Hinführung

Egal, ob Kriminalromane, True-Crime-Formate, TV-Produktionen oder Hollywood-Thriller, – fast alle haben sie: die Figur der Rechtsmedizinerin bzw. des Rechtsmediziners. Seit Jahren nimmt das öffentliche Interesse an der Arbeit von Rechtsmediziner:innen zu. Diese wiederum reagieren darauf und sprechen die Öffentlichkeit u. a. mit eigenen Podcasts und biografisch gefärbten Sachbüchern an oder treten als Expert:innen in Talkshows auf [3, 6]. Populäre, von Rechtsmedizinern verfasste Sachbücher wie Wenn die Toten sprechen [2] oder Der Totenleser [16] zeichnen das Bild der Forensiker:innen als moderne und verlässliche Mantiker:innen.

Rechtsmedizin trifft Kulturanthropologie – Problemstellung und Erkenntnisinteressen

Zu den Kernaufgaben der universitären Rechtsmedizin gehören Forschung, akademische Lehre und das Erbringen forensischer Dienstleistungen. Bei der Ausübung dieser Tätigkeiten und darüber hinaus sehen sich Mitarbeiter:innen rechtsmedizinischer Institute nicht selten mit Vorurteilen und klischeehaften Vorstellungen sowohl von Laien als auch von Fachpersonen konfrontiert, die vermutlich auf mediale/populärkulturelle Darstellungen zurückzuführen sind. Um als Rechtsmediziner:in auf die Herausforderungen, die mit der öffentlichen Aufmerksamkeit einhergehen, adäquat reagieren zu können, bedarf es einer differenzierten Einordnung der verschiedenen Inszenierungen.

Eine Reflexion ihrer öffentlichen Selbstdarstellung sollte in erster Linie von der Rechtsmedizin selbst geleistet werden, besitzt sie doch die größte Expertise, wenn es um die tatsächlichen Zuständigkeitsbereiche sowie Möglichkeiten und Grenzen der eigenen Methoden geht. Allerdings ist nicht davon auszugehen, dass alle Schieflagen durch reine Introspektion ausgeglichen werden können. Schon der rezente deutschsprachige Diskurs, in dem „die“ Rechtsmedizin durch unterschiedliche Akteur:innen modelliert wird, ist komplex. Daher erscheint es sinnvoll, beim Versuch einer ersten Sortierung andere einschlägige Disziplinen miteinzubeziehen. Vor diesem Hintergrund wurde im Frühjahr 2021 eine Kooperation zwischen der Rechtsmedizin und der Kulturanthropologie/Europäischen Ethnologie der Universität Mainz initiiert und – sozusagen als ein gemeinsames Herantasten an das Thema sowie als Chance, die jeweiligen fachspezifischen Sichtweisen kennenzulernen, – ein gemeinsames Projektseminar im Master-Studiengang Kulturanthropologie im Wintersemester 2021/2022 durchgeführt, über das hier berichtet werden soll.

Was ist Kulturanthropologie, und was ist ihr Interesse an dem Thema? Die Kulturanthropologie ist eine historisch argumentierende Wissenschaft, die kulturelle Phänomene untersucht. Unter Kultur versteht das Fach sozial/medial vermittelte und kollektiv geteilte Deutungsleistungen, mit denen sich Menschen in ihren jeweiligen Lebenswelten orientieren. In den Blick genommen werden räumlich, zeitlich und sozial bedingte Sinnentwürfe, die der Forschung Rückschlüsse auf gesellschaftliche Transformationsprozesse erlauben. Die Kulturanthropologie ist kein normatives Projekt, das herausarbeitet, wie Menschen leben sollen. Vielmehr wird ein hermeneutischer Ansatz verfolgt, um in Erfahrung zu bringen, wie Menschen leben und leben wollen. Medizinische Behandlungskonzepte und Gesundheitsvorstellungen werden in diesem Zusammenhang ebenso wie Gesetze und gesetzliche Institutionen als kulturelle Phänomene interpretiert, die historischem Wandel unterliegen und in denen sich gesellschaftliche Wertvorstellungen widerspiegeln. Für die Kulturanalyse ist die Untersuchung der Fragen, wie Rechtsmedizin und Rechtsmediziner:innen in unterschiedlichen medialen Formaten inszeniert werden, und welche lebensweltliche Effekte diese Darstellungen haben, demnach von großem Interesse. Welche Sehnsüchte und Bedürfnislagen werden hier adressiert, und was sagt das über eine Gesellschaft aus?

