Visuelle Halluzinationen sind im späten Verlauf der Parkinson-Krankheit häufig und stellen eine Herausforderung für das Umfeld und den behandelnden Neurologen dar. Die zugrunde liegende Ursachenkette ist komplex und von Patient zu Patient unterschiedlich. Nicht nur die dopaminerge Medikation, sondern auch Aufmerksamkeitsstörungen, Vigilanzschwankungen und visuelle Defizite stellen Risikofaktoren dar. Bemerkenswerterweise setzen Patienten oft bereits ohne Fremdanleitung erfolgreich Copingstrategien ein.

Visuelle Halluzinationen (VH) gehören zu den häufigsten Spätkomplikationen der Parkinson-Krankheit (PK). Ihnen haftet der Ruf einer schlechten Prognose an, verbunden mit Einweisung ins Pflegeheim und höherer Mortalität [22]. Seit der Publikation einer Übersicht zu diesem Thema in Der Nervenarzt im Jahr 2003 [45] haben sich unsere Kenntnisse beträchtlich erweitert. Nicht nur kennen wir inzwischen weitere Spielarten der VH, sondern wir wissen auch, dass einige VH-Formen frühzeitig im Krankheitsverlauf auftreten können. Auch ist erkannt worden, dass die Ursachenkaskade vielschichtiger und komplexer ist als ursprünglich angenommen. Außer der üblicherweise erwogenen Levodopa-Psychose [47] werden nämlich Visuseinbußen, ungünstige Lichtverhältnisse, Störungen des Schlaf-wach-Rhythmus [14] und neuerdings zunehmend subtile Veränderungen innerhalb kognitiver Netzwerke sowie deren gestörter Informationsaustausch untereinander [50, 58, 62] ursächlich diskutiert. Kompensatorische Mechanismen können zur Anwendung kommen. Differenziertere Behandlungsstrategien, zugeschnitten auf das halluzinatorische Erleben des einzelnen Patienten, sind greifbarer geworden. Neben der üblichen Pharmakotherapie können auch nicht pharmakologische Strategien zur Anwendung kommen, wenngleich die Evidenzlage hier noch schwach ist. Im Gegensatz zu der früher stets als düster angesehenen Prognose der VH kann diese heute differenzierter und oft auch günstiger gestellt werden. Die vorliegende Arbeit vermittelt hierzu einen Überblick und gibt Ratschläge zur Umsetzung im Praxisalltag.

Phänomenologie

Fénelon und Mitarbeiter haben vor 20 Jahren erstmals auf leichtere („Minor“-)Formen der Halluzination, nämlich „Vorbeihuschen“ und „Anwesenheit“, hingewiesen [16]. Das halluzinatorische Erleben einer „Anwesenheit“ ist sensu stricto keine VH, da der Patient angibt, eine fremde Person stehe hinter ihm; er nimmt diese also außerhalb seines Gesichtsfeldes oder „extrakampin“ wahr. Die Halluzination des „Vorbeihuschens“ wird vom Patienten zumeist als belanglos eingestuft. Er gibt sie oft auch erst auf wiederholtes Nachfragen an. Es kann sich um das flüchtige Vorbeigehen eines Menschen, das Vorbeifliegen eines Insekts oder die Wahrnehmung eines nicht identifizierbaren Schattens handeln [38]. Bemerkenswerterweise kommen solche leichteren Halluzinationen bereits bei unbehandelten „De-novo“-Patienten vor [51]. Die Illusion, also das Verkennen eines real wahrgenommenen Gegenstandes – z. B. wird ein Strauch als Mensch erfasst –, ist häufig an ungünstige Licht- oder Visusverhältnisse gebunden. Im Grenzbereich zwischen Illusion und Halluzination findet sich die selektive Diplopie als zumeist sehr kurzzeitige, doppelte Wahrnehmung isolierter Objekte oder Personen [48, 61]. Die klassischen VH sind ausgestaltet („formed“) und wiederholen sich nicht selten. Ihr Inhalt sind zumeist Tier- oder Menschengruppen; die emotionale Betroffenheit bleibt gering, ebenso der Ichbezug [2, 11]. Die meisten Fragebögen, so z. B. die Skala der MDS-UPDRS-Teil-Skala, unterscheiden, ob die Einsicht gewahrt bleibt (Pseudohalluzinationen nach alter Terminologie) oder nicht. Manche VH werden vom Patienten als „interessant“ erlebt, da sie den oft monotonen Tagesablauf bereichern [56]. Paranoides Verarbeiten der VH kommt eher selten vor. Die Themen Verfolgung, Bedrohung, Verarmung werden dann am häufigsten angegeben. Eine besonders belastende Spielart stellt das Capgras-Syndrom dar. Hierbei verliert der Patient die Anmutung der Vertrautheit einer bekannten Person, z. B. des Partners oder der Partnerin, wenngleich er dessen oder deren Physiognomie richtig erkennt. Infolgedessen ist er der Überzeugung, die gesehene Person sei ein Doppelgänger, der befremdlicherweise genau über ihn Bescheid wisse. Solche Verkennungssyndrome kommen aber auch bei anderen neurodegenerativen Prozessen vor, wenngleich häufiger bei Lewy-Körperchen-Erkrankungen [32]. Multimodale Halluzinationen, also visuell und auditorisch oder visuell und zönästhetisch, sind eher selten und werden hier nicht gesondert betrachtet [40]. Auch der Dermatozoenwahn mit ungünstiger Prognose soll hier nur am Rande angesprochen werden. Erwähnenswert ist hingegen, dass PK-Patienten und solche mit Lewy-Körperchen-Demenz das gleiche phänomenologische Spektrum der VH aufweisen [15, 46]. Wahneinfälle schließlich können eigenständig, also auch ohne VH, auftreten. Verfolgt und Bestohlen werden bilden übliche Themen. Das Othello-Syndrom kennzeichnet eine wahnhafte Eifersucht, und dem Partner bzw. der Partnerin wird dabei eine sexuelle Beziehung mit anderen unterstellt. Ein häufigeres Vorkommen bei eher jüngeren Männern, insbesondere unter Therapie mit Dopaminagonisten, wurde in diesem Zusammenhang beschrieben ([35]; Tab. 1).

