Hintergrund und Fragestellung

Schmerz, eingeschränkte Mobilität und Minderung der kognitiven Leistungsfähigkeit sind häufige Phänomene im Alter [1, 21, 23], die oft auch gemeinsam auftreten [2], insbesondere bei Bewohnern von Altenhilfeeinrichtungen. Die Schmerzprävalenz liegt hier bei bis zu 79,5 % [4, 13, 23], mit häufig zugrunde liegenden muskuloskeletalen, gastrointestinalen oder kardialen Erkrankungen [4, 23]. Ergebnisse aus 13 deutschen Altenpflegeeinrichtungen zeigen, dass Schmerz vor allem in den unteren Extremitäten sowie bei Bewegung/Belastung auftritt und bei 75 % der Bewohner chronisch ist [13].

Schmerzen werden oftmals von den Betroffenen wie von den Pflegenden aufgrund von Zeitmangel, ungünstigen Einstellungen oder Angst vor weiteren Maßnahmen unzureichend kommuniziert [19, 26]. Viele Altenheimbewohner (ca. 60 %, 400.000 in Deutschland) haben zudem kognitive Einschränkungen, mit stetig steigendem Anteil [15]. Schmerz und kognitive Einschränkung treten vielfach gemeinsam auf [2, 10] und Schmerz wird aufgrund der verminderten Mitteilungsfähigkeit [4, 13, 19] nicht ausreichend erkannt und somit nur unzureichend oder gar nicht therapiert [4, 6, 17].

Schmerz sowie kognitive Einschränkung gehen häufig mit einer verminderten Mobilität einher; bei gemeinsamem Auftreten sind die Auswirkungen am stärksten [18]. Schmerz ist mitverantwortlich für eine erhöhte Sturzneigung [25] und führt zu einer 70–80 % häufigeren Unfähigkeit, Aktivitäten des täglichen Lebens auszuführen, insbesondere bei multilokalem Schmerz [14].

Bewohner von Altenhilfeeinrichtungen zeigen zudem häufig multiple Komorbiditäten und einen damit verbundenen erhöhten Arzneimittelgebrauch, welcher das Risiko für unerwünschte Arzneimittelwirkungen steigert ([12]; z. B. erhöhte Sturzgefahr bei zentral wirksamen Analgetika [27]).

Im vorliegenden Beitrag wird untersucht, ob es bei Bewohnern von Altenhilfeeinrichtungen einen Zusammenhang gibt zwischen Mobilität, Schmerz, kognitiver Leistungsfähigkeit, Diagnosen und der Anzahl verschriebener Medikamente.

Methoden

Dargestellt werden Ergebnisse einer Subgruppenanalyse der Baselinedaten (2016) der unkontrollierten Interventionsstudie InTherAKT (Initiative zur [Arzneimittel-]Therapiesicherheit in der Altenhilfe durch Kooperation und Teamwork). Die Gesamtstudie (2014–2017) untersuchte die Wirksamkeit einer kombinierten Intervention auf die Angemessenheit der Medikation von Altenheimbewohnern ([9]; Ethikvotum Nr. 2015-147-f-S, Registrierung: DRKS00007900). Die vorliegende Subgruppenanalyse dient der genaueren Betrachtung des Zusammenhangs zwischen Mobilität, Schmerz und kognitiver Leistungsfähigkeit.

Setting und Studienteilnehmer

Die Studie wurde mit am Medikationsprozess beteiligten Berufsgruppen und Altenheimbewohnern durchgeführt. Alle Patienten der 14 teilnehmenden Hausärzte wurden bei Erfüllen der Einschlusskriterien inkludiert (Tab. 1). Hieraus ergab sich die Rekrutierung von 9 Altenpflegeeinrichtungen und 11 heimversorgenden Apothekern. Alle teilnehmenden Bewohner (bzw. deren gesetzliche Betreuer) erklärten schriftlich ihre Einwilligung, ihre Identität wurde mittels Codezuweisung anonymisiert.

