Zusammenfassung
Die Pflegequalitätsprüfungen nach § 114 ff SGB XI und die Begehungen der FQA (ehemals Heimaufsicht) wurden mit Abklingen der Pandemie wieder aufgenommen. Trotz der Einführung eines neuen Prüfinstruments führt dies weiterhin zu Irritationen und auch ethisch gerahmten Problemen in der Praxis. Dies war ab Sommer 2021 Gegenstand eines Beratungsprozesses im Ethikbeirat der Hilfe im Alter gGmbH der Inneren Mission München, Diakonie München und Oberbayern und führte zu einer Bearbeitung in der Frühjahrssitzung 2022 mit Vertretern des StMGP (Staatsministerium für Gesundheit und Pflege, heute StMGPP) und des MDB (medizinischer Dienst Bayern, der im Auftrag der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung tätige medizinische und pflegerische Beratungs- und Begutachtungsdienst), sowie zu einem konsentierten Papier des Beirats. Die Ziele der Prüfung, die Prozesse dazu in den Einrichtungen und ihre Auswirkungen auf die pflegebedürftigen Menschen und das Pflegepersonal wurden darin unter ethischen Gesichtspunkten thematisiert.
Auch wenn die Notwendigkeit einer externen Kontrolle nicht grundsätzlich in Frage gestellt wird, ist der Aufwand für die Indikatorenerhebung, die Herausforderung des Fachgesprächs und die Art und Weise der Ergebnisformulierung weiterhin kritisch zu diskutieren und weiter zu entwickeln. Es zeigt sich die organisationsethische Relevanz der Pflegequalitätsprüfung sowohl hinsichtlich der strukturellen Verankerung im einrichtungseigenen Qualitätsmanagement als auch hinsichtlich der Notwendigkeit einer Beteiligungskultur der Betroffenen. Damit wurde einmal mehr evident, wie wichtig das Anliegen des Ethikbeirats „Betroffene zu Beteiligten zu machen“ für die Mitarbeitenden und die Kultur der Einrichtungen ist, aber auch für alle anderen Ebenen der Versorgung und politischen Willensbildung, die hierfür verantwortlich Entscheidungen treffen.
Abstract
Definition of the problem
Care quality audits in accordance with section 114 ff SGB (Sozialgesetzbuch) XI and inspections by the FQA (Fachstelle für Pflege- und Behinderteneinrichtungen—Qualitätsentwicklung und Aufsicht; formerly the home supervisory authority) were resumed once the pandemic subsided. Despite the introduction of a new inspection tool, this continues to lead to confusion and ethical problems in practice. Starting in summer 2021, this was the subject of a consultation process in the “Hilfe im Alter” ethics advisory board and led to a discussion in the spring 2022 meeting with representatives of the StMGP (Staatsministerium für Gesundheit und Pflege) and MD (medizinischer Dienst) Bayern as well as to a consensus paper that addressed the objectives of the audit, the processes involved in the facilities, and their effects on people in need of care and care staff from an ethical point of view.
Arguments
Even if the fundamental necessity of a quality audit is not called into question, the effort involved in collecting indicators, the challenge of the expert discussion and the way in which the results are formulated must continue to be critically discussed and further developed. The organizational ethical relevance of the care quality assessment is evident both in terms of its structural anchoring in the facility’s own quality management system and in terms of the need for a culture of participation by those affected.
Conclusions
This once again demonstrates how important the ethics advisory board’s concern to “turn those affected into participants” is for the employees and the culture of the facilities, but also for all other levels of care and political decision-making that are responsible for making decisions in this regard.
Notes
Beide Autorinnen sind Mitglieder im Ethikbeirat der HiA und in dessen Vorstand: Constanze Giese als externes Mitglied, Dorothea Bergmann als internes Mitglied des Ethikbeirats, als Geschäftsführung und Fachstelle SPES.
Das Positionspapier ist abrufbar unter: https://www.hilfe-im-alter.de/images/dmo/hia/seelsorge/pdf/Ethische_Herausforderungen_Externe_Pruefungsverfahren.pdf. Zugegriffen: 4. März 2024.
