Die Hubschrauberrettung ist in vielen Ländern ein zentrales Element der Notfallversorgung. In Österreich existiert ein dichtes Netzwerk an bodengebundenen Notarztmitteln sowie tagsüber eine flächendeckende Versorgung mit Notarzthubschraubern (NAH). Allgemein sind Notarzteinsätze mit nicht vitalbedrohten Patienten relativ häufig. Die vorliegende Arbeit evaluiert, wie oft der Einsatz eines Notarzthubschraubers gegenüber einem bodengebundenen Notarzt- oder Rettungsmittel vorteilhaft war.

Hintergrund

Der NAH ist als schneller Notarztzubringer, Rettungsgerät im Gelände und für einen zügigen und schonenden Transport prädestiniert [7]. Durch seinen Einsatz können für kritisch kranke Patienten Überlebensvorteile entstehen [1, 2, 5, 13]. Demgegenüber stehen erhebliche Material-, Wartungs- und Ausbildungskosten, sodass NAH prinzipiell eine eingeschränkt verfügbare Ressource darstellen. Auch wenn es sich größtenteils um Vorhaltekosten handelt, sollte aufgrund des zunehmenden Spardrucks im Gesundheitswesen und knapper werdender Personalressourcen ein möglichst effizienter Einsatz erfolgen. Da üblicherweise NAH nicht redundant vorgehalten werden können, kann sich die Disposition zu einem weniger indizierten Fall auch nachteilig für einen anderen dringlicheren Patienten auswirken. Ob ein NAH vorteilhaft eingesetzt wird, ist eine komplexe Fragestellung. Diese Arbeit versucht der Frage nachzugehen, ob und in welchem Ausmaß die Primärrettungseinsätze eines für Österreich repräsentativen NAH gegenüber bodengebundenen Notarzt- oder Rettungsmitteln vorteilhaft waren.

Methoden

In einer retrospektiven Analyse wurden alle Einsätze des NAH Christophorus 12 (Flughafen Graz/Thalerhof) zwischen 01.07.2014 und 30.06.2015 untersucht. Der Hubschrauber vom Typ EC-135 (Airbus Helicopters) wird in öffentlichem Auftrag vom Christophorus Flugrettungsverein des Österreichischen Automobil- und Touringclubs betrieben und durch die Rettungsleitstelle Steiermark des Österreichischen Roten Kreuzes disponiert. Das Einsatzgebiet umfasst hochalpine Regionen, ländliches Flach- und Hügelland und dicht besiedelte städtische Ballungsräume und wurde daher als für Gesamtösterreich geographisch repräsentativ angenommen. Insgesamt werden grob 900.000 Einwohner versorgt. Interhospitaltransfers sowie während des Anflugs stornierte oder nicht ausreichend dokumentierte Missionen wurden exkludiert. Wenn sich mehr als ein Patient am Notfallort befand wurde der schwerwiegendere Fall herangezogen. Für die Bewertung der Einsatzindikation wurde ein Score, bestehend aus den Kategorien Einsatzort, Notfalldiagnose und Maßnahmen erstellt, wobei in jeder Kategorie zwischen 0 und 4 Punkte vergeben wurden, sodass maximal 12 Punkte erreicht werden konnten. Die Datenauswertung erfolgte mit Microsoft® Excel unter Verwendung deskriptiv-statistischer Methoden. Metrische Daten sind als Mittelwert ± Standardabweichung dargestellt. Diese Arbeit basiert auf einer Diplomarbeit an der Medizinischen Universität Graz, und für diese liegt ein Votum der Ethikkommission der Medizinischen Universität Graz vor (28-168 ex 15/16).

Kategorie Einsatzort.

Für jeden Einsatz wurde mittels Routenserver (xServer der Fa. PTV-AG, Karlsruhe, Deutschland mit Standardeinstellungen) der kürzeste Anfahrtsweg zur geographischen Ortsmitte des Einsatzorts und die Fahrzeit des zum Einsatzort nächstgelegenen bodengebundenen Notarztmittels berechnet. Von den ermittelten Fahrzeiten wurden jeweils 20 % abgezogen, um der Sondersignalfahrt Rechnung zu tragen sowie zur dokumentierten Flugzeit des NAH 2 min für Landung und Erreichen des Patienten addiert. Anschließend erfolgte der Vergleich von Fahr- vs. Flugzeit und eine Punktevergabe für den entstandenen Zeitvorteil. Einsätze auf Skipisten, Forstunfälle oder andere Fälle mit dokumentiert schwierigem Gelände wurden automatisch mit 2 Punkten, mit normalen Kraftfahrzeugen nicht erreichbare Orte oder Seilbergungen mit der maximalen Punktezahl bewertet.

