Einleitung

Diskriminierung, welche die ungleiche Behandlung bzw. Benachteiligung oder Ausgrenzung von Personen(-gruppen) meint, umfasst komplexe, multidimensionale Prozesse (Beigang et al. 2017; Williams et al. 2008): Auf individueller Ebene sind diskriminierende Handlungen auf Personen zurückzuführen, während sie auf institutioneller/struktureller Ebene durch Normen, Richtlinien, Gesetze und Routinen innerhalb von Institutionen begünstigt werden. Diskriminierung kann direkt oder indirekt (d. h. über versteckte Mechanismen) bzw. akut oder chronisch (z. B. anhaltende Alltagsdiskriminierung) auftreten. Nach Link und Phelan (2001) setzt die Diskriminierung als eine Komponente von Stigma das Bestehen eines sozioökonomischen Machtgefälles voraus. International wird seit den 1980er-Jahren auf die Bedeutung intersektionaler Stigmatisierungs- und Diskriminierungsprozesse hingewiesen, da diese aufgrund mehrerer miteinander verwobener Merkmale oder sozialer Identitäten erfahren werden können (Crenshaw 1989; Stangl et al. 2019). In Deutschland wurden 2006 durch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) 6 rechtlich schützenswerte Merkmale definiert (ethnische Herkunft, Geschlecht, Religion, Behinderung, Alter, sexuelle Identität), deren Erweiterung um Merkmale wie sozialer Status und äußeres Erscheinungsbild diskutiert wird. Laut einer repräsentativen Studie erlebten 36 % von 992 Befragten in Deutschland Diskriminierung aufgrund folgender Merkmale: Alter (15 %), Geschlecht/Geschlechtsidentität (9 %), Religion/Weltanschauung (9 %) oder Herkunft (8 %) (Beigang et al. 2017). Unter rund 5000 Befragten berichteten insbesondere jüngere, hoch gebildete Angehörige rassifizierter Gruppen, z. B. schwarze Menschen, Muslim:innen, Asiat:innen, Sinti:zze und Rom:nja sowie Juden und Jüdinnen von direkten Rassismuserfahrungen (Deutsches Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung 2022). Im Rahmen einer repräsentativen Dunkelfeldstudie (n = 29.684) in Niedersachsen und Schleswig-Holstein zur Viktimisierung durch vorurteilsmotivierte Kriminalität (z. B. Beleidigungen/Bedrohungen v. a. auch im Internet, üble Nachrede, Diebstahl, Sachbeschädigung/Vandalismus, sexuelle Bedrängung, Körperverletzung) konnte eine Prävalenz von 5 % festgestellt werden (Groß et al. 2019). Diskriminierung findet in verschiedenen Lebensbereichen statt, z. B. im öffentlichen, im Freizeit- oder im Arbeitsbereich, bei der Arbeitsplatz- oder Wohnungssuche sowie im Gesundheitswesen (Beigang et al. 2017; Bartig et al. 2021; Schmitt et al. 2014). Auf v. a. US-amerikanische Studien bezogene Übersichtsarbeiten zeigen, dass Diskriminierungserfahrungen mit einer schlechteren psychischen Gesundheit zusammenhängen (Krieger 2014; Paradies et al. 2015; Schmitt et al. 2014; Metzner et al. 2022). Eine Metaanalyse von 328 Effektstärken bei 144.246 Kindern und Erwachsenen ergab einen signifikanten negativen Zusammenhang zwischen wahrgenommener Diskriminierung aufgrund von Merkmalen wie Ethnizität, Geschlecht, sexuelle Orientierung oder psychischer/körperlicher Beeinträchtigung einerseits und psychischem Wohlbefinden andererseits (Schmitt et al. 2014). Lewis et al. (2015) stellten in ihrer Metaanalyse positive Zusammenhänge zwischen Diskriminierung und psychischen Erkrankungen wie Depressionen, Angst- und Essstörungen sowie psychotischen Störungen fest. Zudem weisen US-amerikanische Survey-Daten darauf hin, dass intersektionale Diskriminierungserfahrungen das Entstehungsrisiko von depressiven Symptomen und die Verschlechterung weiterer Gesundheitsindikatoren erhöhen (Gayman und Barragan 2013; Grollman 2014). Der European Social Survey in 26 europäischen Ländern zeigte, dass sich Diskriminierung aufgrund sozialer Faktoren, wie Alter, Behinderung oder Sexualität negativ auf die körperliche und psychische Gesundheit auswirkt (Alvarez-Galvez und Salvador-Carulla 2013), wobei Diskriminierungserfahrungen weltweit methodisch uneinheitlich und wenig differenziert erfasst wurden (Krieger 2014). Auf Deutschland bezogen wiesen Dieckmann et al. (2017) darauf hin, dass mit steigender Häufigkeit an erlebten Diskriminierungssituationen (individuelle, institutionelle und strukturelle Diskriminierung sowie potenzielle Hasskriminalität) ein schlechteres Wohlbefinden sowie häufiger psychosomatische Symptome berichtet wurden. Eine Befragung (n = 6000) des Robert Koch-Institutes zur gesundheitlichen Situation von Menschen mit Migrationsgeschichte kam zu dem Schluss, dass subjektiv wahrgenommene Diskriminierungserfahrungen, bezogen auf Gesundheitschancen bzw. Krankheitsrisiken, wesentliche Determinanten darstellen (Hövener und Wieler 2023). In Deutschland fehlt es an repräsentativen Studien, die sowohl Diskriminierungserfahrungen in verschiedenen Dimensionen und Lebensbereichen als auch den Zusammenhang mit Gesundheit erforschen. Fragestellungen zu Diskriminierungserfahrungen werden in Deutschland häufig mittels Daten aus dem Sozio-oekonomischen Panel (SOEP) untersucht, in dem Fremdenfeindlichkeit über ein einzelnes Item erhoben wurde (Schunck et al. 2015). In der vorliegenden Studie wurden in Deutschland lebende Erwachsene differenziert zu wahrgenommener Diskriminierung und depressiver Symptomatik befragt und die Häufigkeit von Diskriminierungserfahrungen nach Formen, Merkmalen und Lebensbereichen untersucht.