Was ist das Interesse der Rechtsmedizin? Die Art und Weise, wie die Rechtsmedizin in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird, hat einen Einfluss auf die Entwicklung des Faches – schließlich steht die Rechtsmedizin im Dienst der Öffentlichkeit. Indem Rechtsmediziner:innen sich selbst und ihre Arbeit in den Medien darstellen oder indem sie dargestellt werden, wird das Bild der Rechtsmedizin auf eine spezifische Weise gezeichnet. Zu verstehen, welches Bild wie gezeichnet wird, von wem, für wen, wodurch und warum, erscheint essenziell, um als Fachvertreter:in mit Blick auf die eigene Rolle und die zukünftige Ausrichtung des Faches den Überblick zu behalten und handlungsfähig zu bleiben.

Aufbau des Projektseminars

Die Analyse der skizzierten Diskurslage stellt für beide Fächer ein Forschungsdesiderat dar. Um in der aktuellen Debatte also zu ersten Einschätzungen gelangen zu können, sollte zunächst einmal geklärt werden, welche Motive, Selbst- und Fremdbilder überhaupt existieren und kursieren. Dieser evaluative Schritt wurde gemeinsam mit den Master-Studierenden der Mainzer Kulturanthropologie im Wintersemester 2021/2022 gegangen. Als Seminarziel wurde vereinbart, populäre Formate und Kontexte, in denen Vorstellungen von Rechtsmedizin evoziert und verhandelt werden, ausfindig zu machen, diese zu beschreiben sowie in ihre jeweiligen kulturellen Zusammenhänge zu stellen. Und – dies ist bereits bei einer kursorischen Sichtung potenzieller Beispiele augenscheinlich – weil die populärkulturellen Inszenierungen der Rechtsmedizin auf bewährte narrative Muster zurückgreifen, lag es nahe, bei der Analyse des Materials auch Ansätze der Erzählforschung zu nutzen. Das heißt, die jeweiligen Inszenierungen sind als Narrationen zu verstehen, die – je nach Publika – ganz unterschiedliche Funktionen erfüllen können [7, 11]. Für eine adäquate Einschätzung der Projektergebnisse muss berücksichtigt werden, dass es sich um eine hermeneutische Untersuchung handelt, an die keine naturwissenschaftlichen Maßstäbe (wie z. B. Reproduzierbarkeit) angelegt werden können. Die kulturanthropologische Forschung versteht Bilder und Bewegtbilder in Anlehnung an Clifford Geertz und Roland Barthes als „symbolisch codierte […] Ausdrucksformen“, auf die es allerdings keine „Perspektive der Allgemeingültigkeit“ [8] gibt, da Seh- und somit Deutungsgewohnheiten kulturell bedingt und dynamisch sind. Somit handelt es sich bei den hier präsentierten Ergebnissen um vorläufige Deutungsangebote.

Allen Beteiligten war von vornherein klar, dass im Rahmen des Seminars kein numerisch repräsentativer Überblick, der alle Diskursformate und -akteur:innen erschöpfend registriert und würdigt, erarbeitet werden kann. Angestrebt wurden also zahlenmäßig überschaubare, qualitative „Tiefenbohrungen“ – von den Seminarteilnehmer:innen durchgeführt und von den Dozierenden begleitet. Die Analyse der ausgewählten Fallbeispiele orientierte sich dabei an den hermeneutischen Verfahren der historisch-kritischen Filmanalyse bzw. Medienanalyse (methodische Schritte: Inhaltsanalyse, Close Readings, Kontextanalyse) [10]. Im Folgenden seien exemplarisch die Ergebnisse von 4 Fallstudien in aller Kürze zusammengefasst.

