Das direkte, anästhesiologisch-bedingte perioperative Risiko ist heutzutage extrem niedrig, sodass unerwünschte Komplikationen mit ggf. schlechtem Langzeit-Outcome so selten sind, dass eine signifikante Reduktion der Komplikationsrate durch eine Intervention nur noch durch große randomisierte Studien bewiesen werden kann. Elektronische Patientenakten bieten die Möglichkeit, große Patientenzahlen in observationelle Studien zu inkludieren. Die Analyse von „Big Data“ kann somit helfen, Assoziationen zwischen z. B. Vorerkrankungen und Komplikationsrisiko aufzuzeigen; eine kausale Beweisführung, welche Intervention zu einer Reduktion der Komplikationsrate führt, ist hierdurch jedoch nicht möglich. Sind Komplikationen und unerwünschte Krankheitsverläufe daher schicksalhaft und nicht zu vermeiden? Können wir uns entspannt zurücklehnen und auf dem Erreichten ausruhen? Ich denke nicht.

In der vorliegenden Ausgabe von Der Anaesthesist beschreiben Janßen et al. ein Bündel von Maßnahmen zur Beeinflussung der perioperativen kardiovaskulären Morbidität und Letalität für nichtherzchirurgische Eingriffe [2]. Dabei werden Aspekte wie die perioperative kardioprotektive Medikation, die Auswahl des geeigneten Anästhesieverfahrens, Blutdruckmanagement und Transfusionsstrategien sowie der Umgang mit Patienten, die einen perioperativen Myokardschaden ohne ischämietypische Symptome („myocardial injury after non-cardiac surgery“ [MINS]) erlitten haben, diskutiert. Auch nach jahrelanger Forschungstätigkeit gibt es jedoch oftmals keine klaren Antworten, kein Schwarz-Weiß, kein Richtig-Falsch, kein Ja-Nein.

Für einige vielversprechende Interventionen wurden im Laufe der Jahre entweder die Unwirksamkeit oder sogar ein negativer Einfluss nachgewiesen. Wurde zunächst den inhalativen Anästhetika eine kardioprotektive Wirkung zugesprochen [1], konnte dies in großen randomisierten klinischen Studien nicht belegt werden [4]. Die kardioprotektiven Effekte einer perioperativen β‑Adrenozeptor-Blockade wurde hingegen auch in neueren großen klinischen Studien aufgezeigt; allerdings war dieser organprotektive Effekt, nachgewiesen durch eine Reduktion der Enzymfreisetzung, verbunden mit einem erhöhten Risiko, einen perioperativen Schlaganfall zu erleiden und hierdurch eine erhöhte Sterblichkeit zu akzeptieren [6]. Die Reduktion von Komplikationen bei Anwendung einer regionalen oder neuroaxialen Anästhesie im Vergleich zur Allgemeinanästhesie ist weiterhin umstritten [3].

Nein, ein Schwarz-Weiß, ein Richtig-Falsch gibt es nicht, und dennoch zeigt die Übersichtarbeit von Janßen et al. [2], dass es viele Bereiche gibt, auf denen auch wir als Anästhesisten einen Unterschied ausmachen können. Allerdings vielleicht nicht mit der einen, perfekten, Intervention, sondern durch Optimierung vieler kleiner Schritte und Interventionen, um so im komplizierten Prozess der perioperativen Betreuung von Hochrisikopatienten vermeidbare Komplikationen weiterzureduzieren. Hierbei wird sich in den kommenden Jahren das Arbeitsfeld des Anästhesisten sowohl auf die prä- als auch die postoperative Optimierung ausweiten müssen. Auch wenn wir bereits heute von einer präoperativen Optimierung unserer Patienten sprechen, so wird diese in der Realität noch zu wenig in die Tat umgesetzt: einen Patienten mit Diabetes mellitus und erhöhtem HbA1c zurückverweisen zum Diätisten/Hausarzt, um die antidiabetische Therapie zu optimieren und hierfür auch den operativen Eingriff verschieben? Ein intensiviertes Prähabilationsprogramm, inklusive Muskeltraining und Ernährungsberatung, bei Tumorpatienten und hierfür selbst die Tumorresektion verschieben? Dies ist sicher noch nicht in den Klinikalltag integriert.

Eine postoperative Visite bei allen klinischen Patienten mit gezielter Anordnung von Maßnahmen auf der Normalstation durch den Anästhesisten [7]? Eine kabellose kontinuierliche Überwachung der Vitalfunktionen auf der postoperativen Normalstation, oder sogar nach der Entlassung zu Hause [5]? Auch dies klingt heute noch wie Science-Fiction, könnte aber in den kommenden Jahren dazu beitragen, gerade im postoperativen Verlauf Komplikationen frühzeitig zu erkennen und dadurch schneller und effektiver behandeln zu können.

Janßen et al. gehen ausführlich auf die Problematik der verschiedenen Begleitmedikationen bei Hochrisikopatienten ein und geben dem klinisch tätigen Anästhesisten einen praktischen Leitfaden für den perioperativen Umgang mit dieser Begleitmedikation an die Hand. Sie gehen auch auf aktuelle Diskussionen im Bereich der Anästhesie (Hyperoxie, Hypotonie) ein und zeigen hierdurch unterschiedlichste Aspekte auf, an denen der Anästhesist in der Lage ist, die perioperative Betreuung von Hochrisikopatienten weiterzuoptimieren.