Der Zusammenhang zwischen Pandemien und psychischer Gesundheit wurde bereits vor dem COVID-19-Ausbruch beschrieben. Diesbezügliche Auswirkungen der Coronapandemie in der Allgemeinbevölkerung sind zwar signifikant, aber nur geringfügig. Es wird davon ausgegangen, dass es verschiedene, die psychische Gesundheit beeinträchtigende Stressfaktoren gibt, und dass diese nicht in allen Populationen und Personen gleich stark zur Wirkung kommen. Es erfordert eine differenzierte Betrachtung von Stressoren und Schutzfaktoren, um zielgruppengerechte präventive und psychotherapeutische Versorgungsmaßnahmen zu etablieren.

Hintergrund

Der Ausbruch der COVID-19-Pandemie und das zunächst unkontrollierbare Infektionsgeschehen stellten Menschen weltweit vor unerwartete Herausforderungen und wirkten sich auf unterschiedlichste Lebensbereiche aus. Zu Beginn der Pandemie waren keine Schutzimpfungen verfügbar, folglich ist es in vielen Ländern zu einer beispiellosen Reihe von Einschränkungen gekommen, um die Ausbreitung des Virus einzudämmen und Überlastungen der Gesundheitssysteme zu verhindern. Obwohl diese Maßnahmen zwischen den Ländern unterschiedlich streng gehandhabt wurden, haben sie das tägliche Leben der Menschen weltweit erheblich verändert. Auch in Deutschland resultierten die Restriktionen zeitweise in einem weitgehenden Stillstand des öffentlichen Lebens. Aus ökonomischer Sicht führte der Ausbruch der Coronapandemie zu einem starken Einbruch der deutschen Wirtschaft (Statistisches Bundesamt (Destatis) 2022). All diese Veränderungen gilt es zu bedenken, wenn die psychische Belastung der Bevölkerung im Kontext der Pandemie betrachtet wird. Im Folgenden wird darauf eingegangen, dass die Erfahrung der beschriebenen pandemischen Lage und ihrer Begleitumstände auf mehr als nur sozialer und wirtschaftlicher Ebene deutliche Konsequenzen mit sich brachte.

Auswirkungen der COVID-19-Pandemie auf die psychische Gesundheit der Allgemeinbevölkerung

Der Zusammenhang zwischen Pandemien und psychischer Gesundheit wurde bereits vor der COVID-19-Pandemie beschrieben. Studien über die psychischen Auswirkungen vorangegangener internationaler Infektionswellen zeigen, dass neben der körperlichen Gefahr einer Infektion auch die Psyche durch Pandemien und Quarantänemaßnahmen beeinträchtigt werden kann (Lee et al. 2007; Maunder et al. 2003). Passend dazu berichten aktuelle systematische Reviews zahlreicher internationaler Studien von einer Zunahme psychischer Belastung seit dem Ausbruch der COVID-19-Pandemie (Luo et al. 2020; Salari et al. 2020; Wu et al. 2021). Es werden vorrangig durch die Pandemie und den Lockdown ausgelöste depressive Symptome, Ängste und Disstress beschrieben. Leung et al. (2022) schlossen in ihre systematische Übersicht und metaanalytische Zusammenfassung 247 internationale Studien, die u. a. die psychische Belastung durch COVID-19 in der Allgemeinbevölkerung erfassten, ein. Über alle Studien hinweg ergab sich eine Prävalenz von 20,7 % für Angststörungssymptome, 18,1 % für Depressionssymptome und 13 % für Disstress (Leung et al. 2022). Insgesamt wies einer von 5 Erwachsenen in zufällig ausgewählten Populationen während der COVID-19-Pandemie den Verdacht auf eine psychische Störung auf (Leung et al. 2022).