Darstellung der Ergebnisse

Im Hinblick auf das zunehmende populärkulturelle Interesse an der Rechtsmedizin und deren Vermarktungspotenzialen sprechen die Kommunikationswissenschaftler:innen Englert und Reichertz von der „Entwicklung eines ‚forensischen Medienmarktes‘“ [4], auf welchem die Nachfrage nicht nur von Formaten wie dem Tatort bedient wird, sondern Rechtsmediziner:innen zunehmend auch selbst in die Öffentlichkeit treten. Unabhängig von den zugrunde liegenden Motiven der Rechtsmediziner:innen erfolgt dabei stets eine Inszenierung ihres Faches.

Im Zentrum der ersten studentischen Fallstudie standen die medialen Inszenierungen durch Klaus Püschel. Einer nichtakademischen Öffentlichkeit ist der emeritierte Professor für Rechtsmedizin durch seine Auftritte in unterschiedlichen medialen Formaten bekannt geworden. Seine Position ist ambivalent, da er einerseits überzogene Mediendarstellungen kritisiert, andererseits aber das mediale Interesse an der Rechtsmedizin durch seine Sachbuch-Krimis selbst bedient und dabei auch die Politik in die Pflicht nimmt. So fordert Püschel beispielsweise eine grundsätzliche Reform des „Systems Leichenschau“ mit deutlich höheren Obduktionsraten [15]. Zusammen mit der Gerichtsreporterin Mittelacher hat Püschel u. a. den Mehrteiler Tote schweigen nicht. Faszinierende Fälle aus der Rechtsmedizin verfasst, in dem eigene Erfahrungen beschrieben sind [12]. Bei der Darstellung der Fälle pendelt der Erzählstil zwischen Krimi-Erzählung, journalistischem Tatsachenbericht und Einschüben, mit denen das rechtsmedizinische Vorgehen verständlich erklärt und der Arbeitsalltag geschildert wird. Die Bücher wollen sowohl unterhalten als auch informieren, wobei diese zwei Funktionen in der Medien- und Kommunikationsforschung nicht als qualitative Gegensätze verstanden werden, sondern als komplementär [1, 5]. Wenngleich Püschel und Mittelacher einer verklärten populärkulturellen Imagination entgegenwirken wollen, beabsichtigen sie nicht, der Rechtsmedizin ihre medienwirksame Faszination zu nehmen – als Akteur:innen auf dem forensischen Markt wollen Püschel und Mittelacher ihr Produkt profitabel platzieren. Ihr Anspruch ist aber, ein schiefes Bild in der Öffentlichkeit zu korrigieren.

Ein weiteres Format, das aktuell populär ist und das neben Püschel z. B. auch Marcel Verhoff [18] und Michael Tsokos [17] bedienen, ist das des True-Crime-Podcasts. Hiermit beschäftigte sich die zweite studentische Arbeit. Während Verhoffs Podcast eine bunte Palette an rechtsmedizinischen Sujets bietet, dominiert in den anderen zwei genannten Produktionen die Präsentation konkreter Kriminalfälle und der Arbeit am Obduktionstisch. Trotz nüchterner Darlegung rechtsmedizinischer Befunde entfaltet sich in Püschels Unterhaltungen mit der Journalistin Mittelacher durch die ausschmückende Erzählweise eine emotionale Atmosphäre. In Tsokos’ Podcast sind es eher die hörspielartigen Nacherzählungen, die Spannung erzeugen und das Publikum fesseln sollen. Das gängige Narrativ von der ständigen Konfrontation mit dem Tod, welches sich insbesondere in den eingespielten Interviewsequenzen mit Tsokos potenziert, baut sich lediglich bei Verhoff etwas ab, indem er auch der Arbeit mit den Lebenden eine hohe Relevanz im eigenen Fachgebiet zuschreibt.

