Viele wurden von Erysipelen des ganzen Körpers attackiert, auch wenn die Ursache eine triviale Verletzung oder eine kleine Wunde war.... Selbst unter Behandlung litten viele unter schwerer Entzündung und die Erysipele breiteten sich schnell in alle Richtungen aus. Muskeln und Sehnen fielen vom Knochen ab. Das Sekret war nicht wie Pus... Fieber war manchmal da und manchmal nicht... (Hippokrates: „Epidemien“)

Das Wissen um nekrotisierende Weichteilinfektionen ist alt, das Letalitäts- oder Morbiditätsrisiko jedoch auch heute noch trotz moderner Therapieverfahren hoch.

Zahlreiche Studien haben gezeigt, dass allein durch frühzeitiges Erkennen und Behandeln die Letalitätsraten um bis zu 20 % gesenkt werden können. Die Diskussionen über das therapeutische Konzept konzentrieren sich daher zum einen auf die pathophysiologische Unterscheidung der der nekrotisierenden Weichteilinfektion zugrunde liegenden Krankheitsentität (nekrotisierendes Erysipel, nekrotisierende Fasziitis Typ 1 und 2, klostridiale und nichtklostridiale Myonekrose, polymikrobielle Weichteilinfektion) und zum anderen auf die geeigneten Maßnahmen zur Ersttherapie und Rekonstruktion des Weichteilschadens. Aktuell besonders umstritten ist der Stellenwert der hyperbaren Oxygenation (HBO) innerhalb der komplexen intensivmedizinischen, antimikrobiellen und chirurgischen Therapieverfahren. Der HBO ist daher in diesem Leitthema ein kontroversielles „Pro und Kontra“ gewidmet.

Besonders umstritten ist der Stellenwert der HBO

Der einführende Beitrag der Arbeitsgruppe um E. Horch (Erlangen) streicht besonders das klinische Erscheinungsbild der nekrotisierenden Infektionen heraus, da dies die einzige Möglichkeit ist, die nichtnekrotisierende von der nekrotisierenden Infektion abzugrenzen. Dieses Dilemma spiegeln z. B. die von Fisher 1979 formulierten Diagnosekriterien wider: von den 6 Kriterien kann nur eines prätherapeutisch verwendet werden, das jedoch zudem sehr unspezifisch ist, da es sich auf eine allgemein septische Kreislauflage bezieht. Weitere diagnostische Parameter, wie z. B. Laboruntersuchungen sind ebenfalls zu unspezifisch, bzw. der ggf. errechenbare Score nur in Verbindung mit der Klinik aussagekräftig. Allein die Bildgebung scheint neben der Klinik maßgeblich zu sein. Interessant hierbei ist, dass der Ultraschall in erfahrener Hand der Computertomographie ebenbürtig sein kann, was unter Umständen die Diagnosestellung erheblich beschleunigt.

Im Beitrag von P. Kujath und Mitarbeitern (Lübeck) werden auf der Grundlage eines enormen Erfahrungsgutes leitlinienartig Handlungsempfehlungen zur Therapie der nekrotisierenden Infektionen gegeben. Bezüglich der speziellen Entität des Fournier-Gangräns wird eindeutig Stellung genommen zur Vakuumtherapie und zum Umgang mit dem isolierten Hoden. Zudem scheint es sinnvoll zu sein, eine Typisierung der Virulenzfaktoren im Rahmen der mikrobiologischen Untersuchung vorzunehmen, da diese für die Invasivität der Infektion ausschlaggebend sind. Dieses Wissen um die Aggressivität der Erreger könnte zu einer zeitlichen Justierung der klinischen Verlaufskontrollen führen.

Die beiden Pro-und-Kontra-Beiträge zum umstrittenen Einsatz der HBO lassen das Dilemma einer evidenzbasierten Evaluation des Verfahrens klar erkennen: die Komplexität und Seltenheit der Erkrankung, die Verfügbarkeit und Kosten der HBO und die fehlende systematische Datenerhebung der Therapieeffektivität. Die Kontraposition zur HBO wird von der Arbeitsgruppe von C. Willy (Berlin) bezogen. In beeindruckender Weise hat die Arbeitsgruppe die gesamte zu diesem Thema vorliegende Literatur ausgewertet. Hauptargumente gegen die HBO sind neben der fehlenden wissenschaftlichen Evidenz die lückenhafte Versorgung mit HBO-Kammern in Deutschland und die Gefahr der Therapieverzögerung durch den Transport. Mit Nachdruck werden wissenschaftliche Daten gefordert. Diese können nach Meinung der Arbeitsgruppe um M. Bucher aus Halle nur mittels eines nationalen Fallregisters erhoben werden, zu dessen Etablierung im Pro-HBO-Artikel aufgerufen wird. Die Erfahrungen als HBO-Kammer-betreibende Klinik zeigen nachvollziehbar, dass die HBO nicht zu einer Verzögerung bzw. Einschränkung der notwendigen chirurgisch-intensivmedizinischen Therapie führt. Wesentlicher Ansatz der HBO-Therapie im frühen Infektionsstadium scheint neben der anerkannten Wirkung bei der anaeroben klostridialen Myonekrose die reduzierte ödembedingte Gewebehypoxie und die Steigerung der enzymatischen Bakterizidie zu sein. Entscheidend für den möglichen Erfolg einer HBO-Therapie ist nach Ansicht der Autoren die interdisziplinäre Indikationsstellung durch die Vertreter der Chirurgie, HBO und Intensivmedizin.

Weichteilinfektionen sind häufig, nekrotisierende Weichteilinfektionen selten, können aber innerhalb weniger Stunden zum Tode führen. Hauptcharakteristikum ist die rasche Infektionsausbreitung. Die klinische Einschätzung stellt das zentrale Element der Differenzierung dar. Das vorliegende Heft stellt diesen Aspekt in den Mittelpunkt, denn ist die Diagnose zum richtigen Zeitpunkt gestellt, greift die hocheffiziente chirurgisch-intensivmedizinische Therapie. Die Rolle der HBO sollte durch systematische Erfassung in einem nationalen Register geklärt werden.

Ihre

Prof.Dr. Dr. h.c. H. Dralle

Dr. E. John