Es war doch alles so einfach:

  • Die hormonelle Kontrazeption ist mit einem erhöhten Thromboembolierisiko assoziiert.

  • Je weniger Ethinylöstradiol eingenommen wird, desto geringer ist das Risiko.

  • Gestagene der dritten Generation (Desogestrel, Gestoden) sind gefährlicher als die der ersten und zweiten Generation.

  • Das Thromboserisiko sollte bei parenteraler Applikation geringer sein: Depotpräparate mit kontinuierlicher Abgabe – Transdermalpflaster und Vaginalringe – geben über die Zeit eine geringere Hormonmenge ab als orale Kontrazeptiva mit hohem Spitzenspiegel.

  • Die parenterale Applikation sollte bei einem geringeren Thromboembolierisiko günstiger sein als die orale Applikation (keine Aktivierung von Gerinnungsfaktoren während der Leberpassage, First-pass-Effekt).

Jetzt stellen sich scheinbar neue Fakten dar. In dieser Ausgabe von Der Internist berichten Spinner et al. aus dem Klinikum München-Neuperlach über das Notfallmanagement einer „Fulminanten Lungenembolie bei einer jungen Frau“ [5]. Hier wird eine junge Frau mit scheinbar leerer Eigenanamnese, aber positiver Familienanamnese (Lungenembolie beim Vater) beschrieben, deren einziges Symptom eine plötzlich eingetretene, rezidivierende und schließlich persistierende Sinustachykardie war. Die Patientin wird nach der Aufnahme schnell reanimationspflichtig. Durch eine sofortige Thrombolysetherapie kann die Situation stabilisiert werden; die Patientin überlebt ohne Defizite. Bei einer aufgrund der Familienanamnese durchgeführten Thrombophiliediagnostik fand sich eine hereditäre Resistenz gegen aktiviertes Protein C (APC). Die zielgerichtete Anamnese ergab, dass die junge Frau ein intravaginal appliziertes hormonelles Kontrazeptivum (NuvaRing®) verwendete.

Dieser Bericht fügt sich gut in eine Reihe ähnlicher Fallberichte der letzten Jahre. In diesen wird über schwere thromboembolische Ereignisse unter Kontrazeption mit dem vaginalen Kontrazeptivum NuvaRing® berichtet [1]:

  • Beinvenenthrombosen,

  • Beckenvenenthrombosen,

  • Mesenterialvenenthrombose,

  • Lebervenenthrombosen,

  • Axillarvenenthrombose,

  • Thrombosen zerebraler Versorgungsgebiete (Sinusvenenthrombose, Zentralvenenthrombose des Auges, Ohrvenenthrombose) und

  • Lungenembolien.

Gut fügen sich in das Bild auch aktuelle Publikationen über eine retrospektive, populationsweite Analyse aus Dänemark und eine Analyse der amerikanischen Food and Drug Administration (FDA). Die Botschaft dieser Untersuchungen ist: Bei Anwendung des NuvaRing® ist im Vergleich zu Levonorgestrel-haltigen oralen Kombinationspräparaten das Risiko für thromboembolische Ereignisse erhöht [2, 3]. Auch wenn möglicherweise methodische Mängel dieser retrospektiven Erhebungen einzurechnen sind, so muss man wohl schlussfolgern, dass die vaginale kombinierte hormonelle Kontrazeption wie auch die transdermale Applikation wahrscheinlich zumindest kein geringeres Thromboembolierisiko haben als die kombinierte orale Kontrazeption.

