Hintergrund

Das klinische Aufgabenspektrum in der Neurologie entwickelt sich stetig weiter. Im Zeitalter der personalisierten Medizin werden auch in der Neurologie die diagnostischen und therapeutischen Möglichkeiten in jedem der fünf großen klinischen neurologischen Bereiche neurovaskuläre Erkrankungen, Neurodegeneration, Epileptologie, Neuroimmunologie und Neuroonkologie stetig mannigfaltiger. Im klinischen Alltag sind auf jeder Stufe Entscheidungsprozesse implementiert, die alle (technisch) möglichen Maßnahmen im Hinblick auf Patientennutzen, Patientensicherheit und Wirtschaftlichkeit bewerten und priorisieren müssen, um das klinisch indizierte (nötig) vom eher nachrangigen (nicht zwingend nötig) zu unterscheiden.

Längst sind zudem bei einer patientenzentrierten Betrachtung und Gestaltung der Pfade und Prozesse die Grenzen zwischen den genannten neurologischen Disziplinen, aber vor allem auch zwischen den benachbarten klinischen Disziplinen in den klinischen Neurowissenschaften fließend. Da neuroonkologische Tumoren in der pädiatrischen Onkologie häufig sind und durch eine Verbesserung der Therapiestrategien auch eine Verbesserung der Prognose erzielt wurde, ist die Transitionsmedizin, also die „Übergabe“ einer Betreuung von Patienten mit neuroonkologischen Tumoren im Kindesalter von den pädiatrischen zu den adulten Neuroonkologen, eine wichtige Herausforderung, die ebenfalls nur interdisziplinär und fächerübergreifend realisiert werden kann.

Dieser interdisziplinäre Charakter ist in der Neuroonkologie bereits seit mehr als 10 Jahren gängige Praxis. Die therapeutischen Disziplinen in der adulten Neuroonkologie (Neurologie, Neurochirurgie und Radioonkologie) arbeiten hierbei eng mit den diagnostischen Disziplinen Neuro-Bildgebung, (Neuro)patholgie und Humangenetik zusammen. Das Vorhandensein definierter interdisziplinärer Patientenpfade, multiprofessioneller Abläufe, engmaschiger interdisziplinärer Schnittstellengestaltungen und interdisziplinärer Tumorboards sind nur Beispiele für Kriterien, die nachweisbar und messbar vorhanden sein müssen, um nach den Kriterien der Deutschen Krebsgesellschaft als neuroonkologisches Zentrum zertifiziert zu werden.

Drei wesentliche Säulen in der Neuroonkologie

Die Aufgaben einer modernen Neuroonkologie umfassen primäre Tumoren des Nervensystems, Metastasen des Zentralnervensystems und die neurologischen Komplikationen von Tumortherapien (Abb. 1).

Abb. 1
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Das Aufgabenspektrum der modernen Neuroonkologie. ZNS Zentralnervensystem

Primäre Tumoren

Die rezent aktualisierte Klassifikation der Weltgesundheitsorganisation für primäre Tumoren des Zentralnervensystems (ZNS; [1]) definiert aktuelle diagnostische, histologische und molekulare Charakteristika, die als Grundlage für eine Diagnosestellung und therapeutische Entscheidungsbäume konsentiert sind. Bemerkenswert ist, dass in dieser Klassifikation die Rolle der molekularen Diagnostik als integraler Bestandteil einer sachstandsgerechten Diagnosestellung verankert ist. Somit sind Bestimmungen molekularer Marker nicht mehr optional, sondern eine zwingende Voraussetzung.