Tab. 1 Ein- und Ausschlusskriterien der teilnehmenden Bewohner

Instrumente und Untersuchungsverlauf

Die Medikamente und Bewohnerdaten wurden standardisiert durch geschulte Studienassistenten via Tablet-PC erfasst. Die kognitiven Fähigkeiten der Bewohner wurden mittels Mini Mental Status Test (MMST) erhoben und die Bewohner danach in Untersuchungsgruppen eingeteilt [7]: kognitiv leistungsfähige Bewohner (KL, MMST 18–30 Punkte) und kognitiv beeinträchtigte Bewohner (KB, MMST 0–17 Punkte; [24]).

Bei allen Bewohnern wurde eine Selbsteinschätzung der Schmerzintensität mittels verbaler Rangskala (VRS; [5]) in Ruhe und bei Belastung angestrebt. Bei KB wurde zusätzlich das Fremdeinschätzungsinstrument Beurteilung von Schmerzen bei Demenz (BESD) zur Erfassung des Belastungsschmerzes genutzt [3] und Schmerz bei zwei oder mehr Punkten angenommen [28]. Aus Sensitivitätsgründen wurde Schmerz angenommen, sobald mindestens eines der Instrumente (VRS oder BESD) Schmerz zeigte.

Mobilitätseinschränkungen wurden mittels Timed-up-and-go-Test (TUG) erhoben [16]. Die verordneten Medikamente und Diagnosen wurden der Pflegedokumentation entnommen. Die Diagnosen wurden von den Hausärzten mit ihrer Dokumentation abgeglichen und ggf. vervollständigt. Anschließend wurden die Diagnosen durch eine Allgemeinmedizinerin des Forschungsteams potenziell mobilitätsrelevanten Kategorien zugeordnet (Tab. 2). Die Gesamtzahl der als Dauermedikation verordneten Schmerzmedikamente wurde erfasst, davon Metamizol und Opioide separat ausgewertet.

Tab. 2 Stichprobencharakteristika, Schmerz und Mobilitätseinschränkung nach kognitiver Leistungsfähigkeit

Alle Auswertungen erfolgten aufgrund der nichtrandomisierten Stichprobenziehung rein deskriptiv.

Ergebnisse

Stichprobe und Untersuchungsgruppen

120 Bewohner wurden eingeschlossen, Tab. 2 zeigt die demografischen Daten sowie die Einteilung in die Untersuchungsgruppen.

Mobilität von Altenheimbewohnern

Potenziell mobilitätsrelevante Diagnosekategorien

116 Bewohner (96,7 %) hatten mindestens eine potenziell mobilitätsrelevante Diagnose, über 50 % (n = 62) der Bewohner hatten die Diagnose Demenz. Die gesamte Verteilung der mobilitätsrelevanten Diagnosekategorien ist in Tab. 2 dargestellt. Bewohner mit Schmerz hatten häufiger Arthrose, Depression und Osteoporose als jene ohne Schmerz (Tab. 4).

Grad der Mobilitätseinschränkung

Alle Bewohner waren in ihrer Mobilität eingeschränkt, über 50 % (n = 62) waren nicht gehfähig (Tab. 2). Im Mittel betrug die bei 51 Bewohnern gemessene TUG-Zeit 31,1±15,5 s.

Der Anteil nicht gehfähiger Bewohner lag bei KB mit 75 % (n = 39) weit über dem der KL (37,7 %; n = 23; Tab. 2).

Schmerzerfassung und deren Adäquanz bei kognitiver Beeinträchtigung

Bei 108 Bewohnern war eine Schmerzerfassung möglich. 22,2 % (n = 24) der Bewohner waren schmerzfrei. KL verbalisierten Belastungsschmerz häufiger und intensiver als KB (Tab. 2). 55 % (n = 22) der fremdeingeschätzten Bewohner zeigten Schmerz.

Bei 35 Bewohnern wurden eine Selbst- und eine Fremdeinschätzung von Belastungsschmerz durchgeführt (Tab. 3). Dabei blieben 70,6 % (n = 12) der Bewohner, die einen Belastungsschmerz verbalisierten, in der Fremdeinschätzung unentdeckt.

