FormalPara Beteiligung der Fachgesellschaften, -organisationen und -institutionen am Entwicklungsprozess

Für die Deutsche Gesellschaft für Kinder- und Jugendheilkunde (DGKJ):

  • Prof. Dr. Berthold Koletzko

Für die Deutsche Gesellschaft für Kinderzahnheilkunde (DGKiZ):

  • Prof. Dr. Norbert Krämer

  • Prof. Dr. Ulrich Schiffner

Für die Deutsche Gesellschaft für Zahn‑, Mund- und Kieferheilkunde (DGZMK):

  • Prof. Dr. Christian Splieth

Für die Deutsche Gesellschaft für Ernährung (DGE):

  • Prof. Dr. Michael Krawinkel

  • Prof. Dr. Hildegard Przyrembel

Für die Deutsche Gesellschaft für Hebammenwissenschaft (DGHWi):

  • Prof. Dr. Claudia Hellmers

Für den Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ), Ausschuss Prävention:

  • Dr. Burkhard Lawrenz

Für das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR):

  • Dr. Anke Weißenborn

Für die Deutsche Arbeitsgemeinschaft für Jugendzahnpflege (DAJ):

  • Bettina Berg

Einführung

Die meisten Kinder in Deutschland haben heute kariesfreie Zähne. Dank vielfältiger präventiver Maßnahmen ist es in den letzten 20 bis 30 Jahren gelungen, die Prävalenz der Karies zu senken [1]. Allerdings sind die Entwicklungen für das Milchgebiss und das bleibende Gebiss unterschiedlich. So ging seit 1994/1995 die Kariesprävalenz im bleibenden Gebiss stetig und insgesamt um 82 % zurück. Heute sind 79 % der Zwölfjährigen kariesfrei. Dagegen ging die Karieshäufigkeit im Milchgebiss seit 1994/1995 mit etwa 35 % weit weniger stark zurück; nur etwa die Hälfte der Sechs- bis Siebenjährigen hat keine Karies [2]. Weitere konsequente Präventionsmaßnahmen sind notwendig, um einer Kariesentstehung bestmöglich vorzubeugen; insbesondere bei Kindern aus sozioökonomisch benachteiligten FamilienFootnote 1, die besonders häufig betroffen sind.

Unter den Präventionsmaßnahmen trägt die Fluoridanwendung wesentlich zur Risikoreduktion bei. In der Vergangenheit wurden in Deutschland unterschiedliche Fluoridanwendungen im Säuglings- und frühen Kindesalter (0 bis 72 Monate) empfohlen [3]. Parallel existierende, unterschiedliche Empfehlungen zur Gesundheitsförderung führen jedoch zur Verunsicherung von Beratungskräften und ElternFootnote 2 und zu einer geringeren Akzeptanz sowie letztlich zu unzureichender Umsetzung der Empfehlungen. Einheitliche Empfehlungen zur Kariesprävention durch Fluoridanwendung werden daher seit vielen Jahren von Fachgesellschaften, Berufsverbänden und Beratungskräften gefordert.

In einem vom Netzwerk Gesund ins Leben koordinierten und moderierten Prozess, an dem Vertreterinnen und Vertreter der relevanten Fachgesellschaften und -gruppen beteiligt waren, wurden gemeinsame Empfehlungen zur Kariesprävention im Säuglings- und frühen Kindesalter entwickelt. Sie tragen der wissenschaftlichen Evidenz, der Praktikabilität der Anwendungen sowie den Bedürfnissen von Familien Rechnung.

Methodisches Vorgehen

Der Prozess zur Entwicklung der gemeinsamen Empfehlungen begann im Juli 2017. Mitglieder des wissenschaftlichen Beirats des Netzwerks Gesund ins Leben, Vertreterinnen und Vertreter von Fachgesellschaften der Pädiatrie, Zahnheilkunde, Geburtshilfe und Ernährung, der zahnärztlichen Gruppenprophylaxe sowie des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte tauschten sich aus, um für Beratungskräfte und Familien Empfehlungen zur Kariesprävention im Säuglings- und frühen Kindesalter zu formulieren. Der Fokus lag auf der Bewertung der wissenschaftlichen Evidenz bezüglich Nutzen und Risiken sowie der Berücksichtigung von Aspekten zur Erreichung von Gruppen mit erhöhtem Kariesrisiko und zur Umsetzung der Maßnahmen unter Beachtung der Strukturen der Gesundheitsvorsorge in Deutschland.