Tab. 1 Formen von Halluzinationen bei der Parkinson-Krankheit

Häufigkeit

Nicht alle Patienten berichten spontan über ihre VH, vielfach muss mehrfach nachgefragt werden [24]. Dies gilt nicht nur für die oben beschriebenen klassischen VH, sondern insbesondere auch für die Halluzinationen der „Anwesenheit“ und des „Vorbeihuschens“. Frühe Querschnittsstudien haben eine Häufigkeit von 15–38 % für komplexe VH ermittelt [1]. In Bezug auf die leichteren Halluzinationen wird sogar von einer Häufigkeit von 42 % bei De-novo-Patienten und von 50 % bei behandelten Patienten berichtet [51, 64]. Hier ist allerdings Vorsicht geboten, da diese Zahlen noch nicht bei größeren Kohorten bestätigt worden sind. Bei einer groß angelegten Langzeitstudie über 12 Jahre betrug die Häufigkeit der VH sogar 60 % [20]. Es ist möglich, dass in einem fortgeschrittenen Stadium der PK mit ausgeprägter Demenz die „kreative“ halluzinatorische Produktion wieder verblasst, in etwa vergleichbar der zunehmenden Anosognosie für mnestische Defizite bei fortgeschrittener Demenz. Allerdings ist dies bisher noch nicht statistisch belegt.

Pathologie

Es waren als erstes Arbeiten zur Neuropathologie, die auf unterschiedliche Entstehungsmöglichkeiten der VH hinwiesen [27, 33]. Bei früh im Verlauf auftretenden VH finden sich Lewy-Körper (LK) in den Amygdala, insbesondere im basolateralen Kern und im Parahippokampus; bei späterer VH-Manifestation finden sich hingegen LK im Claustrum und Okzipitalkortex, in Verbindung mit einer Atrophie dieser Areale. Eine Hirnatrophie konnte auch in anderen Regionen nachgewiesen werden, u. a. in der oberen und lateralen Parietalregion und im lateralen Frontalkortex [18, 54]. Kasuistisch wurde bei Patienten mit Lewy-Körper-Demenz (LKD) auch über einen LK-Nachweis in der Retina berichtet [43]. Es ist bemerkenswert, dass bei Synukleinopathien mit VH autoptisch auch Amyloidablagerungen und neurofibrilläre Tangles und geminderte Konzentrationen von Amyloid Aβ-1–42 im Liquor nachweisbar sind [30]. Bislang fehlen allerdings systematische Studien zum Krankheitsbefall von Hirnregionen, die für Vigilanz, Aufmerksamkeit und visuelle Verarbeitung verantwortlich sind. Da zudem die meisten Autopsien bei Patienten im Spätstadium durchgeführt werden, könnten Atrophie und LK-Befall auch durch allgemeines Fortschreiten der Erkrankung und Alterungsprozesse erklärbar sein. Deshalb sind die Daten von in vivo durchführbaren Bildgebungsverfahren ggf. sogar während des Erlebens einer VH als spezifischer anzusehen. Solche Befunde werden weiter unten angeführt.

