Die inverse Prothese ist in Mode. War sie zunächst für die Defektarthropathie entwickelt worden, wird sie heute bei zahlreichen Indikationen eingesetzt. Die inzwischen vorliegenden mittel- und langfristigen Ergebnisse haben die z. T. sehr guten funktionellen Ergebnisse aber auch die Probleme und Komplikationen aufgezeigt. Das vertiefte Verständnis der Biomechanik, die mit wachsender Erfahrung geänderte Implantationstechnik und die Ergebnisse haben zu neuen Entwicklungen geführt, die die Probleme und Komplikationen senken und die Langzeitergebnisse stabilisieren sollen.

Hintergrund

Während die Zahl der implantierten Hemiprothesen in den USA zwischen 1993 und 2008 stetig stieg, hat die Anzahl der Totalprothesen 2004 einen diskontinuierlichen Sprung (p < 0,01) erfahren und wächst seither überproportional linear (p < 0,01) an. Dies ist vermutlich auf die Zulassung der inversen Prothese in den USA 2003 zurückzuführen [21]. Auch in der eigenen Operationsstatistik liegt der Anteil der inversen Totalprothesen („reverse shoulder arthroplasty“, RSA) inzwischen über 50 %, mit steigender Tendenz. Wurde die Indikation in den ersten Jahren vorsichtiger gestellt, in erster Linie bei der Defektarthropathie („cuff tear arthropathy“, CTA) und bei sehr alten Patienten über 80 Jahren, wurde die Indikation mit zunehmendem Vertrauen und zunehmender Erfahrung weiter ausgedehnt, u. a. auf irreparable Rotatorenmanschettendefekte [2, 30, 36], primäre und sekundäre Frakturen und Frakturfolgen, auf Rheuma und Tumoren, zuletzt sogar auf Arthrosen mit Glenoid Typ B2 und Subluxation bzw. intakter Rotatorenmanschette, aber fettiger Degeneration [4, 32]. Die inverse Prothese wird heute als das Instrument für alle Arten von Revisionen eingesetzt. Vor diesem Hintergrund wird v. a. das Konzept der Modularität zwischen anatomischer und inverser Prothese diskutiert. Diese Entwicklung begründet sich u. a. durch ein besseres Verständnis der Biomechanik der inversen Prothese [7], mehr Erfahrung bei der Implantation [32], die Modifikationen des Prothesendesigns des ursprünglichen Konzepts von P. Grammont bzw. der Implantationstechnik [34]. Ob dies gerechtfertigt ist, kann nur an Hand der Ergebnisse und der Komplikationen abgewogen werden. Während technische Modifikationen und die Implantationstechnik auf Grund kurz- und mittelfristiger Ergebnisse erarbeitet wurden [24, 30, 36], liegen zwischenzeitlich mittelfristige Ergebnisse eines abgeänderten Designs [6] und wenige Langzeitergebnisse des primären Designs von Grammont z. T. mit einem Follow-up bis zu 15 Jahren vor [9, 15].

In dieser Arbeit sollen die mittel- und langfristigen Ergebnisse der inversen Prothese aufgezeigt sowie Probleme und Komplikationen und deren Lösungsansätze dargestellt werden.

Defektarthropathie

Die Defektarthropathie stellt die Indikation mit den besten Ergebnissen nach inverser Prothesenimplantation dar [4, 35]. Sie wird definiert durch die Kombination einer Rotatorenmanschetteninsuffizienz mit Humeruskopfhochstand und Gelenkdegeneration [27]. Die Ursache ist bis heute ungeklärt. Während Halverson et al. 1981 eine kristallinduzierte Degeneration der Sehnen und des Knorpels postulierten (Milwaukee Shoulder Syndrome), beschrieb Neer 1983 die Ätiologie als Folge einer Rotatorenmanschettenruptur. Mechanische und Ernährungsfaktoren bedingen den Fortschritt der Degeneration [27]. Die radiologische Klassifikation erfolgt nach Hamada et al. [18] entsprechend den Kriterien Humeruskopfhochstand und Arthropathie (Tab. 1). Die Klassifikation nach Seebauer stellt einen Zusammenhang zwischen dem Röntgenbild, der Zentrierung sowie erhaltenen anatomischen Strukturen und damit der Stabilität dar [27]. Die Einteilung der vertikalen Glenoidtypen und damit des glenoidalen Verbrauchs bzw. einer negativen Inklination erfolgt nach Favard (Abb. 1; [30]).

