Zusammenfassung
Nach den hier und in der vorigen Arbeit dargestellten Befunden kann, soweit der mikroskopische Befund in Betracht kommt, die Sonderstellung des Kretinengehirns innerhalb des Gesamtgebietes der Idiotie wohl in folgender Art umschrieben werden: Eine im ganzen nur mäßiggradige, aber durch ihre weite Ausbreitung doch die höheren Hirnleistungen stark beeinträchtigende zell- und faserbauliche Entwicklungshemmung ist verbunden mit spärlichen, örtlich eng umschriebenen und daher im Einzelgehirn nur als „Zufallsbefund“ zur Kenntnis kommenden Einzelzügengröberer Rückständigkeit, welche eine Einwirkung entwicklungshemmender Umstände schon etwa um den fünften bis sechsten Embryonalmonat beweisen. Nicht minder kennzeichnend als die Anzeichen gehemmter Entwicklung sind aber verbreitete chronisch-regressive, darunter namentlich gesteigerte bzw. vorzeitige pigmentatrophische und Verfettungserscheinungen, für welche einerseits eine durch Anlage oder durch frühe (schon intrauterin einsetzende) Einwirkung der kretinogenen Noxe bedingte Herabsetzung der cellulären Widerstandsfähigkeit, andererseits die dem Kretinismus dauernd zugehörige (namentlich hypooder dysthyreotische) StoffWechselveränderung verantwortlich sein dürfte. Der letzteren ist wahrscheinlich auch die Steigerung der Neigung zur Ablagerung von Pseudokalkkonkrementen (insbesondere im Pallidum) und zur Kalkimprägnation dieser Konkremente zuzuschreiben. Hierfür sprechen ferner auch Fälle angeborener Athyreose (darunter ein in der Arbeit von 1929 und ein in der vorliegenden beschriebener mit Beteiligung auch der Dentatumregion), sowie ein hier verwerteter Fall von Kachexia thyreopriva, in welchem außer Pallidum und Dentatum auch die Rinde des Kleinhirns (mit starker Bevorzugung der Körnerschicht) von den kalkhaltigen Einlagerungen mitergriffen war.
Die Ausführung dieser Arbeit wurde gefördert durch einen Beitrag derNotgemeinschaft der Deutschen Wissenschaft und durch einen Beitrag derStiftung zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung an der Universität Bern.
Literaturverzeichnis
Aldama, J.: Cytoarchitektonik der Großhirnrinde eines 5jährigen und eines 1jährigen Kindes. Z. Neur.130, 532 (1930).
Bayon: Über das Zentralnervensystem der Cretinen. Neur. Cbl.1904, 338.
Bielschowsky, M.: Histopathology of nerve cells. InW. Penfield: Cytology and cellular pathology of the nervous system, Bd. 1, S. 145. New York 1932.
Biondi, G.: Fenomeni regressivi della glia fibrosa e loro relazione coi concrementi pseudocalcici. Schweiz. Arch. Neur.27, 218 (1932).
Bostroem, A. u.H. Spatz: Bindearmatrophie bei idiopathischer Athetose. Zbl. Neur.48, 560 (Sitzungsbericht).
Bouman, L.: Die Axonschwellungen der Purkinjeschen Zellen, insbesondere bei Dementia senilis. Z. Neur.113, 379 (1928).
v. Braunmühl, A.: (1) Zur Histopathologie der Oliven, unter besonderer Berücksichtigung seniler Veränderungen. Z. Neur.112, 213 (1928).
v. Braunmühl, A.: (2) Kolloidchemische Betrachtungsweise seniler und präseniler Gewebsveränderungen usw. Z. Neur.142, 1 (1932).
Hallervorden: Ein Fall von ausgedehnten Verkalkungsherden in den Stammganglien und im Kleinhirn bei Epilepsie. Zbl. Neur.33, 519 (1923).
Juba, A.: Beiträge zur Histopathologie der juvenilen Paralyse, usw. Z. Neur.141, 702 (1932).
Kodama, M. (unterSpatz): Über den Fettgehalt des Globus pallidus (das „Pallidumfett“). Z. Neur.102, 236 (1926).
Kolb: Zweikernige Ganglienzellen. Z. Neur.19, 341 (1913).