Monomodale Modelle

Der klinische Alltag suggeriert vordergründig monomodale Erklärungsmodelle der VH. Handelt es sich nicht einfach um eine dopaminerge Psychose, früher auch Levodopapsychose genannt, da die Reduktion dieser Medikation oft Erleichterung bringt? Da VH gehäuft nachts auftreten, wurde spekuliert, ob eine Verbindung mit gestörtem REM-Schlaf bestehen könnte [3]. Auch wurde postuliert, dass eine Dysfunktion des visuellen Systems eine entscheidende Rolle spielen könnte. Allerdings decken bei näherer Analyse diese „simplen“ Erklärungsmodelle nicht das gesamte Spektrum der VH ab. Daher sind eine komplexere Ursachenverflechtung, vielleicht aber auch unterschiedliche Entstehungsweisen für unterschiedliche Arten der VH zu erwägen. Die wichtigsten monomodalen ätiologischen Hypothesen werden trotzdem kritisch im Folgenden dargestellt, um später auch die multimodalen Modelle der Entstehung besser verstehen zu können.

Die dopaminerge Psychose

Die Arbeitsgruppe um Harald Klawans und Christopher Goetz postulierte in den 1970er-Jahren, dass die kontinuierliche dopaminerge Medikation zur Überstimulation mesolimbischer D3- und D4-Rezeptoren führt [47]. Die Auslösung eines „Kindling“-Phänomens wäre die Folge: Dopaminrezeptoren würden nach längerer Therapiedauer überempfindlicher, sodass selbst geringe Dopamindosen VH auslösen könnten. Auch wurde ein Ungleichgewicht verschiedener Neurotransmitter diskutiert. Insbesondere bei der LKD weisen quantitative neurochemische Autopsiebefunde auf einen Verlust cholinerger Neurone im Neokortex hin. Geht deren Filterfunktion bezüglich nicht relevanter interner oder externer sensorischer Informationen verloren, so werden diese Informationen nicht mehr als „Hintergrundrauschen“ verarbeitet, sondern als VH in die bewusste Wahrnehmung aufgenommen [52]. Ebenso könnte die Levodopatherapie einen relativen Serotoninmangel verursachen und sekundär eine postsynaptische Serotoninrezeptorüberempfindlichkeit hervorrufen. Neurotoxikologische Befunde nach LSD-Einnahme legen hier eine besondere Rolle des 5‑HT2A-Rezeptors nahe [41]. So wurde bei PK-Patienten mit VH über eine reduzierte postsynaptische Darstellung dieses Rezeptors berichtet [4].

Im klinischen Alltag hat sich die Anwendbarkeit dieser Transmitterhypothesen bewährt. Die Reduktion von Medikamenten mit anticholinerger Wirkung, die Reduktion der dopaminergen Medikation, besonders der DA-Agonisten mit D3- und D4-Angriffspunkt, oder auch der Einsatz von Clozapin und Pimavanserin, die u. a. als Antagonisten des 5‑HT2A-Rezeptors agieren, können die VH reduzieren. Der Einsatz der atypischen Neuroleptika wurde im Detail in Der Nervenarzt beschrieben [28].

Jedoch gibt es auch zahlreiche Argumente, die diese „Monopolstellung“ der pharmakologischen Erklärungsmodelle infrage stellen. So wurde bereits vor der Levodopaära über VH bei PK-Patienten berichtet [17]. Die Halluzinationen des „Vorbeihuschens“ und der „Anwesenheit“ sind auch bei unbehandelten De-novo-PK-Patienten nachweisbar [51]. Ebenso berichten LKD-Patienten über VH auch ohne dopaminerge Medikation [15, 46]. Nicht zuletzt scheiterte ein VH-Triggerversuch: PK-Patienten, die zu Hause häufig VH erlebten, berichteten erstaunlicherweise nicht über VH bei intravenöser Applikation einer hohen Levodopadosis im Labor [23].