Tab. 1 Klassifikation der Defektarthropathie. (Nach Hamada et al. [18])
Abb. 1
figure 1

Einteilung der vertikalen Glenoidtypen nach Favard. (Aus [24], mit freundl. Genehmigung des Verlags Elsevier)

Prinzipien der inversen Prothese nach Grammont

Ende der 1980er Jahre entwickelte Paul Grammont eine innovative Prothese, mit geringerer Koppelung („semiconstrained“) als die bis dato bekannten Modelle. Die Prinzipen sind: Medialisierung des Rotationszentrums des Glenohumeralgelenks zwischen dem Glenoid-Basisplatten-Interface, eine Verlängerung des Hebelarms des M. deltoideus und damit eine Verbesserung der Hebelkräfte sowie die Lateralisation des Humerusschafts [7]. Zwei Innovationen verhinderten das rasche Lockern der Pfanne bzw. die Wiederherstellung der Funktion: Die große glenoidale Hemisphäre ohne Hals und eine kleine humerale Pfanne mit einer Inklination von 155°, also fast horizontaler Neigung. Die Medialisierung des Drehzentrums mit einer Hemisphäre ohne Hals reduziert die Scherkräfte auf die Verankerung mit dem Glenoid und erhöht die Stabilität der Prothese. Die Pfanne bedeckt weniger als die Hälfte der Glenosphäre und ermöglicht ausreichende Mobilität. Die Distalisierung und die Lateralisation des Schafts helfen, anteriore und posteriore Anteile des M. deltoideus als Abduktoren zu aktivieren. Die Prothese funktioniert trotz Verlust der Rotatorenmanschette und ist damit geeignet für Patienten mit Pseudoparalyse und Defektarthropathie. Während die anteriore Elevation und Abduktion über die Horizontale sehr gut oder gut ermöglicht werden, bleiben Außen- und Innenrotation schlecht beeinflusst [4, 36]. Dies erklärt sich durch die Medialisierung des Drehzentrums und damit die Verminderung der Aktivität der anterioren und posterioren Anteile des M. deltoideus sowie eine relative Insuffizienz der verbliebenen Anteile der Mm. infraspinatus und teres minor bzw. des M. subscapularis. Als biologischer Faktor für eine schlechte Außenrotation spielt auch die Insuffizienz des M. teres minor mit Atrophie und fettiger Degeneration eine Rolle [29]. Patienten mit präoperativ positivem Hornblower-Zeichen hatten eine postoperativ signifikant schlechtere Außenrotation [4, 30].

Kurz- und mittelfristige Ergebnisse

Die theoretischen biomechanischen Vorteile der „halbgekoppelten“ inversen Prothese sind evident. Die Literatur mit kurz- und mittelfristigen Ergebnissen zeigt mittlerweile ebenso klar die zu erwartenden Ergebnisse, in Abhängigkeit von der Indikation und den technischen Modifikationen, aber auch die Probleme und Komplikationen auf.

Bei Pseudoparalyse in Folge einer Rotatorenmanschettenläsion mit oder ohne degenerative Gelenkbeteiligung kann mit Hilfe einer inversen Prothese die Beweglichkeit deutlich verbessert werden, viel besser als mit einer anatomischen Hemiprothese. Bei der Defektarthropathie und bei Rotatorenmassenrupturen sind bessere funktionelle Ergebnisse, weniger Komplikationen und Revisionen zu erwarten als bei anderen Indikationen wie z. B. Rheuma, Frakturen, Frakturfolgen oder Revisionen. So verbesserte sich der Constant Score (CS) bei Defektarthropathien auf 65,1 Punkte, der Schmerz auf 13,0 Punkte und die aktive anteriore Elevation (aaE) auf 142°, bei Rotatorenmassendefekten der CS auf 63,1 Punkte, der Schmerz auf 14,3 Punkte und die aaE auf 143°, bei Frakturfolgen dagegen der CS nur auf 53,1 Punkte, der Schmerz auf 12,2 Punkte und die aaE auf 115° sowie bei Revisionen der CS auf 53,2 Punkte, der Schmerz auf 11,3 Punkte und die aaE auf 118° [35]. Die Zahl der Komplikationen betrug z. B. in einer Arbeit von Boileau et al. [4] bei Revisionen 47 % gegenüber 5 % bei Defektarthropathie.