Viele Studien, die in die Übersichtsarbeiten aufgenommen wurden, unterliegen jedoch signifikanten methodischen Limitationen. Es ist also Vorsicht geboten, wenn Schlussfolgerungen zu den psychologischen Auswirkungen der COVID-19-Pandemie aus Querschnittstudien, denen eine geeignete Kontrollgruppe fehlt, gezogen werden (Meda und Slongo 2020). Die Ergebnisse einer Metaanalyse longitudinaler Studien zeigen, dass die Auswirkungen der durch die Pandemie bedingten Lockdowns auf die psychische Gesundheit in der Allgemeinbevölkerung signifikant, aber nur geringfügig sind (Prati und Mancini 2021). Es wird davon ausgegangen, dass es während einer Pandemie verschiedene Stressfaktoren gibt, die sich auf die psychische Gesundheit auswirken können und dass diese Stressoren nicht in allen Ländern, Gruppen und Einzelpersonen gleich stark ausgeprägt sind (Prati und Mancini 2021). Dementsprechend sollten verallgemeinernde Aussagen bezüglich der psychischen Belastung im Kontext der COVID-19-Pandemie zugunsten einer differenzierten Betrachtung reflektiert werden.

Risiko- und Schutzfaktoren

Die wahrscheinliche Zunahme der psychischen Störungen und die bestätigte Zunahme der psychischen Belastungen müssen als multifaktoriell verstanden werden. Brooks et al. berichteten bereits vor der COVID-19-Pandemie von längerer Quarantänedauer, Infektionsängsten, Frustration, Langeweile, unzureichender Versorgung, unzureichenden Informationen, finanziellen Verlusten und Stigmatisierung als möglichen Stressoren im Rahmen von Quarantänebedingungen während Infektionspandemien (Brooks et al. 2020). Als begünstigende Faktoren für die Zunahme von depressiven Symptomen und Ängsten werden ein besonders niedriger oder besonders hoher Bildungsstatus, weibliches Geschlecht, das Alleinleben, Einsamkeit, geringeres Einkommen, finanzieller Stress, wahrgenommenes Infektionsrisiko, Nutzung sozialer Medien sowie eine bereits bestehende psychische oder körperliche Erkrankung beschrieben (Leung et al. 2022; Vindegaard und Benros 2020). Vor allem Arbeitslosigkeit, subjektive Arbeitsplatzunsicherheit sowie finanzielle Belastungen sind etablierte Risikofaktoren für die Verschlechterung psychischer Gesundheit (Milner et al. 2014). Vertrauen in die Behörden, Verfügbarkeit von genauen Informationen, Annahme von Präventionsmaßnahmen und soziale Unterstützung wurden mit einer geringeren Morbidität in Verbindung gebracht, stellen also mögliche Schutzfaktoren dar (Leung et al. 2022). Auf individueller Ebene erwiesen sich Resilienz, Selbstwirksamkeit, positive Coping-Stile sowie ein sicherer oder vermeidender gegenüber einem ängstlichen Bindungsstil als Schutzfaktoren. Weitere Risiko- und Schutzfaktoren können in die Dimensionen demografische Faktoren, individuelle Faktoren und Faktoren, die die Exposition gegenüber der Pandemie betreffen, eingeteilt werden und sind Abb. 1 zu entnehmen.

Abb. 1
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Risiko- und Schutzfaktoren für die psychische Gesundheit im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie. (Hergeleitet aus Leung et al. 2022; Luo et al. 2020)

