Zusammenfassung
Immer mehr Kinder und Jugendliche sind von Übergewicht und Adipositas betroffen. Besonders schwerwiegend sind dabei die damit verbundenen Folgeerkrankungen wie z. B. Diabetes mellitus, Fettleber, Bluthochdruck, Gelenksveränderungen und psychische Störungen. Experten der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung gehen davon aus, dass übergewichtbedingte Erkrankungen in den nächsten 30 Jahren 90 Mio. Todesfälle verursachen und die Lebenserwartung um etwa 3 Jahre verkürzen werden. Adipositas und Übergewicht im Kindes- und Jugendalter ist ein weltweites Gesundheitsproblem, das vielfach nicht adäquat diagnostiziert und behandelt wird. Prävention wirkt und sollte bereits im Kindes- und Jugendalter beginnen.
Abstract
More and more children and adolescents are affected by excess weight and obesity. Particularly serious are the associated secondary diseases such as diabetes mellitus, fatty liver, high blood pressure, joint changes, and mental disorders. Experts of the Organization for Economic Co-operation and Development estimate that excess-weight-related diseases will cause 90 million deaths in the next 30 years and shorten life expectancy by about 3 years. Obesity and excess weight in childhood and adolescence are global health problems that are often not adequately diagnosed and treated. Prevention works and should begin as early as childhood and adolescence.
Einleitung
Übergewicht und Adipositas stellen ein alarmierend großes Gesundheitsproblem mit steigender Tendenz dar. Aufgrund der verschiedenen Faktoren, die für Übergewicht verantwortlich sind, spricht man von einer multifaktoriellen Genese.
Die Zahl an Kindern und Jugendlichen mit Übergewicht und Adipositas stieg in den meisten Ländern der Welt, so auch in Europa, in den letzten Jahren deutlich an. Im Jahr 2016 waren weltweit 75 Mio. Mädchen und 117 Mio. Buben leicht bis schwer untergewichtig während 50 Mio. Mädchen und 74 Mio. Buben adipös waren [3]. Auch schwere Formen von Adipositas treten bereits im Jugendalter auf (siehe Abb. 1)
Mittlerweile sind etwa 22 % der 7‑ bis 11-Jährigen und etwa 16 % der 14- bis 17-Jährigen Europäer übergewichtig. Auffällig dabei ist, dass die Prävalenz an Übergewichtigen in Zentral- und Osteuropa im Vergleich zu den Mittelmeerländern niedriger liegt. Bei Kindern in den mediterranen Ländern zeigt sich eine Prävalenz von 20 bis 35 %, während sie in den nördlichen Ländern „nur“ zwischen 10 und 20 % liegt (Abb. 2, 3 und 4).
OECD-Studie: Ökonomischer Ausblick
Übergewichtbedingte Erkrankungen werden in den nächsten 30 Jahren 90 Mio. Todesfälle verursachen und die Lebenserwartung um 3 Jahre verkürzen. Die Kosten für Übergewicht betragen 3,3 % des Bruttoinlandprodukts (BIP) in OECD-Ländern. In 34 von 36 OECD-Staaten ist etwa die Hälfte der Bevölkerung übergewichtig und ein Viertel der Personen adipös. Kinder bezahlen einen hohen Preis: Schulerfolge nehmen ab, die Folge sind schwerere Bildungschancen und geringere „Life-Satisfaktion“. Bei Erwachsenen steigt das Risiko für chronische Erkrankungen und gleichzeitig sinkt die Lebenserwartung. In OECD-Ländern werden 8,4 % des Gesamtgesundheitsbudgets für die Behandlung von adipositasassoziierten Erkrankungen ausgegeben. Adipositas ist verantwortlich für 70 % der Kosten für Diabetes, 23 % für kardiovaskuläre Erkrankungen und 9 % für Karzinome. Die Prävention ist das zentrale Element und das beste Investment. Jeder Euro, der in diesem Bereich gespart werden kann, bringt 6 € zurück [4].
Forderungen der WHO
In Europa sind etwa 12–16 Mio. Kinder übergewichtig: es handelt sich um eine der größten Gesundheitsherausforderungen dieses Jahrhunderts.