Bei Defektarthropathie verbessert sich die Beweglichkeit der aaE in der Regel auf 100–138° deutlich, der CS steigt auf Werte zwischen 58 und 95 Punkten (Tab. 2; [4, 30, 36]). Die Außen- und Innenrotation bleibt nach Implantation der Delta-III-Prothese dagegen eher unverändert. Die Schmerzen verbessern sich auf einen Pain Score über 13 Punkte [4]. Auch bei inverser Prothese nach Rotatorenmanschettenruptur und vorausgegangener Rekonstruktion wurden signifikante Verbesserungen der Mobilität und der Schmerzen erreicht. Die funktionellen Ergebnisse sind aber schlechter als nach primärer inverser Prothese bei Defektarthropathie [2, 36]. Werner et al. [36] demonstrierten schlechtere Werte des CS bei unveränderter subjektiver Zufriedenheit. Die Art der vorausgegangenen Operation zeigte keinen Einfluss auf die Funktion (z. B. auch nach „delta flap“ [2]). Sirveaux et al. [30] fanden dagegen keinen Einfluss vorausgegangener Operationen. Hier betrug der Anteil an sekundären Implantationen aber nur 15 %. Komplikationen und Revisionen waren bei Sekundärprothesen nach Rekonstruktion allerdings erhöht [2, 36]. Wie bei allen Revisionen ist an eine okkulte Low-grade-Infektion zu denken, die auch ein schlechtes Ergebnis oder Steife erklären kann [2, 4]. Die sorgfältige präoperative Analyse sowie intraoperative Abstriche und Gewebeproben sind gefordert. Patienten mit präoperativer Elevation über 90° zeigten schlechtere Ergebnisse, sogar eine deutliche funktionelle Verschlechterung und waren unzufrieden gegenüber denjenigen mit präoperativer Pseudoparalyse oder Elevation unter 90° [2].

Tab. 2 Ergebnisse bei „cuff tear arthropathy“ und Grammont-Prothese

Die Indikation zur inversen Prothese bei Rotatorenmanschettenruptur ohne Arthrose ist nur bei Pseudoparalyse und einer aaE unter 90° zu stellen.

Bei erhaltener Elevation sollten andere Prozeduren wie arthroskopisches Débridement oder Partialrekonstruktionen bedacht werden [2, 26].

Die Integrität der verbliebenen Außenrotatoren, speziell des M. teres minor, ist von entscheidender Bedeutung für die postoperative Funktion [4]. Bei fettiger Degeneration oder Ruptur des M. teres minor verschlechterten sich der Constant Score signifikant ebenso wie die Außenrotation in 90° Abduktion. Außerdem entwickelte sich ein positives Hornblower-Zeichen [30]. Die Insuffizienz der Außenrotation kann durch die einzeitige Kombination mit einem Latissimus-dorsi-Transfer [1, 12] oder durch eine Lateralisation des Drehzentrums verbessert werden [3, 6].

Die kurz- und mittelfristigen Ergebnisse nach einer inversen Schulterprothesenimplantation sind daher abhängig von der Diagnose und der Qualität der verbliebenen Muskeln der Rotatorenmanschette [4, 30, 35]. Die Indikation zur inversen Prothesenimplantation erfolgt weiter in erster Linie nach klinischen Kriterien wie Funktionsverlust, Schmerz und Alter des Patienten.

Langzeitergebnisse

Die kurz- und mittelfristigen klinischen Ergebnisse sind abhängig von der Indikation gut, aber wie steht es mit den langfristigen Ergebnissen? Sirveaux et al. [30] errechneten bei einem mittleren Follow-up von 3,6 Jahren (44 Monaten) für den Langzeitverlauf nach 8 Jahren (97 Monaten) sogar eine kumulative Wahrscheinlichkeit ohne Revision oder Implantatversagen von 95,1 %. Der Zeitverlauf zeigte allerdings eine Abnahme der Überlebenswahrscheinlichkeit von 91,3 (87–95 %) nach 5 Jahren (60 Monaten) auf 74,6 (65–84 %) nach 7 Jahren (84 Monaten) und 29,8 (7–52 %) nach 8 Jahren (Tab. 3). Guery et al. [15] bestätigten mit einem mittleren Follow-up von 8 Jahren (69,6 Monaten) und geringem Ausfall dass die Überlebensquote der inversen Prothesen hinsichtlich Revision oder Lockerung auch nach 8 Jahren insbesondere bei Defektarthropathie gut ist. Die funktionellen Ergebnisse verschlechterten sich in Übereinstimmung mit den Daten von Sirveaux et al. [30] allerdings zunehmend nach 6 Jahren. Revisionen wegen Infektion, Lockerung oder Fehlpositionierung waren relativ früh, zwischen einem und 3 Jahren erforderlich, in Abhängigkeit von der Indikation nicht bei Defektarthropathie sondern z. B. bei Rheuma oder Revision [15]. Ohne diese relativ frühen Komplikationen war die Überlebensquote der Prothesen auch nach 10 Jahren gut. Die funktionellen Ergebnisse und die Schmerzen verschlechterten sich allerdings deutlich nach 6 Jahren, v. a. bei Defektarthopathien. Der Effekt war auch im relativen CS relevant, sodass das Alter als alleinige Ursache ausscheidet und es sich um eine echte Verschlechterung von Funktion und Schmerz handelt. Eine Korrelation mit dem „notching“ konnte nicht gesichert werden (Tab. 3; [15]).