Implikationen für die psychotherapeutische Versorgung

Insgesamt kann auf Basis aktueller Literatur im Sinne eines Vulnerabilitäts-Stress-Modells davon ausgegangen werden, dass es sich bei der COVID-19-Pandemie um einen multifaktoriellen Stressor handelt, der die Allgemeinbevölkerung, jedoch v. a. vulnerable Gruppen beeinflusst. Dennoch ist zu erwähnen, dass die Mehrheit der Bevölkerung eine eher hohe Widerstandskraft gegenüber den Auswirkungen der Pandemie, einschließlich der Lockdowns, zeigte, da innerhalb dieser Gruppe keine psychopathologischen Störungen entwickelt wurden (Prati und Mancini 2021). Diese Beobachtung spricht eher für gezielte Maßnahmen als für Masseninterventionen. Da der Bedarf an psychotherapeutischer Behandlung jedoch bereits vor der Pandemie hoch war und die Wartezeit auf eine Richtlinientherapie im bundesweiten Durchschnitt 20 Wochen betrug (Bundespsychotherapeutenkammer 2018), vergrößert die Coronapandemie das Defizit an Behandlungsplätzen (Bundespsychotherapeutenkammer 2021). Im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie wird folglich ein Modell der gestuften Versorgung empfohlen; im Rahmen dieses Modells werden den Patient*innen zunächst die wirksamsten, am wenigsten ressourcenintensiven Behandlungen angeboten, und dann folgen je nach den Bedürfnissen der Patient*innen ressourcenintensivere Interventionen (Brakemeier et al. 2020; Galea et al. 2020; Javakhishvili et al. 2022). Idealerweise sollten psychotherapeutische Angebote niederschwellig vorgehalten werden, und zusätzlich sollte für Risikogruppen eine notfalltherapeutische Versorgung verfügbar sein (Strauß et al. 2021). Ein Beispiel stellt das Programm „Coping with Corona: Extended Psychosomatic care in Essen“ (CoPE) am Universitätsklinikstandort Essen in Zusammenarbeit mit der Stadt Essen dar: Als integrierter Bestandteil des kommunalen Notfallplans umfasst es ein ebensolches abgestuftes Verfahren aus Bewertung, Indikation, Beratung und Behandlung (Bäuerle et al. 2020). Coronatelefonsprechstunden können außerdem helfen, Barrieren zu reduzieren und psychische Belastung zeitnah zu explorieren. Um notwendige psychotherapeutische Versorgungsstrukturen zu ermöglichen, spielt auch die Onlinepsychotherapie eine immer größere Rolle. Psychotherapeut*innen wurden während der Pandemie plötzlich damit konfrontiert, ihr gewohntes Behandlungssetting zu erweitern und digitale Angebote zu implementieren. Beispielsweise wurde die Videosprechstunde eingeführt. Es kam außerdem zum sprunghaften Anstieg der Entwicklung von digitalen Gesundheitsanwendungen (Straub 2020) und ihrer Akzeptanz (Dahmen et al. 2021). Ein beispielhaftes Modell zu gestuften Unterstützungsangeboten ist in Abb. 2 dargestellt.

Abb. 2
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Modell zu gestuften Unterstützungsangeboten für psychisch belastete Menschen während der COVID-19-Pandemie

Psychotherapie in Krisenzeiten

Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass die COVID-19-Pandemie mit ihren Begleitumständen für viele Menschen ein kritisches Lebensereignis darstellt und dieses eine individuelle Anpassungsleistung erfordert. Es ist folglich zu erwarten, dass auch Menschen ohne manifeste psychische Erkrankungen auf eine solch tiefgreifende Krise reagieren und diese sich in der Allgemeinbevölkerung auch jenseits diagnostizierbarer Störungsbilder auf Erleben und Verhalten auswirkt. Sowohl Angst als auch Ohnmachts- und Hilflosigkeitserleben sind menschliche emotionale Reaktionen in Zeiten kollektiver Verunsicherung, die funktionale und dysfunktionale Anteile besitzen. Beispielsweise hängt (COVID-19-bezogene) Angst auf der einen Seite mit erhöhter psychischer Belastung und auf der anderen Seite mit gesteigertem Sicherheitsverhalten zusammen (Kohler et al. 2021; Weismüller et al. 2020). Diese, teils gemeinsam erlebte Angst und Bedrohung durch ein unbekanntes Virus sollte im psychotherapeutischen Setting besprochen und validiert werden können. Psychotherapeutisch betrachtet kann eine gemeinsam erlebte Bedrohung die therapeutische Allianz positiv beeinflussen und zu einer Art „therapeutischer Gefährtenschaft“ (Dorst 2020, S. 51) machen. Gemeinsame Verunsicherung und das gemeinsame Aushalten dieser Verunsicherung können neben der expliziten Validierung auch zu einer Art stillen, impliziten und kontinuierlichen Validierung der Emotionen von Patient*innen führen.