Forderungen der WHO:
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Stagnation des Übergewichts im Kindes- und Jugendalter bis 2020
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Neue präventive und therapeutische Zugänge sind notwendig
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Evaluierte Therapie- und Präventionsprogramme mit Rücksichtnahme auf schlanke Kinder
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Reduktion der Fallzahl an vorzeitigen Todesfällen
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Reduktion der Belastung durch ernährungsbedingte, nichtübertragbare Krankheiten
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Reduktion der Belastung durch Übergewicht und Mangel- und Fehlernährung in der europäischen Region bis zum Jahr 2020 [6]
Definition
Die WHO definiert Übergewicht bzw. Adipositas als eine Krankheit, bei der es zu einer über das normale Maß hinausgehenden Ansammlung von Fett kommt, womit die Gesundheit nachteilig beeinflusst wird. Allerdings macht diese einfache Definition in der Praxis größere Schwierigkeiten, da der Übergang von „noch normal“ in „bereits übergewichtig“ fließend ist und die Anwendung unterschiedlicher Kriterien bzw. Messmethoden außerordentlich unterschiedliche Ergebnisse liefert. Somit ist die Definition eines Cut-off-Punkts, ab dem Übergewicht im Kindesalter beginnt, rein willkürlich. Darüber hinaus gibt es nach wie vor kontroverse Ansichten darüber, inwieweit eine sogenannte „optimal range for body fat“ bei Säuglingen, Kindern und Jugendlichen besteht, vor allem deshalb, weil die normale Entwicklung mit Veränderungen der Fettgewebsmasse, die berücksichtigt werden müssen, verbunden ist.
Da keine idealen, also präzisen, leicht zugänglichen, tragbaren und gut dokumentierten Messmethoden für Adipositas existieren, werden im klinischen Bereich vorwiegend indirekte Messmethoden wie der Body Mass Index (BMI) herangezogen. Es muss jedoch festgehalten werden, dass mit dem BMI nicht zwischen Fettmasse und fettfreier Masse unterschieden werden kann.
Folgende genauere Methoden zur Bestimmung des Körperfetts sind aufwändiger und für die Routineuntersuchung nur eingeschränkt anwendbar:
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Dual-energy-x-ray-absorption(DEXA)-Technik unter Verwendung von geringfügigen Röntgenstrahlen;
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Bioelektrische Impedanzanalyse (BIA), die einfach und schnell durchzuführen ist. Mit dieser Technik misst man jedoch nur den Wassergehalt und kalkuliert daraus den Fettgehalt. Sie wird mit höherem Übergewicht ungenauer. Neuere Methoden mittels BIA (z. B. mit dem TANITA-Gerät, Tanita Europe B.V., Amsterdam, Niederlande) sind in der Praxis gut anwendbar, wenn Voraussetzungen eingehalten werden wie
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Nüchternheit,
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keine sportliche Aktivität innerhalb der letzten 12 h vor dem Messen,
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kein Alkoholkonsum innerhalb der letzten 24 h vor dem Messen,
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kein Kontakt der Arme und Beine während der Messung.
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Obwohl ein Zusammenhang zwischen Gewicht, Größe und Körperfettgehalt sehr bescheiden ist, empfehlen sowohl die International Obesity Tasc Force (IOFF) als auch die European Childhood Obesity Group (ECOG) den BMI als Beurteilungskriterium für Übergewicht und Adipositas bei Kindern und Jugendlichen für die tägliche Praxis.
Als Referenzwerte existieren (in Anlehnung an die beim Erwachsenen vorgegebenen Grenzen 25,8 bzw. 31) BMI-Perzentilen; die aus unterschiedlichen Kollektiven stammen.
Die BMI-Perzentilen sind in Abb. 5 und 6 dargestellt (Kromeyer Hauschild et al. [2]).
Folgeerkrankungen bzw. Komorbiditäten von Adipositas
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Stoffwechsel: gestörter Kohlenhydrat- bzw. Lipidstoffwechsel
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Steatosis hepatitis: nichtalkoholische Fettlebererkrankungen (NAFLD)
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Gefäßbeteiligung: Frühformen der Atherosklerose
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Gelenksveränderungen
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Psychische Probleme: gestörtes Körperverständnis, Verlust des Körpergefühls, mangelnde Selbstkontrolle, niedrige Frustrationstoleranz, gestörtes Konfliktmanagement, fehlende soziale Integration
Eine chirurgische Adipositastherapie bei Jugendlichen mit hochgradiger Adipositas kann in Betracht gezogen werden,
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wenn der BMI > 40 (oder > 99,5 Perzentile) liegt;
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bei Misserfolg bei der Teilnahme (mindestens 6–12 Monate) eines strukturierten Behandlungsprogramms in einem auf Gewichtsreduktion spezialisierten Center;
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wenn der Patient die Skelett- und Entwicklungsreife zeigt;
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wenn der Patient imstande ist, an einer umfangreichen medizinischen und psychischen Evaluation vor und nach der OP teilzunehmen;
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wenn der Patient gewillt ist, an einem postoperativen multidisziplinären Behandlungsprogramm teilzunehmen;
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bei genetischen Syndromen (z. B. Prader-Willi-Syndrom) kann ein chirurgischer Eingriff zu einem früheren Alterszeitpunkt erwogen werden;
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wenn der Eingriff an einer chirurgischen Abteilung mit Erfahrung in der bariatrischen Chirurgie durchgeführt wird mit Chirurgen und spezialisiertem pädiatrischen Personal (Krankenpflege, Anästhesie, Psychologie, postoperative Betreuung).