Berücksichtigt wurde auch die vom Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) in Auftrag gegebene und durch das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) erstellte unabhängige wissenschaftliche Bewertung von Nutzen und Risiken systemischer und lokaler Kariesprophylaxe bei Säuglingen und Kleinkindern [1]. Ferner wurden wissenschaftliche Publikationen zu systemischer und topischer Fluoridanwendung sowie Empfehlungen, Gesundheitsziele und Leitlinien auf nationaler und internationaler Ebene beachtet. Darüber hinaus wurden überschlägige Schätzungen der möglichen Aufnahme von Fluorid aus unterschiedlichen Quellen vorgenommen und diskutiert. Ergänzend wurden Expertinnen und Experten aus Wissenschaft und Praxis zu Umsetzbarkeit und Erreichbarkeit von Familien mit Benachteiligungen sowie zur behutsamen Zahnreinigung als soziale Fürsorge- und Pflegehandlung und zu den entwicklungsbedingten Anforderungen an das Erlernen des Zähneputzens befragt.

Im Rahmen eines ergebnisoffenen Dialogs wurden die Sichtweisen und Positionen aller Beteiligten beleuchtet und unstrittige Bewertungskriterien für eine einheitliche, verständliche und im Familienalltag praktikable Empfehlung formuliert. Auf dieser Grundlage erarbeitete die Gruppe mehrere Empfehlungsmodelle, von denen das mit der größten Zustimmung in einem mehrstufigen Prozess hinsichtlich bestehender Bedenken überarbeitet wurde. Dieses Empfehlungsmodell wurde schließlich von allen Beteiligten angenommen. Damit liegen nun gemeinsam entwickelte Empfehlungen zur Kariesprävention im Säuglings- und frühen Kindesalter vor.

Empfehlungen zur Kariesprävention im Säuglings- und frühen Kindesalter (0 bis 6 Jahre)

Empfehlung

Auch für Säuglinge, Kleinkinder und Vorschulkinder wird die Anwendung von Fluorid in angemessener Dosis zum Zweck der Kariesprävention empfohlen. Die Höhe der empfohlenen Fluoriddosis und die Art der Fluoridanwendung richten sich nach dem Alter des Kindes und der Fluoridzufuhr aus anderen Quellen. Die als sicher angesehene höchste Zufuhrmenge („tolerable upper intake level“ [UL], [7]) soll nicht überschritten werden.

Empfehlung

Alter: von Geburt bis Zahndurchbruch.

Säuglinge sollen bis zum Durchbruch des ersten Milchzahns täglich ein Kombinationspräparat mit 0,25 mg Fluorid und 400–500 I.E. Vitamin D in Tablettenform erhaltenFootnote 3.

Empfehlung

Alter: ab Zahndurchbruch bis 12 Monate.

  • Die Kariesprophylaxe und die Art der Fluoridanwendung sollen von den betreuenden Ärztinnen bzw. Ärzten und Zahnärztinnen bzw. -ärzten mit der Familie besprochen werden. Aufklärung und Beratung sollen im Rahmen der pädiatrischen Früherkennungsuntersuchungen (je nach Alter bei Zahndurchbruch, meist bei der U5) sowie im Rahmen der zahnärztlichen Früherkennungsuntersuchungen im 6. bis 9. und/oder im 10. bis 12. Lebensmonat erfolgen.

  • Die Eltern sollen das Kind nach dem Zahndurchbruch behutsam und allmählich an das Zähneputzen heranführen, sodass das Kind es gern geschehen lässt.