Das internationale Konsortium cIMPACT-NOW [2] implementiert fortlaufend neue Erkenntnisse aus der durch die Hochdurchsatztechnologien vorangetriebene und in Zusammenschau mit klinischen Daten rasant fortschreitende Identifizierung neuer prognostischer molekularer Marker. So werden durch dieses Expertengremium fortlaufend neue diagnostische Kriterien für die neuroonkologische Diagnostik empfohlen, die für die klinische Entscheidungsfindung essenziell wichtig sind. Aktuell gibt es bereits die vierte Empfehlungsschrift [3] in nur zwei Jahren. Dies verdeutlicht die Dynamik in diesem Gebiet und zeigt auch die Relevanz des Konsortiums cIMPACT-NOW, da es undenkbar wäre, dass in vergleichbarer Zeit stetig neue WHO-Klassifikationen erstellt würden. Den eventuell wichtigsten Beitrag in der Weiterentwicklung der molekularen Diagnostik liefern Forschungsarbeiten, die sich auf Methylierungs-Arrays stützen. Hierdurch ist nun ein Algorithmus definiert, der als Unterstützung für die neuropathologische Diagnostik genutzt werden kann [4].

In einigen akademischen Zentren werden zudem die Sequenzierung mehrerer Gene, sog. Genpanels, oder gar komplette Exomanalysen durchgeführt. Je nach Verfügbarkeit der Next-generation-sequencing-Plattformen werden unter Umständen zusätzlich zur genetischen Charakterisierung auch noch Transkriptomanalysen oder Proteomanalysen ergänzt. Die klinische Entscheidungsfindung in den molekularen Tumorboards, die diese Information dann interdisziplinär diskutieren und hinsichtlich ableitbarer Therapiekonsequenzen bewerten, stützt sich überwiegend in erster Linie auf die genetischen Informationen aus Genpanels oder Exom.

Für die diagnostische Bildgebung primärer Hirntumoren werden Magnetresonanztomographie (MRT) und in spezifischen Fragestellungen die Positronenemissionstomographie (PET) verwendet. Wichtige Details für den Einsatz der PET bei Patienten mit glialen Tumoren und Meningeomen sind in europäischen Leitlinien dargelegt [5, 6]. Die Befundung erfolgt gemäß internationalen Kriterien der Arbeitsgruppe „Response Assessment in Neuro-Oncology“ [7].

ZNS-Metastasen und Meningeosis neoplastica

Epidemiologisch gesehen sind ZNS-Metastasen im Vergleich zu primären Tumoren des Nervensystems sehr viel häufiger. In der Regel erfolgt die Behandlung in erster Linie in den jeweiligen onkologischen Disziplinen.

Die Neurologie leistet hierbei einen unverzichtbaren Beitrag im Bereich klinisch-neurologischer Untersuchung, topisch-neuroanatomischer Diagnostik und syndromaler Einordnung. Ferner kann die Neurologie eine neuropsychologische Testung anbieten, die für die Erfassung der kognitiven Leistungsfähigkeit essenziell ist. Wie in den Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie dargelegt, sind beim Verdacht auf eine ZNS-Metastasierung und/oder das Vorliegen einer Meningeosis neoplastica die bildgebende Diagnostik mittels MRT der gesamten Neuroachse und Lumbalpunktion(en) notwendig. Das neuroonkologische interdisziplinäre Tumorboard berät in Zusammenschau mit klinisch-neurologischem Befund und syndromaler Einordnung über Fragestellungen nach der Indikation zur Resektion bzw. zerebralen oder spinalen Strahlentherapie. Zweifelsohne ist gerade in diesem zweiten Bereich des neuroonkologischen Aufgabenfelds eine enge interdisziplinäre Vernetzung nicht nur mit den „üblichen“ neuroonkologischen Fachdisziplinen, sondern mit allen onkologischen Disziplinen (z. B. Hämatologie, Onkologie, Dermatoonkologie, Gynäkologie) die entscheidende Voraussetzung für die Gestaltung von Patientenpfaden zur Qualitätssicherung in einer patientenzentrierten Versorgungsstruktur.

Im Vergleich zu primären Hirntumoren sind sichtbare konsortiale internationale Aktivitäten im Bereich der ZNS-Metastasen erst in den letzten Jahren verstärkt erfolgt. Diese haben mittlerweile zu wichtigen Konsensuspositionspapieren bzw. Leitlinien für die bildgebende Diagnostik und auch die Beurteilung des Therapieansprechens für parenchymatöse und leptomeningeale Metastasen geführt, die als wichtiges Signal für internationale Harmonisierung und Standardisierung in allen therapierelevanten Aspekten auch in diesem Bereich zu werten sind [8, 9].