Methodik

Durchführung und Stichprobe

Der über die Web-Applikation SoSci Survey erstellte Fragebogen wurde im Zeitraum von Juli bis August 2019 mit einem Informationstext und einem Link zur Befragung digital verbreitet. Die Teilnehmenden ab 18 Jahren wurden mittels Schneeballprinzip über 4 teils parallel ablaufende Strategien nach Adedeji (2019) ohne Incentives rekrutiert: Etwa 30 Migrant:innenselbstorganisationen und Selbsthilfegruppen, z. B. von Menschen mit Behinderung („community leaders“), verbreiteten den Link zur Studie über ihre internen E‑Mail-Verteiler, soziale Medien und private Kontaktdaten an potenzielle Interessierte weiter („community outreach“), die ihrerseits der im Informationstext enthaltenen Bitte um Weiterleitung und Streuung des Befragungslinks in den eigenen Netzwerken folgten („chain referral“), sodass eine sich verselbstständigende Verbreitung („natural multiplication“) erreicht werden konnte. Der Online-Fragebogen wurde von n = 628 Personen aufgerufen. Eingeschlossen wurden n = 403 Personen, die ihr Einverständnis zur Studienteilnahme gaben und den Fragebogen vollständig ausfüllten. Im Vorfeld erfolgte eine Information über Freiwilligkeit, Möglichkeit des Widerrufes der Teilnahme ohne negative Konsequenzen, Datenschutzregelungen sowie Hintergrund der Studie. Die Bearbeitungszeit des Fragebogens betrug durchschnittlich 15 min.