Hier zeichnet sich ein Muster ab, auf das die empirische Erzählforschung bereits in anderen thematischen Zusammenhängen hingewiesen hat: Die narrativen Darstellungen der Rechtsmedizin in den unterschiedlichen Medienformaten wirken sich auf die Vorstellungen der Menschen dahingehend aus, dass sie als Denk- und Deutungsschablonen fungieren [13]. Beispielhaft lässt sich dies an den Podcasts von Tsokos und Verhoff zeigen, die selbst mediale Bezüge herstellen, um für die Zuhörenden das Erzählte einzuordnen. In einer Erzählsequenz erwähnt Tsokos etwa die Blutspurenanalyse und nutzt als Referenzpunkt eine populäre Fernsehproduktion, um die komplexe Materie für Laien anschaulich zu machen: „Man kann aber eben mit bestimmten chemischen Verbindungen und dann entsprechenden Lampen, so wie das auch jeder aus CSI kennt, [die Spuren] sichtbar machen“ [20].

Die dritte studentische Arbeit beschäftigte sich mit Stereotypen, die in der US-amerikanischen True-Crime-Reihe Medical Detectives – Geheimnisse der Gerichtsmedizin vermittelt werden. Die Episoden haben in der deutschen Fassung eine Länge von ca. 45 min und behandeln nacheinander zwei Kriminalfälle, meistens Tötungsdelikte. Auffällig ist, wie massiv die Serie ein naturalistisch geprägtes Weltbild transportiert, d. h. suggeriert, dass valide Erkenntnisse allein mithilfe exakter naturwissenschaftlicher Methoden zu gewinnen sind. So heißt es etwa in Episode 2 der ersten Staffel, die 1996 produziert und in Deutschland 2002 erstausgestrahlt wurde: „Wo normale Ermittlungsmethoden versagen, da hilft die Wissenschaft“ – wobei mit Wissenschaft hier eben ausschließlich die Naturwissenschaften gemeint sind. Ein (selbst-)kritisches Nachdenken über die Fallibilität rechtsmedizinischer Zugänge regt die Serie nicht an.

Dem propagierten naturalistischen Weltbild stehen die Emotionalisierung und Spektakularisierung der massentauglich aufbereiteten Kriminalfälle gegenüber. Beispielsweise finden Originalfotos von Tatorten und/oder Leichen regelmäßig Eingang in die Produktion. Was ebenfalls starke Gefühle bei den Zuschauenden hervorrufen kann, vermutlich auch soll, sind emotional aufgeladene Aussagen der Angehörigen von Opfern. Durch die – sicherlich auch der Dramaturgie einer Fernsehproduktion geschuldeten – Heroisierung der rechtsmedizinischen Kompetenz im Ermittlungs- und im Strafverfahren könnte bei den Zuschauer:innen das Stereotyp entstehen, die Rechtsmediziner:innen mit ihren kühlen Köpfen und exakten Methoden seien diejenigen, die in einer chaotischen Welt die (notwendige) Ordnung wiederherstellen.

Die vierte studentische Arbeit hatte die im ZDF ausgestrahlte fiktive Kriminalserie Die Spezialisten – Im Namen der Opfer (2016–2019) zum Gegenstand. Zu diesen Spezialist:innen gehört die fiktive Figur Dr. Katrin Stoll, die als forensische Anthropologin ungeklärte Kriminalfälle löst – u. a. mithilfe von Untersuchungen an Leichen und Knochen. Entscheidend ist, dass die Aufklärung der Fälle nicht zwingend der Überführung und Bestrafung möglicher Täter:innen, sondern einer Wertschätzung der Opfer und Hinterbliebenen dient. Denn, wenn Menschen selbst nicht mehr darüber sprechen können, was ihnen passiert ist, sei die Wissenschaft, insbesondere die Rechtsmedizin, so das Narrativ der Serie, das einzig probate Mittel, ihnen Gehör zu verschaffen. Dabei kommen im Seriensetting unterschiedliche forensische Methoden zum Einsatz, mit denen sich selbst Taten, die weit in der Vergangenheit liegen, aufklären lassen. Rechtsmediziner:innen scheinen in diesem Sinne als die eingangs erwähnten Mantiker:innen zu fungieren, die tote Körper nutzen, um eine Wahrheit ans Licht zu bringen.

