Einleitung

Übergewicht und Adipositas stellen ein alarmierend großes Gesundheitsproblem mit steigender Tendenz dar. Aufgrund der verschiedenen Faktoren, die für Übergewicht verantwortlich sind, spricht man von einer multifaktoriellen Genese.

Die Zahl an Kindern und Jugendlichen mit Übergewicht und Adipositas stieg in den meisten Ländern der Welt, so auch in Europa, in den letzten Jahren deutlich an. Im Jahr 2016 waren weltweit 75 Mio. Mädchen und 117 Mio. Buben leicht bis schwer untergewichtig während 50 Mio. Mädchen und 74 Mio. Buben adipös waren [3]. Auch schwere Formen von Adipositas treten bereits im Jugendalter auf (siehe Abb. 1)

Abb. 1
figure 1

Schwere Formen von jugendlicher Adipositas, zum Teil mit extremer Gynäkomastie (genetisch bedingt; ©K. Widhalm, OEAIE)

Mittlerweile sind etwa 22 % der 7‑ bis 11-Jährigen und etwa 16 % der 14- bis 17-Jährigen Europäer übergewichtig. Auffällig dabei ist, dass die Prävalenz an Übergewichtigen in Zentral- und Osteuropa im Vergleich zu den Mittelmeerländern niedriger liegt. Bei Kindern in den mediterranen Ländern zeigt sich eine Prävalenz von 20 bis 35 %, während sie in den nördlichen Ländern „nur“ zwischen 10 und 20 % liegt (Abb. 2, 3 und 4).

Abb. 2
figure 2

Prävalenzvergleich von allen Kindern von Übergewicht, Adipositas und extremer Adipositas (gesamt) nach Urbanisierung von 2016/2017 und 2019/2020 (BMSGPK COSI 2021 [1])

Abb. 3
figure 3

Prävalenz für Übergewicht und Adipositas bei 7‑ bis 9‑jährigen Mädchen, lt. COSI-Daten 2018 (WHO Europe, COSI [7])

Abb. 4
figure 4

Prävalenz für Übergewicht und Adipositas bei 7‑ bis 9‑jährigen Buben, lt. COSI-Daten 2018 (WHO Europe, COSI [7])

OECD-Studie: Ökonomischer Ausblick

Übergewichtbedingte Erkrankungen werden in den nächsten 30 Jahren 90 Mio. Todesfälle verursachen und die Lebenserwartung um 3 Jahre verkürzen. Die Kosten für Übergewicht betragen 3,3 % des Bruttoinlandprodukts (BIP) in OECD-Ländern. In 34 von 36 OECD-Staaten ist etwa die Hälfte der Bevölkerung übergewichtig und ein Viertel der Personen adipös. Kinder bezahlen einen hohen Preis: Schulerfolge nehmen ab, die Folge sind schwerere Bildungschancen und geringere „Life-Satisfaktion“. Bei Erwachsenen steigt das Risiko für chronische Erkrankungen und gleichzeitig sinkt die Lebenserwartung. In OECD-Ländern werden 8,4 % des Gesamtgesundheitsbudgets für die Behandlung von adipositasassoziierten Erkrankungen ausgegeben. Adipositas ist verantwortlich für 70 % der Kosten für Diabetes, 23 % für kardiovaskuläre Erkrankungen und 9 % für Karzinome. Die Prävention ist das zentrale Element und das beste Investment. Jeder Euro, der in diesem Bereich gespart werden kann, bringt 6 € zurück [4].

Forderungen der WHO

In Europa sind etwa 12–16 Mio. Kinder übergewichtig: es handelt sich um eine der größten Gesundheitsherausforderungen dieses Jahrhunderts.