Instrumente

Soziodemografie

Soziodemografische Daten wurden über 19 Items erfasst, von denen 7 selbstentwickelt und 12 von Beigang et al. (2017) bzw. GESIS (2012) entwickelt wurden (z. B. Welche der folgenden Bezeichnungen zur Beschreibung des Geschlechts trifft auf Sie zu?) und hauptsächlich per Einfachnennung und einer Ergänzungsoption (anderes und zwar) beantwortet werden konnten. Abgefragt wurden Geburtsjahr, Geschlecht, sexuelle Identität/Orientierung, anderes Geburtsland außer Deutschland (selbst, Eltern, Großeltern), Erscheinungsbild/körperliche Merkmale, Behinderung, Religions‑/Schichtzugehörigkeit, Schul‑/Hochschulbildung, Einkommen, Haushaltsgröße, Bundesland.

Depressivität

Die Depressivität wurde über die deutsche Version des Patient Health Questionnaires (PHQ‑9; Löwe et al. 2004) zur Erfassung depressiver Symptome mit einer 4‑stufigen Antwortskala von (0) überhaupt nicht bis (3) beinahe jeden Tag und einem Summenwert von 0 bis 27 Punkten für den Schweregrad erhoben: (0 bis 4 Punkte) keine depressive Störung, (5 bis 9 Punkte) leichter, (10 bis 14 Punkte) mittlerer, (15 bis 19 Punkte) ausgeprägter und (20 bis 27 Punkte) schwerster Schweregrad. Die Depressionsskala weist eine interne Konsistenz von Cronbachs α = 0,88 und eine Retest-Reliabilität zwischen r = 0,81 und r = 0,96 auf (Löwe et al. 2004).

Diskriminierungserfahrungen

Auf Basis einer Literaturrecherche wurden 22 inter-/nationale Publikationen und hieraus 62 Items zur Erfassung von (intersektionaler) Diskriminierung identifiziert, die deduktiv folgenden Bereichen von Diskriminierung zugeordnet wurden: Merkmale (z. B. einzeln, intersektional), Formen (z. B. individuell vs. institutionell, direkt vs. indirekt, akut vs. chronisch) sowie gesellschaftliche Lebensbereiche (s. unten). Die Items wurden von 3 Raterinnen unabhängig voneinander mit geeignet, eventuell geeignet oder ungeeignet bewertet. Als eventuell geeignet bewertete Items wurden unter Hinzuziehen von Expert:innen aus Soziologie und Public Health bis zur Konsensfindung diskutiert. Die konsentierten 43 Items des Hamburger Diskriminierungsfragebogens (HDF; kann bei den Autor:innen angefragt werden) wurden ins Deutsche übersetzt und bei Bedarf inhaltlich angepasst sowie sprachlich vereinheitlicht. Nach einem Pretest (n = 8) hinsichtlich Verständlichkeit und Praktikabilität wurden einzelne Items (z. B. diskriminierungssensibel) modifiziert. Die Diskriminierungshäufigkeit in den letzten zwei Jahren wurde für folgende Diskriminierungsformen und -merkmale sowie Lebensbereiche mit einer 5‑stufigen Häufigkeitsskala von (0) nie bis (4) (fast) immer und einer Ausweichoption weiß nicht oder trifft nicht zu erhoben.

Diskriminierungsformen

Die Häufigkeit konkreter Situationen in den letzten zwei Jahren wurde über 19 Items erfasst (z. B. Ich habe weniger Gehalt oder eine schlechtere Bewertung als eine andere Person mit vergleichbarer Tätigkeit und Qualifikation bekommen). Erfragt wurden auch individuelle oder institutionelle Diskriminierung z. B. in Form von körperlichen Übergriffen, materieller Benachteiligung, sozialer Herabwürdigung.

Diskriminierungsmerkmale

Über 11 Items wurde die Häufigkeit von Diskriminierung in den letzten zwei Jahren aufgrund von den 6 schützenswerten Merkmalen nach den AGG-Kriterien sowie ergänzend aufgrund von sozialer Lage und äußerem Erscheinungsbild erfasst (z. B. Ich wurde aufgrund meiner Erwerbstätigkeit oder meiner Erwerbslosigkeit benachteiligt). Ein Item erhob die Bevorzugung, d. h. die positive Diskriminierung aufgrund eines oder mehrerer Merkmale, gefolgt von der Bitte (falls zutreffend), diese Erfahrungen im Freitextbereich zu beschreiben.