Tab. 3 Selbst- und Fremdbeurteilung von Belastungsschmerz bei KB (n = 35)

Medikation bei Schmerz und Auswirkungen auf die Mobilität

Die Anzahl aller verordneten Medikamente war bei Bewohnern mit Schmerz höher, insbesondere die Anzahl der Bedarfsmedikamente (Tab. 4). Die benötigte Zeit zur Durchführung des TUG korrelierte mit der Medikamentenzahl (r = 0,384). Mehr Medikamente gingen mit einer verminderten Mobilität einher. 85,7 % (n = 48 von 56) der Bewohner mit Analgetika als Dauertherapie waren in ihrer Mobilität stark eingeschränkt oder nicht gehfähig (vs. 71,9 %; n = 41 von 57 ohne Analgetikaverordnung; Abb. 1). Am stärksten eingeschränkt waren Bewohner mit Opioiden als Dauermedikation (Abb. 1).

Abb. 1
figure 1

Timed-up-and-go-Test (TUG) in Kategorien nach Verschreibung von Analgetika als Dauermedikation sowie nach ausgewählten Analgetika (Opioide und Metamizol) als Dauermedikation, n = 113>

Tab. 4 Diagnosen, Mobilitätseinschränkung und verschriebene Medikamente nach Schmerz, n = 108

Schmerz und kognitive Leistungsfähigkeit bei Mobilitätseinschränkung

80 % der Bewohner mit Schmerzen (n = 64) waren in ihrer Mobilität stark eingeschränkt oder nicht gehfähig, bei Bewohnern ohne Schmerzen waren dies 66,7 % (n = 16; Abb. 2). Schmerz ging bei KL mit einer eingeschränkten Mobilität einher (Abb. 2). Bei den gehfähigen KL korrelierte die Intensität des selbst eingeschätzten Schmerzes positiv mit der Zeit des TUG (r = 0,324). Drei Viertel der KL mit Schmerz (n = 34 von 45) gegenüber 56,3 % der KL ohne Schmerz (n = 9 von 16) waren stark in der Mobilität eingeschränkt oder nicht gehfähig. Bei KB unterschieden sich Patienten mit vermuteten Schmerzen und Nichtschmerzpatienten kaum in ihrer Mobilitätseinschränkung und es gab keinen Zusammenhang zwischen dem Einschränkungsgrad und der Schmerzintensität (r = 0,068).

Abb. 2
figure 2

Mobilitätseinschränkung (TUG) nach Schmerz bei der gesamten Stichprobe, bei Subgruppe KB und KL, n = 104

Zusammenfassende Diskussion

Unsere Analyse zeigt Schmerz als häufig auftretendes Phänomen bei den untersuchten Pflegeheimbewohnern (77,8 % mit Schmerz). Dieses Ergebnis entspricht früheren Untersuchungen mit ebenfalls hoher Schmerzprävalenz bei Altenheimbewohnern [4, 13, 23]. Allerdings beziehen sich die Daten anderer Untersuchungen auf selbstauskunftsfähige Personen. In unsere Untersuchung wurden auch Bewohner, bei denen aufgrund kognitiver Einschränkungen eine Fremdeinschätzung von Schmerz erfolgen musste, eingeschlossen, um im Vergleich zu KL einen möglichen Zusammenhang überprüfen zu können.

Mobilität, kognitive Beeinträchtigung und Schmerz

Bei KL in unserer Stichprobe hingen Schmerzen und Mobilitätseinschränkung zusammen. Fast alle Bewohner (96,6 %) hatten mindestens eine potenziell mobilitätsmindernde Diagnose; dieser Anteil liegt deutlich höher als in anderen Untersuchungen [4].