  • Es soll eine der folgenden Möglichkeiten gewählt werdenFootnote 4:

    • Möglichkeit 1: täglich 1 Tbl. mit 400–500 I.E. Vitamin D und 0,25 mg Fluorid und Zähneputzen ohne Zahnpasta oder mit geringer Menge fluoridfreier Zahnpasta,

    • Möglichkeit 2: täglich 1 Tbl. mit 400–500 I.E. Vitamin D und bis zu 2‑mal täglich Zähneputzen mit jeweils bis zu 0,125 g (reiskorngroße Menge) Zahnpasta (mit 1000 ppm Fluorid) (Abb. 1a)

  • Die Familie soll zu Mundhygiene, zahnschonender Ernährung, behutsamer Gewöhnung an die Zahnpflege und korrekt dosierter Anwendung gegebenenfalls verwendeter fluoridhaltiger Zahnpasta fachlich beraten und praktisch geschult werden. Gegebenenfalls verwendete fluoridhaltige Zahnpasta soll von den Eltern in korrekt dosierter Menge aufgetragen werden, um eine zu hohe Aufnahme zuverlässig zu vermeiden.

  • Fluoridhaltige Zahnpasta und Fluoridtabletten sollen nicht in Kombination verwendet werden.

Empfehlung

Alter: 12 bis unter 24 Monate.

  • Die Zähne des Kindes sollen 2‑mal täglich mit jeweils bis zu 0,125 g (reiskorngroße Menge) Zahnpasta (mit 1000 ppm Fluorid) geputzt werden (Abb. 1a). Die Eltern putzen mit dem Kind die Zähne.

    Abb. 1
    figure 1

    Korrekte Dosierung der fluoridhaltigen Kinderzahnpasta. a reiskorngroße Menge, b erbsengroße Menge

  • Die Zahnpasta soll von den Eltern in korrekt dosierter Menge aufgetragen werden, um eine zu hohe Aufnahme zuverlässig zu vermeiden.

  • Die Familie soll bei der U6 und U7 und in den zahnärztlichen Früherkennungsuntersuchungen zwischen dem 13. und 24. Lebensmonat zu Mundhygiene, zahnschonender Ernährung, behutsamer Zahnpflege und korrekt dosierter Anwendung fluoridhaltiger Zahnpasta fachlich beraten und praktisch geschult werden.

Empfehlung

Alter: 24 Monate bis 72 Monate.

  • Die Zähne des Kindes sollen 2‑mal täglich mit jeweils bis zu 0,25 g (erbsengroße Menge) Zahnpasta (mit 1000 ppm Fluorid) geputzt werden (Abb. 1b). Die Eltern putzen mit dem Kind die Zähne. Hinzu kommt das Zähneputzen in der Kita mit bis zu 0,25 g (erbsengroße Menge) Zahnpasta (mit 1000 ppm Fluorid).

  • Die Zahnpasta soll von den Eltern (bzw. Betreuungspersonen in der Kita) in korrekt dosierter Menge aufgetragen werden, um eine zu hohe Aufnahme zuverlässig zu vermeiden.

  • Die Eltern und das Kind sollen bei den pädiatrischen und zahnärztlichen Früherkennungsuntersuchungen sowie in der zahnmedizinischen Gruppenprophylaxe zu Mundhygiene, zahnschonender Ernährung, Zahnpflege und korrekt dosierter Anwendung fluoridhaltiger Zahnpasta fachlich beraten und praktisch geschult werden.

Empfehlung

In allen genannten Altersgruppen.

Bevorzugt sollen zum Zähneputzen Produkte angewandt werden, die eine genaue Dosierung der empfohlenen Höchstmenge an Zahnpasta ermöglichen.

Hintergrundinformationen

Die Entstehung von Karies ist multifaktoriell bedingt: Neben der Bakterienbesiedlung der Zahnoberflächen spielen Menge, Art und Häufigkeit des Verzehrs zuckerhaltiger Speisen und Getränke und andere Faktoren eine Rolle.

Eine effektive Kariesprävention ruht auf mehreren Säulen. Dazu gehören eine zahngesunde Ernährung, die konsequente Vermeidung von zuckerhaltigen Getränken in Säuglingsflaschen und von Dauernuckeln, die Anwendung von Fluoriden und ein bis zum Kleinkindalter erreichtes tägliches Zähneputzen, um Beläge, soweit wie möglich, zu reduzieren.

