Hintergrund

Das psychoonkologische (psychoonkolog.) Screening mittels validierter Screeningfragebögen ist in der Praxis gut erprobt und kann psychisch belastete Patient_innen (Pat.) erfolgreich identifizieren [1]. Ca. 50–70 % aller Krebserkrankten sind psychisch belastet [2, 3] und ca. ein Drittel weist im Laufe der Erkrankung eine psychische Störung auf [4]. Die daraus resultierende psychoonkolog. Behandlungsnotwendigkeit ist eindeutig. Trotz etablierter Screeningverfahren und psychoonkolog. Versorgungsstrukturen wird ein Teil der belasteten Pat. nicht identifiziert [5] oder adäquater Versorgung zugeführt [6, 7]. Die Gründe dafür sind vielfältig und liegen sowohl auf Pat.-Seite (Angst vor Stigmatisierung, Anspruch, sich selbst helfen zu wollen, fehlendes Wissen über Angebote etc. [8]) als auch auf Behandlungsseite (Zeitdruck, Wissensdefizite, geringer Stellenwert der Psychoonkologie etc. [9, 10]) oder sind struktureller Art (kurze Liegezeiten, keine ortsnahen Unterstützungsangebote, unklare Verantwortung etc. [9]). Deshalb fordern die S3-Leitlinie Psychoonkologie [11] wie auch die aktuelle Best-Practice-Empfehlung [12] sowie internationale Leitlinien (z. B. NCCN [13]) den Einsatz von Screeninginstrumenten inklusive Schritt-für-Schritt-Anleitung. Darüber hinaus ist das psychoonkolog. Distress-Screening seit 2022/2023 eine Kennzahl im Zertifizierungsprozess der Deutschen Krebsgesellschaft [14].

Im klinischen Alltag existieren dagegen heterogene Umsetzungen, Verantwortungsdiffusionen sowie Lücken in der Weiterleitung des Screeningergebnisses bzw. in der Einleitung der psychoonkolog. Unterstützung [15]. Diese Barrieren könnten jedoch reduziert werden. So ist die Inanspruchnahme für psychoonkolog. Angebote deutlich erhöht, wenn das Screening mit einem persönlichen Gespräch oder einer Empfehlung verknüpft wird [16]. Nach der Best-Practice-Empfehlung stellt der erste Schritt, die Identifikation psychisch belasteter Patient_innen mithilfe eines Screenings, keine Aufgabe der Psychoonkologie dar und obliegt der jeweiligen Klinik bzw. Station, die eine für das Screening verantwortliche Person benennen soll [10]. Der nächste Schritt, bei als belastet identifizierten Patient_innen eine weitere psychologische Diagnostik und entsprechende weitere Behandlung einzuleiten, ist Fachkompetenz und Aufgabe der Psychoonkologie. Häufig ist die Verantwortlichkeit für die Durchführung des Screenings nicht klar geregelt und wird von Pflegekräften, dem Aufnahme- oder Casemanagement übernommen [17], jedoch fehlen diesen ohne Schulung Informationen über aktuelle psychoonkolog. Unterstützungsangebote [18]. Zudem finden sich Unsicherheiten beim Behandlungsteam, psychische Belastungen anzusprechen, aus Sorge, nicht adäquat darauf reagieren zu können [19]. Abhilfe kann Weiterbildung sowie ein verbesserter interdisziplinärer Austausch schaffen, wobei insbesondere die Pflege in ihrer Funktion gestärkt werden sollte. Die Pflege in der Onkologie hat eine bedeutende Schlüsselrolle inne. Diese zeigt sich sowohl in der kontinuierlichen Begleitung sowie in vielfältigen klinischen Eindrücken von den Pat. als auch durch die Zusammenarbeit mit verschiedenen Berufsgruppen. Studien zeigen zudem, dass Pflegekräfte nach Kommunikationsschulungen psychisch belastete Pat. besser identifizieren konnten [20], sich in Interaktionen selbstsicherer fühlten [21] und ihr Wissen bzgl. psychischer Belastungen bei Krebserkrankungen erweitert wurde [22].

