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Zusammenfassung

Fausts Plan der Meereseindämmung hält ein Großteil seiner gegenwärtigen Deuter für das »Projekt der Moderne«, das eine radikale Dekonstruktion verdient. Demggenüber zeigt der Aufsatz, dass Fausts Unternehmen an einem topischen Feld partizipiert, das auf die biblischen Genesis-Berichte zurückgeht. Der Genesis-Bezug entzieht nicht nur einer überschwänglichen Kritik den Boden. Er macht auch den Einheitspunkt kenntlich, auf den sich die Wetten im Himmel und auf der Erde sowie Fausts letzte Worte beziehen, und schlägt so eine Lösung für eines der ältesten Faust-Probleme vor.

Abstract

The majority of current Faust scholars regard his plan to embank the sea as the »project of modernity« deserving radical deconstruction. In contrast, this essay shows that Faust’s endeavor belongs to a topical field that can be traced back to biblical reports of genesis. This reference to genesis not only attenuates exuberant criticism, but also indicates the focus both bets — in heaven and on earth — as well as Faust’s last words refer to. Thus, it offers a solution for one of the oldest problems in Faust.

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Literature

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Schings, HJ. Faust und der dritte Schöpfungstag. Dtsch Vierteljahrsschr Literaturwiss Geistesgesch 88, 439–467 (2014). https://doi.org/10.1007/BF03375722

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