Kategorie Transportpriorität.

Die vor Ort gestellten Diagnosen wurden nach der daraus entstehenden Transportpriorität unterteilt, um den Vorteil eines raschen Hubschraubertransports in ein geeignetes Krankenhaus zu erfassen (Tab. 1). Zur Evaluierung der diagnostischen Treffsicherheit vor Ort wurde die Diagnose am Einsatzprotokoll mit der endgültigen Diagnose laut Krankenhausinformationssystem verglichen. Dies wurde durch einen der Autoren (RR) durchgeführt; bei Unklarheiten wurde der Fall unabhängig von zwei weiteren Autoren (GG und SH) bewertet.

Tab. 1 Beispiele aus verwendetem Diagnosenkatalog

Kategorie Maßnahmen.

Unter der Prämisse, dass vor Ort getroffene Maßnahmen die Schwere des notfallmedizinischen Zustandsbilds reflektieren, wurden vor Ort gesetzte Maßnahmen nach Invasivität gereiht in den Score aufgenommen (Tab. 2).

Tab. 2 Beispiele aus dem verwendeten Maßnahmenkatalog

Ergebnisbewertung

Die jeweilig vergebenen Punkte aus den einzelnen Kategorieren wurden aufsummiert und das Ergebnis wie folgt bewertet (Tab. 3):

Tab. 3 Score zur Bewertung der Einsatzindikation

0 Punkte.

Es lag keine Vitalbedrohung vor oder es gab keine transportlogistische Begründung für einen NAH-Einsatz; dies schließt nicht aus, dass zur präklinischen Diagnosestellung ärztliches Personal erforderlich war.

1–3 Punkte.

Der Fall war aufgrund notwendiger Maßnahmen vermutlich notarztpflichtig, aber ohne wesentliche Transportpriorität oder vice versa aus rettungstechnischer Sicht für den NAH geeignet. Es war jedoch weder ein zeitkritischer Transport erforderlich, noch wurde eine weitergehende ärztliche Intervention durchgeführt. Er hätte auch durch den bodengebundenen Notarzt- oder (Berg‑)Rettungsdienst gelöst werden können.

4–12 Punkte.

Die Disposition des NAH wurde als adäquat bewertet, da entweder durch die Kombination oder auch aufgrund nur eines stärker gewichteten Einzelfaktors für den Patienten ein Vorteil durch den NAH entstand. Je höher die Punkteanzahl, desto größer war theoretisch auch der entstandene Vorteil.

Ergebnisse

Im Beobachtungszeitraum wurden 1358 Einsätze registriert. Wegen unzureichender Dokumentation mussten 65 Einsätze ausgeschlossen werden, in 46 Fällen wurde der NAH bereits am Anflug storniert. Insgesamt 204 Einsätze waren Interhospitaltransfers, sodass letztlich 1043 Primäreinsätze in die Analyse einbezogen wurden (Abb. 1), aus diesen der Score berechnet wurde. Bei der Ermittlung der Krankenhausdiagnose wurden ferner 121 verstorben oder lebendig am Einsatzort belassene und 73 im Krankenhausinformationssystem nicht auffindbare Patienten ausgeschlossen. So konnte von 849 Patienten die innerklinisch gestellte Diagnose ermittelt werden.

Abb. 1
figure 1

Patientenflussdiagramm der eingeschlossenen Fälle

Das mittlere Alter der Patienten betrug 54,5 ± 25,4 Jahre, 62 % der Patienten waren männlich. In 41 % lagen traumatologische und in 38 % internistische Notfälle vor. Insgesamt 78 % der Patienten wurden durch den Hubschrauber transportiert. In 10 % aller Fälle erfolgte der weitere Transfer durch bodengebundene Rettungsmittel. In 12 % wurde kein Transport durchgeführt, wobei 6 % aller Fälle auf erfolglose Reanimationen, 4 % auf Todesfeststellungen ohne Wiederbelebungsmaßnahmen und 2 % auf Fälle mit Behandlung und Verbleib vor Ort entfielen.

Bei der Evaluation des Scores zeigte sich, dass 62 % der Einsätze mit 4 Punkten oder höher bewertet wurden und somit von adäquaten NAH-Einsätzen ausgegangen werden kann. In 38 % der Fälle ergab der Score 3 Punkte oder weniger, somit konnte aus der NAH-Disposition kein Vorteil nachvollzogen werden (Tab. 4). In 36 Fällen (3 %) erfolgte in keiner Kategorie eine Punktevergabe.

