Das deutsche Gesundheitssystem ist traditionell sehr stark gegliedert und reglementiert. So ergeben sich aus der Zusammenschau eines weltweit einmaligen Textes, nämlich dem „Heilpraktikergesetz von 17.02.1939 in der Fassung vom 02.03.1974“ sowie der „Bundesärzteordnung vom 15.12.2004“, 3 Gruppen von Berufen im Gesundheitswesen:

  • die Ärzte,

  • die Heilpraktiker und

  • die staatlich geprüften Gesundheitsfachberufe.

Die Osteopathie oder der Osteopath finden sich in dieser Systematik so wenig wie der Terminus „Medizinische Disziplin“, den der Begründer der Osteopathie, Dr. A. Still, geprägt hat. Dennoch wird sowohl in der täglichen Praxis als auch in der Presse die Osteopathie als wirksame Heilmethode beschrieben und täglich von Patienten nachgefragt – erstattungsfähig sind diese Behandlungen auch, aber nur von Privatkrankenkassen!

Selbstverständnis der Osteopathie

Die Osteopathie ist eine vollwertige medizinische Disziplin, in der die manuelle diagnostische und therapeutische Vorgehensweise bei Funktionsstörungen im Mittelpunkt steht.

Ziel der Osteopathie ist die Wiederherstellung der körperlichen Funktionsfähigkeit durch die manuelle Beseitigung von Blockaden bzw. Bewegungsverlusten egal welchen Gewebes.

Osteopathie als Gesundheitsfachberuf – Pro und Kontra

Alle Gesundheitsfachberufe sind in entsprechenden Landesgesetzen mit ihren Lern- und staatlichen Prüfungsinhalten verzeichnet. Sie sind gekennzeichnet von

  • der Weisungsbefugnis,

  • der Delegation bzw.

  • der Verordnung der Leistungserbringung durch Ärzte.

Genau an diesem Punkt zeichnet sich der Konflikt ab: Der Osteopath ist laut seinem Selbstverständnis eben kein verordnungsabhängiger Leistungserbringer, sondern es handelt sich bei der Osteopathie um eine selbstständige medizinische Disziplin mit akademischer Ausbildung. Diese Professionalisierung der Gesundheitsfachberufe hat in den angloamerikanischen Ländern eine langjährige Tradition und führte dort dazu, dass sich zwischen Ärzten und so genannten medizinischen Hilfsberufen eine Vielzahl akademischer Ausbildungen institutionalisierte. In Europa stockt dieser Prozess trotz des „Bologna Protokolls 1999“ noch, wobei die stärksten Widerstände aus Deutschland kommen. Vor diesem Hintergrund wird die Osteopathie als akademische Ausbildung in Deutschland nicht angeboten, sondern nur in Kombination mit der Heilpraktikerausbildung gelehrt oder als Studiengang an niederländischen, britischen und anderen ausländischen Hochschulen auch für deutsche Ärzte und Physiotherapeuten angeboten.

Die Wesensmerkmale der Professionalisierung von Gesundheitsfachberufen wurden von Groll et al. [1] ausführlich dargestellt:

  • Verwissenschaftlichung der Berufsposition

  • Höherqualifizierung der Berufsausbildung

  • Einrichtung formaler Studiengänge

  • Fachprüfungen

  • Organisation der Berufsangehörigen

  • Kodifizierung der berufsethischen Normen

  • Zunehmende berufliche Autonomie

  • Steigerung des Berufsprestiges

  • Steigerung des Einkommens

Hieran wird deutlich, warum gerade in Deutschland bezüglich der Anerkennung der Osteopathie derartige Probleme bestehen: Würde sie anerkannt werden, wäre die bisherige ausschließliche Weisungs- und Verordnungsbefugnis von Ärzten gegenüber anderen Leistungserbringern im Gesundheitswesen in Frage gestellt bzw. überholt. Wir müssten Pflegekräfte, Technische Assistenten, Physiotherapeuten, Hebammen und viele andere Berufsgruppen nach einer (zusätzlichen/erweiterten?) akademischen, also professionalisierten Ausbildung als autonome Berufsgruppen akzeptieren und vergüten. Die ärztliche Verordnung, bisher als absolute Qualitätssicherung für den Patienten gedacht, könnte, und sei es als Mittel der Rationierung, entfallen.

Ungeklärte praktische Fragen bezüglich der Professionalisierung des Osteopathen sind z. B.:

  • Darf die Diagnostik nur mit osteopathischen Untersuchungstechniken erfolgen oder können auch bildgebende Verfahren wie Röntgen und Schnittbilddiagnostik eingesetzt werden?

  • Darf die Therapie nur osteopathisch erfolgen oder kann der Osteopath Medikamente verordnen?

  • Wie wird die Therapie organisiert, wenn Ärzte nicht mehr weisungsbefugt sind?

  • Wer definiert die Schnittstellen zur „Schulmedizin“?

  • Erhalten eigenständig arbeitende Therapeuten die Überweisungsbefugnis zum Facharzt (USA)?

Osteopathie – Berufsständisches Ärgernis oder wertvolles Heilmittel

Es steht wohl für nahezu alle in der muskuloskelettalen Medizin erfahrenen Ärzte außer Frage, dass die manuellen Mittel der Osteopathie sowohl hervorragend zur Diagnosestellung als auch zur Therapie von muskulären Dysbalancen, resultierenden Fehlhaltungen und nachfolgenden Arthropathien mit schmerzhaften Funktionsverlusten geeignet sind. Aus der Osteopathie hat sich als Subspezialität besonders in Europa die Manuelle Medizin etabliert, sie ist in den deutschen Heilmittelrichtlinien aufgeführt, also auch zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherer verordnungs- und vergütungsfähig.

Derzeit häufig im Rahmen einer manuellen Therapie verordnete und von den Kassen auch vergütete osteopathische Behandlungstechniken sind z. B.:

  • Manipulation

  • Mobilisation

  • Myotensive Maßnahmen

  • Fasziale Mobilisation

  • Kraniosakrale Mobilisation

Es muss jedoch betont werden, dass ein manualtherapeutisch ausgebildeter Physiotherapeut in Deutschland weder autonom manipulieren noch ohne Verordnung mobilisieren darf. All diese Techniken einschließlich der vorherigen Diagnosestellung sind eigentlich den ärztlichen Manualtherapeuten vorbehalten. In der Realität haften verordnende Ärzte bei Schäden, aber der leistende Therapeut wird im Zweifel ebenfalls nachweisen müssen, dass er die Grenzen seines Fachs nicht überschritten hat – er ist eben (noch?) nicht autonom!

Fazit

Die Osteopathie versteht sich selbst als eigenständige medizinische Disziplin, die gleichzeitig Wissenschaft, Kunst und Philosophie beinhaltet. Mit diesem Selbstverständnis kann sie bisher nicht in das deutsche Gesundheitswesen integriert werden. Dennoch haben viele erfolgreiche Techniken und Methoden längst ihren festen Platz in Diagnostik und Rehabilitation, gerade in berufsgenossenschaftlichen Heilverfahren. Es wird nicht Osteopathie verordnet, sondern Manuelle Therapie oder bestimmte Verfahren auf neurophysiologischer Basis und der manuellen Massage. Die praktische Lösung besteht derzeit in einer engen vertrauensvollen Zusammenarbeit zwischen Ärzten und nichtärztlichen Osteopathen – ausschließlich ausgerichtet auf das Wohl des Patienten! Alle juristischen und berufsständischen Diskussionen sind diesem Ziel unterzuordnen.