Die HiA ist eine Tochterorganisation der Diakonie München und Oberbayern, sie ist Trägerin von 11 stationären und 5 ambulanten Pflegeeinrichtungen, einer Abteilung offene Altenhilfe sowie der Pflegeakademie, einer Bildungseinrichtung für Aus‑, Fort und Weiterbildung.
Der Ethikbeirat der HiA besteht seit 14 Jahren und begleitet einrichtungsübergreifend die Ethikberatung in den Einrichtungen (Dinges und Kittelberger 2011, S. 2).
Pflegefachpersonen sind alle beruflich Pflegenden, die über eine Berufszulassung aufgrund einer erfolgreich abgeschlossenen beruflichen oder hochschulischen Ausbildung/Anerkennung als Pflegefachmann/-fachfrau verfügen.
Die einzelnen Einrichtungen finden sich unter: https://www.hilfe-im-alter.de/hilfe-im-alter-startseite/stationaere-pflege. Zugegriffen: 4. März. 2024. Die Sitzungen des Beirates finden mindestens zweimal im Jahr in einer Pflegeeinrichtung statt. Hier werden unter Beteiligung von Mitarbeitenden der jeweiligen Einrichtung exemplarisch Fälle aus deren Praxis gemeinsam diskutiert. In der Herbstsitzung erfolgt der Bericht des Ethikbeirates an die Geschäftsführung, die an dieser Sitzung als Gast teilnimmt. Hier werden die für die Organisation aktuell anstehenden Themen hinsichtlich ihrer ethischen Relevanz und möglicher Konsequenzen diskutiert und eingeordnet.
FQA (Fachstelle für Pflege- und Behinderteneinrichtungen – Qualitätsentwicklung und Aufsicht) ist die aktuelle Bezeichnung der früher Heimaufsicht genannten kommunalen Aufsichtsbehörden. Ihre Kontrollen folgen dem Ordnungsrecht und standen im Ethikbeirat weniger im Zentrum. Sie erfolgen – anders als die dem Leistungsrecht zuzuordnenden Kontrollen des MD – ohne vorhergehende Datenerhebung.
Eine detaillierte Darstellung des Ablaufs findet sich in den Punkten 8 und 9 der Richtlinien des GKV-Spitzenverbandes für die Qualitätsprüfung in Pflegeeinrichtungen nach § 114 SGB XI Vollstationäre Pflege (MDB 2022).
Erhellend dazu sind die Ausführungen und Formulare der Anlagen 1–8 der QDVS (GKV-Spitzenverband 2022).
Als Informationsgrundlagen dienen laut MD: Das Gespräch mit und Inaugenscheinnahme von den ausgewählten Pflegebedürftigen, das Fachgespräch mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Einrichtung, zufällige Beobachtungen, Pflegedokumentation und weitere Unterlagen (Gesamtheit der Bewohnerakte), gesonderte Dokumentationen, die die Einrichtung im Rahmen des internen Qualitätsmanagements oder zur Prüfungsvorbereitung erstellt hat, einrichtungsinterne Konzepte oder Verfahrensanweisungen zur Erbringung einer fachgerechten Pflege (MDB 2023b, S. 14).
Unstrittig ist, dass die Auswahl der drei Qualitätsbereiche Lenkungswirkung hat, nicht nur was den Fokus in den Prüfinstanzen und bei den Geprüften betrifft, sondern auch was die Gestaltung des Pflegealltags betrifft, was als wichtig angesehen wird und was in den Hintergrund tritt. Letzteres betrifft zum Beispiel die zum Teil mühsam erarbeitete palliative Kultur, die angesichts der Bewohnerschaft vielerorts angemessen ist, sich in den Qualitätsbereichen aber nicht wieder findet und damit für ein gutes Ergebnis keine Rolle spielt.
„Bei Fachkräften gibt es nämlich derzeit bereits eine erhebliche Personallücke, die in Anlehnung an den Bericht der Bundesagentur für Arbeit vom Mai 2019 (BA 2019b) für vollstationäre Pflege mit 20.000 Vollzeitäquivalenten angesetzt wurde“ (Rothgang et al. 2020, S. 368).