Tab. 4 Detailergebnisse Score zur Bewertung der Vorteile des Notarzthubschraubers

Beim Vergleich der durch die NAH-Ärzte gestellten Diagnosen mit den Krankenhausdiagnosen zeigte sich, dass die notärztliche Diagnose in 88 % korrekt gestellt wurde. In einigen Fällen wurde das Verletzungs-/Erkrankungsausmaß unterschätzt. Hier waren v. a. falsch eingeschätzte Patienten mit schweren Thoraxtraumata (n = 19; Beispiel: Sternumfraktur, Pneumothorax, Serienrippenfraktur bei keinem dokumentierten Thoraxtrauma) und fehlgedeutete Pulmonalarterienembolien (n = 4; Beispiel: vermutete Synkopen, resp. Infekt) auffällig. Bei den überbewerteten Fällen fanden sich meist Fälle von vermuteten akuten Koronarsyndromen, welchen beispielsweise respiratorische Infekte oder hypertensive Kreislaufverhältnisse zugrunde lagen. In 2 % aller erfassten Einsätze wurde eine falsche Diagnose (Beispiel: Verdacht auf akutes Koronarsyndrom bei später gesicherter Choledocholithiasis als Ursache der Beschwerden oder Verdacht auf Schädelhirntrauma bei internistischer Ursache einer Synkope) gestellt.

Diskussion

Diese Untersuchung zeigt auf, dass man in einem für Österreich repräsentativen NAH-System 38 % aller Einsätze vermutlich auch bodengebunden hätte lösen können. Die Disposition von Notarztmitteln wird von Faktoren wie Verfügbarkeit von Notfallmitteln, Ausbildung von Sanitätern und Leitstellendisponenten, unterschiedlichen Indikationsrichtlinien, Ausnutzung von gesetzlich vorgesehenen Notfallkompetenzen, Kostendruck und regionalen Alarmierungsgebräuchen beeinflusst [8]. Zumindest in Teilen von Österreich ist die Besetzung von bodengebundenen Notarztmitteln zusehends schwieriger und der Kostendruck im Gesundheitssystem steigt stetig. Umso wichtiger erscheint es, einen NAH möglichst gezielt dort einzusetzen, wo der Benefit für den Patienten am größten erscheint. Die genauen Ursachen für die hohe Rate an Einsätzen, die auch bodengebunden hätten gelöst werden können, sind wie erwähnt komplex und sollen im Rahmen dieser Arbeit nicht evaluiert werden.

Die Vorteile eines NAH gegenüber bodengebundenen Rettungsmitteln können nicht mit einem singulären Parameter erfasst werden, weshalb diese Arbeit auf einem kombinierten Score basiert.

Während die Flugzeiten relativ genau erfasst werden konnten, sind die aus gemittelten Geodaten errechneten Anfahrtszeiten für Notarztfahrzeuge beispielsweise von Witterungsbedingungen und Verkehr beeinflussbar und daher nur Näherungswerte. Auch wurden Einsätze in denen der Hubschrauber als Rettungsgerät aus beispielsweise alpinem Gelände genutzt wurde, unabhängig von der notärztlichen Versorgung als indiziert bewertet, sodass dem Einsatz als Alpinrettungsmittel in einem Land wie Österreich Rechnung getragen wurde.

Eine wesentliche Stärke des NAH stellt der schnelle, direkte und erschütterungsfreie Transport auch über weite Strecken dar, was besonders für Patienten günstig ist, die zeitkritisch in ein Schwerpunktkrankenhaus verbracht werden müssen. Dementsprechend wurden im Score alle Diagnosen, bei denen eine verkürzte Prähospitalphase bis zur definitiven innerklinischen Versorgung einen Benefit verspricht, automatisch als für den Hubschrauber indiziert gewertet (es wurde angenommen, dass der NAH-Transport immer schneller war). Diese Sichtweise wird durch medizinische Lehrmeinungen untermauert (z. B.: „time is brain/muscle“) [4, 12, 14, 15], während sich bei häufigen notfallmedizinischen Krankheitsbildern wie z. B.: hypertensiven Entgleisungen nach der notärztlichen Therapie vor Ort nur ein geringer prognostischer Vorteil aus einem Hubschraubertransport ergeben wird. Nicht selten kann hier sogar der Transport in einem geräumigen Fahrzeug gegenüber dem Transfer in einem engen Hubschrauber von Vorteil sein.

