schockraummanagements kritisch kranker, nicht-traumatologischer Patienten. Die AG Schockraum der DGINA hat sich deshalb zum Ziel gesetzt, eine Gesamtstruktur für die Schockraumbehandlung dieser Notfallpatienten zu erarbeiten, um eine Art kontinuierliches Rückgrat für die einzelnen bereits vorhandenen Konzepte und die verschiedenen existierenden Abläufe zu bilden und diese einzubinden. Mit dem (PR_E-)AUD2IT-Schema wird ein solcher Ansatz als ein einheitliches, trainierbares und vergleichbares didaktisches Konzept erstmalig vorgestellt [29].

Das (PR_E-)AUD2IT-Schema beinhaltet folgende Phasen:

  • P – Präparation

  • R – Ressourcen

  • „_“ – Pause (Team-Timeout) zur strukturierten Übergabe

  • E – Erstversorgung

  • A – Anamnese

  • U – Untersuchung

  • D2 – Differenzialdiagnosen/apparative Diagnostik

  • I – Interpretation

  • T – ToDo.

Die Phasen werden, auf der Grundlage klinischer Erfahrung und bereits in etablierten Kurskonzepten verbreiteten Behandlungsabfolgen, nacheinander abgearbeitet, um „einen nahtlosen Übergang von der prä- zur innerklinischen Versorgung zu gewährleisten, eine Strukturierung der Behandlung zu ermöglichen, möglichst rasch lebensbedrohliche Zustände zu erkennen und zu behandeln und die wesentlichen Differenzialdiagnosen zum Leitsymptom zu bedenken“ [29].

Darüber hinaus kann – wie oben bereits dargestellt – je nach vorliegender Problemkonstellation ggf. die betreffende Fachexpertise des Hauses hinzugezogen werden. Hierbei helfen im Vorfeld mit den weiterversorgenden Kliniken abgestimmte und verbindliche Versorgungskonzepte (z. B. Postreanimationsphase, akutes Koronarsyndrom, Schlaganfall), die den entsprechenden aktuellen Leitlinien Rechnung tragen. Für die Prozesse innerhalb des Schockraumes sind bereits einige mögliche Abläufe nach dem ABCDE-Prinzip entwickelt worden und befinden sich in stetiger Weiterentwicklung [37, 43,44,45]. Auch bei prähospital bereits gesicherter Diagnose (z. B. ST-Strecken-Hebungsinfarkt) kann die Weiterleitung an die weiterversorgende Struktur (z. B. Herzkatheterlabor) initiiert und gesichert werden. In einem solchen Fall passiert der Patient die Zentrale Notaufnahme bzw. Klinik/Zentrum für Akut- und Notfallmedizin und wird gemäß interdisziplinären Absprachen direkt in das Herzkatheterlabor weitergeleitet. Ist die Ursache für den kritischen Zustand unklar (z. B. bei einer Reanimation) gibt es verschiedene Prozesswege für die Versorgung des Patienten [38]. Die Beschreibung dieser Prozesse müssen deshalb in Form einer interdisziplinär erarbeiteten SOP vorliegen und dem Rettungsdienst kommuniziert sein.

In der Zentralen Notaufnahme bzw. Klinik/Zentrum für Akut- und Notfallmedizin der Autoren stehen diese interdisziplinären Versorgungskonzepte als SOP in der Notaufnahme bzw. Klinik/Zentrum für Akut- und Notfallmedizin zur Verfügung und können darüber hinaus im Intranet des Krankenhauses eingesehen werden.