Ob tatsächlich die Berufsflucht das zentrale Problem für den Fachkräftemangel ist, wird diskutiert, wie auch die Qualität der Untersuchungen dazu umstritten ist (Gaede 2022). Nicht in Frage gestellt wird hingegen die problematisch hohe Teilzeitquote, die nicht nur der familiären Doppelbelastung vieler Pflegefachpersonen (80 % sind weiblich) geschuldet ist. Reduktion der Arbeitszeit wird auch als Mittel zur Reduzierung der Arbeitsbelastung aufgrund schlechter Arbeitsbedingungen und zunehmender Arbeitsverdichtung gewählt.
Die Zeit bis zur Wiederbesetzung einer offenen Stelle in der Altenpflege wird mit 183 Tagen angegeben (Staeck 2019).
In der Anlage 1 QPR – Vollstationäre Pflege ist der Prüfbogen mit der den Qualitätsbereichen zugeordneten bewohnerbezogenen Informationserfassung mit Leitfragen und Bewertungskriterien und -hinweisen hinterlegt (MDB 2022). Zu ergänzen ist, dass „Heime mit guten Indikatoren- und guten Prüfergebnissen nur noch alle zwei Jahre vom Medizinischen Dienst geprüft werden“ (MDB 2023b). Dies tangiert jedoch nicht die Intervalle der Indikatorenerhebung und deren Übermittlung an die Datenauswertungsstelle.
Die Pflegequalitätsprüfungen werden in der aktuellen Situation, in der jederzeit Coronafälle in den Einrichtungen auftreten und entsprechende Hygienemaßnahmen verpflichtend verhängt werden können, gemäß der Richtlinien vom 27.03.2023 durchgeführt (GKV-Spitzenverband 2023).
Der Begriff Pflegende bezeichnet alle in den Einrichtungen dem Pflegedienst zugeordneten Personen, somit beruflich Pflegende, unabhängig davon, ob sie über eine einschlägige pflegebezogene Qualifikation verfügen.
Das Belastungserleben der Pflegenden wurde in mehreren Studien untersucht, wobei den Autorinnen quantitative Untersuchungen für die stationäre Langzeitpflege nicht vorliegen. Der in der Altenpflege durchgeführten qualitativen Studie von Müller et al. (2021, S. 68) zufolge berichteten „(f)ast alle Befragten […] von verlängerten Diensten und häufigem Einspringen aufgrund von Krankenschreibungen, Quarantänebestimmungen, Personalumverteilungen im Haus sowie einem erhöhten Arbeitsaufwand.“ Dies war in den Einrichtungen der HiA nicht anders. In einer an der Uni Köln 2020 durchgeführten Studie gaben 77,3 % aller Befragten über die Einrichtungen hinweg an, dass die Isolation von Infizierten sie belaste, mehr als 57 % erlebten diese Belastung als stark oder sehr stark (Hower et al. 2020, S. 7).
Die Einführung von § 14 Abs. 4 Arbeitszeitgesetz (ArbZG) hatte die Verlängerung der täglichen Arbeitszeit auf 12 h ermöglicht (Arndt 2020).
Staatlich und regional eingerichtete Versuche zu unterstützen, wie z. B. der bayerische Pflegepool, waren nicht durchgängig wirksam. Gründe hierfür lagen in Organisationsproblemen und dem Kompetenzprofil der engagierten, gutwilligen Kräfte, denen es aber ganz überwiegend an tatsächlicher Pflegekompetenz fehlte.
Aus diesen Beratungen entstand unter anderem eine Stellungnahme des Ethikbeirats der HiA vom 09.06.2020, die abrufbar ist unter: https://www.hilfe-im-alter.de/images/dmo/hia/seelsorge/pdf/Ethikbeirat_Stellungnahme_Coronapandemie_2020.pdf. Zugegriffen: 24. Febr. 2024.
Zitate aus den Sitzungsprotokollen und Äußerungen im Kontakt mit Fachstelle SPES, Originalton z. T. von Pflegenden, von Einrichtungs- und Pflegedienstleitungen.
Zitat eines Mitglieds aus der Sitzung des Ethikbeirats zu der Thematik.