Internationale Distress-Management-Programme fordern, dass onkologisches Personal entsprechend geschult werden sollte, um die Qualität der Screeningdurchführung zu erhöhen und Hürden in der Implementierung abzubauen [13, 23]. Bisher gibt es in Deutschland jedoch keine Schulung für Pflegekräfte speziell zum psychoonkolog. Screening. Die durch die Deutsche Krebshilfe geförderte Multicenterstudie „OptiScreen“ („Optimierte psychoonkologische Versorgung durch einen interdisziplinären Versorgungsalgorithmus – vom Screening zur Intervention“; [24]) will diese Lücke schließen. „OptiScreen“ hat das Ziel, die psychoonkolog. Versorgung von Pat. zu verbessern, indem der Screeningprozess durch eine Schulung (OptiScreen-Schulung) und Einbindung der onkologischen Pflege unterstützt wird. Die entwickelte OptiScreen-Schulung soll Barrieren sowohl auf Seite des Behandlungsteams als auch auf Pat.-Seite abbauen, indem der Kommunikationsprozess rund um das Screening optimiert wird. Das Ziel des Schulungskonzepts liegt darin, der Pflege Wissen bzgl. des Screeningprozesses und psychoonkolog. Unterstützungsangebote zu vermitteln sowie Sicherheit in der Kommunikation innerhalb dieses Prozesses durch Training zu erreichen (z. B. Screeningfragebogen erklären oder zum Ausfüllen motivieren). Die zielgenaue Identifikation von belasteten Pat. sowie die bedarfsgerechte psychoonkolog. Versorgung sollen durch eine Kombination aus Screening und persönlichem Gespräch ermöglicht werden. Dabei übernimmt die Pflege nicht die psychoonkolog. Diagnostik, sondern kann in ihrer Schlüsselrolle als enge Begleitung der Patient_innen das Screening und Unterstützungsangebote vor Ort erklären und bei Belastung auch eine Empfehlung an den Patienten/die Patientin aussprechen oder zur Inanspruchnahme motivieren. Durch die OptiScreen-Schulung der Pflege wird die interdisziplinäre Zusammenarbeit gefördert und ein „Best-Practice-Modell“ entwickelt.

Die OptiScreen-Schulung

Konzeption

Die OptiScreen-Schulung wurde in aufeinander aufbauenden Schritten konzipiert (siehe Abb. 1). Nach einer Zusammenschau aus klinischen Beobachtungen, kollegialem Austausch, Literaturrecherche und in Abgrenzung zu bereits vorhandenen Kommunikationsschulungen erfolgte eine Bedarfsanalyse mittels Interviews mit Expert_innen aus der onkologischen Pflege [25]. Die Analyse des Schulungsbedarfs, inhaltlicher und didaktischer Hinweise, aktuell bestehender Hürden im Screeningprozess und der Einstellung der Pflege zu einer möglichen Schulung [18] schaffte die Grundlage für die Ausarbeitung des Schulungskonzepts. Im anschließenden Workshop mit Psychoonkologinnen wurden die einzelnen Module anhand von Literatur aufbereitet und als Schulungsmaterialien zusammengestellt. Der in der Schulung vermittelte Screeningprozess, orientiert sich an den internationalen Richtlinien sowie deutschlandweiten Best-Practice-Empfehlungen [12] und ist angepasst an die Rolle der Pflegekräfte in den einzelnen Durchführungsschritten (NCCN Distress Management Guidelines [13]). Eine Study Nurse überprüfte Verständlichkeit und praktische Relevanz aus Sicht der Pflege.

Abb. 1
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Schritte der Schulungskonzeption

Inhalte

Die OptiScreen-Schulung gliedert sich in drei Module (siehe Abb. 2). Die Durchführung eines Moduls dauert 1,5–2 h und kann als Einzelschulung an drei Terminen oder als Schulungstag (mind. 6 h) durchgeführt werden. Ziel der Schulung ist es, Wissen bzgl. Psychoonkologie und häufiger psychischer Belastungen zu erlangen sowie die Anwendung und Auswertung des Screeningfragebogens der eigenen Klinik zu lernen, mithilfe von Kommunikationsfertigkeiten die Identifikation psychisch belasteter Erkrankter zu optimieren und sie durch gezielte Weitervermittlung an psychoonkolog. Angebote vor Ort einer bedarfsgerechten Versorgung zuzuführen.