Neurologische Komplikationen onkologischer Therapien

Das Erkennen oftmals subtiler und gleichzeitig überwiegend behandelbarer neurologischer Komplikationen onkologischer Therapien wird zunehmend wichtiger. Daher wurde diesem Thema ein dedizierter Beitrag in dieser Ausgabe von Der Nervenarzt gewidmet [10]. Wir verzichten daher auf weitere Ausführungen zu diesem Thema.

Welche Herausforderungen und Zukunftsperspektiven ergeben sich nun für die Neuroonkologie?

Behandlungspfade und Therapieentscheidungen

In den deutschsprachigen Ländern ist die abteilungszentrierte Organisation von Krankenhäusern vorherrschend. Aufgrund des interdisziplinären Charakters der Neuroonkologie stellt sich daher unmittelbar die Herausforderung, dass patientenzentrierte abteilungsübergreifende Pfade nur dort realisiert werden, wo seitens aller Akteure die entsprechende Bereitschaft hierfür besteht. Zwar geben Zertifizierungskriterien der Deutschen Krebsgesellschaft klare Leitplanken vor, die im Hinblick auf den Erhalt des Zertifikats eine interdisziplinäre Arbeitsweise induzieren. Es bleibt allerdings einer realistischen und patientenorientierten Einstellung der Akteure eines jeden Standorts überlassen, sich nicht nur auf die Erfüllung von Zertifizierungskriterien zu beschränken, sondern stets die Optimierung der Prozessgestaltung im Sinne des neuroonkologischen Patienten voranzubringen.

Die Behandlung muss patientenzentriert, interdisziplinär und multiprofessionell sein

Dass die interdisziplinären, multiprofessionellen Pfade einen direkten Einfluss auf die Versorgungsqualität des Patienten haben, suggerieren Beobachtungen aus der Schweiz. Eine populationsbasierte Betrachtung im Kanton Zürich zeigt, dass das mittlere Gesamtüberleben von Glioblastompatienten seit Einführung interdisziplinärer Tumorboards signifikant gestiegen ist [11]. Somit liegt es in der Verantwortung der Zentren, die interdisziplinäre, multiprofessionelle Zusammenarbeit stetig im Sinne der Patientenversorgung zu optimieren. Hierbei stellen sich besondere Herausforderungen im Bereich der Schnittstellengestaltung zwischen den Abteilungen innerhalb der Kliniken, zwischen stationärer und ambulanter Versorgung und vor allem zwischen der Versorgung in den Kliniken und bei niedergelassenen Kollegen. Für zukunftsfähige Standorte leitet sich hieraus die Notwendigkeit zur Schaffung enger interdisziplinärer Netzwerke zwischen Niedergelassenen und den Zentren sowie zur optimalen Schnittstellengestaltung innerhalb der Zentren ab.

Klinische Therapiestudien in der Neuroonkologie

Die meisten neuroonkologischen Tumorentitäten sind immer noch unheilbar. Zudem sind nur wenige Therapielinien als Krankenkassenleistung verfügbar. Daraus leitet sich der Auftrag vor allem an akademische Zentren ab, die Therapieoptionen stetig zu verbessern und zu erweitern. Dies erfolgt u. a. durch klinische und grundlagenwissenschaftliche Forschung. Klinische Therapiestudien nehmen hierbei eine wichtige Stellung ein.

Die rasante Hochdurchsatztechnologie und molekulare Charakterisierung von Tumoren hat die Landschaft in klinischen Studien verändert. Neben großen Phase-III-Studien mit eher breiten Eischlusskriterien sind neue Studiendesigns notwendig, die die Prüfung molekularbasierter Therapieentscheidungen erlauben. Dies wird in sog. Basket- und Umbrella-Studien realisiert [12]. Ein aktuelles Beispiel einer Umbrella-Studie beim neu diagnostizierten Glioblastom ist die N2M2- oder NOA 20-Studie (NCT03158389). Diese Studien erfordern eine funktionale und moderne Infrastruktur, sodass sie in der Regel nur in großen akademischen Zentren realisiert werden können.