Wie auch in anderen Untersuchungen [2, 6, 10, 17] konnten wir zeigen, dass Menschen mit kognitiver Beeinträchtigung eine hohe Schmerzprävalenz und verminderte Mobilität haben. Bewohner mit kognitiver Beeinträchtigung waren unabhängig von Schmerz stärker von Mobilitätseinschränkungen betroffen. Hinweise auf einen Zusammenhang von Schmerzprävalenz, -intensität und Mobilität konnten lediglich bei KL gezeigt werden. Bei KB konnte aufgrund der Inkohärenz der Ergebnisse der Schmerzerfassung keine Aussage über einen möglichen Zusammenhang getroffen werden.

In der Analyse nach Schweregrad der kognitiven Einschränkung war die Schmerzprävalenz (82,6 %) bei Personen mit kognitiver Beeinträchtigung höher. In dieser Gruppe werden auffällige Verhaltensweisen, die Ausdruck für Schmerz sein können, häufig missinterpretiert und nicht ausreichend behandelt [17]. Es kann auch für die von uns untersuchten Personen gefolgert werden, dass eine unzureichende Schmerztherapie, nicht zuletzt aufgrund einer möglichen missinterpretierten Artikulation vorhandener Schmerzen, angenommen werden muss.

Die Ergebnisse bezüglich Schmerz bei KB sind mit Vorsicht zu betrachten, da die Schmerzerfassung häufig durch eine unzureichende Verbalisierung von Schmerz erschwert ist [11]; auch die Fremdbeobachtung ist nicht zuverlässig, da bei diesen Bewohnern die Äußerung von Schmerzzeichen aufgrund der kognitiven Einschränkung minimiert sein kann und diese somit nicht beobachtbar sind [20].

Herausforderungen in der Schmerzerfassung kognitiv Beeinträchtigter

Hervorzuheben ist die Abweichung zwischen Selbst- und Fremdeinschätzung von Schmerz bei KB. Nur bei einem Drittel dieser Bewohner stimmten diese überein, was eindrücklich die Schwierigkeit zeigt, Schmerzen bei dieser vulnerablen Gruppe adäquat zu erfassen. Mit der Fremdbeobachtung erhobene Schmerzen wurden teilweise nicht in der Selbstbeurteilung angegeben. Dies zeigt die Notwendigkeit, die Umgebungsfaktoren einzubeziehen, um das beobachtete Verhalten bewerten zu können, sowie weitere Assessments zur Schmerzbeurteilung heranzuziehen [22].

Medikation und Mobilität

Patienten mit Schmerzen erhielten insgesamt mehr Medikamente als jene ohne Schmerzen. Eine höhere Anzahl verschriebener Medikamente ging mit einer verminderten Mobilität einher. Besonders hoch war der Anteil der Bewohner mit eingeschränkter Mobilität bei Dauermedikation mit Analgetika, am stärksten bei Opioiden. Zahlreiche Untersuchungen zeigen den Zusammenhang von eingeschränkter Mobilität durch Medikamenteneinnahmen, insbesondere bei Menschen im fortgeschrittenen Alter [8].

Limitationen

Die Ergebnisse der Studie sind nicht generalisierbar, da es sich bei den untersuchten Bewohnern nicht um eine Zufallsstichprobe handelt und nur eine relativ kleine Fallzahl einbezogen werden konnte. Die vorgenommene Gruppeneinteilung in Patienten mit und ohne Schmerz bei kognitiv beeinträchtigten Bewohnern ist aufgrund des Missverhältnisses zwischen Selbst- und Fremdeinschätzung kritisch zu betrachten.

Fazit für die Praxis

  • Der Anteil an Bewohnern mit Schmerzen ist bei KB höher als bei KL.

  • Die Ergebnisse zeigen die Problematik der Schmerzerfassung bei KB, da Selbst- und Fremdeinschätzung nur bei ca. einem Drittel der Fälle übereinstimmten. Weitere Forschung zur validen Erkennung von Schmerz bei dieser Patientengruppe ist notwendig, da es sich hier um ein für die Praxis relevantes Problem handelt.

  • Schmerz und damit einhergehende Mobilitätseinschränkung können nur in der Gruppe der KL interpretiert werden. In dieser Gruppe zeigten sich Hinweise auf einen Zusammenhang zwischen Schmerz und Einschränkung der Mobilität.