Die Einschränkungen im Rahmen der Pandemie schränkten auch therapeutische Herangehensweisen ein. Im Sinne der Verstärkerverlusttheorie (Lewinsohn 1975) ist es durch die Einschränkungen im Rahmen der Coronapandemie zu einem massiven Verlust von Verstärkern gekommen. Selbstverständlichkeiten wie Treffen mit Freund*innen und Familie waren riskant, phasenweise auch verboten, und viele weitere angenehme Freizeitaktivitäten konnten nicht mehr ausgeführt werden. Psychotherapeutisch gesehen war der Aufbau positiver Aktivitäten, der zuvor im Rahmen der Behandlung depressiver Symptomatik nahezu uneingeschränkt empfohlen werden konnten, deutlich erschwert. Die Erarbeitung alternativer positiver Aktivitäten (wie Videochats mit Freund*innen oder Spaziergänge) zeigt sich als relevant und kann das Selbstwirksamkeitsgefühl fördern. Zusätzlich können Techniken aus der Akzeptanz- und Commitmenttherapie (Hayes 2004) hilfreich dabei sein, dysfunktionale Kontrollversuche aufzugeben sowie eine offene und flexible Haltung gegenüber Belastungen (wie unangenehmen Gedanken, schwierigen Gefühlen und Körperwahrnehmungen) aufzubauen. Kognitives Reframing kann außerdem helfen, eine andere Perspektive einzunehmen, indem beispielsweise positive Folgen der Pandemie (wie Entschleunigung, weniger CO2-Emissionen) beleuchtet werden. Es handelt sich bei den genannten Strategien um beispielhafte psychotherapeutische Ansätze, die nicht auf Vollständigkeit beruhen.

Schlussfolgerungen

Das Severe Acute Respiratory Syndrome Coronavirus 2 (SARS-CoV-2) zirkuliert weiterhin in erheblichem Maß in der Bevölkerung. Zusätzlich wird in der Infektionsforschung davon ausgegangen, dass zukünftige Pandemien unvermeidlich und evtl. noch gefährlicher sein werden (Silbermann 2021). Dies untermauert die (gegenwärtige und zukünftige) Notwendigkeit geeigneter pandemischer Strategien, um Ausbreitungen zu reduzieren, Erkrankungsfolgen zu mildern und vulnerable Gruppen zu schützen. Dazu müssen einerseits Risikofaktoren bei Patient*innen eingeschätzt und reduziert sowie bei Bedarf vorhandene psychische Belastungen in angepassten psychotherapeutischen Settings behandelt werden können. Andererseits müssen Gesundheitssysteme weltweit in die Lage versetzt werden, Schutzfaktoren und Ressourcen angemessen zu fördern.

Fazit für die Praxis

  • Die COVID-19-Pandemie als multidimensionaler Belastungsfaktor führte zu einer Zunahme psychischer Belastung, v. a. depressiver Symptome und Ängste.

  • Das Ausmaß der psychischen Belastung hängt von unterschiedlichen Risiko- und Schutzfaktoren ab und ist in vulnerablen Gruppen höher als in der Allgemeinbevölkerung.

  • Es besteht die Notwendigkeit einer gestuften Versorgung mit niedrigschwelligen psychotherapeutischen Angeboten für die Allgemeinbevölkerung und mit der Gewährleistung psychotherapeutischer Versorgung bei vulnerablen Gruppen.

  • Validierung von Verunsicherung, Achtsamkeit, kognitives Reframing und selbstwirksamkeitsfördernde Verhaltensweisen können den Patient*innen im Umgang und bei der Regulation schwieriger Emotionen helfen.

  • Onlinepsychotherapie und andere digitale Lösungen können einen Teil des erhöhten Versorgungsbedarfs abdecken und eine Fortführung der Therapie selbst unter Quarantänebedingungen ermöglichen.