Zusammenfassung
„Gesundheit“ und „Krankheit“ sind vielschichtige Begriffe. Das Verständnis der menschlichen Gesundheit hängt außer von naturwissenschaftlichen Aspekten von den individuellen Vorstellungen der Menschen und von kulturellen sowie weltanschaulichen Faktoren ab. Das Leitbild einer patientenzentrierten Medizin bringt zum Ausdruck, dass ein Arzt nicht nur den objektivierbaren Krankheitsbefund zu erheben hat. Vielmehr soll er auch dem Selbstbestimmungsrecht der Patienten, ihren persönlichen Werten und ihrer subjektiven Sicht von Gesundheit und Krankheit gerecht werden. Einen gedanklichen Hintergrund bietet die Dialogphilosophie, die im 20. Jahrhundert entstand. Auf empirischer Basis lässt sich die gelingende Kommunikation des Arztes mit dem Patienten als nützliches Placebophänomen interpretieren. Die alternative Medizin legt auf die Zuwendung des Arztes großen Wert. Hieraus erklärt sich weitgehend die Sogkraft, die sie für viele Patienten besitzt. Daher sollte auch die naturwissenschaftlich orientierte Medizin („Schulmedizin“) verstärkt aufarbeiten, dass Empathie und die Dialogfähigkeit des Arztes für den Erfolg einer Behandlung wesentlich sind. Es gehört zur ärztlichen Verantwortung, die persönlichen Perspektiven von Patienten wahrzunehmen, sie zu respektieren und sich, wenn nötig, auch kritisch mit ihnen auseinanderzusetzen.
Abstract
“Health” and “illness” are multilayered terms. The understanding of human health depends, apart from scientific aspects, on people’s individual perceptions as well as on aspects of culture and world view. The ideal of patient-centered medicine requires that a physician does not merely have to establish an objectifiable diagnosis. Rather, a physician should also respect the patients’ right to self-determination, their personal values, and their subjective view of health and illness. The philosophy of dialogue, which developed in the twentieth century, offers a conceptual background for this ideal. On an empirical basis, the successful communication between doctor and patient can be interpreted as a useful placebo phenomenon. Alternative medicine puts great emphasis on the doctor’s attentive care. This also explains why the alternative branch of medicine has appealed to many patients. Therefore, science-oriented medicine should review methods in which the doctor’s empathy and dialogue ability are crucial to treatment success. It is part of the physician’s responsibility to appreciate the personal perspectives of patients, to respect them and, if necessary, to engage with them critically.
Notes
Die Deutung von Krankheit als Strafe, die sich therapeutisch sehr hemmend auswirken kann, findet sich noch heute in religiösem, keineswegs nur in islamischem Denken. Der prominente katholische Theologe Karl Rahner ging so weit, Krankheit als „Sichtbarwerden der Macht der Sünde und des Teufels“ zu bezeichnen ([14], S. 70).
Kritisch kann man hierin „ein sehr komplexes nichtreligiöses Glaubenssystem“ sehen ([11], S. 83). Politisch wurden im Jahr 2010 in Großbritannien starke Vorbehalte erhoben. Sie bezogen sich auf die öffentliche Finanzierung der Homöopathie [26]. Diese Problematik ist ebenfalls in der Bundesrepublik Deutschland zu diskutieren ([11], S. 71). Das Bundessozialgericht urteilte 2011, dass die Homöopathie von Wirkstoffprüfung und vom Wirtschaftlichkeitsgebot nicht ausgenommen werden darf [27].
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Kreß, H. Das Arzt-Patient-Verhältnis im Sinn patientenzentrierter Medizin. Bundesgesundheitsbl. 55, 1085–1092 (2012). https://doi.org/10.1007/s00103-012-1535-y
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