Tab. 3 Überlebensanalyse der Grammont-Prothese

In einer Multicenterstudie mit über 500 Patienten und einer mittleren Nachuntersuchungszeit von 7,5 (5–17 Jahren) bestätigte sich der Einbruch nach 2 Jahren, währen der zweite Knick erst nach 9 Jahren und damit später auftrat. Die Überlebenswahrscheinlichkeit mit einem CS < 30 zeigte bei 8 Jahren einen Knick und lag nach 10 Jahren trotz 90 % intakter Prothesen bei 72 % [9]. Dies bedeutet, dass ohne entsprechendes mechanisches Korrelat 30 % der Prothesen nach 10 Jahren praktisch keine Funktion mehr aufwiesen. Nach 5 Jahren wurden progressive radiologische Veränderungen und eine Zunahme der großen Notches gesehen(Tab. 3; [9]). Es bestätigt sich auch im Langzeitverlauf, dass die Defektarthropathie die Indikation mit den besten Resultaten ist, auch wenn hier die spätere funktionelle Verschlechterung besonders deutlich war. Auch wenn die Notwendigkeit zu Revision der Implantate nach 10 Jahren relativ gering war, ergibt sich doch eine funktionelle und radiologische Verschlechterung im Zeitverlauf [9]. Es gilt die frühen Komplikationen und damit die notwendige Revisionen bei Infekt und Lockerung durch sehr sorgfältige Planung und Operationstechnik zu vermeiden. Weiterhin ist von einer progressiven funktionellen Verschlechterung nach 6 Jahren auszugehen, sodass die Indikation älteren Patienten über 70 Jahre vorbehalten bleiben sollte [9, 15, 30, 35].

Probleme und Komplikationen

Die funktionellen Ergebnisse nach inverser Prothesenimplantation sind beeindruckend – dennoch ist die Komplikationsrate ca. 3-fach höher als diejenige der anatomischen Prothese. In der Übersicht von Wall et al. [35] lag die Komplikationsrate bei 19,1 %. Instabilitäten (7,5 %) und Infektionen (4 %) waren häufig, das Risiko bei Revisionen höher (36,7 %) gegenüber Primäreingriffen (13,3 %). Technische Verbesserungen führten in der ersten Phase zur Verminderung früher Pfannenlockerungen oder Entkoppelungen und damit der Revisionen [11, 30]. In einer systematischen Literaturanalyse zwischen 1985 und 2008 fanden Zumstein et al. [37] bei 782 Fällen 345 postoperative Probleme (ohne Verschlechterung des Outcomes) und 164 postoperative Komplikationen entsprechend einer Rate von 44 bzw. 20,7 %. Mit dem gleichen Implantat, Modifikationen der Operationstechnik und zunehmender Erfahrung konnten im Vergleich zwischen 2 Zeiträumen die funktionellen Ergebnisse nach Walch signifikant verbessert (von 59,7 auf 66,9 Punkte) und die Komplikationsrate signifikant gesenkt werden (von 19 auf 10,8 %). Die Luxationen verminderten sich von 7 auf 3,2 %, die Infektionen von 4 auf 0,9 % und die Revisionsrate von 7,5 auf 5 % [32]. Die Rate der neurologischen Schäden nahm dagegen zu, die Notchingrate blieb bei abnehmendem Schweregrad gleich. Die Erfahrung führte damit auch zu einer besseren Patientenselektion, nicht aber zu Operationen an jüngeren Patienten [32].

Akromionfrakturen (3–7 %) entstehen durch die Distalisierung des Rotationszentrums und damit des Humerus und die Überlastung des Akromions.