Die durch Flugrettungsärzte vor Ort gestellten Diagnosen wurden zu 88 % von der Diagnose im Krankenhaus bestätigt, sodass die Schwere des Krankheitsbilds oder der Verletzungen und die Dringlichkeit des Transports vor Ort im Wesentlichen korrekt eingeschätzt wurden. Vor Ort gesetzte Maßnahmen lassen sicherlich auch Rückschlüsse auf die Notfallschwere zu, durch Notärzte gesetzte Maßnahmen wurden daher als dritte Kategorie in den Score aufgenommen. Vor allem bei invasiveren Maßnahmen wie Narkoseeinleitung oder digitaler Thorakozentese treten technische Fertigkeiten, Ausbildung und Erfahrung der Ärzte in den Vordergrund. Am NAH tätige Ärzte begegnen aufgrund des großen Versorgungsgebiets eines Hubschraubers schwerwiegenden Notfällen meist relativ häufig, hingegen werden für bodengebunden tätige Notärzte relativ niedrige Frequenzen bei invasiven Maßnahmen berichtet [6, 9]. So kann der Hubschrauber oft auch als Zubringer entsprechender Spezialisten für ein großes Einsatzgebiet angesehen werden [3]; dies ist jedoch nur in Einzelfällen auch tatsächlich belegt [10].

Vor allem aus dem retrospektiven Studiendesign ergeben sich auch Limitationen dieser Arbeit. Wohl aufgrund des Zeitdrucks war die Dokumentation teilweise unvollständig, sodass knapp 5 % der Fälle ausgeschlossen werden mussten. So konnten wahrscheinlich, bedingt durch Probleme bei der Erfassung der administrativen Daten, nicht lückenlos alle Patienten in den Krankenhäusern nachverfolgt werden. Auch konnte nicht erfasst werden, ob ein bodengebundenes Notarztmittel zum gegebenen Zeitpunkt tatsächlich einsatzbereit war, sodass sich dahingehend eine deutliche Unsicherheit in Bezug auf den Zeitvorteil ergibt. Die durchschnittliche Einsatzfrequenz der bodengebundenen Notarztstützpunkte im Bundesland Steiermark beträgt jedoch 2,25 Einsätze pro 24 h pro Stützpunkt [11], daher könnte dies durchaus bei einigen Einsätzen der Fall gewesen sein. Demgegenüber sei erwähnt, dass Einsätze, bei denen der NAH noch am Anflug durch andere Rettungskräfte vor Ort wieder storniert wurde, nicht in die Analyse einbezogen wurden, sodass bereits eine Vorselektion der Daten erfolgte. Grundsätzlich muss auch festgehalten werden, dass dieser Score zum ersten Mal angewandt und durchaus „aus der Praxis“ generiert wurde, jedoch nicht extern oder durch eine Fachgesellschaft validiert wurde. In den Score wurden auch keine Anforderungsdiagnosen miteinbezogen; der Score beurteilt derzeit also retrospektiv die Vor-Ort-Situation.

Insgesamt ergibt sich aus dieser Untersuchung sicherlich der Bedarf von vermehrter Evaluierung der Prozess- und Ergebnisqualität im NAH-Rettungswesen. Aus vorliegenden Daten lässt sich nicht erheben, wie viele Patienten, die klar vom NAH profitiert hätten, nur verzögert oder eventuell auch gar nicht über den Luftweg transportiert wurden, während dieser mit weniger schwerwiegenden Fällen besetzt war. Eine gewisse Anzahl an weniger indizierten Fällen ist jedoch zweifelsfrei als „Sicherheitspolster“ im Dispositionsschema einer Rettungsleitstelle notwendig; die eigentlichen Dispositionsmodalitäten sind jedoch nicht Gegenstand der Untersuchung. Aus Sicht der Autoren sollte aber aus finanziellen und einsatztaktischen Gründen versucht werden, einen NAH jenen Patienten zuzuführen, die davon am meisten profitieren können.

Fazit für die Praxis

  • Die Vorteile eines NAH, nämlich schnelles Zubringen qualifizierter medizinischer Hilfe bis in entlegene Gebiete und rascher und schonender Transfer in die geeignete Zielklinik, wurden in einem für Österreich repräsentativen Notarzthubschrauberstützpunkt in über einem Drittel aller Einsätze nicht ausgenutzt.

  • Weitere Studien und Maßnahmen zur vermehrten Qualitätssicherung sollten durchgeführt werden, um die adäquate Disposition von Luftrettungsmitteln in Zukunft weiter verbessern zu können.