Abb. 2
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Inhalte der Module und Didaktik der OptiScreen-Schulung

Didaktik

Die einzelnen Schulungsmodule sind didaktisch abwechslungsreich und mit Bezug auf die Bedürfnisse sowie erfahrungs- und teilnehmendenorientiert umgesetzt [25]. Dabei folgt die Methodik den Best-Practice-Empfehlungen zu Kommunikationsschulungen in der Onkologie [26]. Insbesondere die aktive Beteiligung der Teilnehmenden (Tn) an der Schulung wird zu Beginn fokussiert und es wird immer wieder dazu ermuntert. Als Struktur dient eine Themenübersicht zu Beginn jedes Moduls mit einer Agenda für die Tn sowie Zwischenfazit. Die theoretischen Inhalte werden anhand von präsentationsgestützten Vorträgen mit Fallbeispielen und Abbildungen (siehe Tab. 1) vermittelt. Eigene Beiträge und Erfahrungen der Tn können jederzeit eingebracht und zu verschiedenen Themen/Fragen innerhalb von Diskussionen im Plenum vertieft werden. Die einzelnen Schritte der Screeningdurchführung werden mittels Demonstrationen, Videobeispielen, Leitfäden und Rollenspielen (mit Verhaltensfeedback der Trainerinnen) aktiv eingeübt. Eine kleine Gruppengröße ermöglicht individuelle Rückmeldungen während der Schulung. Ein wichtiger didaktischer Baustein ist die kontinuierliche Hervorhebung der Transfermöglichkeit des Gelernten in den klinischen Alltag der Tn. Ergänzend werden Übungen zur Selbstfürsorge angeleitet. Nach jedem Modul werden Take-Home-Messages und Fragen gemeinsam festgehalten.

Tab. 1 Schulungsmaterialien der OptiScreen-Schulung

Durchführung

Die OptiScreen-Schulung wurde von Januar bis März 2021 an der Medizinischen Hochschule Hannover durchgeführt. Aufgrund der COVID-19-Pandemie wurde die Schulung in Kleingruppen von 4 bis 12 Tn realisiert und alle erhielten kleine Lunchpakete. Drei Trainerinnen führten an insgesamt 35 Terminen die OptiScreen-Schulung durch. Die Trainerinnen waren psychologische Psychotherapeutinnen und Psychoonkologinnen, was wichtig war, um auf praxisrelevante Fragen, z. B. zur psychoonkolog. Tätigkeit oder zu psychischen Störungen, eingehen zu können. Vor dem ersten Schulungstermin erfolgte die Präevaluation (Opti-Eva [26]) und nach dem letzten Modul die Postevaluation, mit dem Ziel der Komplementierung des hierarchischen Modells von Kirkpatrick zur Trainingsevaluation [27] und der Qualitätskontrolle der OptiScreen-Schulung.

Teilnehmende (Tn)

An den drei Modulen nahmen insgesamt N = 72 Pflegekräfte (n = 62 weiblich, Alter M = 42,56, SD = 11,66, Range = 20–64) und somit die Grundgesamtheit (n = 65 Gesundheits- & Krankenpflege, n = 5 Casemanagement, n = 2 unbekannt) von drei viszeralonkologischen Stationen teil. Es gab keine Ausschlusskriterien. Die Tn absolvierten die Schulung innerhalb ihrer Arbeitszeit und konnten sich diese als Fortbildungspunkte anrechnen lassen. Fünf der Tn hatten zuvor bereits eine onkologische Fachweiterbildung und insgesamt vier Personen zuvor eine Fortbildung zur Psychoonkologie absolviert.

Schulungsmaterial

Ein Schulungsordner enthält eine Ausarbeitung für jedes Modul (siehe Tab. 1).