Akromionfrakturen können als Stressfakturen oder traumatisch an verschiedenen Stellen des Akromions auftreten. Sie sind mit einer Verschlechterung der Funktion seltener mit chronischen Schmerzen verbunden [19]. Die verminderte Deltaspannung im Rahmen einer dislozierten Akromionfraktur kann auch zur Instabilität führen [25]. In letzter Zeit wird die konservative Therapie propagiert [19].

Neurologische Komplikationen nach inverser Prothesenimplantation waren in der früheren Literatur eher selten, werden jetzt vermehrt beschrieben. Nach inverser Prothesenimplantation sind die subklinischen Schädigungen des N. axillaris durch Verlängerung des Humerus signifikant häufiger gegenüber meist nur vorübergehenden Plexusschäden bei anatomischen Prothesen [23].

Ungelöste Probleme der inversen Prothesenimplantation und Komplikationen können auch die Langzeitprognose verschlechtern und den Einsatz der Prothese beschränken. Erfahrung hilft, Komplikationsraten zu senken und Ergebnisse zu verbessern; einige Probleme sind aber mit dem Konstruktionsprinzip der inversen Prothese verbunden, können durch technische Modifikationen beeinflusst, aber möglicherweise nicht komplett vermieden werden. Dies sind u. a. das skapuläre „notching“, die begrenzte Beweglichkeit einschließlich Rotation, und die Protheseninstabilität [3].

„Notching“, ein unvermeidbares Phänomen?

Skapuläres „notching“ ist ein typisches Phänomen nach inverser Prothesenimplantation und beschreibt einen Knochenverlust unterhalb der Glenosphäre am Margo medialis. Die Einteilung erfolgt nach Sirveaux et al. (Abb. 2; [30]). „Notching“ ist das häufigste postoperative Problem (35 % [37]). Als Ursache gilt das mechanische Anstoßen der Pfanne gegen den Skapulahals [24, 28]. Höhere Notchingraten, die über die kaudale Schraube hinausgehen, sind eher durch Abrieb bedingte Osteolyse erklärbar [4]. Levigne et al. [24] fanden eine Notchingrate von 62 %. Notchingrate und Ausmaß nahmen im Zeitverlauf hochsignifkant zu. „Notching“ war signifikant korreliert mit einer hohen Position sowie einer negativen präoperativen Inklination des Glenoids, mit dem anterosuperioren gegenüber dem deltoideopektoralen Zugang und der Diagnose Defektarthropathie. Levigne et al. [24] sowie Favard et al. [9] und Guery et al. [15] konnten in ihren Langzeitstudien keine Korrelation des „notching“ zum klinischen Ergebnis finden [35]. Die Wahrscheinlichkeit eines „notching“ kann mit Hilfe des „notching index“, durch Relation der Implantationshöhe der Glenosphäre und dem postoperativen Prothesen-Skapulahals-Winkel mit einer Sensitivität von 91 % und einer Spezifität von 88 % vorhergesagt werden. Die Höhe der Glenosphärenimplantation zeigte 8-mal größeren Einfluss auf das „notching“ als der Skapulahalswinkel. Inferiores „notching“ war hier allerdings mit signifikant schlechteren klinischen und subjektiven Werten verbunden [29].

Abb. 2
figure 2

Radiologische Klassifikation des „notching“ nach Sirveaux et al. [30]. (Aus [24], mit freundl. Genehmigung des Verlags Elsevier)

Lateralisation

Die Funktion der Schulter nach Implantation einer inversen Prothese hängt von der Aktivität der verbliebenen Muskeln und der passiven Beweglichkeit ab, die durch die Weichteile und das Prothesendesign bedingt ist. Das Anstoßen der Prothese am medialen Skapulahals ist konstruktionsbedingt. Es kann durch Weichteilmobilisation am kaudalen Glenoid nur bedingt ausgeglichen werden. So fand sich häufig bereits postoperativ eine Einschränkung der Adduktion. Nyffeler et al. [28] wiesen nach, dass eine Kaudalisierung der Glenosphäre Adduktion und Abduktion signifikant verbessern. Auch exzentrische Glenosphären mit größeren Durchmessern [5] sowie die Lateralisation durch dickere Glenosphären [34] verbesserten die impingementfreie Beweglichkeit. Gutierrez et al. [17] zeigten in einem virtuellen Modell den Zusammenhang und die Hierarchie der verschiedenen Konstruktionsmerkmale auf, um ein Adduktionsproblem zu vermeiden und die Beweglichkeit (Abduktion) zu verbessern. Den größten Einfluss hatten in dieser Reihenfolge:

  • Abflachung des Inklinationswinkels (130°),

  • Kaudalisierung der Glenosphäre,

  • Lateralisation des Offsets der Glenosphäre (10 mm),

  • inferiore Neigung und

  • Durchmesser der Glenosphäre.