Die TV-Produktion Die Spezialisten macht auf eine Verschiebung im gesellschaftlichen Umgang mit dem Tod aufmerksam: Während sich das spezialisierte Erfahrungswissen im Umgang mit Sterbenden, Toten und dem Tod im Zuge einer Medikalisierung zunehmend in funktionalisierte Bereiche verlagert hat, entwickelten sich Sterben und Tod ab Mitte des 20. Jh. zu einem wichtigen Gegenstand künstlerischer und medialer Formate. Die vermehrte Popularisierung von Wissen über den Tod wird in der kultur- und sozialwissenschaftlichen Forschung als eine „neue Sichtbarkeit des Todes“ diskutiert [9]. Tod und Sterben sind inzwischen feste Bestandteile von Serienformaten, und tote Körper stehen häufig im Fokus der Handlungen [19]. Neben der Fokussierung auf tote Körper zeichnet sich die neue Sichtbarkeit des Todes auch durch eine zunehmende Darstellung von Tätigkeiten aus dem Bereich der Forensik und des Bestattungswesens aus, wobei gleichzeitig eine Verwissenschaftlichung des Todes stattfindet. Professionelle Expert:innen bzw. „Spezialisten“ bringen den Tod mittels (natur-)wissenschaftlicher Verfahren unter Kontrolle. Die Protagonistin Stoll wird in diesem Kontext als Heldin gezeichnet, durch deren Handlungen der Tod gesellschaftlich beherrschbar erscheint. Ihr gelingt es, Gerechtigkeit herzustellen und den Angehörigen von Opfern Trost zu spenden. Die Serie mag damit auf einen medial transportierten (oder gar produzierten?) Wunsch nach Wahrheit und Aufklärung reagieren, der im Kontext von Todesfällen stark gewachsen ist.

Schlussfolgerungen und Ausblick

Die Rechtsmedizin steht im Dienste der Öffentlichkeit; sie ist nicht unabhängig von gesellschaftlichen Entwicklungen. Gerade deswegen ist die Selbstreflexion – fachhistorisch und im Hinblick auf aktuelle gesellschaftliche und wirtschaftliche Veränderungen – von großer Bedeutung. Während der jüngst publizierte Beitrag von Ritz-Timme et al. [14] rechtliche und ethische Fragen bei der Präsentation rechtsmedizinischer Inhalte in den (Massen‑)Medien adressiert, stehen in den hier vorgestellten Arbeiten keine Fragen des Dürfens und Sollens im Mittelpunkt. Vielmehr geht es darum, mediale Darstellungen von Rechtsmedizin zu beschreiben und in einen übergeordneten gesellschaftlichen Zusammenhang zu bringen und diesbezüglich interdisziplinär anschlussfähige Interpretationsansätze zu generieren. In dem Beitrag von Ritz-Timme et al. wird deutlich, dass Gesetzestexte nicht ausreichen, um bestimmte Fragen praktischen Handelns in der (Rechts‑)Medizin zu beantworten, sondern dass auch ethische Fragen zu beantworten sind. Auch die Fragen nach beabsichtigten und unbeabsichtigten Folgen medialer Darstellungen und danach, wie Rechtsmediziner:innen ihr Fach inszenieren (wollen) oder nicht, verlangen zunächst einmal nach qualitativen Forschungsmethoden.

Die erste hier vorgestellte Fallstudie lässt erkennen, dass Aufmerksamkeit als mediales Kapital auch genutzt werden kann, um z. B. politische Forderungen in der Öffentlichkeit zu platzieren. Die medienwirksame Faszination soll dem Fach nicht genommen, sondern in verschiedener Hinsicht genutzt werden, während gleichzeitig Kritik an überzogenen Darstellungen geübt wird. „Der Übergang zwischen Information und Sensation ist jedoch fließend und läuft Gefahr, sehr schnell in einer sich permanent steigernden Eskalation in Richtung der Aufmerksamkeitsattraktion zu münden“ [14], wie Ritz-Timme et al. bemerken, sodass diese Haltung durchaus als ambivalent zu beschreiben ist und zeigt, dass sich die Frage von Schaden und Nutzen medialer Inszenierungen nicht pauschal beantworten lässt. Letztes kann auch als Fazit aus der zweiten Fallstudie gelten, deren wesentliches Ergebnis ist, dass True-Crime-Formate nicht nur ein spezifisches Bild der Rechtsmedizin zeichnen, sondern auch konkrete Vorstellungen ihrer Arbeitsweisen und Methoden nicht nur bei medizinischen und juristischen Laien installieren. Mit diesen Vorstellungen müssen Rechtsmediziner:innen z. B. in ihrer Rolle als Sachverständige umgehen.