Fluoridanwendung: Überdosierung vermeiden

Fluoride gelten als ein Schlüsselfaktor der Kariesprävention [1, 4]. Bei Überdosierung kann es jedoch zu Dentalfluorosen in den bleibenden Zähnen kommen [5]. Für die üblichen Dosisbereiche der Fluoridzufuhr im frühen Kindesalter wurden mögliche systemische Nebenwirkungen diskutiert, aber nicht belegt.

Säuglinge und Kleinkinder haben – bedingt durch die Zahnentwicklung – ein erhöhtes Risiko für eine Dentalfluorose. Daher gilt besonders für diese Altersgruppen, die Balance zwischen einem größtmöglichen Nutzen und einem geringstmöglichen Risiko zu finden: Die empfohlenen Fluoridmengen sollen wirksam und zugleich sicher sein [6].

Die European Food Safety Authority (EFSA) gibt als tolerierbare Tageshöchstmenge („tolerable upper intake level“, UL) für Fluorid einen Wert von 0,1 mg kgKG pro Tag an [7]. Als optimale Dosis – höchster kariespräventiver Effekt und geringes Fluoroserisiko – bzw. adäquaten Zufuhrwert („adequate intake“, AI) sieht sie 0,05 mg/kgKG pro Tag an [5]. Genau wie der EFSA-Referenzwert basieren die D‑A-CH-Referenzwerte auf der Beobachtung, dass bei einer Fluoridzufuhr von 0,05 mg/kgKG pro Tag der optimale Kariesschutz erreicht wird [8]. Auch Buzalaf und Levy geben an, dass die tägliche „optimale Fluoridzufuhrmenge“ für Kariesprävention und Fluorosevermeidung zwischen 0,05 und 0,07 mg/kgKG pro Tag beträgt [9].

Im Falle der Verwendung einer Zahnpasta mit Fluoridzusatz ist die genaue Dosierung der empfohlenen Zahnpastamenge entscheidend, um eine zu hohe Fluoridzufuhr und unerwünschte Wirkungen zu vermeiden (Abb. 2). Säuglinge und Kleinkinder können Zahnpasta noch nicht ausspucken und verschlucken sie daher zum Teil. Nach Annahmen des Scientific Committee on Cosmetic Products and Non-food Products (SCCNFP) der Europäischen Kommission verschlucken Kleinkinder zwischen 20 und 40 % der verwendeten Zahnpasta [10], nach Strittholt et al. sind es bei Zwei- bis Vierjährigen im Mittel 39 % (Mittelwert 0,205 g; P95 0,49 g, [11]). Bei jüngeren Kindern werden verschluckte Anteile der verwendeten Zahnpastamenge von 64–84 % mit eineinhalb bis zweieinhalb Jahren [6] und 65 % bei Zweijährigen berichtet [12]. Geht man bei den Daten von Strittholt et al. von einer Zahnpasta mit 1000 ppm Fluorid und vollständiger Aufnahme des Fluorids in den Körper aus, so würden in den hohen Aufnahmeperzentilen 0,49 mg Fluorid/Putzvorgang aufgenommen [11]. Studien weisen darauf hin, dass Eltern in der Praxis oft deutlich mehr Zahnpasta als für Kleinkinder empfohlen verwenden [11,12,13].

Abb. 2
figure 2

Fluoridaufnahme aus Zahnpasta bei unterschiedlichen Zahnpastamengen. (Annahmen: Mädchen ein Jahr alt, 2‑mal tägliches Zähneputzen, vollständiges Verschlucken der Zahnpasta und vollständige Aufnahme des Zahnpastafluorids in den Körper). P Perzentile

Mengen wie „reiskorngroß“ (0,125 g) oder „erbsengroß“ (0,25 g) sind mit den derzeit üblichen Tuben nicht genau abmessbar. Nach Ansicht der Autorinnen und Autoren sind für eine zuverlässige Dosierung fest angebrachte Dosierspender notwendig. Da diese derzeit noch nicht zur Verfügung stehen, sollen in der Zwischenzeit Zahnpasten verwendet werden, die z. B. durch kleinere Tubenöffnungen und Veranschaulichung der empfohlenen Menge auf der Tube das Risiko einer Überdosierung verringern.

