Vordringliches Behandlungsziel der Geriatrie ist die unmittelbare Verbesserung der Lebensqualität mit langfristigem Erhalt individueller Autonomie. An dieser Maxime muss sich neben den kausalen Therapieansätzen (diese sind – von Infektionskrankheiten abgesehen – in der Geriatrie selten) auch jede symptomatische und präventive Behandlungsmaßnahme messen lassen. Pharmakotherapien – und um diese geht es im vorliegenden Themenheft von Der Internist – müssen dementsprechend gerade im Alter hocheffektiv, nebenwirkungs- und interaktionsarm sowie gegenüber nichtmedikamentösen Therapieverfahren alternativlos sein. Dies gilt insbesondere für alle in prophylaktischer Intention eingesetzten Medikamente, die in direktem Bezug auf das oben genannte übergeordnete Behandlungsziel des Autonomieerhalts in der Geriatrie immer einer individuellen Abwägung unterzogen werden sollten – bisweilen dann mit dem Ergebnis des bewussten Weglassens.

Pharmakotherapien müssen gegenüber nichtmedikamentösen Verfahren alternativlos sein

Diese in der Geriatrie vorrangigen differenzialtherapeutischen Überlegungen werden im vorliegenden Themenheft an 5 altersrelevanten Erkrankungen aus der Stoffwechselmedizin und dem neurologisch-psychiatrischen Formenkreis beispielhaft dargelegt.

Osteoporose, d. h. eine übermäßige Abnahme von Knochenmasse und Knochenqualität, ist zwar in aller Regel die Ursache, nicht jedoch der Anlass einer Fraktur im Alter. Die Präventionsstrategie zur Vermeidung dieser osteoporotisch bedingten Fragilitätsfrakturen im Alter fokussiert sich noch immer zu sehr „osteozentrisch“ auf die Ursache mit den spezifischen Antiosteoporotika als sekundär- bzw. tertiärprophylaktische Maßnahme. Jakob et al. richten in ihrer Übersichtsarbeit den Blick auch auf den Sturz als Anlass einer Fragilitätsfraktur im Alter und entwerfen eine geriatriegerechte multimodale Behandlungs- und Präventionsstrategie unter Einbeziehung auch nichtmedikamentöser Maßnahmen, wie z. B. zielgerichteter Bewegungsprogramme zur Verbesserung der koordinativen Fähigkeiten und der Muskelkraft.

Die antihyperglykämische Behandlung beim Typ-2-Diabetes mit ihren vorgegebenen normnahen Zielwerten für Blutzucker und HbA1c erfolgt nicht nur zur (symptomatischen) Vermeidung schwerer hyperglykämischer Ereignisse, sondern dient der (Tertiär-)Prophylaxe diabetischer Folgeschäden. Die diabetologischen „megatrials“ der vergangenen Jahre [Action to Control Cardiovascular Risk in Diabetes (ACCORD), Action in Diabetes and Vascular Disease: Preterax and Diamicron Modified Release Controlled Evaluation (ADVANCE) und Veterans Affairs Diabetes Trial (VADT)] haben allerdings die Hoffnungen einer effektiveren Prophylaxe durch eine straffere antihyperglykämische Therapie nicht erfüllt, sondern verweisen vielmehr auf innewohnende potenzielle Gefahren. Letztere betreffen in besonderem Maß Menschen im fortgeschrittenen Lebensalter, bei denen hypoglykämische Episoden immer mehr im Zusammenhang mit Demenzentwicklung und -propagation gebracht wird. Girlich et al. greifen in ihrem Übersichtsbeitrag diesen Paradigmenwechsel einer liberaleren Blutzuckereinstellung im fortgeschrittenen Lebensalter auf und diskutieren vor dem Hintergrund der Effektivität und des Nebenwirkungsspektrums praxisnah den differenzialtherapeutischen Einsatz der auf dem Markt befindlichen Antidiabetika und Insuline.

Etwa jede 5. Frau und etwa jeder 7. Mann im Alter von 65 Jahren entwickeln im weiteren Leben eine Demenz, in der Regel entweder eine Alzheimer-Demenz (AD) oder eine Mischform aus AD und vaskulärer Demenz. Trotz intensivster Forschungsbemühungen existieren bislang nur symptomatische Behandlungsansätze; hierbei besitzen die so genannten Acetylcholinesteraseinhibitoren (Donepezil, Galantamin, Rivastigmin) und das Memantin eine wohl interindividuell unterschiedlich ausgeprägte aufschiebende Wirkung beim Verlust der kognitiven Funktionen – allen voran beim Gedächtnisverlust. Im Alltag sind aber für den Demenzkranken und seine Angehörigen weniger die kognitiven Einbußen, sondern vielmehr die mit der Demenz einhergehende Aggression, Agitiertheit, Depression und/oder psychotische Realitätsverkennung (früher: „behavioral and psychological symptoms of dementia“, BPSD) belastend. Die Herausforderung an eine ganzheitliche Therapiestrategie besteht hier in einer situationsgebundenen symptomatischen Bedarfs- (nicht Dauer-!)Therapie und in der Schaffung niedrigschwelliger psychosozialer Hilfsangebote für die pflegenden Angehörigen. In der Übersichtsarbeit von Jessen wird deutlich, dass Demenzbehandlung eine Gratwanderung zwischen evidenzbasierter Vorgehensweise und einer Behandlung entsprechend dem Prinzip des „Ut aliquid fiat“ ist.

Im Krankenhausalltag wird die (sub-)akute Komplikation des Delirs, die eine Stressreaktion des alternden Gehirns darstellt, häufig (als Demenz) verkannt und trotz des damit verbundenen stark erhöhten Morbiditäts- und Mortalitätsrisikos als klinische Marginalie fehlinterpretiert. Singler u. Frühwald verweisen in ihrem Beitrag auf die Wichtigkeit der Primärprävention oder zumindest Früherkennung eines Delirs und beschreiben praxistaugliche Maßnahmen, die bei der stationären Aufnahme jedes geriatrischen Patienten ähnlich wie die Dekubitusprophylaxe als Standard gelten sollten. Dazu gehört auch die genaue differenzialtherapeutische Kenntnis der Effektivität und des Nebenwirkungsspektrums einer symptomatischen medikamentösen Therapie.

Das Themenheft schließt mit der medikamentösen Therapie der Altersepilepsien. Die mittlerweile für den Nichtneurologen nur noch schwer überschaubare Palette an Präparaten zur Anfallsprophylaxe hat gemeinhin ein hohes Interaktionspotenzial mit daraus resultierender Notwendigkeit regelmäßiger Spiegelkontrollen. Tilz stellt die Pharmakotherapie der Altersepilepsie als ein Modul dar, das sich unter differenzialtherapeutischer Abwägung der jeweils spezifischen Pharmakokinetik leicht in den medikamentösen Gesamtplan eines alten Menschen integrieren lässt.

„Die schwierige Entscheidung ist häufig nicht, welche Therapie gewählt wird, sondern: worauf verzichtet werden kann.“

So mahnte Wolfgang Ertl in seiner Rede als Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin im Jahr 2008. Diese Frage bleibt beim geriatrischen Patienten, dessen multimorbide Behandlungsrealität in eindimensionalen Leitlinien kaum abgebildet ist, eine stete Herausforderung der individualisierten und ganzheitlichen – inneren – Medizin.