    Die Lateralisation des Drehzentrums hilft die Notchingrate zu senken und die Beweglichkeit zu verbessern

Die Lateralisation des Offsets in der Prothese erhöht jedoch die Druck- und Scherkräfte auf das Glenoid.

Die Medialisation des Drehzentrums war gerade „das“ Merkmal der Grammont-Prothese und Voraussetzung für die Stabilität der Glenoidverankerung gewesen. Frankle et al. [11] mussten mit einer Prothese mit lateralisiertem Rotationszentrum und einer Inklination von 130° in einer ersten Serie 25 % der Pfannen innerhalb der ersten 3 Jahre bei z. T. schlechter Knochenstruktur unter der Basisplatte revidieren. Nach technischen Modifikationen wurde dies beseitigt. Die mittelfristigen Ergebnisse (60 Monate) zeigten dann vergleichbare Werte der anterioren Elevation und im Vergleich verbesserte Werte der Außenrotation. Die Verbesserung der Beweglichkeit in den 2- zu den 5-Jahres-Ergebnissen wird einer anderen Messmethode zugeschrieben [6]. Die Notchingrate betrug in der ersten Serie 0 % und in den weiteren 9 %, bei 3 % radiologischer Schaftlockerung und einer Revisionsrate von 6 %, jetzt ohne Basisplattenlockerung (Tab. 4; [6]).

Tab. 4 Ergebnisse bei CTA und lateralisiertem Drehzentrum (mechanisch, biologisch)

Valenti et al. [31] berichteten mit einer Lateralisation des Drehzentrums um 8,5 mm in einer ersten Serie über hohe Raten an Glenoidversagen, das nach technischen Verbesserungen korrigiert werden konnte. Im 2-Jahres-Verlauf fanden sich eine verbesserte Rotation, aber auch eine eingeschränkte Abduktion, die der konstruktionsbedingten Lateralisation des Schafts (4 mm gegenüber Delta III, knöchernes Impingement bei der Abduktion) zugeschrieben wird und öfter eine Tuberkulopastik erforderte. Die Notchingrate betrug 0 % (Tab. 4). Ein kleinerer Prothesenhalswinkel (155° vs. 143°) sowie eine Lateralisation des Rotationszentrums (Offset + 2,5 mm) konnte im Einjahresvergleich zur Grammont-Prothese die Notchingrate signifikant senken [20].

Die „knöcherne Lateralisation“ belässt das Rotationszentrum unter der Basisplatte („Bio-RSA“).

Um die Scher- und Torsionskräfte, die auf die Metaglene einwirken, trotz Lateralisation gering zu halten, um damit den Prinzipien von P. Grammont zu folgen, und so einen potenziellen Vorteil bei den Langzeitergebnissen zu sichern, entwickelte P. Boileau das Prinzip der Bio-RSA („bony icreased-offset reverse shoulder arthroplasty“). Durch die „knöcherne Lateralisation“, d. h. durch Transfer eines zylindrischen autologen spongiösen Transplantats unter die Long-peg-Basisplatte entsteht nach Einheilung ein langer Skapulahals und das Rotationszentrum verbleibt weiter im Interface zwischen Basisplatte und Glenoid [3]. Bei 42 Patienten nach minimal 2 Jahren und im Mittel 28 Monate postoperativ waren 98 % der Transplantate eingeheilt (41 von 42). Hier hätte argumentiert werden können, dass die mechanische Protektion des Transplantats die Einheilung erschwert. Es fanden sich keine Glenoidlockerungen und keine Instabilitäten. Die Notchingrate betrug 19 %, überwiegend Grad 1 und 2. Bis über das Sakrum innenrotieren konnten 86 % der Patienten, die Außenrotation verbesserte sich von 23 auf 33° (Tab. 4; [3]). Aus diesem Grund wird die Bio-RSA-Technik von den Protagonisten inzwischen als Routineverfahren eingesetzt. Ein zusätzlicher Latissimus-dorsi-Transfer ist eine Option bei Teres-minor-Atrophie und positivem Hornblower-Zeichen. Bei einer Lateralisation des Drehzentrums verzichten wir auf die Kaudalisierung der Glenosphäre. Die Modifikationen der Konstruktion konnten die Notchingrate deutlich reduzieren. Möglicherweise ist dieses Phänomen aber mit dem Prinzip der inversen Prothese verbunden und nicht vollkommen zu beseitigen [33].