Die hier gegebenen Empfehlungen lassen bei korrekter Umsetzung, einem Trinkwasserfluoridgehalt unter 0,3 mg/l und strikter Einhaltung der empfohlenen Zahnpastamenge keine Überschreitungen der tolerierbaren Tageshöchstmenge erwarten (Tab. 1, 2 und 3 im Anhang). Aufklärung und Information der Eltern zur Beachtung der maximal zu verwendenden Zahnpastamenge und die praktische Anleitung zur Zahnpastadosierung sind im Rahmen der ärztlichen und zahnärztlichen Beratungen daher unerlässlich.

Lebensmittel enthalten im Allgemeinen wenig Fluorid. Trinkwasser, Mineralwasser, fluoridiertes Speisesalz oder schwarzer/grüner Tee können aber wesentlich zur Fluoridzufuhr beitragen. Bei nichtgestillten Säuglingen hängt die Fluoridzufuhr vor allem vom Fluoridgehalt des zur Zubereitung von Säuglings(milch)nahrung verwendeten Wassers ab. Der Fluoridgehalt des Trinkwassers in Deutschland beträgt meist unter 0,3 mg/l, in einigen Regionen – geologisch bedingt – erheblich darüber. Auskunft über den Fluoridgehalt im Trinkwasser gibt der örtliche Wasserversorger. Mineral- und Tafelwässer können sehr unterschiedliche Fluoridkonzentrationen enthalten. Mineral- und Tafelwässer, die die Auslobung „Geeignet für die Zubereitung von Säuglingsnahrung“ tragen, dürfen maximal 0,7 mg Fluorid/l enthalten. Ist der tatsächliche Fluoridgehalt nicht auf der Flasche oder Verpackung angegeben, gibt der Hersteller Auskunft. Um die tolerierbare Tageshöchstmenge von Fluorid nicht zu überschreiten, wird bei einem Fluoridgehalt des verwendeten Wassers von 0,3 mg/l und mehr für Säuglinge, die ausschließlich oder überwiegend mit Säuglings(milch)nahrung ernährt werden, kein weiteres Fluorid aus anderen Quellen bzw. eine reduzierte Dosis empfohlen (s. Fußnoten zu den Empfehlungen: „Alter: von Geburt bis Zahndurchbruch“ und „Alter: ab Zahndurchbruch bis 12 Monate“).

Speisen sollten im Säuglingsalter nicht gesalzen werden, im Kleinkindalter nur in sehr geringem Maße. Bei einem Trinkwasserfluoridgehalt über 0,7 mg/l soll kein fluoridiertes Speisesalz verwendet werden (weder für Kinder noch für Erwachsene, [8, 14, 15]).

Zur Kariesprävention beraten

Die pädiatrischen und zahnärztlichen Früherkennungsuntersuchungen bieten den geeigneten Rahmen zur Beratung der Eltern zur Kariesprophylaxe, zu möglichen Fluoridanwendungen sowie zu zahnschonender Ernährung und Mundhygiene in den verschiedenen Altersstufen des Kindes.

Die Empfehlungen des Netzwerks Gesund ins Leben zur Ernährung von Säuglingen und Kleinkindern leisten einen Beitrag zur gesunden Entwicklung von Kindern und damit auch zu Mund- und Zahngesundheit. Sie sind Grundlage für die Beratung zur zahnschonenden Ernährung [16, 17]. Nach diesen Empfehlungen sollen u.a. süße Getränke, das Dauernuckeln und die „Flasche zum Einschlafen“ vermieden werden. Getränke sollten aus Becher oder Tasse angeboten werden (www.gesund-ins-leben.de).

Von der Geburt, in der Regel ab der zweiten Lebenswoche, bis zum Zahndurchbruch wird eine systemische Fluoridgabe mittels Tablette in Kombination mit Vitamin D empfohlen. Die Supplementierung richtet sich nach dem Fluoridgehalt des zur Zubereitung der Säuglings(milch)nahrung verwendeten Wassers (s. oben). Im Rahmen der ersten Früherkennungsuntersuchungen werden Eltern über die Wirksamkeit von Fluorid zur Kariesprophylaxe und die Sicherheit bei korrekter Dosierung der empfohlenen Menge informiert.