Lebensbereiche

Fünf Items zielten auf Diskriminierungserfahrungen der letzten zwei Jahren in den Lebensbereichen (1) Bildung/Arbeit, (2) Geschäft, Dienstleistungen, Öffentlichkeit/Freizeit, (3) Gesundheits‑/Pflegebereich, (4) Amt/Behörde sowie (5) Medien/Internet ab. Anhand eines Items wurde die Bevorzugung in einem oder mehreren Lebensbereichen erfragt, gefolgt von der Bitte (falls zutreffend), diese Erfahrungen im Freitextbereich zu beschreiben.

Alltagsdiskriminierung

Mithilfe eines Items (Ich werde im Alltag immer wieder diskriminiert) und einer 5‑stufigen Likert-Skala von (1) stimme überhaupt nicht zu bis (5) stimme voll und ganz zu (mit der Ausweichoption weiß nicht) wurde zusätzlich die wahrgenommene Alltagsdiskriminierung erhoben.

Subjektive Auswirkungen

Ein Item erfragte, ob die erlebte Diskriminierung in den letzten zwei Wochen das Wohlbefinden beeinflusst hat. Vier Items erfassten bei Bejahung die Intensität der Auswirkungen auf Wohlbefinden, Funktionsfähigkeit im Alltag und Leidensdruck auf einer 5‑stufigen Antwortskala von (1) gar nicht bis (5) sehr (mit der Ausweichoption weiß nicht).

Datenanalyse

Die Datenauswertung erfolgte mittels der Statistikprogramme IBM SPSS Statistics (Version 25.0; Armonk, NY: IBM Corp.) und R (Version 3.6.1; R Core Team, 2019). Der Anteil fehlender Werte lag bei unter 1 %, sodass „Complete-case“-Analysen angewandt wurden. Zur Untersuchung der Gesamthäufigkeit von Diskriminierungserfahrungen wurden jeweils Summenwerte über die zu Diskriminierungsformen, -merkmalen sowie Lebensbereichen gehörigen Items berechnet und die Verteilung der Summenwerte beschrieben (M, SD). Die Summierung einzelner Diskriminierungselemente oder -antworten bietet eine unkomplizierte und leicht verständliche Darstellung des Gesamtniveaus der erfahrenen Diskriminierung einer Person und ermöglicht Diskriminierungserfahrungen mit anderen Konstrukten, wie Depressivität, in Beziehung zu setzen. Dieser Zusammenhang wurde mittels einer einfachen linearen Regressionsanalyse mit Diskriminierungshäufigkeit als unabhängige Variable und depressiven Symptomen laut PHQ-9-Summenwert als abhängige Variable berechnet. Mittels einer multiplen linearen Regressionsanalyse mit den unabhängigen Variablen Diskriminierungshäufigkeit und subjektive Auswirkung von Diskriminierung und der abhängigen Variable depressive Symptome wurde nach Dichotomisierung der subjektiven Auswirkung (ja, weiß nicht = 1; nein, trifft nicht zu = 0) der Einfluss der erlebten Diskriminierung auf den Zusammenhang zwischen Diskriminierungshäufigkeit und psychischer Gesundheit untersucht. Mittels multipler Regressionsanalyse wurde der Interaktionseffekt anhand des Produkts der zwei unabhängigen Variablen modelliert. Zur Auswertung der linearen Regressionsanalysen wurde über das Bestimmtheitsmaß R2 angegeben, wie viel Varianz durch die vorliegenden linearen Regressionsmodelle erklärt wurden. Das α‑Fehler-Niveau wurde auf 5 % festgelegt.

Ergebnisse

Stichprobe

Der Altersdurchschnitt lag bei 32 Jahren (SD = 11; Range: 19–84) (Tab. 1), wobei vorrangig Frauen (64 %), Studierende (49 %) und Erwerbstätige (44 %) teilgenommen haben. Etwa 14 % gaben an, im Ausland geboren zu sein. Das häufigste Geburtsland nach Deutschland war die Türkei (4 %). Die Teilnehmenden lebten v. a. in Rheinland-Pfalz (44 %) und Hamburg (15 %).