Die vaginale hormonelle Kontrazeption hat wahrscheinlich kein geringeres Thromboembolierisiko

Bei Frauen, die kombinierte hormonelle Kontrazeptiva verwenden, ist die Gerinnung verändert. Die Plasmaspiegel von Fibrinogen und der Faktoren II, VII, VIII und X sind erhöht, Antithrombin und Protein S sind erniedrigt. Darüber hinaus findet sich eine APC-Resistenz. Ursprünglich hatte man vor allem die Östrogene für das erhöhte Thromboembolierisiko bei Einnahme hormoneller Kontrazeptiva verantwortlich gemacht. Inzwischen weiß man, dass auch manche Gestagene das Risiko erhöhen. Levonorgestrel gilt dabei als das am wenigsten gefährliche Gestagen. Bei Einnahme von Desogestrel, einem Bestandteil vieler moderner Pillen, lässt sich eine gesteigerte APC-Resistenz nachweisen. Zudem hat man unter Desogestrel erhöhte Spiegel prothrombotischer Faktoren wie Faktor VII, VIII und X sowie erniedrigte Spiegel antikoagulatorischer Faktoren wie Protein S und Antithrombin gemessen [6].

Die enterale Aufnahme führt über die unmittelbare Verstoffwechselung in der Leber zu einer gesteigerten Synthese der Faktoren VII und X sowie von Fibrinogen [6]. Man nahm an, dass bei der parenteralen Applikation aufgrund der Umgehung dieses First-pass-Effekts der Einfluss auf die Gerinnungsfaktoren geringer ist. Dies scheint jedoch nicht der Fall zu sein. Auch parenteral aufgenommenes Ethinylöstradiol wird in der Leber metabolisiert, sodass letztlich ähnliche Wirkungen auf das Gerinnungssystem zu erwarten sind [4, 7]. Die Bioverfügbarkeit des Gestagens (Etonogestrel) sei beim NuvaRing® im Übrigen noch höher als beim oral angewendeten Vergleichspräparat.

Die klinische Bedeutung von Thrombosen, die gefährlichste Nebenwirkung hormoneller Kontrazeptiva, soll und darf nicht unterschätzt werden. Die oben aufgezählten thromboembolischen Ereignisse sind lebensgefährlich; auch implizieren sie eine zumindest 6–12 Monate dauernde gerinnungshemmende Therapie und u. U. erhebliche und dauerhafte Einschränkungen der Lebensqualität durch:

  • ein postthrombotisches Syndrom,

  • eine Einschränkung der Leber- und Darmfunktion,

  • Schwindel,

  • ein vermindertes Seh- und Hörvermögen sowie

  • neurologische Defizite.

Sind hormonelle Kontrazeptiva also gefährlich? Die kühle Bewertung fällt anders aus. Diskutiert werden zwar beunruhigende relative Risikoerhöhungen, die absoluten Zahlen sehen jedoch weniger dramatisch aus. Das Thromboembolierisiko ist bei jungen Frauen grundsätzlich niedrig. Nur 6 von 10.000 Frauen, die ein Jahr lang orale Kontrazeptiva einnehmen, erleiden ein thromboembolisches Ereignis, unter Verwendung des NuvaRing® sind es 7–8. Selbst wenn eine Faktor-V-Leiden-Mutation vorliegt, ist das absolute Risiko nicht höher als 35 Thrombosefälle auf 10.000 Frauen unter hormoneller Kontrazeption pro Jahr [6]. Die meisten Frauen mit hormoneller Kontrazeption erleiden keine Thrombose.

Das Thromboserisiko während einer Schwangerschaft ist um ein Vielfaches höher als unter hormoneller Kontrazeption.

Auch dies gilt es zu bedenken: Das Thromboserisiko in der Schwangerschaft ist höher als das unter Kontrazeptiva, thromboembolische Ereignisse in der Schwangerschaft sind die häufigste maternale Todesursache in den westlichen Ländern. Die sichere Verhütung mit hormonellen Kontrazeptiva hat auch andere Vorteile: Ungewollte Schwangerschaften – und möglicherweise folgende Schwangerschaftsabbrüche – werden verhindert. Zudem wird der Zyklus stabilisiert. Weiterhin zu nennen sind die Verringerung des Risikos für aszendierende Infektionen mit der Möglichkeit einer nachfolgenden Unfruchtbarkeit sowie die Kontrolle von Akne. Den offensichtlichen Risiken einer hormonellen Kontrazeption müssen auch diese Vorteile gegenübergestellt werden.