Im Alter zwischen 6 und 10 Monaten brechen bei den meisten Kindern die ersten Milchzähne durch [18]. Das Kind wird dann allmählich und behutsam an das regelmäßige Zähneputzen (ohne oder mit Zahnpasta) herangeführt. Ziel ist es, bis zum Kleinkindalter das 2‑mal tägliche Zähneputzen als Routine im Tagesablauf zu etablieren.

Die pädiatrische Beratung zur Kariesprophylaxe ab Zahndurchbruch erfolgt je nach Zeitpunkt des Zahndurchbruchs, meist bei der U5 im 6. bis 7. Lebensmonat. Da 99,4 % aller Kinder die U5 in Anspruch nehmen [19], werden damit nahezu alle Kinder dieser Altersstufe erreicht. Im Rahmen der zahnärztlichen Früherkennungsuntersuchungen (FU1a zwischen 6. und 9. Lebensmonat und FU1b im 10. bis 20. Lebensmonat) können Zahnärztinnen und Zahnärzte Informationen zu zahngesunder Ernährung, Zahnpflege und zu Fluoridierungsmaßnahmen vermitteln. Hier soll auch eine praktische Anleitung zur Mundhygiene beim Kleinkind erfolgen. Die Kinder-Richtlinie sieht seit Ende 2019 zur besseren Vernetzung von Pädiatrie und Zahnmedizin in allen Untersuchungen von U5 bis U9 den Verweis zu den zahnärztlichen Früherkennungsuntersuchungen vor [20].

Pädiatrische und zahnärztliche Beratung ergänzen sich und sollen übereinstimmende Botschaften enthalten. Um die Compliance für die Weiterführung der Rachitisprophylaxe zu stärken, wird im Kontext der pädiatrischen Beratung immer auch zur Weiterführung der Vitamin-D-Gabe beraten (Verknüpfung der beiden Empfehlungen). Zahnärztinnen und Zahnärzte informieren und motivieren ebenfalls zur Beibehaltung der Vitamin-D-Gabe in den ersten 12 bis 18 Monaten (je nach Geburtszeitpunkt). Eine gute Vitamin-D-Versorgung ist für die Gesundheit der Zähne ebenfalls von Bedeutung.

Auch in den weiteren Lebensjahren des Kindes kommt der Beratung zu Mundhygiene, zahnschonender Ernährung, Zahnpflege, korrekter Dosierung und Anwendung der fluoridhaltigen Zahnpasta im Rahmen der pädiatrischen und der zahnärztlichen Früherkennungsuntersuchungen eine große Bedeutung zu. Diese wird durch Beratung und praktische Schulung im Rahmen der zahnmedizinischen Gruppenprophylaxe ergänzt.

Pädiatrische und zahnärztliche Beratungskräfte sollten ein besonderes Augenmerk auf Kinder mit erhöhtem Kariesrisiko richten. Dies zeigt sich vor allem durch frühes Auftreten von Plaque an den Oberkieferfrontzähnen, Initialkaries (nichtkavitierte kariöse Läsionen) sowie kavitierende Karies. Diese Befunde werden mit höherer Prävalenz bei Kindern aus Familien mit problematischem Ernährungs- und Mundhygieneverhalten und mit niedrigem sozioökonomischem Status gefunden, außerdem bei Kindern mit Behinderungen und chronischen Krankheiten.

In begründeten Einzelfällen können Pädiaterin/Pädiater und Zahnärztin/Zahnarzt von den generellen Empfehlungen (s. Abschn. „Empfehlungen zur Kariesprävention im Säuglings- und frühen Kindesalter (0 bis 6 Jahre)“) abweichen. Sie sollen sich dann hinsichtlich der Vorgehensweise abstimmen und sich einvernehmlich verständigen, um Eltern nicht zu verunsichern und einer parallelen Anwendung von Fluorid durch fluoridierte Zahnpasta und Supplemente vorzubeugen.