Die aktuellen Leitlinien sowie Empfehlungen zur Behandlung unterschiedlicher Krankheitsbilder müssen umgesetzt werden (z. B. Sepsis, Schlaganfall, infarktbedingter Schock [45, 55, 56]). Nach Durchführung der notwendigen diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen in der Zentralen Notaufnahme bzw. Klinik/Zentrum für Akut- und Notfallmedizin erfolgt zur weiteren innerklinischen Versorgung die Zuführung des Patienten entsprechend dem notwendigen Versorgungsstruktur (z. B. Intensivstation, Herzkatheterlabor, Angiographie, OP). Die rasche sowie effektive Versorgung und der zeitnahe innerklinische Transport unter intensivmedizinischen Bedingungen sind dabei essenziell. Ziel muss es sein, den Patienten so rasch wie möglich der entsprechenden Intervention und/oder Intensivtherapie zuzuführen; dafür müssen entsprechende Intensivbehandlungskapazitäten jederzeit verfügbar sein. Die zeitnahe Übernahme des kritisch kranken Patienten in der weiterversorgenden Institution ist sowohl für den Patienten als auch für die erneute Bereitstellung der Schockraumversorgung besonders wichtig. Die zeitnahe Übernahme ist im GBA-Beschluss zur Stufung der stationären Notfallversorgung [22] mit einer Übernahmezeit auf die Intensivstation von max. 60 min definiert. Trotz dieser Regelung muss die Zentrale Notaufnahme bzw. Klinik/Zentrum für Akut- und Notfallmedizin auch eine länge Verweildauer eines kritisch kranken, interventionspflichtigen oder intensivpflichtigen Patienten, (z. B. bei Verlegungen durch den Rettungsdienst) auf intensivmedizinischem Niveau gewährleisten. Hierfür muss eine ausreichende personelle Besetzung und Infrastruktur vorgehalten werden.

Telemedizin

Die bedarfsgerechte, elektronische Kommunikation zwischen der Präklinik und Akutklinik und zwischen der Zentralen Notaufnahme bzw. Klinik/Zentrum für Akut- und Notfallmedizin ist eine grundlegende Anforderung, die bei der Versorgung kritisch kranker Patienten erforderlich ist. Dies erfolgt durch die Übermittlung von Bilddaten (z. B. Fotodokumentation von Auffindesituationen, Videosequenzen des klinischen Zustandes eines Patienten, EKG von Patienten, Umfeld, Medikation) oder allgemeiner Befunddaten (z. B. Vitaldaten) (Telemedizin) [18]. Die datenschutzrechtlichen Grundvorgaben sind einzuhalten und durch die entsprechenden Datenschutzkonzepte der Anbieter nachzuweisen. Datenschutzkonzepte sind bereits durch einige vorhandene Systeme (z. B. NIDA, pulsation-IT, Meona, Dedalus) abgeklärt und etabliert.

Zur Optimierung der Versorgung kritisch kranker Patienten über die interklinische Kommunikation bedarf es Kooperationen, die im Folgenden auch Telekooperation genannt werden.

Jede Art der Kommunikation muss vollständig den geltenden Datenschutzvorgaben entsprechen. Die gültigen Vorschriften der Röntgenverordnung sollen bei der Teleradiologie eingehalten werden und die Bildübertragung soll den Empfehlungen der Deutschen Röntgengesellschaft folgen. Die gültigen Regeln und Vorgaben zur Qualitätssicherung sollen eingehalten werden.

Folgende telemedizinische Vernetzung ist sinnvoll und notwendig:

  • Rettungsdienst zur Zentralen Notaufnahme bzw. Klinik/Zentrum für Akut- und Notfallmedizin und Zentralen Notaufnahme bzw. Klinik/Zentrum für Akut- und Notfallmedizin zu Rettungsdienst (Übermittlung der Patientendaten, Übermittlung des Rettungsdienst- oder Notarztprotokolls, Bettennachweis)

  • Verlegungen in der Akutversorgung (Schockraum zu Schockraum, Schockraum zu Intervention, Schockraum zu Operation)

    Konsultationen mit anderen Fachgebieten in der Akutphase (z. B. Neurologie, Neuroradiologie, Neurochirurgie, Herzchirurgie, Augenheilkunde) bei Fragen der Therapieplanung, des Komplikationsmanagements und der eventuell erforderlichen Weiterverlegung

Bundesweit bestehen verschiedene Systeme, die Daten von der Zentralen Notaufnahme bzw. Klinik/Zentrum für Akut- und Notfallmedizin zum Rettungsdienst (z. B. IVENA, rescuetrack, IG NRW) oder vom Rettungsdienst zu Zentralen Notaufnahme bzw. Klinik/Zentrum für Akut- und Notfallmedizin (z. B. IVENA, NIDA, rescuetrack, pulsation-IT) liefern. Ziel muss zukünftig sein, dass die Daten unter Wahrung des Datenschutzes von den verschiedenen Systemen in das Krankenhausinformationssystem direkt übermittelt werden können. Dadurch können Prozesse beschleunigt und die Fehlerentstehung an Schnittstellen verringert werden. Gleichzeitig ist es möglich durch eine digitale Voranmeldung Alarmierungsprozesse in den Kliniken automatisiert anzustoßen.