VH als Traumintrusion in den Wachzustand

Im Jahr 1922 berichtete Jean Lhermitte [39], dass Patienten mit pedunkulären Hirnstammläsionen insbesondere vaskulärer Natur über geformte, farbige und sehr lebhafte VH klagten, die sie häufig auch wahnhaft verarbeiteten. Diese Patienten wiesen deutliche Störungen des Schlaf-wach-Rhythmus auf. Lhermitte charakterisierte den prototypischen Patienten mit pedunkulären Halluzinationen als einen „wachen oder nur unvollständig schlafenden Träumer“. Erst viel später wurde die Schlüsselfunktion des dorsolateralen Nucleus geniculatus erkannt [41]. Üblicherweise unterliegt diese Struktur dem hemmenden Einfluss der Raphé-Kerne und des Nucleus pedunculopontinus (NPP). Beim Fehlen dieser Hemmung kommt es zur ungebremsten Erregung verschiedener Thalamuskerne und des Kortex. Im Falle der PK könnte ein solcher Mechanismus tatsächlich aktiv werden, da bereits in vivo eine Atrophie des NPP nachweisbar ist und die Autopsie einen zusätzlichen LK-Befall dieses Kerns anzeigt [31, 57]. Einschränkend ist jedoch festzustellen, dass PK-Patienten zumeist keine Unterschiede zwischen Tag- und Nachtzeit in Bezug auf Erscheinungsformen der VH aufweisen. Mittels Polysomnographie konnte aber ein Auftreten der VH unmittelbar im Anschluss an eine REM-Schlaf-Phase beobachtet werden [3]. Auch legen Korrelationsstudien einen Zusammenhang zwischen VH und REM-Schlaf-Verhaltensstörung nahe [1]. Es bestehen also Gemeinsamkeiten von einerseits dem Lhermitte-Syndrom und andererseits den VH bei der PK. So ist in beiden Fällen eine Intrusion von REM-Schlaf-Fragmenten in den Wachzustand zu postulieren; die Neuropathologie deutet in beiden Fällen auf Läsionen der „Traumfabrik“ und der Schlafregulierungszentren hin [49]. Doch auch diese Hypothese kann nicht sämtliche VH erklären. So weisen z. B. die VH des PK-Patienten nicht die bizarren Charakteristika des REM-Schlafs auf. Zudem erleben PK-Patienten VH auch bei vollem Bewusstsein.

VH infolge visueller sensorischer Deprivation

Charles Bonnet beschrieb VH bei seinem unter einer Katarakt leidenden, aber geistig noch regen Großvater. Der ältere Herr hatte komplexe, stereotype, sich oft wiederholende VH, die plötzlich auftraten und ebenso rasch wieder verschwanden. Seitdem beschreibt das Charles-Bonnet-Syndrom solche flashartig auftretenden VH bei älteren Patienten mit zumeist reduzierter Sehkraft und gelegentlich auch eingeschränkten kognitiven Funktionen [59]. PK-Patienten weisen unterschiedliche Einbußen des Sehens hinsichtlich Kontrasterkennen und Farbdiskrimination auf [2, 53]. Ein Zusammenhang mit dem Auftreten von VH konnte sowohl bei nicht dementen PK-Patienten als auch bei LKD-Patienten nachgewiesen werden [10, 42]. Die Verarbeitung des visuellen Inputs ist ebenso gestört. PK-Patienten mit VH benötigen eine längere Reaktionszeit als PK-Patienten ohne VH, um einen visuellen Input bewusst wahrzunehmen [37]. Die aufsteigende („bottom-up“) visuelle Verarbeitung ist gestört. Mit funktioneller Magnetresonanztomographie wurde nachgewiesen, dass bei PK-Patienten mit VH vor dem bewussten Bilderkennen Areale des Okzipitalkortex, des Gyrus fusiformis und der Frontalregion weniger ausgeprägt und verzögert aktiviert werden, als dies bei PK-Patienten ohne VH der Fall ist [44]. Die verminderte Aktivierung des Gyrus fusiformis und des Gyrus lingualis hält auch während des Bilderkennens an. Diese Befunde deuten auf eine ursächlich wirkende partielle visuelle Deprivation hin, ähnlich wie dies beim Charles-Bonnet-Syndrom der Fall ist [36]. Der qualitativ mangelhafte visuelle Input ermöglicht das Auftauchen („popping up“) gespeicherter oder sui generis generierter Bilder in das Bewusstsein. Strenge Gütekriterien bezüglich der perzeptuellen Wirklichkeit eines Inputs sind damit aufgegeben [7].