Tab. 1 Merkmale des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG), sozioökonomischer Status und äußeres Erscheinungsbild in der Gesamtstichprobe (n = 403)

Diskriminierungserfahrungen

Rund ein Fünftel der Befragten gab an, von Alltagsdiskriminierung betroffen zu sein (Tab. 2).

Tab. 2 Diskriminierungserfahrungen und Depressivität (n = 403)

Im Mittel (M = 1,28; SD = 1,03) wurden am häufigsten Diskriminierungsformen auf individueller Ebene erlebt (z. B. Es wurden abwertende Witze über mich gemacht, oder ich wurde ausgelacht) (Abb. 1). Die am häufigsten erlebte Situation auf institutioneller Ebene war Menschen wie ich wurden in der Öffentlichkeit herabwürdigend dargestellt oder beleidigt (M = 1,05; SD = 1,28).

Abb. 1
figure 1

Häufigste Diskriminierungsformen auf individueller Ebene, häufigste Diskriminierungsmerkmale und häufigste Lebensbereiche, in denen Diskriminierung erlebt wurde (n = 403)

Die häufigsten Diskriminierungsmerkmale waren Geschlecht (M = 1,16; SD = 1,12), äußeres Erscheinungsbild (M = 0,85; SD = 1,06) und Alter (M = 0,80; SD = 0,95). Die Teilnehmenden wurden im Mittel am häufigsten in den Lebensbereichen Bildung und Arbeit (M = 0,98; SD = 1,09), Medien und Internet (M = 0,80; SD = 1,23) und Geschäft, Dienstleistungen und Freizeit (M = 0,72; SD = 1,01) diskriminiert. Die Aussage Ich werde im Alltag immer wieder diskriminiert haben 68 % der Teilnehmenden mit überhaupt nicht oder eher nicht bewertet; 19 % stimmten der Aussage eher zu oder voll und ganz zu.

Diskriminierung und Depressivität

Die lineare Regressionsanalyse ergab einen signifikanten Zusammenhang zwischen Diskriminierungshäufigkeit und depressiven Symptomen, F(1,397) = 136,68; p < 0,001. Die Diskriminierungshäufigkeit erklärte 25 % der Varianz des Depressionswertes und war ein signifikanter Prädiktor von Depressivität (t(397) = 11,96; p < 0,001). Bei Vergrößerung der Diskriminierungshäufigkeit um eine Einheit stieg der Depressionswert im Mittel um 0,12 (KI (Konfidenzintervall) [0,15; 0,21] p < 0,05) an.

Subjektive Auswirkung von Diskriminierung

Die multiple lineare Regressionsanalyse mit depressiver Symptomatik als abhängige Variable und Diskriminierungshäufigkeit und subjektive Auswirkung von Diskriminierung als unabhängige Variablen ergab einen signifikanten Zusammenhang, F(2,395) = 70,76, p < 0,001. Diskriminierungshäufigkeit und subjektive Auswirkung klärten 26 % der Varianz des Depressionswertes auf. Sowohl die Diskriminierungshäufigkeit (t(395) = 8,65; p < 0,001) als auch die subjektive Auswirkung (t(395) = 2,12; p = 0,035) waren signifikante Prädiktoren für depressive Symptome. Die subjektive Auswirkung von Diskriminierung hatte einen über die Diskriminierungshäufigkeit hinaus eigenen Zusammenhang mit depressiven Symptomen. Bei Teilnehmenden, die eine Auswirkung der Diskriminierungserfahrungen auf ihr Wohlbefinden wahrnahmen, stieg der Depressionswert im Mittel um 1,22 (KI [0,09; 2,34] p < 0,05) Einheiten an, unabhängig von der Häufigkeit der Diskriminierungserfahrung. Der Interaktionseffekt war nicht signifikant (t(394) = 1,74; p = 0,082) (Tab. 3).