Sorgfältige Qualitätskontrolle und ein Register auf europäischer Ebene sind wünschenswert.
Conclusio bariatrische Chirurgie
Eine bariatrische Chirurgie sollte die Ultima Ratio nach fehlendem Erfolg von konservativen Behandlungen in zertifizierten pädiatrischen Einrichtungen mit enger Kooperation mit einem spezialisierten chirurgischen Zentrum sein. Zu diesem Zeitpunkt sind keine validen Alternativen bekannt. Eine sorgfältige Auswahl der Patienten und ein konsequentes Follow-up-Programm (Substitution etc.) sind nötig. Ein Follow-up-Programm ist auch bei konservativen gewichtsreduzierenden Maßnahmen nötig, um vergleichbare Daten zu gewinnen. Prävention der morbiden Adipositas ist von größter Wichtigkeit.
Förderung von präventiven Maßnahmen
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Sensibilisierung der Gesundheitsberufe (Ärzte, Apotheker usw.)
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Evaluierte Präventivprogramme in Kindergärten und Schulen
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Förderung der körperlichen Aktivität (Sport)
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Förderung der Forschung auf diesem Gebiet
Präventionsprojekt EDDY
EDDY ist ein evaluiertes Präventionsprojekt das seit einigen Jahren in Wiener Schulen durchgeführt wird. Ziel ist die Prävention von Übergewicht und Adipositas im Kindes- und Jugendalter. Dazu werden an ausgewählten Wiener Schulen Sport- und Ernährungsinterventionen durchgeführt. Während der Schulschließungen in der COVID-19-Pandemie 2020 kam es zu einem dramatischen Anstieg des Körpergewichts im Vergleich zur Interventionsphase im Schuljahr 2018/2019 (Abb. 7) [5].
Conclusio
Adipositas im Kindes- und Jugendalter ist ein weltweites Gesundheitsproblem. Es wird vielfach nicht diagnostiziert und adäquat behandelt und ist Basis für eine Reihe von chronischen Folgeerkrankungen wie z. B. Diabetes mellitus Typ 2, kardiovaskuläre Erkrankungen, Lebererkrankungen usw. Notwendige Maßnahmen wären die Errichtung von Diagnostik- und Therapieeinrichtungen, Förderung von Family Approach, Sensibilisierung der Öffentlichkeit sowie eine Beeinflussung der Werbung. Prävention wirkt und sollte bereits im Kindes- und Jugendalter beginnen.
Literatur
Verwendete Literatur
Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz (BMSGPK) (Hrsg) (2021) Childhood Obesity Surveillance Initiative (Cosi)
Kromeyer-Hauschild K, Wabitsch M, Kunze D et al (2001) Perzentile für den Body-mass-Index für das Kindes- und Jugendalter unter Heranziehung verschiedener deutscher Stichproben. Monatschr Kinderheilkd 149:807–818
NCD Risk Factor Collaboration (2017) Worldwide trends in body-mass-index, underweight, overweight, and obesity from 1975 to 2016: a pooled analysis of 2416 population-based measurement studies in 128,9 million children, adolescents and adults. Lancet 390:2627–2642
OECD (2019) The heavy burden of obesity: the economics of prevention. OECD Health Policy Studies. OECD Publishing, Paris https://doi.org/10.1787/67450d67-en
Widhalm K, Rosenauer H, Gansterer A, Matjazic J (2021) Dramatic increase of body weight during COVID-19 breakdown: data from the Austrian prevention project Eddy kids 2018/19 and Eddy kids 2019/20. Aust J Nutr Food Sci 9(1):1149
WHO (2017) Report of the commission on ending childhood obesity
WHO (2018) COSI childhood obesity surveillance initiative
Weiterführende Literatur
Bixby H, Bentham J, Zhou B et al (2019) Rising rural body-mass index is the main driver of the global obesity epidemic in adults. Nature 569:260–264
Kunze M, Wabitsch D (2020) Konsensbasierte (S2) Leitlinie zur Diagnostik, Therapie und Prävention von Übergewicht und Adipositas im Kindes- und Jugendalter, AGA – Arbeitsgemeinschaft Adipositas im Kindes- und Jugendalter, 3. Aufl.
Reinehr T (2018) Long-term effects of adolescent obesity: time to act. Nat Rev Endocrinol 14(3):183–188
Reinehr T, Wiegand S, Sieggried W, Keller KM, Widhalm K, L’Allemand D, Zwiauer K, Holl RW (2013) Comorbidities in overweight children and adolescents: do we treat them effectively? Int J Obes 37:493–499
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K. Widhalm und K. Fallmann geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
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Widhalm, K., Fallmann, K. Adipositas im Kindes- und Jugendalter. Paediatr. Paedolog. 57, 235–241 (2022). https://doi.org/10.1007/s00608-022-01012-w
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