Damit alle neuroonkologischen Patienten hiervon profitieren können, ist ein enger Informationsfluss zwischen den universitären Zentren, ihren Lehrkrankenhäusern und den niedergelassenen Kollegen eine conditio sine qua non. Für zukunftsfähige klinische Studienstandorte leitet sich hieraus die Notwendigkeit zur Schaffung nachhaltiger Kommunikationsplattformen zwischen den genannten Akteuren ab.

Forschungsorientierte klinische Versorgung

Bedingt durch die limitierte Verfügbarkeit zugelassener Therapieoptionen für neuroonkologische Patienten und teilweise enggefasste Kriterien für den Einschluss von Patienten in klinische Therapiestudien sind individuelle Off-label-Behandlungen für neuroonkologische Patienten nicht selten. Unter Off-label-Behandlungen werden Therapiestrategien zusammengefasst, in denen Medikamente zum Einsatz kommen, die in der Regel für andere Erkrankungen bereits zugelassen sind. Die Kostenübernahme wird nach interdisziplinärer Diskussion im Tumorboard und konsensuellem Votum entweder direkt bei der zuständigen Krankenkasse beantragt, oder es bestehen angemeldete Härtefallprogramme bei den regulatorischen Behörden. Ein aktuelles Beispiel für ein solches Härtefallprogramm des Paul-Ehrlich-Instituts ist die Behandlung mit DepatuxM und Temozolomid bei Patienten mit EGFR („epidermal growth factor receptor“) -amplifiziertem Glioblastom analog zur bereits abgeschlossenen klinischen Studie EORTC1410 (NCT02343406).

„Real World Data“ sind kein Ersatz für randomisierte klinische Studien

Erfahrungen, die in diesen Therapieszenarien gesammelt werden, sind häufig in Registern oder retrospektiven Fallserien verfügbar. Wichtiges Merkmal dieser Daten ist, dass sie außerhalb klinischer Therapiestudien erhoben worden sind. Diese werden unter dem Begriff „Real World Data“ zusammengefasst, ein missglückter Begriff, der suggeriert, dass Studiendaten irreal seien. Solche Daten basieren im Wesentlichen auf archivierten Krankenakten aus der regulären Patientenversorgung. Diese nehmen in den onkologischen Disziplinen stark zu [13]. In der Bewertung dieser Datensammlungen ist es allerdings essenziell, stets Stärken und Schwächen zu reflektieren. Allgemeingültige Therapiestrategien sollten niemals allein aus diesen Daten abgeleitet werden. Zwar können biostatistische Methoden helfen, ein zugrunde liegendes Selektionsbias zu minimieren. Ob dies jedoch vergleichbar einem prospektiv randomisierten Szenario möglich ist, bleibt höchst zweifelhaft. Einen unzweifelhaften Stellenwert haben Real World Data in der nachgeschalteten Bewertung von Ergebnissen, die in randomisierten klinischen Studien erhoben worden sind. Als Beispiel hierfür dient die populationsbasierte Studie von Johnson und O’Neill [14]. Hierdurch konnte gezeigt werden, dass die im Jahr 2005 international eingeführte postoperative Therapie des neu diagnostizierten Glioblastoms mit Radiotherapie und Temozolomid [15] eine Verbesserung des Gesamtüberlebens auch beim Einsatz bei Patienten außerhalb klinischer Studien herbeigeführt hat.

Darüber hinaus können Daten aus der klinischen Versorgung helfen, den Einfluss umschriebener Variablen (z. B. eines gewissen Laborparameters) auf den Therapieerfolg zu untersuchen, die ggf. im Rahmen vorgeschalteter randomisierter klinischer Studien nicht erhoben wurden. Schließlich können Daten aus der klinischen Versorgung helfen, Hypothesen zu generieren, um klinische Therapiestudien zu konzipieren.