Tab. 3 Übersicht der Regressionsanalysen zur Assoziation der depressiven Symptome

Diskussion

Individuelle Diskriminierungserfahrungen gehörten zu den häufigsten Diskriminierungsformen bei den Befragten. Am häufigsten fühlten sich die Teilnehmenden aufgrund ihres Geschlechts, äußeren Erscheinungsbilds und Alters sowie in den Lebensbereichen Bildung/Arbeit, Medien/Internet und Dienstleistungen/Geschäfte/Freizeit diskriminiert. Die Befunde sind konsistent mit anderen deutschen Studien (Beigang et al. 2017; Deutsches Zentrum für Integrations- und Migrationsforschung 2022), wobei das am zweithäufigsten genannte Merkmal äußeres Erscheinungsbild nicht im AGG berücksichtigt und bisher selten untersucht wurde. Häufigkeit und subjektive Auswirkung von Diskriminierungserfahrungen stellten signifikante Prädiktoren für depressive Symptome dar. Teilnehmende wiesen im Mittel einen höheren Depressionswert auf, wenn sie mehr als belastend wahrgenommene Diskriminierungserfahrungen erlebt hatten, unabhängig von deren Häufigkeit. Die Ergebnisse decken sich mit Befunden aus internationalen Studien, die einen Zusammenhang zwischen Diskriminierungserfahrungen und psychischer Gesundheit aufzeigen (Dieckmann et al. 2017; Krieger 2014; Schmitt et al. 2014). Eingeschränkte Zugänge zu Arbeit, Wohnraum, Bildung, gesundheitsbezogenen Einrichtungen/Aktivitäten (z. B. Sport) oder ein verstärktes Ausüben ungesunder Verhaltensweisen (z. B. Alkoholkonsum) können diese Assoziation erklären (Kajikhina et al. 2023; Paradies et al. 2015).

Folgende Limitationen sind bei der Ergebnisinterpretation zu berücksichtigen: Die nichtrandomisierte, per Schneeballprinzip rekrutierte Stichprobe setzte sich mehrheitlich aus Studierenden oder Erwerbstätigen mit hohem Bildungsstand zusammen, Menschen mit niedrigerem Bildungsstand sind unterrepräsentiert. Für Menschen ohne (umfangreiche) Deutschkenntnisse war die Teilnahme erschwert, da der Fragebogen nur auf Deutsch zur Verfügung stand. Durch das Online-Format konnten Menschen, denen z. B. aufgrund ihrer ökonomischen Lage kein Internet oder Computer zugänglich war, wenig erreicht werden. Infolge der Sampling-Methode (Schneeballverfahren über Netzwerke mit mutmaßlich hoher Diskriminierungsbelastung) können keine über die Stichprobe hinausgehenden Aussagen zur Häufigkeit von Diskriminierungserfahrungen gemacht werden. In zukünftigen Befragungen sollten z. B. durch Übersetzungen in Gebärden- bzw. Einfache Sprache weniger selektive Stichproben angesprochen werden. Ein systematischeres Vorgehen bei der Rekrutierung könnte eine repräsentative Zusammensetzung der Stichprobe und darüber eine erhöhte Aussagekraft der Ergebnisse ermöglichen. Die Studienergebnisse basieren auf subjektiven Selbstberichten, die mit Erinnerungsverzerrungen und sozial erwünschten Antworttendenzen einhergehen können. Die Erfassung von Diskriminierung in mehreren Situationen und Kontexten sowie alltags- und zeitnahe Erhebungsmethoden (z. B. über ein Smartphone täglich abrufbares Ecological Momentary Assessment) können Verzerrungseffekte reduzieren. Die Diskriminierungsformen, Merkmale und Lebensbereiche wurden mit unterschiedlich vielen Items abgefragt und für die Diskriminierungshäufigkeit aufsummiert, sodass ein hoher Häufigkeitswert für ein Merkmal (z. B. Herkunft) ggf. nicht mit einem hohen Häufigkeitswert für eine Form (z. B. Auslachen) gleichgesetzt werden kann. Dadurch kann möglicherweise die tatsächliche Bedeutung der einzelnen Komponenten nicht genau widergespiegelt werden. Zudem ist es infolge des Summenwertes nicht möglich, komplexe Prozesse und Wechselwirkungen (z. B. in Bezug auf Intersektionalität) zu erfassen. Die Items zu Diskriminierungserfahrungen wurden hinsichtlich ihrer Gütekriterien bisher nicht überprüft.