Forderungen der WHO:

  • Stagnation des Übergewichts im Kindes- und Jugendalter bis 2020

  • Neue präventive und therapeutische Zugänge sind notwendig

  • Evaluierte Therapie- und Präventionsprogramme mit Rücksichtnahme auf schlanke Kinder

  • Reduktion der Fallzahl an vorzeitigen Todesfällen

  • Reduktion der Belastung durch ernährungsbedingte, nichtübertragbare Krankheiten

  • Reduktion der Belastung durch Übergewicht und Mangel- und Fehlernährung in der europäischen Region bis zum Jahr 2020 [6]

Definition

Die WHO definiert Übergewicht bzw. Adipositas als eine Krankheit, bei der es zu einer über das normale Maß hinausgehenden Ansammlung von Fett kommt, womit die Gesundheit nachteilig beeinflusst wird. Allerdings macht diese einfache Definition in der Praxis größere Schwierigkeiten, da der Übergang von „noch normal“ in „bereits übergewichtig“ fließend ist und die Anwendung unterschiedlicher Kriterien bzw. Messmethoden außerordentlich unterschiedliche Ergebnisse liefert. Somit ist die Definition eines Cut-off-Punkts, ab dem Übergewicht im Kindesalter beginnt, rein willkürlich. Darüber hinaus gibt es nach wie vor kontroverse Ansichten darüber, inwieweit eine sogenannte „optimal range for body fat“ bei Säuglingen, Kindern und Jugendlichen besteht, vor allem deshalb, weil die normale Entwicklung mit Veränderungen der Fettgewebsmasse, die berücksichtigt werden müssen, verbunden ist.

Da keine idealen, also präzisen, leicht zugänglichen, tragbaren und gut dokumentierten Messmethoden für Adipositas existieren, werden im klinischen Bereich vorwiegend indirekte Messmethoden wie der Body Mass Index (BMI) herangezogen. Es muss jedoch festgehalten werden, dass mit dem BMI nicht zwischen Fettmasse und fettfreier Masse unterschieden werden kann.

Folgende genauere Methoden zur Bestimmung des Körperfetts sind aufwändiger und für die Routineuntersuchung nur eingeschränkt anwendbar:

  • Dual-energy-x-ray-absorption(DEXA)-Technik unter Verwendung von geringfügigen Röntgenstrahlen;

  • Bioelektrische Impedanzanalyse (BIA), die einfach und schnell durchzuführen ist. Mit dieser Technik misst man jedoch nur den Wassergehalt und kalkuliert daraus den Fettgehalt. Sie wird mit höherem Übergewicht ungenauer. Neuere Methoden mittels BIA (z. B. mit dem TANITA-Gerät, Tanita Europe B.V., Amsterdam, Niederlande) sind in der Praxis gut anwendbar, wenn Voraussetzungen eingehalten werden wie

    • Nüchternheit,

    • keine sportliche Aktivität innerhalb der letzten 12 h vor dem Messen,

    • kein Alkoholkonsum innerhalb der letzten 24 h vor dem Messen,

    • kein Kontakt der Arme und Beine während der Messung.

Obwohl ein Zusammenhang zwischen Gewicht, Größe und Körperfettgehalt sehr bescheiden ist, empfehlen sowohl die International Obesity Tasc Force (IOFF) als auch die European Childhood Obesity Group (ECOG) den BMI als Beurteilungskriterium für Übergewicht und Adipositas bei Kindern und Jugendlichen für die tägliche Praxis.

Als Referenzwerte existieren (in Anlehnung an die beim Erwachsenen vorgegebenen Grenzen 25,8 bzw. 31) BMI-Perzentilen; die aus unterschiedlichen Kollektiven stammen.

Die BMI-Perzentilen sind in Abb. 5 und 6 dargestellt (Kromeyer Hauschild et al. [2]).

Abb. 5
figure 5

Perzentilkurven für den Body Mass Index (BMI; Mädchen 0–18 Jahre; Kromeyer-Hausschild et al. [2])

Abb. 6
figure 6

Perzentilkurven für den Body Mass Index (BMI; Jungen 0–18 Jahre; Kromeyer-Hausschild et al. [2])

Folgeerkrankungen bzw. Komorbiditäten von Adipositas

  • Stoffwechsel: gestörter Kohlenhydrat- bzw. Lipidstoffwechsel

  • Steatosis hepatitis: nichtalkoholische Fettlebererkrankungen (NAFLD)

