Eine Hypothyreose bedeutet die Unterversorgung des Organismus mit Schilddrüsenhormonen. Gerade in der pränatalen und frühen postnatalen Entwicklung ist die ausreichende Versorgung mit Schilddrüsenhormonen von besonderer Bedeutung. Die kongenitale Hypothyreose ist die häufigste vermeidbare Ursache mentaler Retardierung, ist aber auch mit einem ca. 12-fach erhöhten Risiko für multiple neonatale Missbildungen assoziiert, die weitere Komplikationen für die Erkrankten bedeuten. Daher ist ein entsprechendes Neugeborenen-Screeningprogramm eine äußerst wichtige Maßnahme zur Vermeidung zumindest der mentalen Retardierung aufgrund eines Schilddrüsenhormonmangels [1,2,3,4].
Pathophysiologie und klinische Bedeutung
Die kongenitale Hypothyreose, definiert als ein von Geburt an bestehender Schilddrüsenhormonmangel, kann weiter näher klassifiziert werden, indem zwischen einer primären (Schilddrüse ist direkt betroffen) oder einer sekundären, zentralen (Hypophyse oder Hypothalamus betroffen) kongenitalen Hypothyreose unterschieden wird. Zusätzlich kann auch hinsichtlich der Dauer (transient gegenüber permanent) differenziert werden. Da die zentrale sekundäre kongenitale Hypothyreose, die häufig mit einem TSH-Mangel und einer angeborenen Hypophysenvorderlappeninsuffizienz assoziiert ist, sehr selten vorkommt, wird im Rahmen dieses Beitrages lediglich die primäre kongenitale Hypothyreose näher beleuchtet.
Die transiente primäre kongenitale Hypothyreose kann als Folge schweren Jodmangels insbesondere in Gebieten mit endemischem Jodmangel auftreten, kann aber auch durch mütterliche Schilddrüsen-Autoantikörper, mütterliche Thyreostatikatherapie oder durch akuten Jodexzess hervorgerufen werden [4]. In der Mehrheit der Fälle (>80 %) liegt der permanenten primären kongenitalen Hypothyreose eine Entwicklungsstörung der Schilddrüse (Dysgenesie) zugrunde, während angeborene Störungen der Schilddrüsenhormon-Biosynthese (Dyshormonogenese) für ca. 10–15 % der Fälle verantwortlich zeichnen (Tab. 1).
Eine Dysgenesie ist charakterisiert durch eine Ektopie (Schilddrüsengewebe zwischen Zungengrund und vor der Luftröhre liegend), eine Athyreose oder eine Hypoplasie/Hemiagenesie der Schilddrüse aufgrund einer gestörten Embryonalentwicklung. In Gebieten mit ausreichender Jodversorgung stellt die Ektopie die häufigste Ursache (70 % der Fälle) dar, während eine Athyreose (komplettes Fehlen der Schilddrüse) in ca. 25 % und die Hypoplasie/Hemiagenesie in ca. 5 % der Fälle zu beobachten sind [1,2,3,4,5,6].
Symptomatik und Diagnostik
Lediglich bei einem geringen Prozentsatz der PatientInnen sind schon bei der Geburt charakteristische klinische Zeichen einer Hypothyreose zu beobachten. Zu Letzteren gehören Icterus prolongatus, große Fontanelle (vor allem posterior), Hypotonie, Adynamie, Trinkschwäche, kurze Wachphasen, rasche Gewichtszunahme, Hypothermie, Makroglossie, zunehmend grobe Gesichtszüge oder auch Umbilikalhernien. Verlangsamtes Größenwachstum und eine Entwicklungsverzögerung fallen meist erst später auf. Die klinischen Zeichen sind, möglicherweise auch durch den transplazentaren Transport maternaler Schilddrüsenhormone bedingt, oft nur sehr gering ausgeprägt. Daher war die Einführung neonataler Screeningprogramme eine wichtige Maßnahme, da damit eine präklinische biochemische Diagnose, gefolgt von einer entsprechenden Bestätigungsdiagnostik, mit nachfolgender Substitutionstherapie in der ersten Lebenswoche möglich ist und somit eine zerebrale Schädigung und mentale Retardierung bei den betroffenen Kindern hintangehalten werden können [1,2,3,4,5].
Genetische Diagnostik
Vererbung und Häufigkeit
Die Prävalenz der kongenitalen Hypothyreose liegt bei ca. 2–4 pro 10.000 Geburten, wobei bei asiatischen, indianischen und hispanischen Kindern eine höhere Häufigkeit beobachtet wird [1,2,3,4,5,6].
Der Großteil der beobachteten Fälle von Schilddrüsendysgenesie wird als sporadisch angenommen, und die zugrunde liegenden Ursachen sind unklar. Bislang konnten nur für einen geringen Prozentsatz der PatientInnen mit familiärer Häufung pathogene Genvarianten identifiziert werden (vgl. Tab. 2). Rezente Studien zeigen aber, dass, wenn nicht nur nach Kandidatengenen, sondern nach dem Phänotyp und auch unter Berücksichtigung ethnischer Gesichtspunkte genetische Analysen durchgeführt werden, ein stärkerer genetischer Hintergrund als bisher angenommen, vermutet werden kann [7].