Was leitet sich hieraus nun für eine Herausforderung und Handlungsempfehlung für zukunftsfähige Zentren ab? Zweifelsohne bleiben Real World Data aus der klinischen Versorgung eine sehr wichtige Quelle. Diese sind allerdings nur dann in vollem Umfang nutzbar, wenn sie strukturiert und parametrisiert erhoben werden. Hierzu bedarf es struktureller Voraussetzungen wie eine rechtzeitige Information der Patienten und ihre Einverständniserklärung in entsprechende pseudonymisierte Datensammlungen. Ferner braucht es datenschutzgerechte Datenbanken für die fortlaufende Eingabe der Daten aus der klinischen Versorgung und ihre fortlaufende Aktualisierung. Schließlich müsste auch analog zur Tätigkeit der klinischen Monitore in klinischen Studien, die die Kongruenz der Daten in den klinischen Studiendatenbanken mit den Quelldaten aus der klinischen Versorgung überprüfen, fortlaufend eine Datenqualitätssicherung erfolgen. Für zukunftsfähige Zentren leitet sich daher die Notwendigkeit der Schaffung struktureller Voraussetzungen ab, die von der Einverständniserklärung der Patienten über die pseudonymisierte Datenerfassung und deren fortlaufende Qualitätssicherung alle Prozessteilschritte optimal abbilden und stetig weiterentwickeln können.

Akteure in der zukunftsfähigen neuroonkologischen Forschung

Der Wissenschaftsrat hat im Positionspapier „Perspektiven der Universitätsmedizin“ vom 21.10.2016 die Notwendigkeit eines synergistischen Zusammenwirkens des klinisch-wissenschaftlich tätigen Arztes „Clinician Scientist“ und des wissenschaftlich nichtärztlich tätigen „Medical Scientist“ hervorgehoben. Hinzufügen könnte man noch angesichts der breit eingesetzten Hochdurchsatztechnologie in der Forschung die Gruppe der wissenschaftlich nichtärztlich tätigen „Data Scientists“, also jene, die die Expertise für die bioinformatische und biostatistische Auswertung haben.

Medical, Clinician und Data Scientists benötigen eine synergistische Plattform

Dies gilt auch als Voraussetzung für eine zukunftsfähige universitäre Neuroonkologie. In der klinischen Versorgung ist dieses Zusammenspiel bereits im Rahmen molekularer Tumorboards umgesetzt. Nur ein Zusammenspiel klinisch-wissenschaftlich und diagnostisch tätiger Ärzte mit nichtklinisch tätigen Naturwissenschaftlern und Daten-Wissenschaftlern kann aus einem Sequenzierbefund eine Therapieempfehlung ableiten.

Die neuroonkologische Forschung der letzten 10 bis 15 Jahre hat durch die Hochdurchsatztechnologien und deren bioinformatischen Analysen teilweise in großen internationalen Konsortien sehr umfassende molekulare Charakterisierungen beispielsweise beim Glioblastom erreicht [16]. Diese haben allerdings noch kaum Auswirkungen auf eine messbare Verbesserung der klinischen Patientenversorgung in Form verlängerter progressionsfreier Überlebenszeiten oder Gesamtüberlebenszeiten. Während dies zum Teil daran liegt, dass die eher eindimensionalen Charakterisierungen in Molekulargenetik oder Molekularbiologie der Komplexität nicht in vollem Umfang gerecht werden können und gleichzeitig systembiologische und systemmedizinische Betrachtungen noch eher selten sind, ist gerade der fehlende Brückenschlag zum Patienten auch durch fehlende effiziente Kommunikation zwischen Grundlagenwissenschaftler und Klinikern bedingt.