Zum Zähneputzen hinführen

Säuglinge erkunden Gegenstände mit Mund, Zunge und Lippen. Alles wird dazu in den Mund gesteckt, bekaut und belutscht. Dieses Erkundungsverhalten, das in der Mitte des ersten Lebensjahres besonders stark ausgeprägt ist, kann Eltern dabei unterstützen, ihr Kind allmählich an Zahnbürste und Zähneputzen heranzuführen und zu gewöhnen. Die Eltern reinigen die Zähne behutsam mit einer altersgerecht geformten, weichen Zahnbürste, keinesfalls gegen den Widerstand des Kindes. Im Säuglingsalter kann dies auf dem Schoß oder auf dem Wickeltisch erfolgen.

Mit zunehmendem Alter lernt das Kind, sich selbst die Zähne zu putzen. Je nach individueller Entwicklung der motorischen Fähigkeiten und Fertigkeiten sind achtjährige Kinder dazu meist allein in der Lage. Bis dahin sollen Eltern ihre Kinder beim Zähneputzen durch Nachputzen unterstützen.

Kinder lernen auch durch Beobachtung und Nachahmung von Eltern. Die Beratung sollte die Bedeutung der Vorbildrolle für das tägliche Zähneputzen bewusstmachen.

Das Zähneputzen in der Kita im Rahmen der Gruppenprophylaxe ergänzt die häusliche Zahnpflege. Ab einem Alter von 24 Monaten kann auch hier eine erbsengroße Menge (maximal 0,25 g) Zahnpasta mit einem Gehalt von 1000 ppm Fluorid verwendet werden.

Geschmacksneutrale Zahnpasten bevorzugen

Neben Zahnpasten stehen auch Kinderzahngele (fluoridfrei und fluoridhaltig) zur Verfügung. Diese Kinderzahngele dürfen nicht mit den hochdosierten Fluoridgelen zur meist wöchentlichen Anwendung verwechselt werden.

Ein attraktiver, lebensmittelähnlicher Geschmack des Produkts fördert unerwünschtes Verschlucken. Deshalb sollen geschmacks- und farbneutrale Zahnpasten/-gele (keine „Bonbonfarben“, kein süßer Geschmack oder süße Aromen) bevorzugt werden. Von der Verwendung stark aromatisierter oder gesüßter Produkte wird ausdrücklich abgeraten.

Alle Familien erreichen und befähigen

Unter Einbeziehung der vorhandenen medizinischen Versorgungssysteme sind Konzepte zu entwickeln, wie möglichst alle Familien mit Kindern in Säuglings‑, Kleinkind- und Vorschulalter zur Kariesprophylaxe informiert und motiviert werden können, insbesondere auch Familien mit Benachteiligungen.

Kinder aus sozioökonomisch benachteiligten Familien und Kinder aus Familien mit Migrationshintergrund weisen vermehrt Karies auf [21, 22] und haben einen besonderen Bedarf an effektiven kariespräventiven Maßnahmen. Das Zahnputzverhalten und die Verwendung von Fluoridsupplementen sind mit soziokulturellen Merkmalen assoziiert: So zeigen die Ergebnisse der KiGGS-Welle 2, dass Kinder aus sozial benachteiligten Familien seltener die Empfehlung zum täglichen Zähneputzen erreichen (KiGGS: Studie zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland. [23]). Daten aus der KiGGS-Welle 2 über das Einnahmeverhalten von Fluoridsupplementen bei Kindern zwischen 0,5 und 5 Jahren liegen noch nicht vor. In der KiGGS-Basiserhebung (2003–2006) zeigte sich, dass Kinder aus sozial benachteiligten Familien häufiger Fluoridsupplemente einnehmen als Kinder aus anderen Familien [24]. Kinder aus Familien mit Migrationshintergrund erreichen seltener die Empfehlung zum täglichen Zähneputzen, nehmen aber auch seltener Fluoridsupplemente ein als Kinder aus Familien ohne Migrationshintergrund [23, 24].

Für eine effektive und sichere Kariesprävention ist wünschenswert, diese Konzepte im Rahmen eines runden Tisches mit den pädiatrischen und zahnmedizinischen Fachgesellschaften und Berufsverbänden, dem öffentlichen Gesundheitsdienst, den Frühen Hilfen, der Deutschen Arbeitsgemeinschaft für Jugendzahnpflege, Elternverbänden und anderen Partnern zu entwickeln und gemeinsam umzusetzen.