Begrenzte Beweglichkeit der inversen Prothese und Instabilität

Die Beweglichkeit der inversen Prothese ist konstruktionsbedingt eingeschränkt. Trotz der relativ kleinen humeralen Pfanne stößt diese bei einer Metaglene ohne Hals nicht nur kaudal, sondern auch ventral, dorsal und kranial bei der endgradigen Bewegung an. Die Vergrößerung der Glenosphäre vergrößert auch den Bewegungsradius. Ein Anstoßen, z. B. kaudal wie beim „notching“, kann zum Aufklappen im Gelenk führen („decoaptation“). Bei ausreichender Spannung des M. deltoideus und zunehmender Abduktion schließt sich das Gelenk jedoch wieder. Die Medialisierung des Rotationszentrums führt auch zu einer Medialisierung des Humerus und damit zu einer Verkürzung des Hebelarms und einer Spannungsverminderung des M. deltoideus. Erst die Distalisierung stellt die Spannung wieder her und erhöht die Kompressionskräfte, die neben der Bewegung auch für die Stabilität sorgen.

Lädermann et al. [23] wiesen eine signifikante Korrelation der Armlänge mit dem Bewegungsumfang im Sinne eines besseren Hebelarms des M. deltoideus bei adäquater Verlängerung nach. Eine größere Glenosphäre vergrößert den Hebelarm und damit die Elevationskraft und auch die Stabilität. Eine komplette Entkoppelung und damit Luxation ist u. a. auf eine zu geringe Spannung des M. deltoideus zurückzuführen. Eine signifikante Korrelation der Luxationsrate mit der Armlänge wurde nachgewiesen [23]. Stabilisierende Faktoren sind daher u. a. die Weichteilspannung der zentrierenden Muskulatur, der Durchmesser und die Orientierung der Glenosphäre, ein Weichteil- oder Knochenimpingement sowie Infektion oder Trauma. Die Instabilität ist mit 5–10 % ein häufiges Problem [36, 37]. Das Risiko der Instabilität steigt bei Verlust der metaphysären Strukturen, z. B. posttraumatisch oder bei Revisionen deutlich an, kann aber mit zunehmender Erfahrung auch deutlich reduziert werden [32]. Der Erhalt bzw. die Rekonstruktion des M. subscapularis kann das Risiko der Luxation vermindern [8]. Die Erhöhung der Spannung durch Distalisierung erhöht die Stabilität, bedingt aber auch das Risiko einer Überdehnung und damit eines Funktionsverlustes.

Rotation und intrinsische Stabilität können auch durch die Version des Humerusschafts beeinflusst werden.

Eine vermehrte Retroversion erlaubt auch eine verbesserte impingementfreie Innenrotation. Bei einer Retroversion von 0–20° wird die maximale Innenrotation, wie sie für die täglichen Aktivitäten erforderlich ist, ermöglicht [16]. Experimentell erhöhte sich die Instabilität bei vermehrter Retroversion, sodass eine Retroversion zwischen 0 und 10° empfohlen wird [10].

Funktionelle Verschlechterung im Langzeitverlauf

Unklar ist, warum sich die funktionellen Ergebnisse im Langzeitverlauf ohne mechanisches Korrelat verschlechtern. Eine Hypothese ist, dass der M. deltoideus auf Grund der veränderten Biomechanik der inversen Prothese oder bei Überspannung als „Hauptakteur“ ermüdet. Greiner et al. [14] untersuchten den Zusammenhang zwischen degenerativen Veränderungen der verbliebenen Rotatorenmanschette und des M. deltoideus sowie dem klinischen Ergebnis. Es fand sich eine signifikante Korrelation zwischen fettiger Infiltration des M. deltoideus und klinischem Score, wobei die fettige Infiltration im Zeitverlauf zunahm. Degenerative Veränderungen in der verbliebenen Rotatorenmanschette, das Ausmaß der Armverlängerung, das Ausmaß der Medialisierung des Drehzentrums oder „notching“ zeigten keine Korrelation zum klinischen Ergebnis.

Infektion

Die Infektionsrate der inversen Prothese ist mit etwa 4 % [37] deutlich höher als bei anatomischen Prothesen mit 1,1 % [13]. Sie wird als Folge des vergrößerten Totraums gesehen. Hauptproblem ist der Infekt mit dem Erreger Proprioni acnes. Sorgfältige Präparation, verkürzte Operationszeiten und weniger Revisionen konnten die Infektrate bei zunehmender Erfahrung auf 0,9 % senken [32].