Für zukunftsfähige wissenschaftliche Zentren leiten sich daraus diverse Herausforderungen ab. Zum einen ist die Verbesserung präklinischer immunkompetenter Therapiemodelle, gerade für die Analyse von Therapiestrategien, die den Einfluss des Immunsystems oder des Mikromilieus untersuchen, unerlässlich. Eine engmaschige Kommunikation zwischen vorrangig grundlagenwissenschaftlich tätigen und eher klinisch-tätigen Wissenschaftlern muss gewährleistet sein, z. B. im Rahmen sog. Translationseinheiten, damit präklinische Erkenntnisse rasch bekannt und im Hinblick auf ihre Anwendbarkeit in klinischen Studien überprüft werden. Ferner erfordert eine frühe Translation nicht nur eine Expertise in klinischer Studienvorbereitung und Durchführung, sondern auch strukturelle Rahmenbedingungen, z. B. das Vorhandensein von Early Phase Clinical Trial Units. Je nach erforderlicher Rekrutierungsfallzahl können moderne Studien allerdings nur in multizentrischen ggf. sogar internationalen Konsortien realisiert werden, was wiederum weitere regulatorische Herausforderungen impliziert. Hieraus leiten sich als katalysierende Rahmenbedingungen für ein wirksames Zusammenspiel exzellenter Clinician Scientists, Medical Scientists und Data Scientists die Notwendigkeit exzellenter Forschungsinfrastruktur und effizienter Kommunikationsplattformen ab.

Zukunftsfähige Impulse und Formate für eine neuroonkologische Nachwuchsförderung

Die zunehmende Komplexität in den wissenschaftlichen, diagnostischen und therapeutischen Bereichen der Neuroonkologie fordert eine hohe Expertise und auch eine dedizierte Spezialisierung. Nur dann kann von den akademischen Zentren eine klinisch-orientierte Forschung und eine forschungsorientierte Versorgung implementiert werden, die im Zusammenspiel mit Lehrkrankenhäusern, Kreiskrankenhäusern und niedergelassenen Kollegen realisiert wird. Der Bedarf hierfür ist bereits jetzt schon vorhanden. Im klinischen Alltag werden nicht nur niedergelassene Neurologen mit zunehmenden komplexen neuroonkologischen Fragestellungen konfrontiert. Ein besonders deutliches Beispiel sind hier die neurologischen Komplikationen von Tumortherapien [10]. Diese Fragestellungen erfordern klinische Spezialisierung, allerdings auch ein Verständnis der molekularen und zellulären Abläufe. Nur dann können diese adäquat erkannt und behandelt werden. Umgekehrt wird es auch für nichtneurologische onkologische Disziplinen zunehmend wichtig, darüber informiert zu sein und zu bleiben, welchen Beitrag die Neuroonkologie über die Fragestellung nach Indikation für lokale Therapien (Resektion, Strahlentherapie) einbringen kann. Dies bedeutet, dass zukunftsfähige neuroonkologische Zentren ein postgraduales fächerübergreifendes neuroonkologisches Weiterbildungskurrikulum entwickeln müssen. Für die regionalen Netzwerke sind zudem Zuweiser-Akademien denkbar, in denen alle Behandler einer Region regelmäßig über aktuelle neuroonkologische Entwicklungen in Forschung und Versorgung informiert werden und deren Implikationen gemeinsam diskutieren.

Darüber hinaus wird es wichtig sein, die Möglichkeit zu ergreifen, durch spezielle Lehrinhalte in den kliniknahen Studiengängen Humanmedizin, Molekulare Medizin und Medizintechnik sowie den mathematisch-naturwissenschaftlichen Studiengängen bereits frühzeitig die Grundlagen für ein späteres Zusammenspiel aus Clinician Scientists, Medical Scientists und Data Scientists zu schaffen. Bisherige Kurrikula adressieren zwar viele interdisziplinär relevante Themen, allerdings überwiegend isoliert in den jeweiligen Studiengängen. Hier wird es erforderlich sein, mehr noch als bisher interdisziplinäre Querschnittskurrikula zu implementieren, die Studierenden aller genannten Studiengänge zugänglich sind.