Löwenberg, K.: Über eine elektive Erkrankung der Pallidumgefäße. J. Psychol. u. Neur.39, 8 (1929).
Lotmar, F.: (1) Histopathol. Befunde in Gehirnen von kongenitalem Myxödem (Thyreoaplasie). Z. Neur.119, 491 (1929).
Lotmar, F.:(2) Entwicklungsstörungen in der Kleinhirnrinde beim endemischen Kretinismus. Z. Neur.136, 412 (1931).
Lotmar, F.:(3) Beiträge zur Histologie der akuten Myelitis und Encephalitis usw.Nissl-Alzheimers histol. und histopath. Arbeiten6, 245 (1913).
Mott,F. W.: (1) Microscop. examination of the central nervous system in three cases of spontaneous hypothyreoidism in relation to a type of insanity. Proc. Roy Soc. Med.1914/15 III. Sect. of Psychiatry.28. April 1915, S. 58.
Mott,F. W.: (2) The changes in the central nervous system in hypothyreoidism. Proc. Boy. Soc. Med.1917 III. Section of Pathology. 13. Febr. 1917, S. 51.
Oppermann, Kl.:Cajalsche Horizontalzellen und Ganglienzellen des Marks. Z. Neur.120, 121 (1929).
Ostertag, B.: Die an bestimmte Lokalisation gebundenen Konkremente des Zentralnervensystems und ihre Beziehung zur „Verkalkung intracerebraler Gefäße“ bei gewissen endokrinen Erkrankungen. Virchows Arch.275, 828 (1930).
Peter, K. u.K. Schlüter: Über Megalencephalie als Grundlage der Idiotie. Z. Neur.108, 21 (1927).
Pfeiffer: Über mehrkernige Ganglienzellen in der menschlichen Hirnrinde. Z. Neur.114, 530 (1928).
Pighini, G.: Contributo clinico-anatomico allo studio del cretinismo. Riv. sper. Freniatr.51, 482 (1928).
Riese, W.: Über die Markreifung im Kleinhirn. Z. Neur.94, 629 (1925).
Rößle, R.: Wachstum und Altern. München: J. F. Bergmann 1923.
Scherer, H. J.: Die Ammonshornveränderungen bei der familiären amaurotischen Idiotie. Z. Neur.138, 481 (1932).
Schiele, B.G.: Über vorwiegend perivasale, sekundär verkalkende Konkrementbildung im Gehirngewebe. Virchows Arch.282, 790(1931).
Scholz, W.: Kretinismus.Kraus-Brugschs Handbuch Bd. 1, S. 477. 1919.
Shimoda, M. u.M. Kondo: Über die pathologische Bedeutung der mehrkernigen Ganglienzellen. Mitt. Path. Inst. Sendai1, 293 (1919–1922).
Spatz, H.: Encephalitis. InSpielmeyer: Die Anatomie der Psychosen (Bumkes, Handbuch Bd. 11) S. 157, 1930 (speziell S. 245).
Stein, F. W.: Die Bedeutung der mehrkernigen Ganglienzellen. Z. Neur.21, 461(1914).
Wegelin, C.:(1) Zur Kenntnis der Kachexia thyreopriva. Virchows Arch.254, 689 (1925).
Wegelin, C.:(2) Zur pathologischen Anatomie der Encephalitis epidemica (lethargica). Schweiz. med. Wschr.1921, Nr 16 (Sitzungsber.).
Weimann, W.: Intoxikationen. In:Spielmeyer: Die Anatomie der Psychosen (Bumkes Handbuch, Bd. 11) S. 42, 1930.
Weygandt, W.: Über Hirnrindenveränderung bei Mongolismus, Kretinismus und Myxödem. Z. jugdl. Schwachsinn5, 428 (1911).
Author information
Authors and Affiliations
Rights and permissions
About this article
Cite this article
Lotmar, F. Histopathologische Befunde in Gehirnen von endemischem Kretinismus, Thyreoaplasie und Kachexia thyreopriva. Z. f. d. g. Neur. u. Psych. 146, 1–53 (1933). https://doi.org/10.1007/BF02864884
Received:
Issue Date:
DOI: https://doi.org/10.1007/BF02864884