Psychodynamische Aspekte der Gedächtnisfunktionen

Zusammenfassung

Ausgehend von Freuds frühen Modellvorstellungen wird in dieser Arbeit ein Überblick über den jetzigen Stand des Wissens hinsichtlich der psychodynamischen Aspekte der Gedächtnisfunktionen gegeben. Freud interessierte sich zu Beginn im Wesentlichen für Veränderungen der Abrufprozesse, die im Dienste der Unlustvermeidung gespeichertes Material von der Selbstwahrnehmung fernhielten. Unter Einarbeitung der Erkenntnisse über die Kriegsneurosen wendete er sich der Encodierungssituation zu und versuchte, die Frage zu bearbeiten, was mit den Gedächtnisfunktionen passiere, wenn schon bei der Aufnahme der Reizschutz durchbrochen wird. Er kam zur Schlussfolgerung, dass solche Encodierungssituationen zu einer Omnipräsenz der destruktiven Inhalte führen würden, die man nicht mehr dem Lustprinzip unterordnen könnte. Dieses Oszillieren zwischen Omnipräsenz und Abwehr der Inhalte macht den Unterschied zwischen den traumatischen Störungen und solchen, die auf einem unbewussten Konflikt beruhen, aus. Die wichtigsten Prozesse sind weniger Verdrängungen als Veränderungen des Realitätsstatus. Es wird gezeigt, dass die bisherigen Erklärungsmodelle hierfür noch nicht befriedigend Auskunft geben können. Die Analyse von peritraumatischen Befindlichkeiten lässt deutlich werden, dass solche, wie zum Beispiel die Dissoziation, wohl einen Einfluss haben, aber posttraumatische Erfahrungen genauso einflussreich für die weitere Entwicklung sind und mitentscheiden, ob es zu einem unbewussten Konflikt, einer chronischen Langzeittraumastörung oder einer Ausheilung kommt.

Abstract

Based on Freud’s early thinking this paper tries to give an overview about the current state of the art related to psychodynamic aspects of memory functions. Freud began with the investigation of retrieval alterations, especially keeping content away from the experiencing ego to avoid unpleasurable states. Under the influence of new knowledge about war neuroses he tried to tackle the question of what might happen to the memory system if in the encoding situation the protecting shield is broken down through the impact of the stimuli. He came to the conclusion that such situations might lead to an omnipresence of the destructive content which could no longer be subsumed under the pleasure principle. Their permanent presence and the defense against them form the difference between traumatic disturbances and those based on unconscious conflicts. Most processes cannot be subsumed under repression but as a change of reality perception. It is shown that the models explaining the change from one state to the other is still not satisfactory. The analysis of peritraumatic states make it clear that they alone, like dissociative states, have an influence but posttraumatic experiences are just as decisive for the future development leading either to a pathogenic unconscious conflict or long-term posttraumatic disturbances with all kinds of comorbid states or healing.