Eigene Langzeitergebnisse bei Defektarthropathie

Die in den früheren Jahren sehr zurückhaltende Indikation zur inversen Prothesenimplantation bei sehr alten Patienten über 80 Jahren erschwert die Sammlung der Langzeitergebnisse. Viele Patienten, die vor 10 Jahren im Alter von über 80 Jahren prothetisch versorgt wurden, sind bereits verstorben oder demenziell erkrankt und können nicht mehr nachuntersucht werden. Bei einem mittleren Follow-up von 4,8 Jahren (57 Monate, 24–114 Monate, n = 12) zeigt sich eine deutliche Verbesserung der Beweglichkeit und insbesondere des Constant Scores. Der subjektive Dash Score lag bei 60 Punkten (35–108; Standardabweichung [SD] ± 23). Die Elevation verbesserte sich hierbei von 91° (30–130; SD ± 36) auf 133° (70–160; SD ± 24), die Außenrotation blieb mit präoperativ 23° (0–50; SD ± 22) zu postoperativ 25° (10–55; SD ± 17) nahezu unverändert. Insgesamt verbesserte sich die Gesamtbeweglichkeit basierend auf der Erhebung des Constant Scores von 14 Punkten (0–20; SD ± 8) auf 27 Punkte (10–40; SD ± 9). Erheblich verbessert zeigt sich der Constant Score von 34 Punkten (7–63; SD ± 18) auf 79 Punkte (53–96; SD ± 13). Bei 7 Patienten kam es im Verlauf zu einem inferioren „notching“ (4-mal 1°, 2-mal 2° und einmal 3°). Eine Patientin entwickelte eine Axillarisparese und eine Patientin erlitt eine sekundäre Akromionfraktur (Abb. 3, Abb. 4). Die Daten bestätigen die sehr guten mittel- und langfristigen funktionellen Ergebnisse von Sirveaux et al. [30], Guery et al. [15] und Favard et al. [9].

Abb. 3
figure 3

Eigene Langzeitergebnisse der inversen Prothesenimplantation bei Defektarthropathie. ELEV aktive anteriore Elevation, ARO aktive Außenrotation, ROM „range of motion“ (Bewegungsumfang), C-Score Constant Score, D-Score DASH-Score

Abb. 4
figure 4

Patientin L.M., 81 Jahre, Defektarthopathie, inverse Prothese beidseits. a Schulter rechts a.p. präoperativ, Hamada-Stadium 3, b Schulter links a.p. präoperativ, Hamada-Stadium 2, c Schulter rechts a.p. 11/2012, 5,5 Jahre postoperativ, inverse Prothese regelrecht, d Schulter links a.p. 11/2012, 4,5 Jahre postoperativ, inverse Prothese, „notching“ Grad 1, e aktive anteriore Elevation 140°, f Hochrotation 50°, g Innenrotation L1. Constant Score 92 Punkte beidseits

Empfehlungen und Fazit

Die Implantation einer inversen Schulterprothese ist eine technisch schwierige und anspruchsvolle Operation mit einer hohen Komplikationsrate. Die Defektarthropathie stellt die Indikation mit den besten funktionellen Ergebnissen und geringsten Komplikationen dar. Die Glenosphäre wird heute tiefer eingesetzt, mit der Basisplatte am kaudalen Glenoidrand abschließend. Manche Autoren empfehlen eine kaudale Neigung von 10°. Zur Wiederherstellung der Armlänge soll der Schaft mit dem Oberrand des Tuberculum majus abschließen. Die Glenosphäre sollte so groß wie möglich gewählt werden, bei Männern 42 mm. Der M. subscapularis wird geschont oder nach Möglichkeit reinseriert. Die knöcherne Lateralisation hilft, die Rotation zu verbessern und das „notching“ zu vermindern. Defekte des Glenoids sollten rekonstruiert werden, um eine optimale Spannung des M. deltoideus zu erreichen. Die Indikation bleibt älteren Patienten über 70 Jahren vorbehalten. Ein neues Prothesendesign mit Modularität zur anatomischen Prothese wird die konstruktiven Optima, die Kombination einer verringerten Inklination, die gute Distalisierung ohne Lateralisation des Schafts und den verminderten medialen Überhang der humeralen Pfanne vereinen und so helfen, die Komplikationsrate weiter zu senken und die Langzeitergebnisse zu stabilisieren.