TSH-Rezeptor und Transkriptionsfaktoren wie PAX8, NKX2-1 oder FOXE1 werden in der sich entwickelnden Schilddrüse exprimiert, und pathogene Varianten dieser Gene können nicht nur zur Fehlentwicklung der Schilddrüse führen, sondern auch andere Gewebe bzw. Organe betreffen und so zur Symptomatik syndromaler Erkrankungen beitragen (Lungenerkrankungen, Chorea, Spaltbildungen). NKX2-1, zum Beispiel, ist wichtig für die Expression schilddrüsenspezifischer Gene (TG, TPO, TSHR oder SLC5a5 (Nis)) und reguliert auch die Expression von SP (Surfactantprotein) in der Lunge. Paired box gene 8 (PAX8) ist generell für die embryonale Entwicklung von Bedeutung und PAX8-Mutationen wurden bereits in Familien mit kongenitaler Hypothyreose berichtet [8]. FOXE1 spielt nicht nur eine Rolle für die Entwicklung der Schilddrüse, sondern auch für Thymus und Pharynx. Eine FOXE1-Expression wird auch noch im Erwachsenenalter in der Schilddrüse, in der Epidermis und in Haarfollikeln beobachtet. Homozygote FOXE1-Mutationen wurden in Patienten mit dem Bamforth-Lazarus-Syndrom berichtet, das durch Dysgenesie der Schilddrüse, „spiky hair“ und eine Gaumenspalte gekennzeichnet ist. Ob FOXE1 tatsächlich kausal für die kongenitale Hypothyreose ist oder lediglich ein Suszeptibilitätsgen darstellt, kann kontrovers diskutiert werden [8,9,10,11,12,13,14].
Formen der Schilddrüsendyshormonogenese werden in den meisten Fällen autosomal rezessiv vererbt. Von Defekten betroffen sind Gene, die für die Schilddrüsenhormonsynthese essenziell sind, wobei je nach Gen die zusätzlich zur (immer vorhandenen) Hypothyreose auftretende Symptomatik durchaus unterschiedlich sein kann. Die kongenitale Hypothyreose wird entsprechend den Gendefekten auch im Rahmen von Syndromen (Pendred-Syndrom, etc.) beobachtet bzw. ist auch mit solchen (Down-Syndrom, Williams-Beuren-Syndrom) assoziiert (Tab. 2).
Indikationen für eine molekulargenetische Diagnostik
Auch wenn die betroffenen PatientInnen mit einer entsprechenden Substitutionstherapie gut behandelt und betreut sind, ist eine genetische Diagnostik sinnvoll. Die Identifikation von pathogenen Genvarianten ist insbesondere bei familiärer Häufung, bei syndromalen Fällen oder PatientInnen mit unklaren neurologischen Defiziten von Relevanz, da nur bei Kenntnis des genetischen Hintergrunds der Erkrankung eine zuverlässige genetische Beratung (z. B. im Rahmen einer Familienplanung) betreffend Wiederholungsrisiko und Prognose angeboten werden kann.
Gerade die syndromalen Formen und die Tatsache, dass eine Reihe verschiedener Gene betroffen sein kann, erfordern, dass die genetische Diagnostik in auf diesem Gebiet erfahrenen Laboren bzw. Institutionen durchgeführt wird. Wie auch rezente Arbeiten zeigen, werden möglicherweise durch die rasant erfolgenden Weiterentwicklungen molekularbiologischer Methoden (NGS – next generation sequencing, whole exome oder clinical exome sequencing) weitere Genvarianten (bislang z. B. GLIS3, JAG1 oder SLC26A4) identifiziert werden, die eine Rolle bei der Entstehung bzw. Ausprägung der primären kongenitalen Hypothyreose spielen [8,9,10,11,12,13,14,15,16].
Bevor eine humangenetische Analyse durch zuständige, einschlägige FachärztInnen veranlasst und im Labor durchgeführt werden kann, sind die PatientInnen entsprechend aufzuklären und zu beraten. Diese humangenetische Beratung muss dokumentiert werden, und die PatientInnen haben der Analyse schriftlich zuzustimmen. Das Ergebnis der genetischen Analyse muss in schriftlicher Form mitgeteilt und mit einer genetischen Beratung abgeschlossen werden. Die PatientInnen können die Durchführung der humangenetischen Analyse bzw. die Mitteilung des Ergebnisses zu jedem Zeitpunkt und ohne Angabe von Gründen widerrufen.
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Open access funding provided by Medical University of Vienna.
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Baumgartner-Parzer, S. Primäre kongenitale Hypothyreose. J. Klin. Endokrinol. Stoffw. 12, 70–72 (2019). https://doi.org/10.1007/s41969-019-0068-5
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