In der Kommunikation zwischen den Kliniken (z. B. Schlaganfallversorgung, Intervention zur Neuroradiologie, Herzinfarktnetzwerk) kann auf bestehende Systeme zurückgegriffen werden.

Zukünftig muss mit den verschiedenen Anbietern und den Partnern der Notfallmedizin ein einheitlicher Datensatz und Schnittstellenprozess definiert werden, so dass die Kommunikation länderübergreifend möglich ist.

Nicht-traumatologische Großschadensereignisse (MANI)

Großschadensereignisse im Sinne eines Massenanfalls von Verletzten können auch im nicht-traumatologischen Bereich auftreten. Die Spannbreite reicht von einem lokalen Ereignis wie einem Infektionsausbruch (z. B. Influenza, Norovirus) und Intoxikationen bis hin zur Pandemie (z. B. Ebola, Covid-19). Für die lokalen Ereignisse müssen die Zentralen Notaufnahme bzw. Klinik/Zentrum für Akut- und Notfallmedizin vor Ort Abläufe und Prozesse definieren, Hygienekonzepte für hochkantagiöse Szenarien vorhalten, sowie über einen ausreichenden Bestand von persönlicher Schutzausrüstung verfügen. Bereits bei der baulichen Planung raumtechnischer Anlagen müssen Entlüftungskonzepte vorgesehen werden. Im Rahmen einer Pandemie (z. B. Covid-19) sind überregionale Register (z. B. DIVI-Board, DGINA-Notaufnahme-Ampel, Ressourceboard Convexis) notwendig, um die Versorgungskapazitäten zu klären und Ausbrüche zeitnah zu erkennen.

Lokale Ausbrüche von Infektionen oder ein Massenanfall von Intoxikationen sind in der Regel mit den herkömmlichen Mittel des Rettungsdienstes oder den lokalen Kliniken zu gewährleisten. Pandemien (z. B. Covid-19-Pandemie) bedürfen einer nationalen Vorbereitung oder Reaktion. Dafür sind Pandemiepläne in jeder Klinik erforderlich. Die Zentralen Notaufnahme bzw. Kliniken/Zentren für Akut- und Notfallmedizin sind dabei die wesentlichen Dreh- und Angelpunkte für die Trennung und Steuerung der Patientenströme, weswegen die Leiter der Notaufnahmen bzw. Kliniken/Zentren für Akut- und Notfallmedizin häufig auch die Katastrophenschutzbeauftragten der Kliniken sind. Innerhalb der Klinik bedarf es klar vorgegebener Verantwortungsstrukturen [61]. Die möglichen Entlassmodalitäten für Patienten zur Ressourcenschaffung müssen im Vorfeld geklärt sein. Bauliche Strukturen müssen im Vorfeld so angelegt sein, dass infektiöse Patienten in größerer Anzahl von gesunden Patienten getrennt werden können. Dafür müssen vorher bestimmte Triagestrukturen etabliert und regelmäßig geschult sein. Der Materialbeschaffung kommt bei einer weltweiten Pandemie eine bedeutende Rolle zu. Die Lagerhaltung für Schutzmaßnahmen und Intensivbehandlungen (z. B. Beatmungen) müssen erheblich für ein solches Szenario ausgeweitet und vorgehalten werden.

Maßnahmen zur Förderung von Qualität und Sicherheit

Dokumentation

Neben der reinen medizinischen Versorgung ist eine gute und standardisierte Dokumentation bei der Versorgung kritisch kranker Patienten besonders relevant. In vielen Kliniken werden hierzu sehr differente Dokumentationsformen genutzt. Bislang hat sich keine einheitliche Dokumentation durchgesetzt, jedoch soll an dieser Stelle auf die Vorschläge der Sektion Notaufnahmeprotokoll der DIVI hingewiesen werden (www.notaufnahmeprotokoll.de). Einzelne dieser grundsätzlich interdisziplinär erarbeiteten Dokumentationsvorschläge in der Zentralen Notaufnahme wurden bereits publiziert [11].