In den letzten Jahren häuften sich die Befunde in Bezug auf den mangelhaften visuellen Input bei der PK [26, 63]. PK-Patienten mit VH weisen eine dünnere retinale Nervenfaserschicht auf als PK-Patienten ohne VH [36], möglicherweise sekundär nach Befall der retinalen ganglionären Zellschicht [34]. Beim Vorliegen von VH zeigt die Magnetspektroskopie eine reduzierte GABA-Konzentration im primären visuellen Kortex. Da reduzierte GABA-Spiegel die visuelle Verarbeitung eines bruchstückhaften Inputs „glätten“, kommt es häufiger zur Fehlinterpretation von mehrdeutigen Inputs [19].

Das Konzept des Charles-Bonnet-Syndroms erklärt nur teilweise VH bei der PK. Zwar ist in beiden Szenarien der primäre visuelle Input mangelhaft und die emotionale Betroffenheit gering. Auch kann die Einsicht gewahrt bleiben. Im experimentellen Setting jedoch vermag Flackerlicht bei PK-Patienten mit intakter Aufmerksamkeit lediglich nichtfigürliche VH hervorrufen, nicht aber VH von lebenden Gestalten [65]. Das Modell liefert auch keine Erklärung für sekundäre paranoide Deutungen.

Multimodale Modelle (Abb. 12 und 3)

Wie gezeigt, sind die monomodalen Erklärungsversuche zwar attraktiv, da einfach zu belegen und oft klinisch auch sofort anwendbar. Jedoch vermag kein Modell die individuell unterschiedliche Suszeptibilität für VH bei PK-Patienten, den andersartigen Verlauf – benigne oder sich zur Psychose entwickelnd – oder die Variabilität der Triggerfaktoren zu erklären. Das Zusammenspiel mehrerer Risikofaktoren ist zwar einfach zu modellieren (Abb. 1), kann aber auch nicht im Einzelfall das Vorhandensein von VH erklären. Es wurden deshalb komplexere Modelle entwickelt. Diese weisen nach, dass bei perzeptiven Defiziten, welcher Ursache auch immer, durch „Top-down“-Mechanismen gegengesteuert werden kann. Interaktionen auf unterschiedlichen Ebenen sind möglich. Diesen Einflussmöglichkeiten wird in den nun zu besprechenden multifaktoriellen Modellen Rechnung getragen. Sie sollen sowohl dem Forscher als auch dem Kliniker helfen, weitere Gesichtspunkte der VH bei PK-und LKD-Patienten nicht nur zu erkennen, sondern diese als Therapieansätze zu nutzen. Folgende Modelle werden erläutert:

  • das Aktivierungs-Input-Modulations-Modell (AIM) von Hobson,

  • das Modell der Perzeptions- und Aufmerksamkeitsdefizite,

  • das Modell zur Aufmerksamkeitskontrolle,

  • die Hypothese der thalamokortikalen Dysregulation (TKD).

Abb. 1
figure 1

Allgemeine Faktoren, die das Ausmaß der visuellen Halluzinationen bei der Parkinson-Krankheit beeinflussen

Abb. 2
figure 2

Hirnareale mit geminderter funktioneller Konnektivität bei Parkinson(PK)-Patienten mit visuellen Halluzinationen (VH). Magnetresonanztomographische Bilder zeigen verminderte funktionelle Konnektivität (FK) im Vergleich zu gesunden Probanden. a PK-Patienten insgesamt, b PK-Patienten mit VH. PK-Patienten weisen insgesamt verminderte FK in parazentralen und okzipitalen Arealen (gelb) auf. PK-Patienten mit VH zeigen zusätzlich verminderte FK in frontalen, temporalen und subkortikalen Arealen (rot). Bezüglich Methodik siehe [29]. © The Radiological Society of North America (RSNA). Alle Rechte vorbehalten. Abdruck mit freundl. Genehmigung)

Abb. 3
figure 3

Multiple, z. T. überlappende Ursachen visueller Halluzinationen bei der Parkinson-Krankheit

Die Modelle werden in der Chronologie ihrer Veröffentlichung vorgestellt.

