Die Integrität der Augenoberfläche, bestehend aus Hornhaut, Limbus, Bindehaut, sowie Lidfunktion und neuronale Steuerung des Blickreflexes sind für ein gutes Sehvermögen essenziell. Erkrankungen der Augenoberfläche können insbesondere durch schwere Benetzungsstörungen, vernarbende Prozesse auf Grundlage chronischer Entzündungen oder Infektionen sowie durch thermische oder chemische Verletzungen bedingt sein [1]. Für die meisten Oberflächenerkrankungen wie dem häufigen trockenen Auge gibt es mittlerweile gute therapeutische Optionen. Dagegen repräsentierte die Limbusstammzellinsuffizienz (LSZI) bisher ein großes therapeutisches Problem. Diese Erkrankung tritt nicht nur nach Verätzungen und Verbrennungen oder im Kontext kongenitaler Augen- (z. B. Aniridie) und schwerer Systemerkrankungen (z. B. Stevens-Johnson-Syndrom) auf, sondern auch bei chronischen Benetzungsstörungen nach multiplen Augenoperationen oder langjährigem Tragen von Kontaktlinsen. Auch wenn die Wiederherstellung der Augenoberfläche bei diesen Patienten nach wie vor eine Herausforderung darstellt, haben sich die therapeutischen Möglichkeiten, v. a. durch den Einsatz kornealer Stamm- und Vorläuferzellen, innerhalb der letzten Jahre deutlich erweitert.

So wird beispielsweise die Transplantation von ex vivo kultivierten Limbusstammzellen („cultivated limbal epithelial transplantation“, CLET) in verschiedenen klinischen Zentren erfolgreich zur Behandlung einer LSZI eingesetzt (s. Meller und Thomasen in dieser Ausgabe). Die durchschnittliche Erfolgsrate, definiert als Stabilisierung der Hornhautoberfläche nach ≥24 Monaten, wurde mit 72 % ermittelt, wobei Patienten mit einer durch Verätzung bedingten einseitigen LSZI am meisten von einer Stammzelltransplantation profitierten [2]. Große Hoffnungen werden nun in die Markteinführung des ersten stammzellbasierten Medizinprodukts (Holoclar®; Holostem/Chiesi), das von der Europäischen Kommission zur Behandlung einer durch Verbrennung oder Verätzung bedingten LSZI genehmigt wurde, gesetzt [3, 4]. Hierbei werden den Patienten autologe Limbusstammzellen entnommen und im Labor auf einer Fibrinunterlage mithilfe muriner Feeder-Zellen kultiviert. Die Wirksamkeit des Arzneimittels wurde in einer multizentrischen retrospektiven Studie an über 100 Patienten getestet und erzielte nach 12 Monaten bei 72 % der behandelten Patienten ein erfolgreiches Ergebnis. Zur abschließenden Beurteilung von Sicherheit und Wirksamkeit des Arzneimittels wird eine multinationale, multizentrische, prospektive Studie durchgeführt, an der u. a. auch die Universitäts-Augenkliniken Erlangen und Köln beteiligt sind. Die Herstellung und der Einsatz von derartigen innovativen, regenerativen Medizinprodukten verursachen allerdings hohe Kosten. Indische Wissenschaftler am Prasad Eye Institute in Hyderabad haben kürzlich eine einfache, aber auch wesentlich kostengünstigere Limbusepitheltransplantation („simple limbal epithelial transplantation“, SLET) eingeführt, wobei kleinste Limbusbiopsate mittels Fibrinkleber auf humaner Amnionmembran auf dem erkrankten Auge zur In-vivo-Expansion aufgebracht werden. Die Erfolgsrate nach ≥12 Monaten ist mit 76 % derjenigen bei CLET vergleichbar [5].

Die therapeutischen Möglichkeiten bei der Limbusstammzellinsuffizienz haben sich deutlich erweitert

Ungeachtet dieser positiven Erfolge, bleibt die Behandlung schwerer Augenoberflächenerkrankungen komplex und umfasst neben der Rekonstruktion des Hornhautepithels auch die Behandlung von Tränenfilmstörungen und chronischen Entzündungen und ggf. eine Rekonstruktion der Bindehaut mittels ex vivo expandierter autologer konjunktivaler Stammzellen (s. Spaniol et al. in dieser Ausgabe). Leider sind aktuell keine guten Therapieoptionen für die weitaus größere Gruppe von Patienten mit zweiseitiger LSZI verfügbar. Daher besteht nach wie vor großer Bedarf, die Eignung alternativer autologer Stammzellquellen, wie z. B. Haarfollikel, zu evaluieren und die bestehenden zellbasierten Therapien weiterzuentwickeln, um beispielsweise das latente Risiko von xenogenen Produkten wie tierische Seren und murine Feeder-Zellen zu vermeiden. Murine Feeder-Zellen fungieren als „Surrogatnische“, indem sie das Wachstum der limbalen bzw. konjunktivalen Stammzellen und den Erhalt ihrer Eigenschaften in vitro fördern, eine Aufgabe, die in vivo von Signalen aus der lokalen Mikroumgebung, der sog. Stammzellnische, geleistet wird. Ein primäres Ziel fortschrittlicher stammzellbasierter Tissue-Engineering-Strategien ist es daher, Schlüsselfaktoren des spezifischen Mikromilieus (Matrixkomponenten, Nischenzellen, Wachstumsfaktoren) kontrolliert und reproduzierbar in vitro nachzuahmen, um die Stammzellfunktion im Transplantat aufrechtzuerhalten.

Große Fortschritte bei der Identifizierung Limbus-spezifischer Nischenkomponenten und der Entwicklung neuer biosynthetischer Trägermaterialien haben in den letzten Jahren neue Tissue-Engineering-Strategien zur Generierung von Hornhautepithelgewebe angestoßen, die zurzeit labor- und tierexperimentell evaluiert werden (s. Eberwein und Reinhard in dieser Ausgabe). Vielversprechende experimentelle Ansätze sind z. B. biomimetische Hydrogele aus biofunktionellen Polymeren, die mit spezifischen Nischenfaktoren wie Matrixmolekülen oder Wachstumsfaktoren präfunktionalisiert werden (s. Schlötzer-Schrehardt et al. in dieser Ausgabe). Weitere attraktive Optionen für eine individualisierte Therapie eröffnen sog. induzierte pluripotente Stammzellen, die aus patienteneigenen Körperzellen wie Hautfibroblasten durch Reprogrammierung gewonnen und in die gewünschten limbalen oder konjunktivalen Vorläuferzellen differenziert werden [6]. Entscheidend für zukünftige Entwicklungen wird sein, die Regulation der Stammzellhomöostase besser zu verstehen, um die klinischen Langzeitergebnisse, insbesondere auch bei schweren beidseitigen Erkrankungen, zu verbessern.

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Prof. Dr. U. Schlötzer-Schrehardt

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Prof. Dr. F.E. Kruse