Zukünftige Register

Vor dem Hintergrund eines bisher im Vergleich zum bestehenden TraumaRegisterDGU® nicht-verfügbaren nationalen Registers für die Schockraumversorgung kritisch kranker Patienten in Zentralen Notaufnahmen bzw. Kliniken/Zentren für Akut- und Notfallmedizin stehen zu dieser Fragestellung kaum epidemiologische Daten für Deutschland zur Verfügung. Eine Möglichkeit der Datenakquise besteht zukünftig zumindest teilweise durch Nutzung des Reanimationsregisters der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin (DGAI), in dem seit Anfang 2013 neben innerklinischen Reanimationen auch innerklinische Notfallbehandlungen dokumentiert werden sollen. Das AKTIN Notaufnahmeregister (www.aktin.org) basiert auf den Standards der Sektion Notaufnahmeprotokoll der Deutschen Gesellschaft für Intensiv- und Notfallmedizin (DIVI) [11, 28, 39, 58]. Aufgrund der umfänglichen technischen Voraussetzungen, die die Interoperabilität auch bei unterschiedlichen Krankenhausinformationssystemen (KIS) sichern, nehmen im Rahmen der Förderung durch das Netzwerk Universitätsmedizin (NUM) zunehmend mehr Kliniken an diesem dezentralen Register teil. Zukünftig könnten hieraus auch flächendeckende Daten für die Schockraumversorgung nicht-traumatologisch kritisch kranker Patienten in Deutschland rekrutiert werden.

Qualitätssicherung und Entwicklung von Qualitätsindikatoren

Die Erhebung von Daten bei der Versorgung von nicht-traumatologisch kritisch kranker Patienten ist zur Überprüfung eines Ist-Status, der Entwicklung der Versorgung dieser Patienten und letztlich zur Definition von Qualität essentiell, um dann eine Qualitätsverbesserung mit verbesserten Behandlungsergebnissen zu erreichen. Dafür müssen zukünftig Qualitätsindikatoren erstellt werden und eine einheitliche Datenerfassung angestrebt werden. Erste Projekte bezüglich der Entwicklung genereller Qualitätsindikatoren für Notaufnahme gibt es bereits. Die wissenschaftliche Bewertung dieser Indikatoren anhand der Überprüfung durch nationale Daten aus Notaufnahmen steht noch aus [16, 40]. Diese Projekte zielen im Augenblick noch darauf ab generelle Grundlagen für eine Qualitätssicherung und die Entwicklung von Qualitätsindikatoren für Notaufnahmen zu bilden. Eine Entwicklung eines eigenen Registers, analog dem TraumaRegisterDGU®, ist erstrebenswert. Eine erste Datenmatrix wurde in den OBSERvE-Studien vorgestellt [10, 25] und kann als Grundlage für eine Weiterentwicklung dienen. Die Datenmatrix sollte letztlich so entwickelt werden, dass sie in das AKTIN-Register, als Gesamtregister für die Notaufnahmen, eingeht.

Benchmarking

Da die Datensätze der OBSERvE-Studien [10, 25] ausschließlich monozentrisch erhoben wurden können die erhobenen Daten nicht ohne weiteres auf andere Standorte und Krankenhäuser anderer Versorgungsstufen übertragen werden. Für die weitere Verbesserung in den Schockraumabläufen kritisch kranker Patienten müssen deshalb multizentrische Daten in einem eigenen Register, nach dem Vorbild des DGU TraumaRegisters, erhoben werden. Das Register kann als Benchmark zwischen einzelnen Kliniken und dem Gesamtregister oder zwischen den Kliniken herangezogen werden. Ein Vorbild dafür stellt der Monatsbericht des AKTIN-Registers dar [28]. Dieser „unterstützt die Prozesssteuerung in Notaufnahmen durch Visualisierung von Aspekten der Prozessqualität und kann als Baustein für internes Qualitätsmanagement genutzt werden. AKTIN nutzt dabei nur klinisch relevante Routinedaten und verzichtet auf die Erhebung von zusätzlichen Daten. Eine regelmäßige standardisierte Auswertung praxistauglicher und relevanter Kennzahlen führt klinikintern, aber auch gegenüber externen Stakeholdern zu mehr Transparenz. Die datenbasierte Abbildung der Versorgungsrealität bietet Möglichkeiten zum Monitoring von Prozessen sowie zur Erfassung von Ressourcenbedarf und leistet damit einen wichtigen Beitrag zur Verbesserung der Patientensicherheit.“ [28].