Das AIM-Modell nach Hobson

Dies ist ein dreidimensionales Modell [13]. Die Aktivierung stellt die erste Achse dar; sie reicht vom tiefen NREM-Schlaf über REM-Schlaf bis zum Wachzustand. Der Input beschreibt den Informationsaustausch mit der Außenwelt. Letzterer schwankt abhängig davon, ob die „Schleusen zur Außenwelt geöffnet oder geschlossen“ sind. Das System lässt aber eine gewisse „Porosität“ zu. Die Modulation integriert über die Zeitachse aminerge (Noradrenalin und Serotonin) und cholinerge Einflüsse und beschreibt außerdem den möglichen Einfluss einer Medikation. Unregelmäßigkeiten können in diesem Modell sowohl die A‑Achse (reduzierte Vigilanz), die I‑Achse (geminderte Stärke des visuellen Inputs) oder ebenso die M‑Achse (Ungleichgewicht der Transmitter und Medikamenteneinfluss) betreffen. Störungen berühren auch das Filtern externer Bilder bzw. die Generierung interner Bilder [13]. Die multifaktorielle Genese der VH, welche das Modell vorschlägt, konnte in einer Kohorte von 84 PK-Patienten, davon ein Drittel mit VH und zwei Drittel ohne VH, bestätigt werden [21]. So wurden als VH-bestimmende Faktoren multimodal u. a. die visuelle Perzeptionsstärke, kognitive Einbußen sowie eine REM-Schlaf-Verhaltensstörung erkannt. Die praktische Anwendbarkeit des AIM-Modells ist also gegeben. Geminderte Inputstärke z. B. bei Dämmerlicht bewirkt illusionäre Verkennungen eines Gegenstandes; Intensitätszunahme der intern generierten Bilder führt zur REM-Intrusion in den Wachzustand; mangelhafter visueller Input mit gleichzeitiger Akzeptanz intern gebildeter Bilder produziert VH in normaler Umgebung [13]. Auch für die selektive Diplopie werden sich überlappende Mechanismen diskutiert, so z. B. Heterophorie bei Ermüdung als auch reduzierte Aufmerksamkeit oder mangelhafte Fusion der beidseits retinal generierten Bilder [48, 61]. Das Modell kann somit zwar VH unter sehr unterschiedlichen Bedingungen erklären; es vermag jedoch weder deren sich wiederholenden Inhalt noch die Entwicklung einer paranoiden Psychose zu erklären.

Das Modell der Perzeptions- und Aufmerksamkeitsdefizite

In Bezug auf die visuelle Wahrnehmung trennt dieses Modell klar die Ebenen „bottom up“ und „top down“ [9]. Liefert erstere Ebene einen qualitativ mangelhaften visuellen Input, so treten sog. „Proto-Objekte“ unbewusst als Ersatz in Erscheinung. Sie werden teils neu generiert, teils aus dem Gedächtnisspeicher abgerufen. Bei geminderter Aufmerksamkeit werden sie unkritisch als reale Objekte akzeptiert, sprich als VH wahrgenommen. Dieses Modell stellt geminderte Aufmerksamkeit als entscheidenden Faktor bei der VH-Entstehung in den Vordergrund. Die Minderung kann verursacht werden durch kortikale cholinerge Defizite [52] oder auch durch die Einnahme von Anticholinergika. Das Modell vermag aber weder den VH-Inhalt zu erklären noch die klinische Entwicklung der VH vorherzusagen.