Dieser Punkt wird später bei der Auseinandersetzung mit dem „Fachgespräch“ bedeutsam und wieder aufgegriffen.
Interne Mitglieder des Vorstands im Ethikbeirat zu der Zeit: Dorothea Bergmann, Pfarrerin, Fachstelle SPES Hilfe im Alter, zugleich Geschäftsführung des Ethikbeirats; Ernie Fürst, Pflegeüberleitung, Evangelisches Alten- und Pflegeheim, Leonhard-Henninger-Haus; Jörg Kahl, Einrichtungsleitung, Evangelisches Pflegezentrum Rupert-Mayer; Constanze Giese, Professorin für Ethik und Anthropologie in der Pflege, Katholische Stiftungshochschule München (externes Vorstandsmitglied).
Die gleichberechtigte Teilhabe ist grundlegende Haltung im Ethikbeirat der HiA und prägt so auch die Arbeit der Ethikberatung im Unternehmen.
Auszug Sitzungsplanung: 1. Begrüßung, kurzes Vorstellen der Gäste 2. Impuls Herr Labouvie: Wichtigste Neuerungen zu den „neuen“ Begehungen des MD und Ergänzung durch Herrn Dr. Opolony FQA 3. Kleingruppen: Ablauf Moderation Kleingruppen: A. Wer ist wie betroffen? Welche Erfahrungen mit der MD/FQA Begehung sind in der Gruppe (schwierig/positiv); B. Welche Wertvorstellungen stehen dahinter? Sind im Raum?; C. Was wünschen wir uns als Verbesserungen? Bitte die Ergebnisse auf Flipp Chart notieren für Präsentation im Plenum 3. Plenum: Sammeln der Ergebnisse aus den Kleingruppen. 4. Fazit – nächste Schritte.
So setzt Maio sich mit Entwicklungen im Gesundheitswesen auseinander, die er als „… eine Totalisierung und Prozessorientierung und […] Managerialisierung in der Therapie“ bezeichnet und fortfährt: „Diese totalisierende Managerialisierung paart sich mit einer Hochschätzung der Messbarkeit und Zelebrierung der Zahl in ihrer übertölpelnden Kraft“ (Maio 2014, S. 53). Maios Beitrag zielt primär auf die Einschränkung der ärztlichen Therapiefreiheit, mit der Abwertung individueller und qualitativer Aspekte gegenüber denjenigen, die quantifizierbar erscheinen. Damit adressiert er Herausforderungen, die ähnlich auch Laag et al. (2022, S. 9) sowie das Institut für Pflege, Altern und Gesundheit e. V. (2023, S. 19, 23–24) hinsichtlich der Fremdbestimmung der Pflege und damit einer Entwertung der Fachexpertise und geringen Bedeutung der Fachpflege thematisieren.
Zeit fehlt für Beziehungsaufbau (nicht nur direkt) nach dem Einzug, für Gefühls- und Emotionsarbeit, Kommunikation mit Angehörigen sowie allgemein für Interaktionsarbeit für neue, unvorhersehbare Situationen in der Pflege (Unwägbarkeiten) (Rothgang et al. 2020, S. 321).
Dennoch sollten die Qualitätsprüfungen nicht zusätzlich die Motivation der Mitarbeitenden beschädigen.
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C. Giese ist Mitglied des Beirats der Zeitschrift „Ethik in der Medizin“. C. Giese und D. Bergmann geben an, dass sie Mitglied im Ethikbeirat der Hilfe im Alter und dessen Vorstand sind.
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Giese, C., Bergmann, D. Externe Pflegequalitätsprüfung in den Einrichtungen der stationären Altenhilfe: Ethische Herausforderungen und Klärungsbedarfe im Fokus der Ethikberatung. Ethik Med (2024). https://doi.org/10.1007/s00481-024-00808-7
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DOI: https://doi.org/10.1007/s00481-024-00808-7
Schlüsselwörter
- Pflegequalitätsprüfung
- Ethikberatung
- Stationäre Langzeitpflege
- Ressourcenknappheit
- Pflegeethos
- Organisationsethik