In der dritten Fallstudie konnte herausgearbeitet werden, dass in bestimmten Formaten Rechtsmedizin vor dem Hintergrund eines naturalistischen Weltbildes inszeniert wird. Tatsächlich beschäftigt sich die Rechtsmedizin jedoch häufig mit Deutungsfragen, und auch „harte“ naturwissenschaftliche Fakten, wenn es sie gibt, können im Kontext von Strafverfahren nicht zwingend für sich sprechen. Es besteht also einerseits die Möglichkeit, dass ein unzutreffendes Bild von Grenzen und Möglichkeiten rechtsmedizinischer Methoden transportiert wird und falsche Erwartungen an die Rechtsmedizin entstehen, andererseits schränkt sich die Rechtsmedizin in wissenschaftlicher Hinsicht ein. Interdisziplinäre Forschung z. B. mit den Rechtswissenschaften wäre nicht mehr denkbar, wenn die Möglichkeit eines Erkenntnisgewinnes durch andere als naturwissenschaftliche Methoden negiert würde. In der vierten studentischen Arbeit wurde im Kontrast zu dem gerade beschriebenen naturalistischen Weltbild die Inszenierung von Rechtsmediziner:innen als Medien, die in toten Körpern lesen und Opfern von Verbrechen zu Gerechtigkeit verhelfen, in den Blick genommen. Von der tatsächlichen Rolle medizinischer Sachverständiger im deutschen (Straf‑)Recht ist diese Zuschreibung weit entfernt, allerdings stellt sich erneut die Frage nach Wechselwirkungen zwischen medialen Inszenierungen und Sachverständigentätigkeit.

Zur Frage, welche konkreten subjektiven Alltagshandlungen durch die medialen Sinnangebote angestoßen werden, können auf Grundlage der Seminarergebnisse noch keine substanziellen Aussagen getroffen werden. Die Auseinandersetzung mit dieser Frage ist für die Kulturanalyse von hoher Relevanz. Allerdings musste das Seminar (vom Oktober 2021 bis Februar 2022) in der pandemiebedingten Lockdownsituation unter den damals politisch verordneten Einschränkungen durchgeführt werden, und so war es den Studierenden noch nicht möglich, ethnografisch zu forschen (d. h. biografische Interviews mit Rezipient:innen und teilnehmende Beobachtungen durchzuführen). Solch ein ethnografischer Ansatz, der die Perspektiven der Rezipient:innen in den Fokus rückt, sollte bei einer nachfolgenden Untersuchung berücksichtigt werden. Aber schon eine erste Auswertung populärer Literaturen und Medien hat gezeigt, wie dynamisch und auch ambivalent das Untersuchungsfeld ist – und wie differenziert und interdisziplinär daher die Debatte über das (Selbst‑)Bild der Rechtsmedizin in der Öffentlichkeit geführt werden muss.

Fazit für die Praxis

Die Inszenierung der Rechtsmedizin in den Massenmedien wirft fachübergreifende Fragen auf, die nicht nur ethisch-moralischer Natur sind. Anhand der hier vorgestellten Fallstudien lassen sich folgende Fragen ableiten, die in einer fachinternen Auseinandersetzung mit medialen Inszenierungen aufgegriffen werden können: Wo nützt es und wo schadet es der Rechtsmedizin, vordergründig als unterhaltsam wahrgenommen zu werden? Welche Erwartungen werden bei rechtsmedizinischen Laien durch medial vermitteltes „Halbwissen“ über rechtsmedizinische Methoden geschürt, und wie geht man seitens der Rechtsmedizin mit diesen Erwartungen um, wenn man sie enttäuschen muss? Welche Folgen kann es haben, wenn suggeriert wird, dass die Rechtsmedizin mit quasimathematischer Exaktheit Ergebnisse liefert, die scheinbar keiner weiteren Deutung bedürfen? Und welches Bild wird von der Rechtsmedizin durch die Fokussierung auf die Opferperspektive gezeichnet?