Aus den Arbeiten geht auch hervor, dass das Thromboembolierisiko unter hormoneller Kontrazeption bei einer Faktor-V-Leiden-Mutation im Vergleich zu nicht belasteten Frauen um ein Vielfaches erhöht ist. Diese Erkenntnis ist wichtig, führt aber derzeit nicht weiter. Aufgrund der niedrigen Prävalenz der thromboembolischen Ereignisse wird ein generelles Screening für die bekannten Mutationen nicht empfohlen. Auch bietet der fehlende Nachweis einer Mutation keine Sicherheit, da bislang nicht alle Mutationen bekannt sind.

Diskutiert wird die Thrombophiliediagnostik bei Frauen, die eine hormonelle Kontrazeption wünschen und bei denen eine familiäre Thromboemboliebelastung vorliegt. Die Sensitivität und der positive prädiktive Wert der Familienanamnese zur Vorhersage einer Thrombophilie sind allerdings sehr niedrig. Dementsprechend sind die Leitlinien zurückhaltend: Eine familiäre Belastung ist kein Grund, die hormonelle Kontrazeption zu verweigern. Die Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation, der Centers for Disease Control and Prevention (CDC) und der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe (DGGG) zur Thrombophiliediagnostik bleiben ebenfalls ungenau [8, 9, 10]. Wenn überhaupt soll ein Thrombophiliescreening nur bei Frauen mit familiärer Belastung erfolgen.

Was bleibt

Für den Arzt im Notfalldienst gilt: Bei der Erhebung der Anamnese sollte auch die parenterale hormonelle Kontrazeption mit vaginalem Kontrazeptionsring oder transdermalem Pflaster bedacht und abgefragt werden. Dies kann im Einzelfall die Diagnosestellung einer Thromboembolie beschleunigen.

Im Rahmen der Indikationsstellung und Verschreibung hormoneller Kontrazeptiva ist eine subtile Anamnese einschließlich Familienanamnese unerlässlich. Eine genetische Thrombophiliediagnostik ist bei gesunden Familienmitgliedern selten indiziert. Die Aufklärung von Nutzerinnen hormoneller Kontrazeptiva hat einen besonderen Stellenwert.

Bei familiärer Belastung bzw. einem Risiko, das sich aus der Familienanamnese ergibt, sollten Alternativen der Kontrazeption diskutiert werden, die mit einer geringeren Steigerung des Thromboembolierisikos assoziiert sind:

  • Minipille,

  • kupferhaltiges Intrauterinpessar,

  • Mirena®,

  • Implanon® oder auch

  • Barrieremethoden.

Einig sind sich alle, dass im Rahmen der Pharmakovigilanz geklärt werden muss, wie das Thromboembolierisiko nichtoral angewendeter Kontrazeptiv im Vergleich zu oralen Kontrazeptiva einzuschätzen ist. Dazu bedarf es eventuell auch weiterer prospektiver Studien oder zumindest weiterer prospektiver großer Kohortenstudien, damit diese im statistischen Sinne relativ kleinen Effekte mit großer individueller klinischer Bedeutung genau erfasst und quantifiziert werden können.

Schlussfolgerungen

Die hormonelle Kontrazeption ist sicher; thromboembolische Ereignisse sind häufiger zu finden als ohne Kontrazeption, bleiben aber immer noch selten. Die Zusammensetzung der Medikation ist entscheidend für das Thromboembolierisiko: Der Spiegel des Östrogens (Ethinylöstradiol) ist von Bedeutung, unter den Gestagenen wird Levonorgestrel mit der niedrigsten Rate an thromboembolischen Ereignissen assoziiert. Ein Thromboserisiko besteht unabhängig vom Applikationsweg (oral, transdermal, vaginal). Liegt bei einer jungen Frau der Verdacht auf eine Thromboembolie vor, sollte immer eine genaue Anamnese zur Kontrazeption erhoben werden. Risikopatientinnen sind vor Verschreibung von Kontrazeptiva zu identifizieren und aufzuklären.

C. Thomssen