Laut der Metaanalyse von Paradies et al. (2015) wurde psychische Gesundheit im Zusammenhang mit Rassismus am häufigsten über Depression operationalisiert. Einer aktuellen Erhebung des Robert Koch-Institutes zufolge sind in Deutschland lebende Menschen mit Migrationsgeschichte, die häufige Diskriminierungserfahrungen gemacht haben, mit rund 35 % auch häufiger von depressiven Symptomen betroffen, während das bei den übrigen Befragten (keine oder seltene Diskriminierungserfahrungen) auf knapp 11 % zutrifft (Hövener und Wieler 2023). Weitere Gesundheitsvariablen wie Selbstwertprobleme, Stress oder Ängste könnten in künftigen Studien ebenso untersucht werden wie zugrunde liegende Ursachen, Mechanismen und mediierende Faktoren, wie z. B. soziale Unterstützung und eigene Kontrollüberzeugungen (Gayman und Barragan 2013; Schmitt et al. 2014). Querschnittlich angelegte Untersuchungen wie die vorliegende Studie lassen keine kausalen Schlüsse zwischen Diskriminierungserleben und Depressivität zu. Es liegen zudem Hinweise auf einen Einfluss von negativen kognitiven Verarbeitungsstilen vor, welche für Depressionen eher typisch sind und einen Einfluss auf das Diskriminierungserleben haben können: In diesem Zusammenhang berichten Hayes et al. (2019), dass insbesondere ein globalisierender und internalisierender Attributionsstil von Alltagsdiskriminierung die Entstehung einer Major Depression begünstigt. Groß et al. (2019) zeigten zudem für Betroffene von vorurteilsmotivierter Kriminalität deutlich erhöhte Werte in allen Varianten der Kriminalitätsfurcht, die u. a. das Sicherheitsgefühl und die Risikoeinschätzung einschließt, im Vergleich zu Betroffenen von Kriminalität ohne ein erkanntes Vorurteilsmotiv. Längsschnittstudien unter Kontrolle relevanter Störvariablen, die Aussagen zur Kausalität der miteinander komplex verbundenen Konstrukte zulassen, sowie Erhebungen in repräsentativen Stichproben und Subgruppenanalysen (z. B. nach Geschlecht, Alter, Berufsgruppen, Migrationsaspekte), die generalisierende und differenzierte Aussagen ermöglichen, stehen zu dieser Thematik allerdings noch aus. Mithilfe von „Mixed-methods“-Studiendesigns könnten den hier berichteten Limitationen entgegenwirkt und die bisher vorliegenden Erkenntnisse zu intersektionaler Diskriminierung sowie deren Auswirkungen auf die psychische Gesundheit vertieft werden.

Konsequenzen für Klinik und Praxis

  • Diskriminierungserfahrungen sollten als potenzielle Belastungsfaktoren bei der Anamnese, Diagnostik, Prognose und Therapie psychischer Erkrankungen berücksichtigt werden.

  • Sie können durch therapeutische Interventionen, die sich auf individuelle Bewältigungsstrategien, Ich-Stärkung, soziale Unterstützung etc. beziehen, bewältigt werden.

  • Fortbildungsangebote, Inter- und Supervisionen können Behandelnde unterstützen, sich mit marginalisierten Lebenswelten von Patient:innen auseinanderzusetzen, aber auch eigene Sprachpraxen, Haltungen sowie gesellschaftliche Positionierung zu reflektieren (Schlachzig et al. 2021; Oberzaucher-Tölke 2022).

  • Angesichts der strukturellen Bedingtheit und der gesundheitlichen Auswirkungen von Diskriminierung ist eine Auseinandersetzung auf gesellschaftlicher und (gesundheits-)politischer Ebene unabdingbar (Dieckmann et al. 2017; Bartig et al. 2021).