Diskussion

Die Pilotierung der OptiScreen-Schulung an der Medizinischen Hochschule Hannover wurde erfolgreich durchgeführt. Die Konzeption ist nach den Erfahrungen der Trainerinnen und aufgrund der positiven Beurteilung der Tn gut an den Schulungsbedarf der onkologischen Pflege angepasst. Langfristige (Neben‑)Effekte der Schulung z. B. auf die Teamatmosphäre oder Stressreduktion werden untersucht. Um die Effektivität analog zur Empfehlung zur Evaluation von Kommunikationsschulungen in der Onkologie auf verschiedenen Ebenen zu belegen, steht die Auswertung auf Pat.-Ebene aktuell noch aus [28]. Aus den klinischen Rückmeldungen des psychoonkolog. Teams zeigen sich positive Effekte bzgl. der Qualität der Konsilanfragen sowie Informiertheit der Pat. auf den Stationen, die an der Schulung teilgenommen haben. Zusätzlich bietet die kontinuierliche Feedbackschleife durch die Study Nurse eine aktive Auseinandersetzung mit dem Thema Screening. Dennoch bleibt zu beobachten, wie die langfristige Implementierung der Schulung und des Screenings gefördert werden kann. Ein möglicher Anreiz könnte sein, regelmäßige Schulungen zum Thema Screening für das Team in den Zertifizierungsrichtlinien zu verankern oder im internen Weiterbildungsprogramm zu etablieren.

Es bleibt zu beachten, dass die OptiScreen-Studie eine erste Pilotierung des Schulungskonzepts darstellt und in weiteren Kliniken sowie Settings und Fachbereichen validiert werden sollte. Hier könnten insbesondere der Personalnotstand und somit eine Freistellung während der Arbeitszeit für die 6‑stündige Schulung sowie volle Weiterbildungspläne Barrieren an anderen Klinikstandorten darstellen. Hier sollten der Wunsch und Bedarf aus der Pflege heraus nach dieser Schulung sowie der Mehrwert für die Pflege betont und die Terminierung in Rücksprache mit den Pflegenden geplant werden.

Nichtsdestotrotz bleiben einige strukturelle Hürden bestehen, die mittels Training alleine nicht zu bewältigen sind. Eine wichtige Verbesserungsmöglichkeit der Screeningimplementierung liegt in der verfügbaren Zeit für das Screening sowie Training des Personals [17]. Auch bei Implementierung elektronischer Screenings bleibt der Bedarf nach einer Schulung bestehen, da die Durchführung des Screenings nicht unbedingt zu einer Weiterleitung zu bedarfsgerechten Angeboten führt [29]. Es braucht in interdisziplinären Teams verantwortliche und geschulte Personen, die diesen Versorgungsalgorithmus aktiv betreiben, denn eine aktuelle Studie aus Deutschland zeigt, dass in den Zertifizierungsaudits sogar innerhalb der Kliniken heterogene Begründungen für mangelnde psychoonkolog. Betreuungsquoten in Abhängigkeit von verantwortlichen Personen gegeben werden [30]. Die persönliche Aufklärung über das Screening sowie die Empfehlung zu Unterstützungsangeboten bleibt weiterhin eine zentrale Aufgabe des onkologischen Teams und benötigt entsprechende Weiterqualifikation sowie Expertise, die die OptiScreen-Schulung bieten kann.

Ausblick

Zur externen Validierung wird die OptiScreen-Schulung in anderen Kliniken durchgeführt und evaluiert. Die Ausweitung der Schulung auf andere Berufsgruppen (ärztliches Personal, Pflegeberatung) ist geplant.

Fazit für die Praxis

Eine bedarfsgerechte psychoonkolog. Versorgung ist Teil einer umfassenden und modernen Onkologie. Psychisch belastete Krebserkrankte zielgerichtet identifizieren zu können und einer psychoonkolog. Versorgung zuzuführen, ist eine wichtige Aufgabe in der Onkologie. Die Anwendung von Screenings hat sich als zielsicher erwiesen, steht in der klinischen Praxis jedoch einer Reihe von Barrieren gegenüber. Die OptiScreen-Schulung für die Pflege in der Onkologie baut diese Barrieren ab, indem Wissen zu Psychoonkologie, psychischen Belastungen und Screening sowie Kommunikation erfolgreich vermittelt werden und sich somit die psychoonkolog. Versorgung verbessern kann.