  • Gefäßbeteiligung: Frühformen der Atherosklerose

  • Gelenksveränderungen

  • Psychische Probleme: gestörtes Körperverständnis, Verlust des Körpergefühls, mangelnde Selbstkontrolle, niedrige Frustrationstoleranz, gestörtes Konfliktmanagement, fehlende soziale Integration

Eine chirurgische Adipositastherapie bei Jugendlichen mit hochgradiger Adipositas kann in Betracht gezogen werden,

  • wenn der BMI > 40 (oder > 99,5 Perzentile) liegt;

  • bei Misserfolg bei der Teilnahme (mindestens 6–12 Monate) eines strukturierten Behandlungsprogramms in einem auf Gewichtsreduktion spezialisierten Center;

  • wenn der Patient die Skelett- und Entwicklungsreife zeigt;

  • wenn der Patient imstande ist, an einer umfangreichen medizinischen und psychischen Evaluation vor und nach der OP teilzunehmen;

  • wenn der Patient gewillt ist, an einem postoperativen multidisziplinären Behandlungsprogramm teilzunehmen;

  • bei genetischen Syndromen (z. B. Prader-Willi-Syndrom) kann ein chirurgischer Eingriff zu einem früheren Alterszeitpunkt erwogen werden;

  • wenn der Eingriff an einer chirurgischen Abteilung mit Erfahrung in der bariatrischen Chirurgie durchgeführt wird mit Chirurgen und spezialisiertem pädiatrischen Personal (Krankenpflege, Anästhesie, Psychologie, postoperative Betreuung).

Sorgfältige Qualitätskontrolle und ein Register auf europäischer Ebene sind wünschenswert.

Conclusio bariatrische Chirurgie

Eine bariatrische Chirurgie sollte die Ultima Ratio nach fehlendem Erfolg von konservativen Behandlungen in zertifizierten pädiatrischen Einrichtungen mit enger Kooperation mit einem spezialisierten chirurgischen Zentrum sein. Zu diesem Zeitpunkt sind keine validen Alternativen bekannt. Eine sorgfältige Auswahl der Patienten und ein konsequentes Follow-up-Programm (Substitution etc.) sind nötig. Ein Follow-up-Programm ist auch bei konservativen gewichtsreduzierenden Maßnahmen nötig, um vergleichbare Daten zu gewinnen. Prävention der morbiden Adipositas ist von größter Wichtigkeit.

Förderung von präventiven Maßnahmen

  • Sensibilisierung der Gesundheitsberufe (Ärzte, Apotheker usw.)

  • Evaluierte Präventivprogramme in Kindergärten und Schulen

  • Förderung der körperlichen Aktivität (Sport)

  • Förderung der Forschung auf diesem Gebiet

Präventionsprojekt EDDY

EDDY ist ein evaluiertes Präventionsprojekt das seit einigen Jahren in Wiener Schulen durchgeführt wird. Ziel ist die Prävention von Übergewicht und Adipositas im Kindes- und Jugendalter. Dazu werden an ausgewählten Wiener Schulen Sport- und Ernährungsinterventionen durchgeführt. Während der Schulschließungen in der COVID-19-Pandemie 2020 kam es zu einem dramatischen Anstieg des Körpergewichts im Vergleich zur Interventionsphase im Schuljahr 2018/2019 (Abb. 7) [5].

Abb. 7
figure 7

Präventionsprojekt EDDY, Vergleich zweier Interventionsphasen [5]

Conclusio

Adipositas im Kindes- und Jugendalter ist ein weltweites Gesundheitsproblem. Es wird vielfach nicht diagnostiziert und adäquat behandelt und ist Basis für eine Reihe von chronischen Folgeerkrankungen wie z. B. Diabetes mellitus Typ 2, kardiovaskuläre Erkrankungen, Lebererkrankungen usw. Notwendige Maßnahmen wären die Errichtung von Diagnostik- und Therapieeinrichtungen, Förderung von Family Approach, Sensibilisierung der Öffentlichkeit sowie eine Beeinflussung der Werbung. Prävention wirkt und sollte bereits im Kindes- und Jugendalter beginnen.