Das Modell zur Aufmerksamkeitskontrolle

Bedingt durch die rasante Entwicklung der funktionellen Magnetresonanztomographie (fMRT) ist das Modell zur Aufmerksamkeitskontrolle am besten experimentell belegt [58]. Es legt zuerst dar, dass normalerweise das ventrale Aufmerksamkeitsnetzwerk („ventral attention network“) die Bedeutung oder Sinnhaftigkeit („salience“) eines vorerst noch nicht gedeuteten Inputs überprüft. Hierzu ist ein „Dialog“ mit dem im Ruhezustand überwiegenden „Default-mode“-Netzwerk erforderlich. Erst dann erkennt schließlich das dorsale Aufmerksamkeitsnetzwerk korrekt den visuellen Input. Bei PK-Patienten mit VH funktionieren diese „Zwiegespräche“ zwischen den einzelnen Netzwerken nicht mehr und es kommt zu Fehlbestimmungen, so z. B. zur illusionären Verkennung eines Gegenstandes. Dieses Modell kann besonders die Entstehung von Illusionen gut erklären. Abnorm gesteigerte Konnektivität zwischen dem „Default-mode“-Netzwerk und dem visuellen Kortex könnte begründen, warum „Gedankenabschweifen“ („mind wandering“) bei PK-Patienten mit VH ausgeprägter ist als bei solchen ohne VH [62]. Eine fehlerhafte Konnektivität zwischen den Netzwerken wird auch bei der Entstehung der leichteren VH angenommen [6] und dürfte damit generell einen früh einsetzenden pathophysiologischen Mechanismus bei der PK darstellen. Letztlich ist es aber fast unmöglich, sämtliche beobachtete Minderungen der funktionellen Konnektivität (Abb. 2; [29]) in ein einziges Modell zu integrieren.

Die thalamokortikale Dysrhythmie

Die jüngste Hypothese postuliert einen Zusammenhang zwischen der thalamokortikalen Dysrhythmie (TKD) und VH bei Patienten mit Parkinson-Demenz oder mit LKD [49]. Entsprechend dieser Annahme hemmt die in Thalamuskernen generierte Theta-Dysrhythmie frontale Aufmerksamkeitsnetzwerke und führt damit zur Entkopplung mit dem „Default-mode“-Netzwerk. Dessen Eigenaktivität wird nun nicht mehr kontrolliert und führt zu willkürlichen Verbindungen zwischen autobiografischen Erinnerungsfragmenten und dem noch zu identifizierenden visuellen Input. Dies wiederum bedingt illusionäre Verkennungen, z. B. von Gegenständen als bekannte Personen (Pareidolien), und schließlich wahnhafte Interpretationen des Erlebten. Die Autoren sehen auch einen Zusammenhang zwischen der TKD und ähnlichen Theta-Rhythmen im REM-Schlaf von PK-Patienten. Sie bestätigen damit indirekt die Hypothese der VH als REM-Intrusion in den Wachzustand. Den posterioren Thalamuskernen und dem posterioren zingulären Kortex kommt hierbei entscheidende pathogenetische Bedeutung zu, da diese Areale LK-beladen sind und/oder atrophisch geworden sind. Zudem unterliegen sie bei der PK der bereits oben erwähnten fehlerhaften Stimulation durch den NPP. Dieses Modell erscheint am besten geeignet, um das sekundär-paranoide Erleben zu erklären, ist aber ebenso wie die vorher aufgeführten Modelle ungeeignet, alle Spielarten der VH zu erklären.

Eine Synthese im Bild der wichtigsten VH-induzierenden Faktoren wird in Abb. 3 vorgeschlagen.

Kompensatorische Mechanismen

Diese Übersicht geht nicht auf die Pharmakotherapie der VH ein, da diese kürzlich und erschöpfend in Der Nervenarzt erörtert worden sind [28]. Der Streifzug durch monomodale und multifaktorielle Erklärungsmodelle mag manchem Kliniker theoretisch und praxisfern vorgekommen sein. Bei näherer Betrachtung zeigt sich allerdings, dass diese Modelle uns helfen, zu verstehen, wie PK-Patienten mit halluzinatorischem Erleben umgehen (können).

Bereits früh wurde darauf hingewiesen, dass PK-Patienten problemorientierte und selbst entwickelte Copingstrategien (CS) erfolgreich nutzen [25]. Die Anwendung auf VH wurde in zwei Studien untersucht; hier wandten zwischen 53 und 78 % der PK-Patienten CS an, die sie eigenständig oder unter klinischer Anleitung erprobt hatten ([5, 12]; Tab. 2). CS können visueller, kognitiver oder interaktiver Art sein. So mag der Patient das halluzinierte Objekt nochmals aus nächster Nähe betrachten, um dann dessen Unwirklichkeit erkennen zu können. Er überprüft oder verbessert damit die visuelle Eingabe. Auch kann der nicht stattgefundene interne „Dialog“ zwischen den zerebralen Netzwerken durch ein zwischenmenschliches Gespräch ersetzt werden (Frage an den/die Partner/in: „Siehst du dies auch?“). Hier zeigt sich also eine direkte Anwendbarkeit der multimodalen Erklärungsmodelle. Absichtlich werden auch andere sensorische Modalitäten aufgerufen (z. B. mit dem Stock das vermeintliche Objekt ertasten, den visuell Halluzinierten ansprechen und dann beruhigt sein, wenn keine Antwort erfolgt; [12]). Leider gibt es hierzu bisher nur die zwei erwähnten Beobachtungsstudien, jedoch keine kontrollierte Studie „Intervention“ versus „keine Intervention“. Wenn auch oft in kleinen Gruppen durchgeführt, gibt es hingegen zahlreiche Untersuchungen zum Einsatz kognitiver Verhaltenstherapie („cognitive-behavioral treatment“) bei akustischen Halluzinationen der Schizophrenie [60].