Interdisziplinäre Querschnittskurrikula sollten allen Studiengängen zugänglich sein

Dies könnte den nachhaltigen Effekt erzeugen, dass bereits frühzeitig im Studium die Herausforderungen adäquat adressiert und reflektiert werden, sodass wichtige Grundsteine für die spätere berufliche Tätigkeit gelegt werden können. Dies könnte vor allem relevant sein, wenn die weitere berufliche Tätigkeit nicht mehr an akademischen Zentren erfolgt, da hierdurch frühzeitig eine Einsicht in die Notwendigkeit eines stetigen Austauschs im beruflichen Alltag mit großen Zentren erreicht werden könnte.

Ausblick

Zukunftsfähige spezialisierte Zentren müssen in nationalen und internationalen Konsortien integriert sein. Nur in diesen Netzwerken, z. B. der Neuroonkologischen Arbeitsgemeinschaft (NOA), der Brain Tumor Group der EORTC, der Europäischen Neuroonkologie-Gesellschaft (EANO) oder auch dem Weltverband aller neuroonkologischen Fachgesellschaften (WFNOS), können zukunftsfähige standardisierte Empfehlungen für Diagnostik und Therapie erarbeitet werden. Zwar können (und müssen) diese dann auf nationaler und regionaler Ebene adaptiert werden. Es ist allerdings nicht zukunftsweisend, isolierte regionale Insellösungen und Silo-Strukturen anzustreben, da diese zwingend hinter der rasanten Entwicklungsdynamik zurückbleiben müssen und somit eine Gefahr für die Qualität von Patientenversorgung und Forschung darstellen.

Der bedarfsgerechten agilen Forschungsinfrastruktur und der Erfüllung regulatorischer und ethischer Voraussetzungen für eine moderne neuroonkologische Forschung kommt eine fundamentale Bedeutung vor allem für die Zukunftsfähigkeit eines neuroonkologischen Standorts zu, da die Grenzen zwischen Versorgung und Forschung in der Neuroonkologie fließend sein müssen, um der Komplexität der Herausforderung gerecht zu werden. Wie bereits dargelegt, erzeugen die derzeit äußerst limitierten zugelassenen Therapieoptionen bei den überwiegend unheilbaren neuroonkologischen Entitäten einen enormen Handlungsdruck für eine Erweiterung des verfügbaren Therapiespektrums. Dies wiederum kann nur durch qualitätsgesicherte innovative grundlagenwissenschaftliche, translationale und klinische Forschung gewährleistet werden. Effiziente Kommunikationsstrukturen für eine Bewertung und mögliche Weiterentwicklung der Ergebnisse dieser Forschungstätigkeiten stellen sicher, dass die Rolle für die Verbesserung der Patientenversorgung frühzeitig erkannt werden kann.

Nachhaltigkeit kann nur durch eine konsequente Nachwuchsförderung entstehen. Diese ist sowohl in der postgradualen Ausbildung als auch in den Studiengängen wichtig. Analog zur internationalen Netzwerkbildung für die Entwicklung standardisierter Therapieleitlinien oder für die Untersuchung von Forschungsfragestellung muss hier auch die fundamentale Rolle nationaler und internationaler Abstimmungen für die Entwicklung zukunftsfähiger Kurrikula hervorgehoben werden. Den nationalen und internationalen Konsortien obliegt also eine Verantwortung auch für diese edukativen Aktivitäten.

Fazit für die Praxis

  • Die Neuroonkologie ist eine vergleichsweise junge Disziplin mit einer enormen Entwicklungsdynamik in den letzten beiden Dekaden.

  • Für eine klinische Versorgung auf dem neusten Stand ist es notwendig, Patienten für eine moderne Diagnostik und Behandlung in spezialisierten Zentren mit definierten fächerübergreifenden Pfaden und Prozessen vorzustellen.

  • Die Umsetzung der Therapieempfehlungen außerhalb klinischer Studien kann in regionalen Netzwerken zwischen akademischen Zentren, Lehrkrankenhäusern, Kreiskrankenhäusern und niedergelassenen Kollegen erfolgen. Hierzu ist ein etablierter Dialog zwischen allen Akteuren notwendig.