Auditierung und Zertifizierung

Fort- und Weiterbildung in der Versorgung kritisch kranker, nicht-traumatologischer Patienten

Eine gleichbleibende Qualität in der Versorgung kritisch kranker Patienten und die Schaffung einheitlicher Standards sind ein wesentliches Ziel der Schockraumversorgung. Neben der Standardisierung der materiellen und räumlichen Ressourcen sind auch Anforderungen an das im Schockraum eingesetzte Personal zu stellen. Analog zu den Vorgaben der Trauma-Schockraumversorgung sollen mindestens 50 % aller der für die Versorgung kritisch kranker, nicht-traumatologischer Patienten im Schockraum eingesetzten Mitarbeiter*Innen eine spezielle Fortbildung zur standardisierten Versorgung kritisch kranker Patienten absolvieren. Die DGINA-Akademie hat ein Kurskonzept entwickelt, das sich an alle Mitarbeiter in Zentralen Notaufnahmen bzw. Kliniken/Zentren für Akut- und Notfallmedizin richtet. Der interprofessionell und interdisziplinär ausgerichtete ACiLS-Kurs (Advanced Critical Illness Life Support) ist zur Vorbereitung zum Einsatz im nicht-traumatologischen Schockraum sowohl für ärztliche als auch pflegerische Mitarbeiter konzipiert und vermittelt die wesentlichen Grundlagen und einen universellen Schockraumalgorithmus. Die Inhalte des Kurses bilden wesentliche Anteile des EUSEM-Curriculums für Notfallmedizin ab. Die ersten Kurse werden Mitte des Jahres 2022 stattfinden.

Darüber hinaus sind bei allen Mitarbeitern der Zentralen Notaufnahme bzw. Klinik/Zentrum für Akut- und Notfallmedizin, die an der Versorgung kritisch kranker, nicht-traumatologischer Patienten beteiligt sind, Erfahrungen in der Versorgung kritisch kranker Patienten vorauszusetzen. So sind Grundlagen des Atemwegsmanagements (inklusive des Vorgehens beim schwierigen Atemweg), der Notfallnarkose, der kardiopulmonalen Reanimation u. v. m. nicht alleine in einem Kursformat zu vermitteln, können aber durch praktische Erfahrungen in der Notfall- und Akutmedizin erworben werden. Weitere Kursformate wie z. B. Advanced Life Support (ALS®) und ergänzend traumatologische Kurskonzepte (z. B. ATLS, ETC) für feste Mitarbeiter der Zentralen Notaufnahmen bzw. Kliniken/Zentren für Akut- und Notfallmedizin sind zu empfehlen.

Zur Qualitätssicherung und insbesondere zur Vermittlung der lokalen Standards der Schockraumversorgung werden regelmäßige hausinterne Schockraumtrainings empfohlen. Eine Vielzahl von Konzepten wurden in den letzten Jahren publiziert u. a. ein im Rahmen des TEAM-Training als Ergänzung von ATLS [59], die als Blaupause verwendet werden könnten. z. B. HOTT [47] oder ETC [41]. Diese können analog zu Reanimationstrainings abteilungsintern organisiert werden und sollten alle an der Schockraumversorgung beteiligten Berufsgruppen und Fachabteilungen einbeziehen. Ein Praxistraining sollte im Mittelpunkt des Trainings stehen und dabei lokale Besonderheiten wie Alarmierungswege, Teamkommunikation, materielle Ressourcen, eine strukturierte Übergabe und die Notfalldiagnostik berücksichtigt werden. Hierfür sollten der Abteilung Simulationsmaterial und Trainingspuppen zur Verfügung stehen. Jeder Mitarbeiter sollte einmal jährlich ein Schockraumtraining absolvieren. Das Training sollte evaluiert werden.

ACiLS-Kurs

Das Kursformat richtet sich an alle Mitarbeiter, die an der nicht-traumatologischen Schockraumversorgung teilnehmen. Es vermittelt Grundlagen sowie einen Universalalgorithmus. Im Vordergrund stehen dabei praktische Szenarientrainings, in denen vor allem die Teaminteraktion, Kommunikation und Elemente des CRM [42] trainiert werden.

Gliederung des Kurses

E-Learning.

Der ACiLS-Kurs besteht aus einem ELearning-Anteil mit 12 Unterrichtseinheiten, die im Vorfeld des Kurses absolviert werden müssen. Dabei werden vor allem theoretische Grundlagen vermittelt und neben Basiselementen der Schockraumversorgung und der Teamkommunikation medizinische Aspekte vermittelt. Eine Online-Prüfung zur Lernerfolgskontrolle dient als Zugangsvoraussetzung für den Präsenzteil und dient der strukturierten Vorbereitung. Inhalte des ELearning sind:

  1. 1.

    Grundlagen ACiLS

  2. 2.