Tab. 2 Kompensationsmechanismen der visuellen Halluzinationen bei der Parkinson-Krankheit

Es ist wahrscheinlich, dass aktive Kompensationsmechanismen – im Gegensatz zu einer Haltung des Negierens oder des „Für-sich-Behaltens“ – die Lebensqualität der PK-Patienten verbessern [8]. Gewinnt der Patient früh und möglichst dauerhaft Einsicht in seine gestörte Wahrnehmung sowie den Umgang damit und wird er hierbei von Familienangehörigen aktiv unterstützt, so ist der Leidensdruck und das Stigma geringer, als wenn dies nicht geschieht. Auch kann man dann ggf. den Einsatz atypischer Neuroleptika hinauszögern oder ganz vermeiden. All dies setzt die regelmäßige Einbindung und Aufklärung der Angehörigen voraus, nicht zuletzt um zudem deren Stressniveau zu senken [55].

Der Vollständigkeit halber soll erwähnt werden, dass PK-Patienten selten einen Krankheitsgewinn aus dem VH-Erleben ziehen können. Wie eingangs angeführt, sehen einige Patienten VH als freudige Abwechslung in einem ansonsten trübem Alltag an [56]. Es wurde aber bisher nicht untersucht, ob PK-Patienten durch Eigensuggestion sog. eidetische Trugwahrnehmungen erleben können. Allerdings sind die meisten PK-Patienten der Ansicht, dass sie das VH-Erleben wenig beeinflussen oder gar steuern können [5].

Diskussion und Ausblick

Die Vielschichtigkeit möglicher Ursachen der VH bei der PK ist ausführlich dargestellt und erläutert worden. Es zeigt sich, dass die Erforschung der Ursachenkette sich zunehmend komplexen Netzwerkstörungen widmet. Einfachere Rezeptorhypothesen sind weitgehend verlassen worden. Auch wurde erörtert, dass es unterschiedliche Spielarten der VH gibt, mit wechselnder Ursachenverflechtung und variabler prognostischer Bedeutung. Vereinfachungen wie etwa: VH sind stets ein Signum mali ominis oder VH können nur medikamentös angegangen werden, klingen zwar im klinischen Alltag verlockend, können aber auch zu vorschnellen prognostischen Aussagen und zum mangelhaften Ausschöpfen aller therapeutischen Möglichkeiten führen.

Es erscheint vielversprechend, in Zukunft die VH-Genese in Bezug auf Fehlfunktionen des Visus und Störungen des Schlafs präziser zu erforschen. Es ist anzunehmen, dass damit auch Medikamente, die nicht auf das dopaminerge, sondern z. B. auf das cholinerge oder auf das serotoninerge System Einfluss nehmen, individueller oder „personalisiert“ beim PK-Patienten mit VH zum Einsatz kommen können. Nicht zuletzt sollten Copingstrategien methodisch sauber erforscht werden, um damit Einzug in das therapeutische Routinearsenal zu finden.

Fazit für die Praxis

  • Die Ursachenkette visueller Halluzinationen bei der PK ist komplexer als bisher angenommen.

  • Dies erklärt z. B., warum nicht alle Patienten bei einer bestimmten Medikamentendosis visuelle Halluzinationen erleben.

  • Besonders Visus- und Aufmerksamkeitsdefizite rücken ins Blickfeld.

  • Funktionelle Magnetresonanztomographie kann fehlerhafte Netzwerkinteraktionen zeigen.

  • Mit dem Patienten kann die Möglichkeit selbst anwendbarer Copingstrategien besprochen werden. Diese nichtmedikamentösen Behandlungsmethoden bedürfen aber noch weiterer wissenschaftlicher Validierung.