    Primary Survey

  3. 3.

    Team Ressource Management

  4. 4.

    Atemwegsmanagement & Narkose

  5. 5.

    Atemstörungen

  6. 6.

    Kreislaufstörungen

  7. 7.

    Sepsis und Infektion

  8. 8.

    Endokrinologische Notfälle

  9. 9.

    Thoraxschmerz

  10. 10.

    Vigilanzminderung und neurologisches Defizit

  11. 11.

    Akutes Abdomen

  12. 12.

    Golden Principles und Leistungsüberprüfung

Präsenzteil.

Nach erfolgreicher Lernerfolgskontrolle absolviert der Teilnehmer einen zweitägigen Kursteil, der sich durch einen hohen Praxisanteil auszeichnet. Impulsvorträge, Skilltrainings und Szenariotrainings bereiten den Teilnehmer auf die nicht-traumatologische Schockraumversorgung vor und vermitteln einen universellen Schockraumalgorithmus. Der zweitägige Kursteil wird durch eine Lernerfolgskontrolle abgeschlossen.

Kursinhalte.

Die unterrichteten Kursinhalte orientieren sich am EUSEM-Curriculum for Emergency Medicine sowie der MWBO für Klinische Akut- und Notfallmedizin und bilden den Großteil nicht-traumatologischer Schockraumindikationen ab. Neben relevanten Notfallbildern, die anhand von Leitsymptomen und wesentlichen Differentialdiagnosen vermittelt werden, sind auch Grundlagen des Team Ressource Management, des Atemwegsmanagements und der Notfallnarkose sowie der Notfallbeatmung, der Notfalldiagnostik und der Notfallsonographie Bestandteil des Kurses.

Kursorganisation.

Das ACiLS-Kursformat wird von der DGINA-Akademie angeboten und zentral organisiert. Die Durchführung findet dezentral an verschiedenen zertifizierten Kurszentren statt.

Zertifikat.

Nach erfolgreicher Kursteilnahme und Lernerfolgskontrolle erhält der Teilnehmer ein Zertifikat mit einer Gültigkeit von 5 Jahren. Künftig sind eintägige Refresherkurse geplant, die zur Aktualisierung des Zertifikats führen.

Debriefing

Nach einer komplexen Schockraumversorgung sollte das eingesetzte Team zeitnah, idealerweise aber innerhalb weniger Tage ein strukturiertes Debriefing durchführen. Dies dient zum einen der Qualitätssicherung und deckt mögliche Defizite sowie Verbesserungspotential auf, zum anderen können emotional belastende Situationen aufgearbeitet werden und Bedarf für weitere professionelle Beratung erkannt werden [27, 33, 49].

Qualitätssicherung und Schockraumzirkel

Eine wichtige Maßnahme zur Qualitätssicherung ist die Einrichtung von Qualitätszirkeln zur Schockraumversorgung. Alle beteiligten Fachabteilungen sollten mindestens zweimal jährlich die aktuelle Versorgungsstrategie, Fallzahlen, kritische Ereignisse sowie das Behandlungsergebnis der Schockraumversorgung diskutieren. SOP und Versorgungsalgorithmen sollten ständig aktualisiert werden. Eine weitere relevante und zukünftig zu etablierende Qualitässicherungsmaßnahme ist die regelmäßige Auditierung durch anerkannte Zertifizierer (analog z. B. Zertifizierung Traumazentrum, Cardiac Arrest Zentrum).

Zusammenfassung und Aussicht

Die Versorgung nicht-traumatologischer, kritisch kranker Patienten ist eine große Herausforderung in der Schockraumversorgung, die aufgrund bisheriger Strukturen, erst in den Anfängen untersucht und in vielen Kliniken noch nicht oder erst in Ansätzen etabliert ist.

Es besteht ein dringender Handlungsbedarf dafür Strukturen und Prozesse zu etablieren. Erste Grundlagen dafür sind die kontinuierliche Erfassung von Daten, die Etablierung von Qualitätsindikatoren und Qualitätssicherungssystemen und Ausbildungskonzepten wie das ACiLS-Konzept um die Versorgung dieser schwerkranken Patienten zu verbessern. Dafür ist die Zusammenarbeit aller an der Versorgung beteiligten Fachgesellschaften nötig und erwünscht. Dieses Weißbuch soll ein erster Aufschlag zur Verbesserung der strukturierten Versorgung dieser Patienten sein.